Siobhan zerrte sich langsam aus ihrem traumlosen Schlaf. Berauscht, fühlte sie sich in jenem Moment ohne Schmerz. Sie öffnete ihre Augen und sah das besorgte Gesicht von Bane. Seine Hand ruhte an ihrer Stirn. War er das? Hatte er ihr den Schmerz genommen? Warum?
»Da ist sie ja wieder«, sagte er leise und ließ sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken. Er schlug die Beine übereinander, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und verschränkte die Finger unter seinem Kinn. So schaute er sie einen Moment lang an, lehnte sich schließlich zurück und seufzte.
»Was ist es, was du wissen willst, Hexenmeister?«, fragte sie.
»Erzähl mir von Yael.«
»Yael?«
»Wusstest du, dass er noch lebt?«
»Ich wüsste nicht, warum er nicht mehr leben sollte?«
»Oh, ich dachte, du hättest davon gehört.«
»Wovon?«
»Dass Yael sich nach deinem … also, nachdem du Beleth nach Edom … es hieß, er habe sich danach …«
Siobhan sah ihn verständnislos an. »Warum sollte Yael das tun? Er würde so etwas Dummes niemals tun.«
»Er hat deine Familie geliebt, besonders dich und deinen Bruder. Und ich spürte seine Magie nicht mehr. Nun ja, offenbar hat er alle getäuscht.«
»Vielleicht wollte er nur dich täuschen«, sagte Siobhan.
In ihrer Stimme lag weder Hohn noch Schadenfreude. Erstaunlicherweise schien Siobhan, Yaels Groll auf Magnus nicht zu teilen. Obwohl sie genauso viel Grund dazu hätte wie er. In ihrem Blick lag vielmehr Bedauern.
»Es tut mir so unsagbar leid, dass ich euch damals nicht geholfen habe. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gutmachen kann.« Er verstummte augenblicklich, als er ihre Hand an seiner fühlte. Überrascht hob er den Kopf und sah, dass sie ihn anlächelte.
»Es ist lange her. Lass gut sein, Bane.«
Betroffen umschloss er Siobhans kalt schweißige Hand mit beiden Händen. Kein Wort kam ihm über die Lippen, so gerührt war er von diesem Mädchen, das sich viel weniger verändert hatte, als er befürchtet hatte. Der Beweis lag in seiner Hand. Nun eher auf seiner Hand. Die Berührung war nicht nur eine Berührung. Siobhan zeigte ihm, dass sie das, was sie sagte, auch fühlte. Es war unbeschreiblich, was Branwell in einem auslösen konnte. In gutem wie in schlechtem. Und nichts davon war eine Lüge. Was sie einem zeigte, war wahrhaftiger als das gesprochene Wort.
Magnus strich ihr übers Haar. »Wie kannst du, nach all dem, immer noch so …«, er suchte nach einem Wort, das beschrieb, was er gerade empfand. Da ihm nichts Passendes einfiel, küsste er stattdessen ihre Stirn, stand auf und ging zum Fenster. »Ich verstehe, warum Yael dich und deinen Bruder mir vorzog«, sagte er.
Kurz war es still. So still, dass man selbst in dieser Höhe, hinter dem dickem Glas und Magnus dämpfenden Schutzzaubern die Sirenen der unten vorbeifahrenden Polizeiautos hören konnte. Die Nacht war tiefschwarz und der Mond hinter einer undurchdringlichen Decke klumpiger Wolken vom Himmel verdrängt. Gewittriges, fast wütendes Grollen zog sich zu einem lang anhaltenden Geräusch und hin und wieder teilte ein lautloser Blitz den Himmel, bevor alles zu einer einheitlichen, schwarzgrauen Masse wurde. Er hatte solche Omen schon einige Male erlebt. Und dieses war kein gutes.
»Die ersten und die letzten zehn Jahre fühlten sich an wie tausend«, sagte Siobhan leise. »Dazwischen war es leichter.«
Magnus fuhr herum und sah sie erschüttert an. »Ich hatte wirklich gehofft, dass du dich nicht an Edom erinnerst.«
Siobhans Blick wirkte wieder so leer wie am ersten Tag im Institut. Magnus fühlte sich plötzlich, als hätte sich sein Verstand von jeglichen Gefühlen gelöst. Doch es war nicht sein Verstand, der sich von seinen Gefühlen getrennt hatte, es war ihrer. Der menschliche Geist war erstaunlich, wenn es darum ging, sich vor Trauma zu schützen. Nicht auszudenken, was aus ihr geworden wäre, hätte sie das nicht gekonnt.
