Sch(l)uss
Callum wurde schon bald unruhig, nervös, angespannt. Kein Wunder. Er war nichts von all dem hier gewohnt: Nicht die warme Dusche, nicht die saubere Kleidung, nicht den gedeckten Frühstückstisch, nicht die netten Worte, nicht den liebevollen Typen. Was er gewohnt war, meldete sich unaufhaltsam. Zuerst hatte er noch recht ordentlich gegessen, jetzt krampfte sich sein Magen zusammen, ihm wurde schlecht, er bekam kalte Schauer… Jeden Augenblick würde der Cowboy es bemerken, er würde seine Einladung bereuen und er würde ihn wie einen räudigen Kater vor die Tür jagen.
„Magst du noch mehr Toast?“
Callum schüttelte den Kopf. Lieber nicht.
Du stehst auf große, harte Schwänze, richtig, Kleiner?!
Nein, tu ich nicht… Tu mir nicht weh… bitte…
„Hast du irgendwelche Sachen, die wir holen sollten? Du hast doch nicht nur die Klamotten, in denen du gekommen bist, oder?“ Jem schaute ihn lächelnd an.
Los, mach schon, Klamotten runter! Du machst mich so geil, so ein geiler, kleiner Arsch… Das war nicht real, das war in Callums Kopf. Wenn er keinen Schuss bekam, würde es lauter und bedrohlicher. Ihm wurde schlecht.
„Was? Sorry, ich muss kurz wohin.“ Callum ließ Jem etwas erstaunt zurück, stand auf und ging erst ins Schlafzimmer, dann ins Bad. Er hatte hundertneunzig Pfund in H umgesetzt. Davon war noch genug in seiner schäbigen Sweatjacke und auch, was er sonst noch brauchte. Er verschloss lieber die Tür, dann machte er sich daran, das Heroin zu portionieren, nicht zu viel, denn es war gutes, hochprozentiges H. Gestern Morgen war er unvorsichtiger gewesen.
Hier, Kleiner, hast du was von dem Zeug, das macht dich richtig scharf, nimm…
Lass mich, ich will nicht…
Er stellte mit zitternden Händen, aber routiniert, die notwendige Mischung aus Heroin, Wasser und Ascorbinsäure her und kochte sie mit einem Feuerzeug auf einem Löffel. Dann zog er die Spritze durch einen Zigarettenfilter auf. Zum Abbinden seines Arms nahm er einen Bademantelgürtel, der hinter der Tür hing. Er klopfte auf die Vene am linken Unterarm, bis er sie hervortreten sah.
Komm, Kleiner, mehr! Du machst mich so geil!... ja… mehr… beweg' deinen Arsch…
Callum beeilte sich. Er wollte das nicht mehr hören. Er würde es nicht länger aushalten. Was würde der Cowboy sagen? Er wollte keine Lügen mehr. Auch Callum wollte keine Lügen mehr. ABER: Das hier war keine Lüge. Er hatte nichts versprochen. Das hier war was er war. Er setzte die Spritze an und stach hinein in die geschundene Vene, erst nur ein bisschen… dann öffnete er die Armschlinge und der Kick kam mit Wucht… der Junge ging zu Boden.
Als er irgendwann wieder zu sich kam hatte er sämtliche Orientierung verloren. Er war nicht draußen am Kanal, nicht hinter Euston Station- Jems Wohnung! Oh shit, hatte er sich wirklich in seinem Bad einen Schuss gesetzt? Aber er lag nicht im Bad, er lag im Bett. Fuck, wie war er dahin gekommen? Er blickte sich, noch immer etwas durcheinander um. Der blonde junge Mann saß am Bett und schaute ihn mit seinen dunklen, tiefblauen Augen an.
„Ich…“, begann Callum.
„Erspar mir das.“