CN: Sucht (erwähnt), Alkohol (erwähnt), Mord (erwähnt)
Eine Sache Vorweg:
In diesem Kapitel gibt es eine ganz besondere Überraschung!! Es handelt sich um ein Crossover mit Liebe.Macht.Schlaflos von Alissia.
Viel zu früh jagte die Klingel der Haustür ihn aus dem Bett und auch das leidliche Stöhnen neben ihm ließ vermuten, dass Mitch nicht einfach seine Schlüssel vergessen hatte. Welcher Mistkerl Cian aus seinem wohlverdienten Schlaf sturmklingelte, wusste er nicht und es war ihm auch egal. Derjenige würde sich eine Schelle fangen.
Missmutig versuchte er Mitch davon zu überzeugen, dass er noch viel zu krank war, um den Feind an der Tür abzuwimmeln, doch sein bester Freund brummte nur: "Du kannst arbeiten, dann kannst du auch um halb zehn am Morgen die Tür öffnen."
Den Versuch war es wert gewesen. Cian wälzte sich zur Rache über Mitchs schlanken Körper, der neben ihm im Bett lag - wo auch sonst, Cians Wohnung war winzig und von der Couch bekam sein Kumpel noch einen Hexenschuss - und schleppte sich mies gelaunt zur Freisprechanlage.
"Was?!", bellte er in das Mistding.
"Autsch. Ein Morgenmuffel, gut zu wissen. Zieh dich an, Darling. Sportklamotte, denn ich entführe dich in den Park. Zum Joggen."
Verwirrt hielt Cian inne. Wer zum Teufel war der Typ?
"Sie haben sich in der Wohnung geirrt, Mann."
"Cian, ich bin's! Jamie, dein Sponsor. Wenn du noch nicht fertig bist, lass mich wenigstens rein. So langsam glotzen die Leute mich schon an. Könnte natürlich auch an meinem sexy Körper liegen ..."
Etwas überfordert betätigte Cian den Summer und ließ Jamie herein.
War das normal, dass sein Sponsor einfach so bei ihm auftauchte? Woher wusste er überhaupt wo Cian wohnte?
Der einige Jahre jüngere, quirlige Mann kam die Treppe nach oben getänzelt und Cian zog belustigt eine Augenbraue in die Höhe. Nicht einfach aufgrund der kobaltblauen Haare, die an den Seiten ausrasiert und oben stylisch frisiert waren, sondern vor allem, weil Jamie kurze und sehr knallige Jogginghosen trug. Und sonst nichts. Auch keine Schuhe.
Der Kerl schob sich auch einfach breit grinsend an ihm vorbei, inspizierte interessiert die kleine Wohnung und winkte Mitch zu, der sich im Bett aufgesetzt hatte und Jamie ungläubig anstarrte.
Dann fummelte Jamie eine Selbstgedrehte aus einer schmalen Bauchtasche, die Cian jetzt erst wahrnahm und sah ihn fragend an.
"Darf ich?"
"Ähm. Ist das jetzt nicht irgendwie widersprüchlich, wenn der Mann, der mir dabei helfen soll, nüchtern zu bleiben, seiner Nikotinsucht nachgibt?", schmunzelte Cian, bedeutete ihm aber, dass er sich die Zigarette anzünden konnte.
Jamie zuckte die Schultern, inhalierte den Rauch tief in seine Lungen und stieß ihn dann durch Mund und Nase wieder aus.
"Niemand ist perfekt. Jetzt zieh dich an. Wie du festgestellt hast, bin ich dein gottverfluchter Sponsor und werde dir nun eine Stressbewältigung offenbaren, die sich besser eignet, als sich die Leber zu ruinieren. Außerdem hält Joggen fit, macht einen schicken Body und ist gut für Migraleptiker geeignet."
Cian fuhr alarmiert zu Jamie herum und auch Mitch starrte zu dem frech grinsenden Mann herüber.
"Also doch!", rief Cians bester Freund aus. "Du bist der Sanitäter, der Cian damals behandelt hat. Der ihn wiederbelebt hat."
Cian konnte es nicht fassen. An Zufälle glaubte er nicht, aber auch nicht an so etwas Affiges wie Schicksal.