»Yael tut gut daran, sich von mir fernzuhalten«, sagte sie. »Ich bringe nur Unglück.« Ihr Körper bäumte sich auf und Magnus musste zum wiederholten Mal mit ansehen, wie Siobhan starb.
September 1945
Von der einst so stolzen und lebendigen Stadt London war kaum noch etwas übrig. Das, was die deutschen Bomber nicht zerstört hatten, war bevölkert von hungernden und frierenden Menschen, die sich bei jedem noch so fernen Motorengeräusch am Himmel noch etwas tiefer in die Keller ihrer halb zerstörten Häuser verkrochen.
Doch dort lauerten wiederum ganz andere Monster. Legionen dämonischer Kreaturen hatten die Stadt bereits überrannt. Selbst die Schattenwelter hatten angesichts der dämonischen Übermacht das Weite gesucht. Mit Ausnahme einiger Werwölfe, die sich den Deutschen angeschlossen oder Beleth unterworfen hatten. Das Institut konnte nicht auf Unterstützung aus dem Ausland hoffen, denn in den anderen Städten Europas sah es nicht anders aus. Was nicht von Menschenhand zerstört worden war, besorgte Beleths unstillbarer Hunger nach Chaos und Zerstörung. Das London Institut hatte damals die beachtlichste Zahl an Schattenjägern in ganz Europa vorzuweisen – hunderte stolze und mächtige Krieger mit beeindruckenden Stammbäumen – die Besten der Besten – sie stellten sich Beleths Zerstörungswut entgegen. Und fielen.
Auch William Branwell war machtlos angesichts der massiven Verluste, welche die Nephilim als einziger Verteidigungswall zwischen Mensch und Dämon darstellten. Er hatte bereits so gut wie alles verloren und so traf er die einzige Entscheidung, die er unter diesen Umständen noch treffen konnte. Er redete sich ein, dass das ein geringer Preis dafür war, die Welt endgültig von Beleth zu befreien. Aber jedes Mal, wenn er in die Augen seiner Tochter schaute, zerriss es ihn innerlich.
William saß hinter seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer des Hauses in Idris und starrte auf das Familienfoto in seinen Händen, als Yael den Raum betrat.
»Ich habe alles vorbereitet«, sagte er, kam näher und nahm William behutsam das Foto aus der Hand. Er blickte kurz darauf und stellte es zurück auf den Tisch.
»Es gibt keinen anderen Weg, oder? Wir haben alles versucht, nicht wahr? Das haben wir doch?«
Yael nickte.
William rieb sich das Gesicht, stand auf und folgte dem Hexenmeister hinunter in die Eingangshalle. Dort öffnete er mit seiner Stele den Gang in den Keller und blickte zur Treppe, die ins Obergeschoss führte.
Siobhan kam die Stufen hinunter. Sie hielt Yaels Grimoire fest an ihren Körper gedrückt und reichte es ihm am Fuße der Treppe. Dann nahmen sie die Treppen hinab in den Keller.
William verharrte noch einen Moment an, bevor er ihnen folgte. Er hoffte immer noch, dass Siobhan einmal nicht auf ihn hörte. Dass sie sich seinen Plänen verweigerte und in nachvollziehbarem Selbsterhalt endlich das Weite vor dieser Familie suchte. Weit weg von ihm, von Yael und allem Schlechten dieser Welt. Er war sich sicher, dass es, selbst nach diesem irdischen und dämonischen Zerstörungswahn, irgendwo auf der Welt noch einen Ort geben würde, an dem sie so leben konnte, wie er es sich für seine Kinder immer gewünscht hatte. Doch sie wäre nicht seine Tochter, würde sie einfach davonrennen. So hatte er seine Kinder nicht erzogen.
Yael öffnete eine Geheimtür hinter einem der hohen Lagerregale im Keller und betrat den dahinterliegenden Raum. Die Wände und der Boden waren übersät mit Symbolen. Keine Schattenjägerrunen. Der ganze Raum strahlte diese dunkle und mächtige Magie aus, mit der er geschaffen wurde.
