CN: Trauma, Dissoziation, Depersonalisation und Derealisation, Häusliche Gewalt (erwähnt), Blut (erwähnt), körperliche Verletzungen
Das Rauschen lullte ihn ein. Etwas. Die Heizung war auf die stärkste Stufe eingestellt, das wusste er, denn es blies beinahe unverschämt warme Luft aus den dafür vorgesehenen Spalten gegen seine klamme Haut, heizte das innere des Autos auf, obwohl draußen sommerliche Temperaturen herrschten. Langsam schob er seine Hände näher an den Heizungsschlitz, hoffte, dass sich dadurch ein wenig der Wärme auch in seinem schockgefrorenen Inneren ausbreiten würde. Die Augen geschlossen lauschte er auf das ewig anhaltende Fahrgeräusch, spürte dem sanften Ruckeln nach, wann immer in einen anderen Gang geschaltet wurde.
Ihm war schlecht und sein Magen drückte, als habe er zu viel gegessen. Das war aber nicht das, was ihn ängstigte. Es war ihm schon oft schlecht gegangen, er war schon oft benommen gewesen, desorientiert und verkatert. Aber es war nie wieder so weit gekommen, wie jetzt. Er hatte sich doch geschworen, nie wieder an diesem Punkt zu landen. Gestrandet auf der Rückbank eines Autos. Zerschunden, hilflos und gedemütigt. Auf dem Weg zum Polizeirevier, wissend, dass das, was folgen sollte, der Hölle nur gleich sein konnte.
Das Klappen der Autotüren riss Fab aus seinem vegetativen Zustand und so zwang er seine Lider auseinander, als schließlich auch die seine öffnete und er eine Präsenz zu seinen Füßen wahrnahm. Unwillkürlich spannten sich die Muskeln in seinem Körper an, machten sich zur erneuten Flucht bereit, obwohl der Analyst doch nur zu gut wusste, dass seine Kraftreserven längst verbraucht waren.
"Ist er eingeschlafen?", hörte er Eddys breiten Akzent, die leise geflüsterten Worte deuteten darauf hin, dass sie sich scheute, ihn in irgendeiner Art zu stören.
"Nein", kam es bestimmt von Cian, der damit bewies, wie gut er seinen Freund kannte.
Sanfte Finger berührten durch den Stoff seiner Jeans sein Bein, verharrten dort, ohne Druck auszuüben und doch signalisierten sie eine Kraft und Sicherheit, die Fab die Tränen in die Augen trieb. Hecktisch blinzelte er diese fort, bevor er sich umständlich aufrichtete und zur Autotür hinüberrutschte. Cian half ihm beim Aussteigen. Eddy auf der einen, den Kriminalpsychologen auf der anderen Seite, betrat Fab das Revier, die Augen fest auf den Flur vor sich geheftet, konnte er dennoch all die durchdringenden Blicke auf sich spüren, die die Beamten auf ihn abfeuerten.
Sein Körper zitterte unkontrolliert, doch irgendwie schaffte Fab es bis zu den Vernehmungsräumen, dankbar dafür, dass Cian die Tür aufstieß und hinter ihnen verschloss, alle Geräusche, Gerüche und anderen überbordenden Eindrücke mit einem Schlag ausschloss.
"Bist du dir sicher, Kurzer?", sprach der Kriminalpsychologe in seinem Rücken, "du weißt, was es bedeutet, wenn ich alle Geschütze auffahre. ich werde dich als Opfer aufnehmen lassen. Nicht als Zeugen."
Erschrocken riss der Analyst die Brauen in die Höhe, wirbelte auf seinen wackligen Beinen herum, um dem anderen Mann in die dunklen Augen zu starren.
"Wieso?", zischte er angriffslustig, "was bringt dich auf die absurde Idee, ich könnte ein Opfer sein, huh?"
Keine Antwort war vermutlich auch eine Antwort. Es wäre Fab lieber gewesen, Cian wäre auf seinen Provokationsversuch eingegangen, sie hätten feierlich eine astreine Show abgeliefert, sich gefetzt und gezankt, sodass er irgendwie dieses innere Gefühl der Hilflosigkeit, des Ekels und der Scham hätte betäuben können. Doch der Kriminalpsychologe tat ihm diesen Gefallen nicht. Er sah ihn nur an, mit diesen verdammten verständnisvollen, braunen Augen, die der Analyst nur verschwommen erkennen konnte. Wofür Fab noch dankbar war. Wie absurd, wie unglaublich dämlich und absurd, dass er Quin noch dankte, dass er ihm einen wichtigen Sinn ausgeschaltet hatte und ihm somit ersparte, das Mitleid in den Gesichtern der Mitmenschen um ihn herum kristallklar sehen zu müssen.
"Du weißt, wie es abläuft, wenn ich die Aussage in Gang bringe?", führte Cian an.
Was hätte Fab sagen sollen? Dass er sich es anders überlegt hatte? Lieber zuließ, dass weitere Morde geschahen, er sich aber zu unpässlich fühlte, um die ihm bevorstehende Prozedere über sich ergehen zu lassen?
