Ein blasser Feuerschimmer erhellte die Nacht und spiegelte sich in Avas Augen. Die züngelnden Flammen strahlten eine Wärme aus, die nach ihr zu greifen schien, um sie sanft einzuhüllen und ihr Sicherheit in dieser Nacht zu geben, die bisher geprägt war von Schrecken und Angst. Neben ihr hatten sich Mark und Sophie dicht aneinander gekuschelt, um sich zusätzlich noch gegenseitig zu wärmen, während Ava selbst über ihren Schlaf wachte. David war nicht hier und so blieb nur sie übrig, der diese Aufgabe erfüllen konnte. Schließlich trug sie mit die Verantwortung dafür, dass die beiden Kleinen sicher die nächste Stadt erreichten, wo sie dann hoffentlich jemand aufnehmen würde, sodass Ava und ihr Bruder ihr eigenes Leben wieder aufnehmen konnten. David und sie waren nicht dafür gemacht, auf zwei zehnjährige aufzupassen. Sie konnten sich eigentlich gerade so selbst versorgen, der jetzige Herrscher machte das schon so schwer genug. Darum mussten sie so unbedingt die nächste Stadt erreichen. Kena war unabhängig, dort hatten sie alle die besten Chancen: Ava und David, Arbeit zu finden, die sie zumindest für einige Zeit gut genug bezahlen würde und Mark und Sophie, jemanden, der sie aufnahm und sich um sie zu kümmern. Ava wusste, dass das für David und sie unmöglich war, auch wenn sie die Beiden mittlerweile wirklich ins Herz geschlossen hatte. Würden sie keine Familie finden, so hätten Mark und Sophie als Straßenkinder Kenas zumindest nicht die schlechtesten Chancen zu überleben. Ava schlang sich ihre Decke enger um die schmalen Schultern und tastete noch einmal nach dem Griff ihres Messers. Es war noch da, natürlich war es das. Doch sie wollte sich dem wirklich sicher sein, schließlich war es ihre einzige Chance, im Ernstfall zu überleben. Sie saßen sowieso schon viel zu offensichtlich hier, ihrer Meinung nach. Ava wäre es lieber gewesen, hätten sie die Nacht im Dunkeln verbracht. Doch die Dunkelheit war auch kalt, und die Kälte einer ihrer größten Feinde hier draußen. Sie hatten sich entscheiden müssen. Ein Zweig knackte irgendwo in dem nicht vom Feuer erhellten Bereich und sofort schlossen sich ihre Finger fest um den Messergriff, während sie sich schnell und lautlos erhob. Ihr Körper war angespannt und sie war bereit, laut zu schreien, um die Kinder zu wecken und vielleicht David, der da irgendwo im Wald war, auf sich aufmerksam zu machen und zu warnen. Doch es war nur David der ins Licht trat, ein Hase baumelte in seiner rechten Hand auf den Boden herab. Ava entspannte sich wieder. „Du hast tatsächlich etwas erwischt“, flüsterte sie erleichtert. David nickte. „Das Wild scheint hier noch nicht ganz ausgestorben zu sein“, murmelte er zurück. „Nehmen wir das doch als gutes Zeichen, was meinst du? Und bei dir, alles ruhig bisher?“ Ava nickte und David ging für einen kurzen Moment zu Mark und Sophie hinüber, die noch immer fest schliefen. „Ich habe sie schlafen lassen. Das Leben in der Wildnis ist nichts für die Beiden, wir müssen uns etwas anderes überlegen, sobald wir in Kena angekommen sind. Glaubst du, wir könnten eine Familie für sie auftreiben, die sie nehmen würde?“ „Ich weiß nicht.“ David zuckte mit den Schultern und setzte sich neben sie. Ava hob ihre Decke an, sodass er sich mit darunter kuscheln konnte. „Die Zeiten sind wie se sind: hart. Aber einen Versuch ist es wert. Es ist schon zu zweit nicht leicht zu überleben, wir können auf keinen Fall noch die Beiden mitdurchfüttern, auch wenn ich sie ins Herz geschlossen habe.“
„Ja, ich weiß. Weißt du, ich habe überlegt: Selbst, wenn wir niemanden finden, ich denke als Straßenkinder von Kena hätten sie nicht die schlechtesten Chancen zu überleben.“
„Ja, das denke ich auch. Vorausgesetzt, Kena ist noch so wie wir es kennen.“
Sie beide schwiegen einen Moment und Ava lehnte ihren Kopf an die Schulter ihres Bruders. Er starrte nachdenklich in die Flammen und der Feuerschein malte leuchtende Muster auf sein Gesicht. David sah gut aus: Würde er in einer der großen Städte leben, die Frauen würden ihn nur so umschwärmen. Doch sie waren auf der Flucht und getrockneter Schlamm und teilweise sogar Blutspritzer bedeckten sein Gesicht und seine Kleidung von Kopf bis Fuß. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie selbst aussah. Ava seufzte und löste sich von ihrem Bruder, stattdessen griff sie nach dem Hasen und begann routiniert, sein Fell abzuziehen. Ausgenommen hatte David ihn schon. „Wir sollten so bald los wie möglich“, verkündete sie leise. „Mir ist entscheidend zu viel los in diesem Wald.“ „Du hast recht. Bei Sonnenaufgang? Wir müssen uns zumindest ein bisschen ausruhen.“ Ava nickte ihm zu. „Ich weck dich in einer Stunde. Ruh dich so lange aus.“ David legte sich neben die Geschwister und Ava überließ ihm ihre Decke. Sie hatte nicht vor, ihn zu wecken, bevor die Sonne sich langsam am Horizont zeigte. Es waren nur noch etwa drei Stunden und er benötigte den Schlaf dringender als sie. Sie selbst bereitete bis dahin den Hasen zu, sodass sie ein schnelles Frühstück einnehmen konnten, bevor sie aufbrachen. Morgen würde sich einiges entscheiden und Ava sehnte den Morgen zum einen herbei, während sie ihn gleichzeitig fürchtete.