Er öffnete sein Grimoire, blätterte kurz darin und aktivierte dann mit nur einer Handbewegung ein aufwendig verziertes Pentagramm auf dem Boden. Es sah anders aus als die üblichen Dämonenbeschwörungszauber.
»Für einen Dämon wie Beleth muss man sich etwas mehr anstrengen, besonders hier in Idris«, erklärte Yael. »Denkt daran, Beleth darf auf keinen Fall den Bannkreis übertreten. Zumindest nicht, bis ich den Bindungszauber ausgesprochen habe. Der Rest liegt dann bei euch.«
»Wenn es so weit ist, öffne ich das Tor nach Edom«, ergänzte William leise. Es fiel ihm schwer, seine Tochter anzusehen.
Siobhan lächelte ihm aufmunternd zu, was es noch schlimmer machte. »Ich wünschte, ich könnte dir das ersparen, Kind. Verzeih mir.«
Siobhan gab ihrem Vater erneut zu verstehen, dass es okay war, und dass sie bereit war. William nickte Yael daraufhin zu und der begann nun langsam und in einer Sprache, die Siobhan inzwischen vertraut war, den Dämon Beleth zu beschwören. Sie wussten, dass das noch der leichte Teil des Planes war, aber dennoch hatte Yael sichtlich Mühe mit damit.
Doch endlich tat sich etwas in dem Pentagramm.
Erst war es ein schwacher Umriss und dann vervollständigte sich dieser zu einer Person. Siobhan erstarrte, als sie ihn erkannte. Sie hatte ihn schon oft gesehen. Immer wieder. Vermeintlich zufällige Begegnungen, ohne das Wissen, wer er wirklich war – stets nur ein kurzer Blick. Sie hatte immer gehofft, dass dieser vermeintlich Irdische, sie ansprach. Und abends, bevor sie einschlief, hatte sie sich hin und wieder vorgestellt, was er wohl zu ihr sagen würde, wenn er es denn tatsächlich täte.
Erschüttert blickte sie zu Yael, der das gar nicht mitbekam.
Es war, als hätte Beleth gerade den Menschen getötet, mit dem sie sich in ihrer Fantasie schon auf einem Landsitz in Frankreich und ihren drei Kindern im Garten spielend gesehen hatte. Wie lange schon hatte dieser Dämon sie getäuscht?
Zögerlich betrat sie das Pentagramm zu der erstaunlich gelassenen Kreatur, welche so harmlos und rein wirkte und dennoch der gefährlichste Dämon seiner Zeit war. Sie blickte ihm beinahe schüchtern in die Augen.
»Nette Überraschung«, sagte dieser und blickte nun zu Yael. »Für derartigen Unfug habe ich dich meine Magie aber nicht gelehrt.«
Es waren das nicht die Worte, die Siobhan sich von ihm vorgestellt hatte. Sie und ihr Vater sahen überrascht zu dem Hexenmeister. Die beiden kannten sich?
»Doch, genau für derartigen Unfug«, antwortete Yael und funkelte Beleth wütend an.
Der grinste und sagte mit einem Hauch von Anerkennung: »Du hinterhältiger kleiner Warlock.« Beleth sah wieder zu Siobhan, die immer noch wie versteinert dort stand. »Also, was jetzt, kleine Schattenjäge...«, er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil sie sich ihre Stele an den Hals hielt und eine Rune in ihr Fleisch brannte. In dem Augenblick, als sich die Linien der Rune tief in ihr Fleisch brannten, spürte Beleth ebenfalls ein stechendes Brennen an seinem Hals. Reflexartig griff er mit seiner Hand erst an seinen Hals und dann mit der anderen nach ihrem. Ihre Stele fiel zu Boden, doch sie war schon fertig, als er ihren Hals zudrückte und diesen Druck auch sogleich an seiner Kehle spürte. Ruckartig ließ er sie wieder los, stolperte kurz rückwärts, bis er gegen die unsichtbare Barriere des Schutzzaubers prallte. Normalerweise würde es ihn nur Minuten in so einem Pentagramm halten, aber er war verwirrt, geradezu orientierungslos und er konnte nicht anders, als abwechselnd Siobhan, William oder den Hexenmeister anzustarren.
»Was habt ihr getan!«, brüllte er mit zornesrotem Gesicht.