Dennoch ging er und zog sich eine lange Sporthose und ein Muscleshirt über, schlüpfte in seine Sneakers und klopfte seinem Sponsor dankbar auf die Schulter. Sein Hals war zugeschnürt. Ihm fehlten die Worte vor Dankbarkeit, doch Jamie schien zu verstehen und boxte Cian einfach gegen den Oberarm, bevor er ihn eine Stunde durch den Park scheuchte.
Im Schneckentempo. Anderes konnte man nicht behaupten. Aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit und seines eher miserablen Trainingsstandes, schlurfte Cian unkoordiniert torkelnd, aber unverhältnismäßig stark aus der Puste, über die Wege des Colleges Parks. Jamie entpuppte sich als erstaunlich umsichtiger Jogging-Partner und zockelte fröhlich rückwärts im Laufschritt vor ihm her, die Hände stabilisierend an Cians Unterarmen, um ihn vor einem peinlichen Fall auf die Nase zu bewahren.
Ausgelassen und quirlig plauderte sein Sponsor dabei von Gott und der Welt, während Cian glaubte, beinahe demnächst aufgrund akuten Sauerstoffmangels das Bewusstsein zu verlieren.
"Alles klar, ich denke, für heute habe ich dich genug gequält. Lass uns hier hinten mal pausieren, Darling. In dem Bistro dort haben sie eine tolle Terasse und ein leckeres Angebot. Ich lade dich ein und wir quatschen 'ne Runde. Lernen uns besser kennen", schlug Jamie euphorisch vor.
Cian konnte nur japsend nicken.
Sie unterhielten sich erstaunlich lange. Cian erzählte Jamie auf dessen Nachfragen von seinen Suchtproblemen und dem Tod seines Vaters. Von seiner Familie, der Scheidung seiner Eltern, als er elf und die Zwillinge gerade erst vier Jahre alt gewesen waren. Und er erzählte seinem Sponsor von Pheobes Ermordung und dem Ritualmörderfall.
Jamie hörte zu, hakte hier und dort nach.
Irgendwann reichte er Cian stumm ein Taschentuch. Überrascht bemerkte dieser, dass er im Verlauf des stundenlangen Gesprächs begonnen hatte, zu weinen.
Erst der Alarm auf Cians Smartphone erinnerte ihn daran, dass er sich auf den Weg machen musste, um rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen.
Pünktlich um drei Uhr am Nachmittag, hockte sich Cian dann doch mit einem heißen Kaffe vor den PC und schaltete die Web-Cam ein. Das Programm war extra von Fab installiert worden und garantierte ihnen Datenschutz sondergleichen. Der Analyst hatte es selbst programmiert und ihm mit stolz geschwellter Brust gestern Abend präsentiert.
Eddy kam herein und ließ sich neben den Kriminalpsychologen sinken. Frisch und mit funkelnden Augen saß sie in ihrem Hosenanzug da und las in der Akte auf ihren Knien. Cian fuhr ihr durch den blonden Pferdeschwanz und bekam nicht mit, dass das Gespräch bereits angenommen worden war und Christopher Farrenstein mit spöttisch erhobener Augenbraue die Geste beobachtete. Erst sein überdeutliches Räuspern ließ Cian zusammenfahren.
"Guten Nachmittag, du Perversling. Romanzen am Arbeitsplatz, Dr. Finnigan. So etwas hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut", plapperte der Deutsche frech drauflos und schüttelte sich vor Lachen, als Cian ihn finster anstarrte.
"Ich dreh' dir den Hals um, Chris, wenn dir einer deiner Sprüche bei den föhrer Beamten rausrutscht."
"Hören Sie nicht auf den grummelnden Miesepeter, meine Schöne. Ich bin die Seriosität in Persona. Wo hat er Sie denn aufgegabelt?"
Eddy sah Chris fasziniert an und blieb stumm. Eine Entwicklung, die Cian nicht gefiel, denn normalerweise war die quirlige Doktorandin schlagfertiger.
"Das ist Eddy, sie ist meine Doktorandin und führt heute Protokoll. Sie lernt von mir."
"Oh ja, da bin ich sicher", schmunzelte Chris und Eddy errötete.
