CN: Sucht, Alkohol, explizite Sprache
Der Regen trommelte erbittert gegen das Fenster des alten, abgeranzten Pubs in einer zwielichtigen Gegend in Dublin. Die Wolken verdeckten die langsam untergehende Sonne, das Wetter drückte schwer auf die Gemüter der Einwohner der schönsten Stadt Irlands. Cian Finnigan saß bereits seit einigen Stunden auf dem harten Hocker am Tresen seiner Stammbar und kippte einen Whiskey nach dem nächsten. Langsam aber sicher begannen sich die scharfen Kanten der ihn quälenden Gedanken angenehm abzurunden. Der Mittdreißiger gab es nur ungern zu, doch er hatte diese Abende im Pub, ein Glas nach dem anderen in sich hineinschüttend, zu sehr zur Gewohnheit werden lassen. Nicht, dass es irgendjemanden scherte, was er mit seiner Zeit anfing. Nicht, dass es irgendjemanden kratzte, wo er sich rumtrieb. Nicht, dass es irgendwen auch nur die Bohne interessierte, ob er sich langsam aber sicher zu Tode soff.
"Mitch, mach mir noch einen, ja?", sprach er den rothaarigen Bartender an. Mitch war Cians bester Freund seit er denken konnte. Sie waren gemeinsam zur Schule gegangen, hatten gemeinsam das College abgeschlossen. Er in Kriminologie und Psychologie, Mitch in Philosophie. Was sein Kumpel jemals mit diesem Abschluss anfangen wollte, war Cian von jeher schleierhaft. Aber bitte, er sprach seinem Freund da nicht rein.
Wie sie beide nun hier in diesem schäbigen, abgewrackten Dreckshaufen von Pub gelandet waren? Hatte vermutlich etwas mit Cians kleiner Schwester zu tun. Pheobe war eine atemberaubende Schönheit gewesen. Mit ihren zarten dreiundzwanzig Jahren hatte ihr die Welt zu Füßen gelegen, jeder Mann, der auch nur einen flüchtigen Blick auf sie geworfen hatte, war ihr mit Haut und Haaren verfallen. Umso überraschender, dass sie sich für Mitch entschieden hatte. Sie hätten kein ungleicheres Paar sein können. Der ernste, überkorrekte und in jeder Hinsicht durchschnittliche Mitch und die vor Lebenslust sprühende, energetische und irgendwie auch leichtsinnige Pheobe. Dennoch hatte Cian sich für seinen Kumpel gefreut. Das hatte er wirklich.
"Denkst du nicht, du hattest inzwischen genung, C?"
"Quatsch nicht dumm rum, Alter. Mach voll."
Mitch seufzte vielsagend, beließ es aber bei diesem schwachen Protest. Er hatte gelernt, dass Cian, wie seine Schwester, absolut beratungsresistent war. Und einen Hang zu schlechten Entscheidungen besaß, die er dennoch mit beinahe schon manischem Eifer durchzog. Wie der Entscheidung, heute wieder ins Pub zu gehen, wieder zu trinken, wieder nicht aufzuhören, bis Mitch ihn nach Zapfenstreich in seine winzige Einzimmerwohnung schleppen würde.
Cian führte das Glas an seinen Mund und schluckte den Alkohol mit hämischem Genuss hinunter. Sein Magen protestierte brüskiert über diese ungesunde Menge an flüssigem Gift. Mit festem Druck rieb Cian über seinen Bauch, in der Hoffnung, so das Unwohlsein, das sich in diesem ausbreitete und demnächst einer wohl quälenden Übelkeit platz machen würde, vertreiben zu können. Das Klingeln seines Smartphones riss ihn aus seinem fast vegetativen Zustand. Mit entnervt zusammengekniffenen Lippen fingerte er das Mistding aus seiner Gesäßtasche. Sein Blick war bereits unstet und so brauchte er gute drei Versuche, um das Gespräch mit einem Wischen über das Display anzunehmen.
"Finnigan."
"Dr. Finnigan, hier spricht Inspector O'Shermon vom Morddezernat. Wir haben hier einen Verdächtigen sitzen."
"Ja, schön für Sie."
"Nun, Sir ... mein Captain dachte, dass Sie gern bei diesem Verhör dabei wären."
"Ach, dachte er das. So so. Und warum, um aller Gottes Namen, sollte mich das Scheißverhör interessieren?"
Es blieb einige Sekunden still am anderen Ende der Leitung.
"Nun - ich bin etwas verwirrt, Sir - Sie sind doch Kriminalpsychologe, oder nicht?"
"Ja, bedauerlicherweise schon."
"Ich dachte -also - dass Sie daher -"
Es schien eine Art Diskussion auf Seiten seines Gespächspartners mit einem anderen Mann zu geben. Cian konnte nicht ausmachen, was gesagt wurde, doch der Ton, in dem der Inspector angefahren wurde, war ziemlich harsch. Dann ertönte eine andere Stimme aus dem Lautsprecher seines Telefons. Er kannte diese Stimme. Sie war ihm wohl bekannt und ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
"Verdammte Scheiße noch eins, Cian! Beweg endlich deinen Arsch hierher, Junge. Das Sackgesicht hier wurde nahe des Tatorts quasi auf frischer Tat bei einem offensichtlich ritualisierten Mord geschnappt. Verstehst du, was ich damit sagen will?"
"J-ja ... ich bin schon auf dem Weg."
Cian sprang hektisch von seinem Hocker und kam schwankend auf die Füße. Schwer stützte er sich auf der Theke ab und schnaufte tief durch, drückte die aufsteigende Magensäure die Speiseröhre zurück in seine Eingeweide. Mitch, der eben noch zwei alte Trunkenbolde bedient hatte, fuhr alarmiert zu Cian herum und zog fragend die Augenbrauen nach oben.
"Schnapp dir deine Sachen, Mitch. Wir müssen los."
"Was? Wohin?"
"Zum Revier in der Mainstreet. Zu Captain Bates."
"Warte, warte, warte. Bates? Lt. Bates?"
"Wie gesagt, er wurde wohl inzwischen befördert. Sie haben einen Verdächtigen und ich soll am Verhör teilnehmen."
"Was hat das mit mir zu tun?"
"Es handelt sich um einen Mordfall mit ritualisiertem MO."
Mitch wich alle Farbe aus dem Gesicht. Ein Glas fiel seinem Kumpel aus den Händen und zerschellte auf dem Boden in tausende im Licht funkelnde Splitter. Wie symbolisch, schoss es Cian zynisch durch das vom Alkohol benebelte Gehirn.
"C - fuck - bedeutet das ..."
"Ja, Mann. Bates scheint der Ansicht, dass dieser Mord etwas mit dem Fall meiner Schwester zu tun haben könnte."