"Ich will nicht, dass Susanna es macht", bestand der Analyst auf die Wahrung des letzten Rest seines kläglichen Stolzes.
"Okay", gewährte Cian, "ich rufe jemanden an, der unabhängig des Reviers arbeitet und hole für ihn eine Genehmigung ein. Ist - ähm - ist ein Mann ... ist ein Mann in Ordnung?"
Schnaubend verdrehte Fab die Augen. Was sein Freund wieder dachte.
"Ja, C", schnappte er und verschränkte die Arme, ließ sie wieder locker, als der Schmerz seinen Körper durchzuckte, "ein Mann ist in Ordnung."
Sich räuspernd ruckte der Hüne mit dem Kopf, als habe er verstanden und verließ dann den Raum.
Zurück blieb Stille in einer tristen Umgebung. Kalt, unnahbar, abgeschottet vom Rest der Welt.
Ironisch, dass dieser Raum so erschreckend zu Fab zu passen schien. Erschöpft tappte der Analyst zum anderen Ende hinüber, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, um die Tür immer im Blick behalten zu können. Es war ihm ein Bedürfnis, auf alle Überraschungen vorbereitet zu sein.
Irgendwann - Fab hatte jegliches Zeitgefühl verloren - ging die Tür wieder auf und Freddy trat herein. Zumindest dem Old Spice nach zu urteilen, das dem Analysten kribbelnd in die Nase kroch, denn er kannte niemand anderen, der dieses altmodische Wässerchen noch trug. Beim Nähertreten schälte sich aus den verschwommenen Umrissen dann auch tatsächlich Freddys alternde Züge heraus, das wettergegerbte Gesicht so versteinert, dass es nur zu offensichtlich wurde, wie unwohl sein Kollege sich gerade fühlte.
Willkommen im Club, dachte sich Fab mit einer Mischung aus Verbitterung und Zynismus, ich feiere hier auch nicht gerade die Zeit meines Lebens.
"Ich brauche einige Proben von dir", brachte der Forensiker dann doch noch Worte heraus, nachdem er einige Zeit einfach nur stumm vor ihm gestanden hatte.
Schweigend nickte Fab, nicht sicher, was er auch hätte sagen sollen. Es war nicht sein erstes Mal, dass er das hier über sich ergehen lassen musste. Also hielt er still, als Freddy unter seinen Fingernägeln den Dreck herausschabte, seine Haare mit einem engzahnigen Kamm durchbürstete und schämte sich einfach heimlich in Grund und Boden, als er vor dem langjährigen Kollegen seine Hosen herunterließ, die blutigen Socken abstreifte und auch das Oberteil über den Kopf zog.
Nur in seine engen Pants gehüllt stand Fab da und schlotterte wie Espenlaub. Gnädigerweise überreichte Freddy ihm einen kuschligen Pullover und eine weite Jogginghose, dazu Sportsocken und Latschen. Draußen herrschte eine Affenhitze, aber der Analyst war ausgesprochen Dankbar für diese Kleiderwahl, denn so konnte er sich fest in den Pulli einkuscheln und zurück in seine Ecke verkriechen, nachdem Freddy mit einem letzten Blick auf ihn aus dem Vernehmungsraum verschwand. Kein Wort über Fabs entblößten Körper hatte er verloren. Doch der kleine Nerd war sich sicher, dass er schon in den nächsten zehn Minuten Gesprächsthema Nummer Eins im Team sein würde.
Nach weiteren verstreichenden ... Fab kam es vor wie Stunden, fing sein Körper langsam an zu protestieren. Die Gliederschmerzen wurden schier unerträglich, das Völlegefühl in seinem Magen bereitete ihm zunehmend Unbehagen und der trockene Mund machte ihn fertig. Alles, was er wollte, war heimgehen und sich für immer in seinem Bett verkriechen.
Ein schabendes Geräusch schreckte den jungen Analysten auf und schon war er wieder in vollster Alarmbereitschaft. Wachsam lauschte er, versuchte mit der Nase zu erraten, wer da den Raum betreten hatte, doch roch die Person höchstens irgendwie ... klinisch. Erkennen konnte Fab nicht viel, lediglich die Farbzusammenstellung der Kleckse ließ vermuten, dass es sich um einen Sanitäter handeln musste. In Uniform.
"Hallo, Fab", grüßte eine warme männliche Stimme und der Körper dazu blieb etwa eineinhalb Meter vor ihm stehen.
So konnte er immerhin einen Mann Ende zwanzig, Anfang dreißig erkennen, blaue Haare, Piercings in den Ohrmuscheln. Langsam dämmerte es ihm, wen er da vor sich haben könnte, auch, wenn Fab noch nicht persönlich das Vergnügen gehabt hatte.
"Mein Name ist Jamie O'Hara, ich bin Sanitäter und ein Freund von Cian. Wenn du es mir erlaubst, würde ich dich gern untersuchen. Bist du damit einverstanden?"
Als habe er eine Wahl. Als geschehe auch nur irgendetwas aufgrund seines Willens. Nein, er war in diese ganze Scheiße geraten, weil er ein liebeskranker Idiot gewesen war, der sich nach einem Gefährten gesehnt und blind einem Mann vertraut hatte, der ihm den Himmel versprochen, doch in die Hölle gestoßen hatte.
