Mit einem dissozialen Menschen erneut in den Ring zu steigen und genau zu wissen, dass dieser vorhatte, einen bewusst fertig zu machen, klang vermutlich nicht gerade nach einer klugen Entscheidung. Es war auch nicht das, was die meisten Menschen als 'Spaß' betitelt würden. Ein Großteil der Bevölkerung sollte bei dem Gedanken höchst wahrscheinlich mit dem Kopf schütteln und Cian für wahnsinnig erklären. Für masochistisch vielleicht. Bescheuert auf alle Fälle. Wenn diese Menschen nun sehen könnten, dass der Kriminalpsychologe in entspannter Haltung neben einer bildhübschen jungen Blondine saß, die dem Opferprofil der Täter in diesen Ermittlungen auf tragische Weise ähnelte und der Mann vor ihm mit einem so entnervend selbstgefälligem Gesichtsausdruck seinen Kaffee mit Milch aber ohne Zucker - wegen der Sparmaßnahmen auf dem Revier - schlürfte, dann hätten sie alle nur die Hände über den Köpfen zusammen geschlagen.
Was sollte Cian auch tun? Er lebte für genau diese Situationen. Wenn die Spannung im Raum so geladen war, dass die Luft beinahe knisterte und er trotz der so beherrschten Fassade, einen kleinen Funken Zweifel in den Augen seines Gesprächspartners sehen konnte. Der Kriminalpsychologe konnte geradezu hören, wie sich die Rädchen in O'Neals Kopf drehten. Wie der Professor sich fragte, welche Strategie Cian mit diesem langen Schweigen verfolgte. Wusste er etwas? Hatte er womöglich bereits doch Beweise sammeln können?
Ein wölfisches Lächeln zupfte an Cians Mundwinkeln, sein Kopf legte sich abwartend schräg und die Arme verschränkt, lehnte er noch immer entspannt in seinem Stuhl. Eddy blinzelte hin und wieder zwischen den Männern hin und her. Machte sich Notizen, hielt die Verhaltensbeobachtung fest. So wie vorab abgesprochen. Dann ergriff O'Neal das Wort.
Gewonnen, triumphierte Cian.
"Ich schätze, Glückwünsche sind angemessen, Dr. Finnigan."
Ein Verwirrung ausdrückendes Stirnrunzeln gestand er dem Professor zu, doch mehr Resonanz verweigerte er zunächst. Mehr brauchte O'Neal auch nicht, um mit seiner Selbstdarstellung fortzufahren.
"Zu Ihrer Beziehung mit Ms Williams. Sie - sie besteht doch noch, oder nicht?"
"Ich wüsste nicht, warum Sie das etwas angeht", zischte Eddy ihren Verdächtigen an. Cian legte ihr eine Hand aufs Knie. Zu seiner Freude ließ sie es geschehen und beruhigte sich sogar unter seiner Berührung. Zwar schenkte sie ihm keinen Blick und kein Lächeln, wie sie es sonst getan hätte, doch sie war weder zusammengezuckt, noch ausgewichen. Allein diese Reaktion, oder das Ausbleiben einer solchen, nahm er als gutes Zeichen.
"Hm", summte O'Neal, "also doch Ärger im Paradies. Bedauerlich, bedauerlich. Sowas passiert, wenn man sich mit Untergebenen einlässt, Dr. Finnigan."
"Sie wissen erstaunlich gut über mein Privatleben Bescheid, Sir", antwortete der Kriminalpsychologe unbeeindruckt. Die kalten Augen des Professors hefteten sich auf ihn.
"Keine große Kunst. Ihre Darbietung letzte Woche war kaum zu überhören. Die Schlüsse leicht zu ziehen. Kombinatorische Höchstleistungen waren da bei Leibe nicht erforderlich."
Wage zuckte Cian mit den Schultern, als sei es ihm von Herzen egal, was die anderen über ihn und Eddy wussten oder eben auch nicht. Dass er sich über sein Team und dessen Rückhalt Gedanken machte, um Fab und dessen schrägen neuen Partner sorgte und hoffte, dass Eddy ihm verzieh, musste O'Neal ihm nicht unbedingt an der Nasenspitze ansehen.
"Woher kannten Sie Pheobe O'Malley?", fragte Cian O'Neal nun und entscheid sich bewusst für diesen abrupten Themenwechsel. Scheinbar überrascht, riss sein Gegenüber die Augen auf und hob die Brauen.
"Wen?", machte O'Neal beinahe glaubhaft.
"Verzeihung, vielleicht kennen Sie sie auch unter Pheobe Cane? Obwohl sie damals bereits verheiratet war."
"Tut mir leid, Dr. Finnigan. Mir ist diese Frau nicht bekannt. Aber es tut mir leid, dass ihr Tod Sie so sehr mitgenommen hat."
"Oh", stieß Cian hellhörig aus und grinste verschmitzt.
Er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Tischplatte vor sich. Nun wich der Professor etwas zurück. Die dunklen Augen funkelnd auf den dicken Leib seines Gegners gerichtet, scannte der Kriminalpsychologe jede noch so kleine Regung O'Neals. Er hatte ihn dort, wo er ihn haben wollte.
"Interessant", ließ Cian verlauten, "wenn Sie noch nie von Pheobe Cane alias Pheobe O'Malley gehört haben - woher können Sie dann wissen, dass sie tot ist?"
