Daniel fixierte konzentriert den Ball vor sich, der unschuldig auf dem Elfmeterpunkt lag. Dann ließ er seinen Blick zu Leona gleiten, die ihm entschlossen entgegensah. Er grinste. Sie sah finster zurück. Vor etwa einem Monat hatte er schon einmal hier gestanden. Wobei, nicht direkt er. Sarah hatte hier gestanden. Sie hatte sich nervös mit der Hand durch das kurze Haar gestrichen und wäre vor Nervosität am liebsten gestorben, obwohl das bei weitem nicht ihr erstes Spiel gegen Leona und ihr Team gewesen war. Aber bisher eines, bei dem am meisten auf dem Spiel stand. Jetzt stand noch ein bisschen mehr auf dem Spiel – der Sieg. Das an diesem Tag war Sarahs letztes Spiel gewesen. Denn jetzt war Sarah Daniel. Und Daniel hatte keine Angst. Wollte nicht vor Nervosität sterben, so wie es Sarah gewollt hatte. Denn er wusste, er konnte gewinnen. Hatte es ja schließlich auch letzten Monat. Und wenn er es da geschafft hatte, schaffte er es auch heute. Daniel atmete noch einmal tief durch, dann nahm er Anlauf, zielte und schoss. Zielsicher landete der Ball in der rechten oberen Torecke und Leona konnte rein gar nichts dagegen tun. Jetzt grinste er so stark, dass sämtliche seiner Gesichtsmuskeln morgen wahrscheinlich weh tun würden. Aber das war ihm egal. Denn Daniel war gerade einfach nur glücklich. Sie waren in Führung – jetzt 4:2 für sein Team – und damit würden sie das Finale gewinnen.
Zwei Stunden später stieß Daniel mit seinem Team auf ihren Sieg an, und Sabrina setzte gerade an, eine ihrer berühmten Reden zu halten. Sabrina war wahrscheinlich so etwas wie ihre Trainerassistentin und absolut dafür bekannt, die besten Motivationsreden zu halten. Und dafür, nach jedem Spiel doch noch etwas verbesserungsfähiges zu finden. Als sie jetzt ansetzte, stöhnte also das gesamte Team auf, in der festen Erwartung, diesen möglichen Fehler unter die Nase gerieben zu bekommen. Doch Sabrina lachte nur und schüttelte den Kopf. „Heute nicht, Leute“, verkündete sie und grinste uns an. „Heute wird gefeiert, dass wir es Ylva und ihrem Team gezeigt haben! 4:2, herzlichen Glückwunsch!“ Und damit hob sie ihr Glas und prostete uns zu. Das Team stimmte in ihr Lachen mit ein und hob ihre Gläser ebenfalls. Selbst ihr Trainer hob sein Glas, um mit seinem Team anstoßen zu können, obwohl er keinen Alkohol trank, da machte er auch für einen solchen Sieg keine Ausnahme. Aber Sabrina hatte vorgesorgt und so musste er nicht mit einem leeren Glas anstoßen: Er trank Apfelschorle, absolut ohne Alkohol, und zwar nicht ganz seinem gesunden Lebensstil entsprechend, aber sie gewannen ja auch nicht jeden Tag gemeinsam als Team das Finale.
„Und jetzt gehen wir da raus und feiern unseren Sieg auch ordentlich!“, verkündete er und zwinkerte seinem Team zu. „Ich bin stolz auf euch, Leute!“ Max neben Daniel lachte ausgelassen. „Du hast gehört, was er gesagt hat, Daniel! Lass uns lieber gehen, bevor er sich das nochmal anders überlegt.“ Aber Daniel musste er nicht lange bitten – denn der war bereits auf dem Weg nach draußen und dreht sich am Ausgang nur kurz zu seinem besten Freund um, wie um ihn zu fragen, wo er denn so lange bliebe, bevor er sich ausgelassen zwischen all die anderen Menschen mischte, die sich auf der großen Wiese versammelt hatten, um ihren Sieg zu feiern. Nun ja, oder aber um die Niederlage zu vergessen, dachte er, als er Ylva und Leona entdeckte, die bereits jetzt reichlich Alkohol intus zu haben schienen. Daniel zuckte mit den Schultern. Heute konnte ihn nichts davon abhalten, zu feiern und Spaß zu haben, auch Ylva und ihre bescheuerten Freunde nicht. Denn für ihn war es nicht nur der Sieg, den er feierte – Daniel wollte es mit seiner neuen Identität verbinden. Seine Eltern, seine Freunde, sein Team: Sie alle hatten es bereits ohne Probleme akzeptiert, auch wenn seine beste Freundin Lea bereits ihren Mädchengesprächen hinterhertrauerte, wie sie ihm direkt gesagt hatte, als er ihr von Daniel erzählt hatte. Als er daraufhin gegrinst und gemeint hatte, dass ihre Gespräche im Wesentlichen sowieso so abliefen, dass Lea sich beschwerte und er ihr zustimmte, hatte sie ebenfalls gegrinst und versprochen, damit auch weiterzumachen, wenn er Daniel und nicht mehr Sarah war. Und so war dies nun der Tag, an dem er sich von Sarah endgültig verabschiedete und Daniel willkommen hieß. Er entdeckte Lea, die sich durch die Menge auf ihn zu drängelte und ging ihr entgegen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schrie ihm ins Ohr: „Willst du tanzen?“ Daniel lächelte und nickte. „Klar!“, schrie er zurück, um die Musik zu übertönen und sie zog ihn grinsend mitten hinein in die Menschenmenge. Und Daniel fühlte sich wie der glücklichste Mensch auf Erden, als er gemeinsam mit Lea lachend durch die Menschen schwebte und sich so frei fühlte wie schon lange nicht mehr.