Dieser Tag begann täuschend freundlich. Die aufgehende Sonne tauchte die Dächer der Stadt in warmes Orange. Der Central Park, der sich in ebenso warme Herbsttöne kleidete wie der Rest der Stadt, wog sich geräuschvoll unter einem milden Föhn. Die ersten Vogelschwärme machten sich auf den Weg nach Süden und fast wirkte es so, als hätte der anbrechende Tag bereits gegen die zuvor ungewöhnlich kalte und dunkle Nacht gewonnen. Nichts war mehr von dem unheilvollen Omen, welches Magnus noch in der Nacht gespürt hatte, geblieben.
Doch je weiter er und die Schattenjäger sich vom Institut entfernten, je tiefer sie zwischen die immer dichter werdenden Bäume des Parks vordrangen, desto dunkler und kälter wurde es wieder. Es war, als hätte das Licht und die Wärme des Tages keine Chance bis hierhin zu gelangen.
Es gab einen Grund, warum Magnus gerade diesen Ort ausgesucht hatte, um Beleth zu beschwören. Die Nähe zum Seeliewald und zum Eingang zur Stadt der Stille, beides ließ den Schleier zwischen den Welten hier besonders dünn sein. Nicht umsonst war es der Ort, an dem sie Siobhan gefunden hatten. Es war ein Ort, an dem Magie am wirksamsten und Portalöffnungen am leichtesten waren.
Clary sah sich nervös um und rieb sich fröstelnd die Unterarme.
Alec wirkte genauso angespannt, während Jace und Sebastian ungerührt und fokussiert schienen. Wieder einmal fiel Clary auf, wie ähnlich professionell und abgeklärt sich die beiden Shadowhunter in derart angespannten Situationen verhielten. Geradezu beneidenswert, wie gelassen sie auf Gefahr reagierten.
Magnus ließ Clary das Beschwörungssiegel auf eine große runde Steinplatte am Boden, die aussah wie ein zugemauerter alter Brunnen, zeichnen. Als sie fertig war, klopfte sie sich die feuchte Erde von den Knien und blickte zu Magnus. Der schien mit ihrer Arbeit zufrieden.
»Also, was jetzt?«, fragte Jace. »Müssen wir uns wieder alle an den Händen halten oder so was?«
Magnus machte eine beiläufige Geste, als wünschte er Jaces letzten Kommentar wegzuwischen und antwortete: »Nichts dergleichen. Wir beschwören hier keinen ordinären Wald- und Wiesendämon. Wenn Beleth auftaucht, haben wir höchstens zwei Minuten, vielleicht weniger, um zu reagieren. Ganz gleich, wie schwach er gerade sein mag. Länger kann ich keine Barriere gegen ihn aufrechterhalten. Habt ihr das verstanden?«
Alle nickten.
Über Jonathans Gesicht huschte ein kurzes, fast irritiertes Flackern, viel lieber wäre er jetzt woanders. Leider hatte er keine Wahl. Wenn er nicht auffliegen wollte, musste er weiterhin den braven Soldaten mimen. Zumindest noch für eine Weile. »Wie geht es Siobhan?«, fragte er Magnus beiläufig, als die anderen abgelenkt waren.
Der wirkte kurz etwas verdutzt, entgegnete knapp: »Den Umständen entsprechend«, und hob dann seine Hände vor dem Symbol am Boden, um mit der Beschwörung zu beginnen. Kurz warf er noch einen Blick in die Runde. »Ich hoffe, jeder weiß, was er zu tun hat? Clary, sollte ich kein Portal öffnen können, musst du das übernehmen. Und sollte etwas anderes schiefgehen, hast du immer noch die Sonnenlichtrune. Das wird ihn nicht vernichten, aber lange genug ablenken. Du wirst also unter Umständen eine wichtige Entscheidung zu treffen haben. Bist du bereit dafür?«
Sie nickte zögerlich.
