Eine Sache vorweg:
Für das Kapitel habe ich für alle Interessierten von Tom Gregory - River als passenden Soundtrack herausgesucht. https://www.youtube.com/watch?v=7Sk2xgltKWs Viel Spaß!
CN: Medikamentenmissbrauch, Drogen- und Alkoholkonsum (erwähnt), Häusliche Gewalt (impliziert), Trauma (erwähnt)
Langsam quälte sein Verstand sich wieder an die Oberfläche. Es war, als kämpfe er sich Stück um Stück zurück aus den Tiefen der See, durchbräche das Wasser und damit die Stille, Schwere und Dunkelheit, die von ihm und seinem Körper Besitz ergriffen hatte. Es war nicht friedlich gewesen in diesem Zustand. Nur irgendwie ... schwarz. Ein großes Nichts. Nichts denken. Nichts sein. Und vor allem: Nichts fühlen.
Fab erlangte das Bewusstsein folglich nicht in freudiger Erwartung zurück, aber auch nicht mit geballter Kraft. Zunächst war da ein furchtbar peltziges Gefühl auf seiner Zunge und ein ekelhaft saurer Geschmack in seinem Mund. Dann ein stetiges Pulsieren in seinen Schläfen, das im Takt seines Herzschlages anschwoll und abflaute. Seine Glieder schmerzten und fühlten sich schwer an. Sogar seine Augenlider taten ihm weh.
Einige Zeit lag der junge Mann einfach nur da und atmete. Er hasste das Down, das unweigerlich auf diese Nächte folgte. Die Schlaftabletten halfen nicht, die Quin ihm gab, um ihm darüber hinweg zu helfen. Denn trozdem roch er den alten Schweiß, der auf seiner klammen Haut klebte und das Bettlaken durchtränkt hatte. Zu wild war die Nacht gewesen. Zu viel Alkohol geflossen, die hübsche Wirkung der Zauberpille inzwischen verflogen. Was ihm blieb, war das hier.
Fab hörte es knarren und horchte in die daraufhin andauernde Stille. Dann leises Gedudle.
Nun stahl sich doch ein kleines Lächeln auf seine Lippen. Er war nicht allein, nicht einsam. Nicht mehr. Ächzend rollte der Analyst sich aus dem für seinen Geschmack viel zu weichen Bett und kam mit den Knien zuerst auf dem Boden auf. Angestrengt kämpfte er sich auf die Beine. Schwankte und stabilisierte sich mühevoll, indem er die Arme nach vorn ausstreckte. Nach einem tiefen Schluck aus der Wasserflasche neben dem Bett, ging es ihm schon etwas besser. Fab schmunzelte über Quins Fürsorglichkeit, denn natürlich hatte dieser ihm die Flasche gemeinsam mit zwei Aspirin dort deponiert. Er schluckte die Schmerztabletten und stürzte den Rest des Wassers hinunter. Er war grauenvoll durstig. Mit seinen Klamotten vom Vortag unterm Arm, verschwand er dann schnell im Bad, um sich wenigstens halbwegs anständig herzurichten.
Fab konnte es nun wirklich nicht leiden, wenn er zerlumpt durch die Gegend laufen musste.
Nach der Dusche ging es zumindest seinen verspannten Muskeln etwas besser und die Kopfschmerzen waren ein Stück weit abgeklungen. Nur diese Schwere, die auf ihm lastete, hatte sich nicht vertreiben lassen. Grummelig putzte der Nerd sich die Zähne und vermied auch beim Haaretrocknen konsequent den Blick in den Spiegel. Zum Glück war er ohne Brille oder Kontaktlinsen blind wie ein Maulwurf. So blieb ihm sein zerstörter Anblick auch dann ersparrt, wenn er ausversehen doch seinen Geisterzwilling aus dem Augenwinkel streifen sollte. Er richtete sich fertig her und musste sogar den Bügel seiner Brille gradebiegen, damit sie nicht schief auf seiner Nase hing. Wie wild hatten sie es gestern denn nur getrieben?
Langsam und etwas unstet schlurfte Fab schließlich die Treppe des kleinen Häuschens hinunter, in dem Quin wohnte. Die Musik wurde lauter und leidlich verzog der Analyst die Mundwinkel. Der Druck in seinem Kopf nahm wieder zu. Gereizt zischte Fab und trat mit angesäuerter Miene ins Esszimmer. Quin saß bereits entspannt an einem üppig gedeckten Frühstückstisch und ließ bei diesem Höllenlärm aus dem Radio die viel zu grelle Sonne durch die Erkerfenster hineinscheinen. Zu erkennen war nur der dunkle Haarschopf mit den hier und dort bereits silbrig schimmernden Akzenten, der hinter der Zeitung hervorlugte. Ansonten summte Quin fröhlich an seiner Teetasse nippend, den widerlich fröhlichen Song mit, der gerade gespielt wurde.
"Könntest du das ein wenig leiser stellen?", krächzte Fab zaghaft und hustete sich erstmal die verschleimten Stimmbänder frei.