Als sich die Beamten der norddeutschen Insel allerdings zu dem Gespräch schalteten, wurde Christopher mit einem Schlag ganz ernst und es kam seine hoch professionelle Seite zum Vorschein. Die Krawatte wurde zurechtgerückt, das gegelte Haar noch einmal gerichtet und das Lächeln glitt von anzüglich zu höflich-konservativ. Cian staunte beeindruckt über diese Verwandlung.
"Guten Tag, meine Herren. Mein Name ist Dr. Cian Finnigan, der Kriminalpsychologe und Leiter der Task Force in Dublin, Irland. Wir hatten eine Anfrage gestellt und mein Analyst - Mr. MacCrea - hat dieses Treffen mit Ihnen ermöglicht."
Chris übersetzte fließend und gekonnt alles Gesagte ins Deutsche.
"Ja, Dr. Finnigan. Wir helfen gern. Leider haben wir nicht viele Mittel zur Verfügung. Wir sind eine sehr kleine Insel und unser Revier besteht nur aus vier Beamten. Da die Fälle, die Sie interessieren, so weit zurückliegen, hat es auch etwas gedauert, bis wir alle Daten zusammen hatten."
Etwas gedauert ist gut! Vier verdammte Monate habt ihr gebraucht, dachte Cian erzürnt. Äußerlich blieb er ruhig und lächelte höflich, nickte an den strategisch richtigen Stellen, während Chris wortgetreu übersetzte, dass es sich bei den Fällen zunächst um Vermisstenanzeigen von jungen, blonden Frauen gehandelt habe. Aufgefunden habe man dann die erste Leiche 1986 in Nieblum in der Nähe der hiesigen Kirche. Das Dorf sei nicht groß, die Kirche läge im Zentrum.
"Die Frau war Anfang zwanzig. Ihr wurden die Augen ausgestochen und die Zähne eingeschlagen. Der Mörder hatte ihr eine Botschaft auf den Rücken geritzt: Leauwe, leafde en Hope. Wofür steht denn das?", fragte Chris irritiert nach und handelte sich einen bösen Blick von Cian ein.
"Glaube, Liebe und Hoffnung, nehme ich an", antwortete er dennoch und holte sich die Bestätigung von seinen deutschen Kollegen, die meinten, dass es sich dabei um Friesisch handle.
Nach diesem Mord, wurden im Abstand von immer zehn Tagen acht weitere junge Frauen gefunden. Mal in Wyk auf Föhr oder Nieblum, mal sogar auf Amrum - der Nachbarinsel - oder auf der Hallig Hooge. Dann plötzlich ... Nichts mehr.
"Einige Zeit später wurde ein Hund unruhig, als er auf dem Friedhof in Nieblum umherstromerte. Die Beamten beschlossen damals, dem auf den Grund zu gehen, da dort zwar neue Gräber angelegt werden sollten, die Erde aber bisher nur umgegraben worden war. Es wurden drei weitere Opfer geborgen."
Cian bedankte sich bei den Kollegen und bat darum, ihm alle Informationen zukommen zu lassen. Dann beendete er das Gespräch.
"Scheiße! Womit du dir deine Brötchen verdienst, ist echt abartig", stöhnte Christopher und hielt sich die Hand auf den Magen.
Cian lächelte schmallippig und spielte gedankenverloren mit Eddys Haarsträhnen.
"Ja, es ist nicht gerade appetitlich. Danke, Mann. Du hast mir heute echt den Arsch gerettet."
"Schon gut, meine Füße küssen kannst du mir im August. Dann hole ich mir auch meine wie auch immer geartete Bezahlung. Ich hoffe sehr, dass dabei literweise Alkohol und die ein oder andere süße Maus im Spiel sein werden."
Cian schluckte trocken und ließ die Hand in seiner Hosentasche verschwinden. Dort befühlte er seine erste AA-Münze.
"Ich habe da schon was im Auge", wich er seinem Kumpel aus. "Aber ich will dich nicht weiter aufhalten, Chris. Denn irgendwie sieht der Hintergrund bei dir nach Spaß aus. Zumindest der spärlichen Hoteleinrichtung und dem Wäldchen vor deinem Fenster nach zu urteilen."
Christopher schnaubte belustigt und faselte etwas von Teambuilding in der Pampa und die traurige Truppe bei Sonntagsmaler abgezockt.
Sie verabschiedeten sich. Nun wurde es Zeit, um die Informationen im Team zusammenzutragen.