»Das ist sie«, sagte Jace, brachte sich in Angriffsstellung und nickte Clary aufmunternd zu. Dann sah er wieder zu Magnus. »Und was ist mit dir?«
Magnus kniff seine Augen leicht zusammen und nickte kaum merklich mit dem Kopf. Er wusste, worauf Jace anspielte. Offenbar hatte Jace den anderen bisher nichts von Magnus Befürchtung über Yael erzählt. Sicher hätten sie den ganzen Plan dann über den Haufen geworfen, oder würden hier noch nervöser auf das warten, was da kommen würde. Aber so war es besser. Sie hatten keine Zeit mehr. Magnus wusste, was ein Dämon wie Beleth in der Welt anrichten konnte, wenn man ihn nicht rechtzeitig bannte. Er sah noch einmal zu Alec. Ihre Blicke trafen sich und der Hexenmeister gab einen sehnsüchtigen Seufzer von sich, bevor er mit einer weiteren schwungvollen Geste begann, die Beschwörung aufzusagen. Er hatte sie in der Nacht immer und immer wieder im Geiste geübt, damit ihm ja kein Fehler unterlief. Beschwörungen dieser Art waren heikel. Nur ein falsches Wort, eine falsche Betonung konnten einen Dämon nicht nur beschwören, sondern ihm auch eine Tür in das eigene Selbst öffnen. Und wenn die Schattenjäger eines jetzt absolut nicht gebrauchen konnten, dann war es ein, von einem Erzdämon besessener Hexenmeister.
Jeder der übrigen Anwesenden erstarrte in Anspannung. Selbst die Natur verstummte. Je länger die Beschwörung dauerte, desto unheilvoller wurde die Atmosphäre. Und es war nicht nur Einbildung. Die Verlangsamung von Zeit und Leben war nur eine von Beleths Spezialitäten, wie Magnus wusste. Der Dämon war zum Greifen nahe. Magnus spürte es bis in seine Eingeweide, doch Beleth widersetzte sich vehement seiner Beschwörung. Entweder war Beleth nicht ganz so geschwächt, wie Magnus angenommen hatte oder Yael hatte seine Hände im Spiel und arbeitet gegen ihn.
»Ich benötige hier etwas Hilfe«, ächzte Magnus vor Anstrengung zitternd und hielt Alec eine Hand entgegen.
Der ergriff sie sofort. »Nimm dir, was du brauchst.«
»Das wird dich schwächen«, sorgte Magnus sich, doch Alec umgriff Magnus Hand noch fester. Augenblicklich durchströmte den Hexenmeister eine warme Welle der Energie von Alecs Engelskräften.
Doch immer noch zeigte sich kein Dämon. Magnus war schon fast am Ende seiner Kräfte, als er sich in einem letzten Akt innerlich aufbäumte und die Beschwörung erneut aufsagte.
Und endlich tat sich etwas.
Nur war es nicht das, was sich der Hexenmeister und die Schattenjäger erhofft hatten. Ein ohrenbetäubendes Geräusch umringte die Gruppe. Es klang, als würde sich etwas Gewaltiges durch den Park wälzen, dabei unzählige Bäume brechen und eine breite Schneise der Verwüstung hinterlassen. Eine enorme Hitzewelle folgte dem Geräusch und hinterließ den widerlichen Gestank verbrannten und verwesenden Fleisches. So, als würde die Hölle ihnen direkt ins Gesicht atmen.
Clary, Jace und Jonathan drehten sich unruhig in alle Richtungen, aber es war nichts zu sehen. Alles war so bewegungslos wie seit Beginn der Beschwörung.
Magnus presste zwischen seinen Zähnen etwas Unverständliches hervor. Alec legte eine Hand an Magnus Wange und sah ihn eindringlich an. »Was ist?«
»Täusch... er … Beleth kommt, das ist … eine Täuschung. Achtet auf den Bannkreis … ni... nicht auf den Wa... Wald«, schaffte es Magnus, schließlich zu stammeln.
»Augen auf das Pentagramm!«, brüllte Alec den anderen zu.