Die Zeitung wurde umgeknickt und die haselnussbraunen Augen, die immer einen so herrlich warmen Glanz hatten, auf ihn gerichtete. Mit einem wissenden Grinsen, griff sein Liebster hinter sich und die Musik verstummte.
"Du siehst aus, wie ausgekotzt", begrüßte Quin ihn und Fab zerfloss förmlich, als sich Quins niedliches Grübchen am Kinn zeigte, "nur du kannst dabei noch zum Anbeißen aussehen. Setz dich, ich habe Bananenpancakes gebacken. Die Kohlenhydrate werden dir helfen."
Eigentlich verspürte Fab so überhaupt keinen Appetit. Aber er hatte in der kurzen Zeit, die er und Quin nun zusammen waren, gelernt, dass dieser ihn gern verwöhnte. Und ungehalten reagierte, wenn Fab diese Gesten nicht zu schätzen wusste. Es war ja auch eigentlich nichts, worüber er sich beschweren sollte oder konnte. Wer wurde nicht gern auf Händen getragen, richtig? Quin kümmerte sich gut um ihn.
Also setzte Fab sich und begann Quin zu Liebe, die Pancakes zu verspeisen. Das glückliche Gesicht seines Liebsten zeigte dem Analysten, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.
"Die Brille trägst du aber nicht den ganzen Tag, oder?", fragte der Ältere wie nebenher.
Fab sah kauend auf und nahm einen Schluck von dem bitteren Tee. Keine Ahnung, was Quin immer mit diesem Gesöff hatte, aber es war widerlich. Fab äußerte sich nicht mehr dazu, sondern trank ihn anstandslos. So war es besser. Es bewahrte den Frieden zwischen ihnen.
"W-wieso?", wollte Fab zögernd wissen.
"Sie verdekt deine hübschen Augen. Nimm sie ab."
"Jetzt?!"
"Ja."
Langsam zog er das Gestell von seiner Nase und legte es neben sich auf den Tisch. Der andere Mann jedoch schüttelte den Kopf.
"Gib sie mir", forderte Quin und streckte Fab die Hand entgegen.
Der Analyst schluckte und tat, wie ihm geheißen. Dankbar nickte sein Liebster und zerbrach seine Brille am Nasenbügel. Lächelnd ließ er sie auf den Tisch fallen und las dann weiter in seiner Zeitung. Stumm saß Fab da. Starrte Quin an. Nur verschwommen konnte er nun die Gestalt seines Liebsten ausmachen. Der Analyst überlegte, was er nun tun sollte, ohne Quins Zorn auf sich zu ziehen. Er hatte keine Kontaktlinsen dabei, die waren ihm gestern beim Feiern irgendwie abanden gekommen. Er konnte doch nicht so durch die Gegend taumeln.
"Ähm -", setzte Fab an.
"Du solltest weiter essen, Schatz. Du möchtest doch nicht, dass ich mir so viel Mühe gemacht habe, damit es kalt wird, oder?"
Der lauernde Unterton schickte eine Gänsehaut über Fabs Körper. Verneinend schüttelte er den Kopf und senkte den Kopf. Still aß er weiter. Bis kein Krümel mehr übrig war und er sich träge im Stuhl zurück lehnen musste.
Ein Gähnen unterdrückend, trank er den Tee und fuhr sich müde mit den Händen übers Gesicht. Stockte, als seine Finger nicht wie sonst zuhause auf einen Widerstand trafen. Richtig, keine Brille.
"Du bist sicher erschöpft, Schatz. Lege dich doch noch etwas hin und hole den Schlaf nach, den du versäumt hast. Du hast dich heute Nacht nur unruhig hin und her gewälzt", sagte Quin und musterte Fab mit einem milden Blick.
Er fühlte sich nach dem schweren Essen und der durchzechten Nacht wirklich ziemlich schläfrig. Doch der Analyst wusste, dass ihn nur wieder Alpträume plagen würden, sollte er versuchen Ruhe zu finden. Quin schien in seinem Gesicht zu lesen, wie in einem Buch. Der Ältere stand auf und kam nach kurzer Zeit mit einer kleinen Dose zurück. Aus dieser entnahm er zwei weiße Tabletten und drückte sie Fab in die Hand, bevor er ihm einen sanften Kuss auf die Wange hauchte.
"Nimm die, dann kannst du besser einschlafen."
Es waren dieselben, die sein Liebster ihm auch in der letzen Zeit gegeben hatte, weil er über seine Schlafprobleme geklagt hatte. Matt schluckte Fab die Medikamente und spülte sie mit einem letzten Rest Tee hinunter.
"So ist's gut", lobte Quin und strich ihm liebevoll über den Kopf, "wenn du aufwachst, gibt es einen Muntermacher. Ich rufe für dich in der Firma an und sage, dass du später kommst. Die Erholung hast du dir verdient."
Nickend stand Fab auf und gab seinem Liebsten einen Kuss. Mit den Händen ausgestreckt, suchte er sich seinen Weg zurück ins Schlafzimmer. Er war eingeschlafen, noch bevor sein Kopf ganz das Kissen berührte.