"O-k-kay", krächzte Fab, zu mehr nicht in der Lage.
Jamie schien dies zu reichen, denn er hievte seinen riesigen Rucksack von seinen Schultern und baute mit neutraler Miene alles auf.
"Kannst du mir sagen, ob du irgendwo Schmerzen hast?", begann der Sanitäter ruhig und legte Schälchen, Tupfer und Kompressen, Spritzen und Ampullen bereit, bevor er sich Handschuhe überzog.
"Alles."
"Mhm, verstehe. Und gibt es eine Stelle, die mehr wehtut, als die anderen?"
Fab sah ausdruckslos an dem anderen Mann vorbei, um einfach an die Wand zu starren.
"M-meine Brust? D-en-ke i-i-ich."
Es fehlte dem Nerd jedes Verständnis, warum seine Zähne klappernd aufeinander schlugen. Der Sanitäter aber schien sich nicht daran zu stören, bat ihn lediglich, den Pullover auszuziehen. Fab sträubte es innerlich, dies zu tun. Zu oft hatte Quin ihm eingetrichtert, niemanden sehen zu lassen, was sich unter seiner Kleidung abzeichnete. Vor allen zu verbergen, wie er ihm seinen Ungehorsam austrieb.
Sanfte Finger umschlossen dennoch stark sein Kinn, strichen über seine Lippe, die sich wie von selbst zwischen seine Zähne gesaugt hatte und nun von seinen diesen malträtiert wurde, bis Blut floss. Fachmännisch tupfte Jamie die Lippe sauber, besah sich den angerichteten Schaden, sagte nichts weiter.
"Den Pullover? Ich muss mir das ansehen", drängte der Mann ruhig, so ruhig, so ruhig.
Mit Jamies Hilfe schaffte es Fab, das Kleidungsstück einigermaßen schmerzfrei auszuziehen. Schambehaftet stand der Analyst da, die Arme locker vor dem Brustkorb verschränkt, die Schultern nach vorn fallend, in gekrümmter Haltung und mit gesenktem Blick.
"Ich werde dich jetzt anfassen", warte Jamie, dennoch zuckte Fab heftig zusammen, als die behandschuhten Hände auf seine bloße Haut trafen.
"Okay, du musst leider für einen Moment so bleiben. Ich weiß, es ist hart, aber ich muss die Verletzungen dokumentieren."
Das Kinn zitterte, die Augenwinkel brannten, die Kehle war zugeschnürt. Jedoch drang kein Laut über Fabs Lippen, während Jamie mit einem Fotoapparat und speziellen Lineal bewaffnet die verschiedenen Prellungen, Quetschungen und Blutergüsse für die Akten festhielt und dann die kleinen Wunden an seinen Füßen versorgte.
"Fast geschafft", murmelte der Sanitäter aufmunternd, "ich taste jetzt vorsichtig, ob etwas gebrochen ist."
Das war der Moment, in dem sein Hirn sich verabschiedete. Wie ein Filter verschob sich alles in Fab und die Welt um ihn herum verlor an Intensität. Merkwürdig losgelöst wurden alle Geräusche dumpf. Nicht einmal sein eigner keuchender Atem drang so recht an seine Ohren. Die Farben verblassten, aber das war nicht weiter wild, dann er sah ja sowieso nicht viel. Eigentlich war das auch ganz gut so, oder? Denn er spürte sich auch gar nicht mehr. Die Schmerzen waren weg. Taub, Fab fühlte sich innerlich taub. Das alles hier, das geschah ja auch gar nicht ihm. Konnte es nicht, durfte es nicht. Nicht schon wieder. Richtig? Richtig.
Ein beißender Gestank riss ihn aus dem wohligen Zustand, schwerfällig blinzelte der Analyst einmal. Dann fokussierten seine Augen, scheiterten, versuchten es erneut, um sich an das Gesicht zu heften, das mit gefurchter Stirn vor ihm erschienen war.
"W-was -?", haspelte Fab irritiert.
"Du bist abgedriftet", informierte der Sanitäter ihm, "ist das neu für dich? Tritt das erst seit deiner Misshandlung auf?"
Hatte dieser Mann es gerade laut ausgesprochen? War er tatsächlich so mutig gewesen, es zu sagen? Unwillkürlich zollte Fab ihm dafür Respekt. Die meisten tanzten darum herum, scheuten sich davor, es zu sagen. Nannten es 'das Ereignis' oder 'den Vorfall'.
"Ich kenn' das schon", murmelte Fab noch immer benebelt, "aber ist schon lange nicht mehr passiert. Erst jetzt wieder."
Verstehend nickte Jamie.
"Ich nehme dir noch Blut ab, damit eine toxikologische Untersuchung durchgeführt werden kann und dann lasse ich dich in Ruhe. Klingt das gut?"
"Sicher. Ich feiere eine regelrechte Party."
Schmunzelnd machte Jamie alles bereit. Fab ließ es einfach desinteressiert über sich ergehen. Das Schlimmste stand ihm noch bevor. Die Befragung.