Sofort brachte sich jeder wieder in Stellung und fokussierte sich auf das Geschehen im Bannkreis. Und tatsächlich. Die schemenhaften Umrisse eines Mannes begannen sich abzuzeichnen. Jaces Mundwinkel zuckte leicht. Er drehte das Schwert in seiner Hand und lockerte seine überspannten Nackenmuskeln, indem er seinen Kopf kurz von rechts nach links wippen ließ. Und dann erschien er.
Genauso wie Clary Beleth zum ersten Mal auf den Monitoren der Zentrale gesehen hatte. Nur war er aus der Nähe um einiges beeindruckender. Er hatte nichts Monströses an sich. Er war nicht viel größer als Jace, von schlanker Gestalt und gekleidet, wie einer dieser mondänen Banker mittags in der Wall Street. Die ebenmäßigen Züge seines ausgesprochen attraktiven Gesichtes hatten etwas so Sanftes und Engelsgleiches, dass man augenblicklich vergaß, wen man vor sich hatte.
»Lass dich nicht von dieser Milchreisbubi-Visage täuschen«, murmelte Jace, doch selbst er war irritiert, zugegeben auch etwas fasziniert.
Jonathan schien der Einzige, der nicht vergessen hatte, womit sie es zu tun hatten und warf, ohne zu zögern, einen seiner Dolche auf den Dämon.
Der Plan war einfach. Beleth musste sich nur entmanifestieren, das hieß, sich in einen Schwarm aus – was auch immer – auflösen, um seinen Körper vor den Seraphklingen zu schützen. In dieser Form besaß er kaum noch ausreichend Macht und nur so konnte ein Käfig, wie sie ihn im Institut für ihn hergerichtet hatten, diesen Dämon auf Dauer halten.
Jonathans Dolchwurf bewirkte nur leider nichts, denn, entgegen der Erwartung der Jäger, löste Beleth seine Gestalt nicht auf, sondern fing den Dolch spielend mit einer Hand. Im nächsten Augenblick fühlten sich alle, als hätten sie Blei in den Armen, den Beinen und in den Adern. Keiner konnte sich mehr rühren. Selbst das Atmen wurde schwer. Alles war genau so, wie damals mit Azazel. Magnus wusste, dass das allein Beleths Werk war.
Er war immer noch zu mächtig. Die Hilfe eines Hexenmeisters wie Yael hatte er wohl gar nicht nötig. Wie hatte er sich nur so täuschen können? Was hatte er sich nur dabei gedacht, Alec zu so einer aussichtslosen Mission zu verleiten. Yael, die Branwells, das London-Institut – sie alle hatten es damals nicht geschafft, diesem Dämon Herr zu werden, wieso sollte ausgerechnet er … was hatte er sich nur gedacht?
Beleth war nun nicht länger gefangen und schritt mit einem triumphierenden Lächeln aus dem Bannkreis.
»Magnus Bane«, sagte er ebenso amüsiert wie schadenfroh. »Asmodeus′ Spross, nicht wahr?« Er lachte. »Wie unterhaltsam. Und ich dachte, du hieltest dich aus Shadowhunter-Angelegenheiten raus. So war es zumindest früher, wenn ich mich recht erinnere.«
Langsamen, bedrohlichen Schrittes ging er auf den Hexenmeister zu, der sich, genau wie Alec, kaum noch rühren konnte. Unterdessen gelang es Clary mit den noch nicht tauben Fingern, ihre Stele aus der Hosentasche zu fummeln. Ihre klammen Finger schafften es, die Stelle zu greifen. Doch gerade, als sie die Sonnenlichtrune zeichnen wollte, schrie sie unter einem brennenden Schmerz in ihrer Hand auf. Jace sah sie erschrocken an und wollte etwas tun, doch er hatte keine Chance. Die Stele in Clarys Hand hatte sich in einem Feuerball zu einem unkenntlichen Klumpen verformt und dabei eine tiefe Brandwunde in ihrer Handinnenfläche hinterlassen.