"Nun -"
"Noch viel verblüffender", unterbrach der Kriminalpsychologe direkt und hatte beinahe seine diebische Freude an dem verdutzen Gesicht des schnöseligen Professors, "wie kann es sein, dass Sie so sicher sind, dass mir ihr Tod so nahe geht? Wenn Sie sie nicht kennen, nie etwas von ihr gehört haben. Mich - wie Sie bei unserem letzten Verhör behauptet haben - nie auf sie angesprochen haben?"
Der Atem O'Neals kam schnell und ließ dessen feisten Leib beben, hektische rote Flecke hatten sich auf Wangen und Hals gebildet. In Cian machte sich ein kribbelndes Gefühl breit, das durch seine Venen schoss und seinen gesamten Körper flutete.
"Ach die Mrs. O'Malley!", stieß der Professor heraus und stach mit einem Zeigefinger so nachdrücklich in die Luft, dass Cian unwillkürlich zurückschreckte. Ein kurzer Blicktausch mit Eddy, verriet dem Kriminalpsychologen, dass auch die Doktorandin den Gedankensprung nicht schaffte.
"Jetzt weiß ich, von wem Sie sprechen. Natürlich, natürlich. Prof. Dr. Mitchell O'Malley, nicht wahr? Er verlor seine Ehefrau vor vier Jahren. Sie wurde ermordet, wenn ich mich recht entsinne. Grausam! Wir waren schon damals Kollegen. Sie waren häufig in der Fakultät, nicht? Natürlich, Sie und eine kleine Frau mit - wilden Locken? Die Frau des Professors, nehme ich an?"
Das gab es doch wohl nicht! Er wand sich heraus, dabei hatte Cian ihn beinahe so weit gehabt. Doch diese Erklärung war plausibel. Zumindest irgendwo nachvollziehbar. Ein älterer Mann konnte schon mal einen Namen vergessen. Vor allem, wenn ihm die Frau eines Kollegen nie direkt vorgestellt worden war. Mitch und O'Neal hatten zwar an der gleichen Fakultät gearbeitet, aber unterschiedliche Fachrichtungen unterrichtet. Noch dazu war O'Neal Gastdozent und häufig auch im Ausland unterwegs gewesen, kannte Mitch vermutlich nur flüchtig, aber gut genug, um ihn und seine Angehörigen - somit auch Cian selbst - einigermaßen zuverlässig zuordnen zu können. Die Verbindung ließe sich auf diesem Wege erklären. Der Kriminalpsychologe hatte somit nichts mehr in der Hand, wenn man von der Verbindung zu Ripley absah.
"Dann bin ich wohl entlassen?"
Zähneknirschend gab Cian nickend zu verstehen, dass O'Neal gehen durfte. Das durfte doch alles nicht wahr sein.
Schlanke Finger verflochten sich mit den seinen. Überrascht öffnete Cian die erschöpften Augen und sah hinab. Dann wanderte sein Blick hinauf in Eddys Gesicht.
"Wir werden etwas finden, um O'Neal zu überführen. Er wird nicht davon kommen", versprach sie ihm.
In diesem Moment hätte die Blondine ihm das Blaue vom Himmel versprechen können, er hätte ihr geglaubt. Dankbarkeit und Erleichterung mischten sich mit Sorge und Ermattung. Es war ein langer Tag gewesen, am liebsten wollte der Kriminalpsychologe Eddy bei der Hand halten und sie mit sich in seine Wohnung nehmen, um neben ihr ein- und zehn Jahre durchzuschlafen.
"Hast du Lust, im Ol' Days was essen zu gehen?", bot er stattdessen nach einem kurzen Moment des Zögerns an. Hoffend wartete er auf Eddys Antwort.
"Ja, das klingt gut."
Cian lief das Herz über vor Glück. Aufatmend stemmte er sich auf die Füße und zog Eddy mit sich. Vor der Tür bat er sie noch einen Moment zu warten, als ihm eine große aber korpulente Gestalt auffiel, die sich in der Nähe des Reviers aufhielt. Was machte O'Neal noch immer hier? Und mit wem sprach er dort? Leise schlich er sich näher, nachdem er Eddy Partners Leine in die Hand gedrückt hatte. Lässig lehnte Cian sich an die Mauer, halb verborgen hinter einem Polizeiauto.
"Wie lange noch?", wollte O'Neal von dem Unbekannten wissen, der ungünstig hinter der Hausecke stand.
"Ich bin nicht sicher, Sir", sagte der Fremde um einen respektvollen Ton bemüht, "aber Sie müssen bedenken, dass er eine sehr ausgeprägte -"
"Ist mir egal, dann helfe mit gewissen Methoden nach."
"Ich arbeite dran, Sir."
"Gut."
"Warum haben Sie den Psychologen so auf dem Kieker, Sir?"
"Weil er zu nah dran ist."
Cian hielt die Luft an. Er hatte es doch gewusst!
"Das ist aber nicht alles, oder? Sie sind bei ihm ungewöhnlich hartnäckig. Sonst setzen Sie Ihre Gegner schneller matt."
"Sagen wir einfach - die Jugend büßt zumeist für die Sünden der Väter."
Das Lachen der beiden ging dem Kriminalpsychologen durch Mark und Bein. Still wartete er, doch die Unterhaltung schien beendet. Nach einer Weile entfernten sich Schritte und dann drehte sich auch O'Neal in eine Seitengasse und humpelte davon.