»Zwing dich nicht, sie zu verlassen oder dich davon abzuhalten, ihr zu folgen. Wo sie hingeht, da gehst auch du hin …«, begann Yael das dunkle Bindungsritual zu vollenden.
»Nein«, brüllte Beleth. »Das kannst du nicht tun. Das funktioniert so nicht!«
Yael lachte leise und trat jetzt dich an das Pentagramm heran. »Und wie das funktioniert.« Dann sah er kurz zu Siobhan und fuhr fort: »Wo sie bleibt, da bleibst auch du, dein Volk soll ihr Volk sein. Und ihr Gott soll deiner sein. Wo sie stirbt, stirbst auch du und da sollst du begraben sein. Nur der Tod soll sie und dich scheiden.«
Yael klappte sein Buch zu und sah stolz aus.
Siobhan war verstört. Von allem. Außerdem fühlte sie sich nicht anders.
»Das funktioniert nicht«, sagte sie leise.
Yaels Kopf schnellte in ihre Richtung. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Und auch ihr Vater, der die ganze Zeit nur ein stummer bekümmerter Zeuge war, wirkte erschrocken. Sie benötigte einen Moment, um zu begreifen, weshalb ihr ihre eigene Stimme so fremd vorkam.
Es lag daran, dass sie, seit dem Tod ihrer Mutter und Schwester, kein einziges Wort mehr von sich gegeben hatte. Bis zu diesem Augenblick.
»Bei den Engeln«, raunte William bestürzt und presste beide Hände auf den Mund.
»William«, mahnte Yael forsch. »Öffne das Tor. Jetzt!«
»Was für ein Tor?«, knurrte Beleth nervös, der jetzt erst versuchte, aus dem Bannkreis auszubrechen. Doch das Ritual hatte ihn geschwächt und es gelang ihm nicht, die Barriere zu durchdringen. Wütend griff er wieder nach Siobhans Hals und drückte zu. Es war ihm egal, dass dadurch auch ihm die Luft knapp wurde. Er musste jetzt einfach jemandem wehtun und sie war nun mal die Einzige in seiner Reichweite.
Hektisch wühlte William nach er kleine Ampulle mit Liliths Blut und schüttetet den Inhalt auf ein weiteres Symbol zu seinen Füßen.
Beleth ahnte, was sie vorhatten.
»Nein!«, brüllte er voller Zorn, ließ Siobhan los, die auf die Knie fiel und nach Luft japste, während Beleth sich mit aller Wucht gegen die unsichtbare Barriere warf. Yael wusste, dass sie nicht mehr lange halten würde, wenn William sich nicht beeilte. Alle starren jetzt wie gebannt auf das Symbol zu Williams Füßen. Doch nichts tat sich.
Yael zog die Stirn in Falten, stapfte auf William zu, nahm ihm die leere Ampulle aus den Händen und sah ihn wütend an. »Bist du sicher, dass es das richtige Blut ist?«
»Natürlich. Sie hat es mir vor Jahren selbst gegeben.«
»Aber, es tut sich nichts. Ihr Blut müsste ein Portal nach Edom öffnen.«
Beleth lachte plötzlich laut los. »Oh, ihr armseligen Narren. Lilith bestimmt, wem sie ihre Tür öffnet. So ein paar Tropfen ihres Blutes scheinen sie nicht sonderlich zu beeindrucken.« Wieder lachte er, sah dann zu Siobhan, die sich gerade aufrappelte, hockte vor ihr nieder, strich ihr sanft über die Wange und sagte. »Euer schöner Plan, kleine Siobhan. Alles umsonst. Ach, was werde ich für einen Spaß mit dir haben, jetzt, wo du ganz mir gehörst«, sagte er und lachte wieder.
Yael kochte vor Wut. Er wollte auf keinen Fall, dass es so endete. Siobhan, die er liebte wie eine Schwester, gebunden an diesen Dämon, während der ihm und William in ungefähr zwei Minuten die Eingeweide aus dem Unterleib zerren und vor Siobhan verspeisen würde. Nein, so würde es ganz sicher nicht enden!