Beleth sah sie an, hob kurz die Schultern und die Brauen wie ein Kind, das Kuchen aus der Küche gestohlen hatte und dabei erwischt worden war. Und schon im nächsten Augenblick geschah das Gleiche mit den Stelen der anderen Schattenjäger. Das hilflose Entsetzen war ihnen anzusehen. Nur Jonathans Blick verriet weder Hilflosigkeit noch Entsetzen. Es war einfach nur blanke Verachtung.
»Hm«, machte Beleth, ließ von Magnus ab, ging auf Jonathan zu und griff ihm grob ins Haar. Beleths Blick wurde zu einer Mischung aus Neugier und Irritation. Aber dann grinste er plötzlich. Dieses Grinsen auf Beleths Gesicht wurde breiter und breiter. Sein ganzes Gesicht schien sich zu einer dämonischen Fratze zu verziehen. Und es schien nicht nur so. Beleth veränderte sich. Er wuchs. Alles an ihm. Aus Fingern wurden Klauen, aus den ebenmäßigen weißen Zähnen und den vollen Lippen, wurde geifernde Lefzen über gelb grauen, spitzen Fängen, seine Augen wurden schwarz wie flüssiger Teer und auf seinem Kopf wuchsen ihm gewaltige, gedrehte Hörner. Sein Körper verformte sich vollends, bis er aussah wie eine dieser Teufelsgestalten, wie man sie im Mittelalter häufig abgebildet hatte.
Magnus wusste keinen Ausweg mehr. In dieser Form war Beleth mächtiger. Er musste den Trumpf, den er sich eigentlich für das eventuelle Auftauchen von Yael vorbehalten hatte, schon jetzt ausspielen und hoffen, dass die anderen diesen nur winzigen Moment der Ablenkung nutzen würden und geistesgegenwärtig reagierten. Immerhin waren Beleth und Siobhan seit über siebzig Jahren aneinandergebunden. Es war unmöglich, dass das keine Auswirkung auf Beleth hatte. Egal in welcher Art und Weise.
Mit der rechten Hand schaffte Magnus eine winzige Bewegung und eine weitere Person wurde sichtbar. Schwer atmend lehnte Siobhans geschundener Körper an einem der nahen Bäume, wo Magnus sie mit einem Zauber bisher für alle anderen verborgen hatte. Die groteske Version Beleths ließ Jonathans Kopf augenblicklich los, stand kerzengerade und starrte auf das Mädchen. Erst jetzt sah man, wie groß dieser Dämon in seiner eigentlichen Gestalt war.
»Was habt ihr getan?«, brüllte Beleth. Seine Stimme klang nicht mehr menschlich. Sie war einer unnatürlich sonoren und monströsen Stimme gewichen, die alles und jeden durchdrang.
Clary liefen Tränen vor Anstrengung über die Wangen, Jace versuchte – bereits ebenso erschöpft – immer noch gegen Beleths Bann anzukämpfen.
Alec war schon seit einer Weile bewusstlos.
Beleth bewegte sich wie ein Dämon, zu schnell für das menschliche Auge. So erschien er neben Siobhan plötzlich wie aus dem Nichts und musterte sie von oben herab.
Magnus Blick schnellte zu Sebastian, Jace und Clary verstanden auch sofort. Jace griff nach Clarys Hand, die dicht neben seiner lag. Sie hatte zwar keine Stele mehr, aber mit ihm und seiner Engelsgabe brauchte sie die auch nicht, um ihre Runen zu aktivieren. Jonathan sah, dass sie etwas vorhatten und nickte. In dem Moment, in dem sich Beleths Aufmerksamkeit von den Schattenjägern weg, hin zu Siobhan verlagert hatte, hatte sich sein lähmender Einfluss auf die Schattenjäger etwas gelöst.
Jonathan schleuderte erneut einen Dolch auf Beleth. Der war erwartungsgemäß wieder schneller, fuhr herum, fing ihn diesmal aber nicht, sondern konnte sich gerade noch rechtzeitig in einen Schwarm Motten auflösen, als sich hinter ihm auch schon das Portal öffnete, das Clary mit Jaces Hilfe aktiviert hatte. Der Sog des Portals war zu stark für Beleth in dieser Form und so wurde der gesamte Schwarm Motten, bis auf den letzten Falter in das Portal gesogen und es schloss sich genauso schnell wieder, wie es sich geöffnet hatte.