Erschrocken fuhr Fab auf. Kerzengerade saß er auf der Matratze und atmete heftig. Sein Oberkörper hob und senkte sich schnell, seine Lunge versuchte verzweifelt Luft in seinen Körper zu pumpen. Schweiß trat ihm aus allen Poren und seine Muskeln zitterten unkontrolliert. Was war passiert? Wo war er?
Quin ..., schoss es durch seine rasenden Gedanken. Ja, richtig, er war bei Quin. Sie hatten einen drauf gemacht. Wie so häufig in der letzten Zeit. Und dann? Er wusste es nicht mehr! Das war unmöglich. Fab hatte ein beinahe perfektes Gedächtnis. Er vergaß nie etwas! Warum fühlte sich alles so verschwommen an? Apropo verschwommen - wo war seine Brille?
Gib sie mir.
Oh richtig. Keine Brille mehr. Wo war er nur wieder hinein gestolpert? Warum geriet er immer an die falschen Männer? Wie ein dummes Déjà-vu, schien sich das gleiche Muster immer und immer wieder in seinem Leben zu wiederholen. Diffus, das Grauen schlich sich in gerade weit genug abgewandelter Form heran, dass lediglich ein dumpfes Gefühl des 'Schon einmal so erlebt' in seinem Magen rumorte und ihn dennoch in Sicherheit wiegte. Bis es zu spät war. Schwer atmend vergrub Fab den Kopf in den Händen, krallte die Finger in sein dichtes Haar.
"Scheiße", fluchte er leise.
Da hörte er Schritte, die die Treppe emopor kamen. Der Analyst hielt unwillkürlich die Luft an. Die Hände vom Gesicht nehmend, sah er zur verschlossenen Schlafzimmertür. Doch Quin ging weiter und Fab hörte die Tür des Nachbarzimmers zuschlagen. Das Büro.
Aufatmend schwang der Analyst die Beine aus dem Bett, richtete sich auf und horchte. Dumpf vernahm er Quins Stimme. Er schien zu telefonieren. Fab war von Natur aus ein unglaublich neugiereiger Mensch, doch im Moment wollte er eigentlich nur weg und sich in seinem eigenen Zuhause im Bett verkriechen. Vielleicht bei Leigh und Vigo ausheulen, weil er mal wieder richtig Scheiße gebaut hatte. Doch dann hielt er inne.
"Fab ... nicht s ... n ... Zeit."
Hellhörig geworden, da sein Name bei dem Telefonat gefallen war, presste Fab nun das Ohr gegen die Wand.
"Ich weiß, Sir", vernahm er Quins Stimme dumpf.
Angestrengt lauschend verharrte der Analyst und wartete, während nun scheinbar der Gesprächspartner einen Monolog hielt.
"Er ist noch immer nicht gehorsam genug. Es braucht noch Unterstützung, um ihn angemessen hilfbereit zu halten. Aber am Ende des Monats ist er soweit. Er ist nun einmal nicht Andy, Sir. Er steht nicht für unsere Sache ein."
Fab schlug sich die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu verhindern. Wie blind war er denn bitte gewesen? Plötzlich fielen all die Indizien an ihren Platz, die losen Stränge verbanden sich und zeichneten ihm ein Bild.
Ein Bild von einem düsteren, gewaltbereiten Quin. Dabei hatte der vordergründig doch so sanfte Mann ihm in gewissen Situationen durchaus gezeigt, was passieren konnte, wenn er sich nicht angemessen anerkennend für dessen Güte und Aufmerksamkeit zeigte. Ihm nicht hörig war. Wie hatte Fab nicht sehen können, was so offensichtlich war?
Du erinnerst mich einfach an jemanden, der mir sehr viel bedeutet.
Der Satz, den Quin ihm damals bei ihrem Kennenlernen fast verlegen zugelacht hatte, fraß sich durch Fabs Eingeweide. Natürlich, der Gefängnisarzt hatte Andys und seine Ähnlichkeit ebenfalls angesprochen. Am liebsten hätte sich Fab selbst in den Hintern getreten. Stattdessen klaubte er seine Habseligkeiten zusammen und riss die Schlafzimmertür auf. Hals über Kopf stürmte er die Treppe hinunter, verlor auf den letzten Stufen das Gleichgewicht, da er ohne Brille die Abstände falsch einschätzte und polterte schmerzhaft die letzten Meter bis zum Ende hinunter. Eilig rappelte der Nerd sich auf. Ohne sich umzublicken riss er die Haustür auf und stürmte auf die Straße. Rannte. Vor Quin davon.
Vor dem Mann, den er dachte zu lieben. Der ihn manipuliert und misshandelt, vermutlich sogar absichtlich gefügig gemacht hatte. Fab rannte. Dass er dabei keine Schuhe an den Füßen trug, war ihm egal. Nur weg, fort von diesem Mann. Wohin? Das war die Frage, wenn man jeden wichtigen Menschen vergrauelt zu haben schien.