»Es gibt noch eine Möglichkeit, ein Tor nach Edom zu öffnen«, rief Yael. Eilig zerrte er William Branwell eine seiner Seraphklingen aus dem Halfter und hielt sie Siobhan entgegen. »Du musst jetzt etwas tun, was du dir und mir vielleicht niemals verzeihen wirst, aber es gibt keinen anderen Weg.«
Siobhan sah ihn fragend an und nahm das Seraphschwert entgegen, als Beleth sie plötzlich am Arm hielt. »Wenn du das machst, verdammst du dich selbst.«
Sie befreit sich aus seinem festen Griff und sah wieder zu Yael. Der deutete auf ihren Vater. »Töte ihn.«
»Was?«, sagten Siobhan und ihr Vater zeitgleich und mit dem gleichen Ausdruck des Entsetzens auf ihren Gesichtern.
»Das kann sie nicht«, lästerte Beleth aus dem Hintergrund.
»Sei still!«, fuhr Yael ihn an.
Mit wieder sanfter Stimme und ebenso sanftem Ausdruck in seinen Augen wandte sich Yael an die inzwischen wie Espenlaub zitternde Schattenjägerin. Er strich ihr ein paar Strähnen hinter die Ohren, sah kurz zu William und erklärte: »Lilith hat eine Schwäche für Vatermörder. Das hat mit ihrer Geschichte zu tun. Das Blut deines Vaters wird dir ein Tor in ihr Reich öffnen. Es ist der einzige Weg.«
»Ich kann das nicht«, schluchzte sie.
William hatte sich wieder gefangen und mischte sich nun ein. »Mein Kind, ich verlange von dir, durch ein Tor in die Hölle zu springen, um einen Dämon zu binden. Denkst du etwa, ich würde nicht bereit sein, auch mein Leben zu geben. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, mich an diesen Bastard zu binden, dann wäre das sowieso meine Aufgabe gewesen. Also glaub mir, es ist das einzig Richtige. Töte mich und banne diesen Bastard für alle Zeiten in der Hölle. Yael wird einen Weg finden, dich zu befreien. Das ist doch so, Yael?« Er blickte zu dem Hexenmeister, der heftig mit dem Kopf nickte. Dann nahm er Siobhans Hand mit der Klinge und führte sie an seinen Hals. »Wenn du es nicht machst, sind Yael und ich sowieso tot und du auf ewig an dieses Monster gebunden. Du hast also keine andere Wahl.«
Siobhan zitterte so sehr, dass sie die Klinge kaum halten konnte. Rotz und Tränen liefen ihr über die Oberlippe.
»Ich kann nicht«, wimmerte sie.
»Das musst du auch nicht«, sagte Beleth aus dem Hintergrund. Ich verspreche dir, ich töte deinen Daddy und diesen verräterischen Warlock nicht, wenn du dieses Tor geschlossen lässt. Den Rest bereden wir spät …«
Noch bevor Beleth den Satz beenden konnte, schnitt sich der scharfe Stahl von Siobhans Klinge durch William Branwells Kehle. Blut spritzte aus der weit geöffneten Arterie in seinem Hals und der einst so mächtige Schattenjäger sank leblos zu Boden. Siobhan starrte benommen auf das Blut ihres Vaters an ihren Händen, auf das an der Klinge und an ihrer Kleidung. Auch der eben noch so ungerührt erscheinende Yael wirkte geschockt.
Angeekelt über ihre Tat, warf Siobhan die Klinge weit von sich und beobachtete, wie sich das schnell ausbreitende Blut ihres Vaters in den Umrissen des Pentagramms verteilte. Langsam und Schritt für Schritt wichen sie und Yael von dem Symbol auf dem Boden zurück. Und als sich die letzte Linie des Pentagramms mit Williams Blut gefüllt hatte, öffnete sich geradezu unspektakulär leise ein Loch in der Erde. Entgegen Siobhans Erwartung drang auch weder Gestank noch Hitze aus der schier unendlich tiefen Öffnung, sondern ein klarer, eisiger Luftzug. Wütend sah sie zu Beleth, der sie erstaunt anblickte und dann trat sie dicht an den Abgrund.
»Wage es ja nicht«, knurrte der Dämon.
Sie spürte Yaels Leid und Beleths Angst und es war gut so. Ihre Zehen waren nur noch Millimeter vom Höllenschlund entfernt und als sie den ersten Schritt ins Leere tat, war der zweite nicht mehr so schlimm.
Fallen hatte sie sich schwerer vorgestellt.