Stille. Ungläubige Stille.
Bis das Summen von Clarys Mobiltelefon alle aufschrecken ließ.
»Bei dem Erzengel!«, hörte Clary Isabelles Stimme. »Ihr habt es geschafft. Er ist hier in der Zelle. Ein ziemlich wütender Schwarm hässlicher Motten. Ihr habt es tatsächlich geschafft!«
Ein lauter und erleichterter Seufzer entfuhr Clary. »So etwas mach ich aber nicht noch mal mit.« Sie setzte sich erschöpft ins tiefe Gras, ächzte laut und ließ sich mit ausgestreckten Armen nach hinten fallen. Es war ziemlich riskant gewesen, Beleth durch das Portal zu schicken. Er hätte sonst wo im Institut auftauchen können. Aber es hatte funktioniert. Das war das Einzige, was jetzt zählte.
Jonathan ging zu Siobhan und hob seinen Dolch vom Boden auf. »Nicht, dass das noch zur Gewohnheit wird, Branwell«, sagte er leise und hoffte, dass sie wusste, was er damit meinte.
Sie schien zu lächeln. Schwer zu sagen, denn sie wirkte in kaum besserer Verfassung als noch ein paar Stunden zuvor.
»Angeber«, murmelte sie.
Er hockte sich zu ihr, lächelte, strich ihr sanft über die Stirn und sagte: »Ich bin froh, dass du noch lebst.« Erst sah es so aus, als würde sie darauf etwas antworten wollen, doch dann schien ihr Blick plötzlich einzufrieren.
»Magnus!«, rief Jonathan besorgt. »Magnus, etwas stimmt nicht mit ihr?«, rief er lauter und blickte zunehmend nervös zu dem Hexenmeister, der sich gerade um Alec sorgte.
Als Magnus sich vergewissert hatte, dass es Alec gut ging, eilte er zu Siobhan, berührte ihre Stirn mit zwei Fingern, schloss die Augen, öffnete sie sofort wieder und blickte Jonathan mit besorgter Miene an.
»Das habe ich befürchtet.« Unvermittelt sprang er wieder auf, blickte zu Jace, der gerade Laub und feuchte Erde von seiner Kleidung klopfte und rief: »Du!«, mit dem Finger auf ihn zeigend. »Bring Branwell in das Institut.«
Jace wollte gerade nicken, doch Magnus war noch nicht fertig. »Und besorge mir einen Vampir. Am besten zwei. Sicher ist sicher. Vertrauenswürdig muss er sein. Simon. Hol mir Simon! Und Raphael. Ja, auch Raphael«, dann wandte er sich um und machte sich daran, mit einer ausholenden Geste ein Portal zu öffnen.
»Wo willst du hin?«, rief Jace.
»Ich muss etwas erledigen. Wir sehen uns im Institut!«
»Was ist passiert?«, fragte Alec, der jetzt erst wieder zu sich kam.
»Du hast den ganzen Spaß verschlafen, Dornröschen«, sagte Jace.
Alec sah ihn mit großen Augen an. »Haben wir gewonnen?«
»Jap«, nickte Jace und sah zu Clary, die immer noch flach wie eine Flunder im Gras lag. »Falls Clary ihn nicht aus Versehen nach Disneyland geschickt hat.«
Clarys Oberkörper schnellte nach oben. Aufrecht sitzend und mit tadelndem Blick, machte sie ihm klar, wie unpassend sie diese Bemerkung fand. »Das ist totaler Quatsch, Alec. Isabelle hat bereits angerufen und gesagt, dass …«
»Ja, ja.« Jace winkte ab und ging zu Siobhan, um das zu tun, was Magnus verlangt hatte. Doch Sebastian kam ihm zuvor, hob die bewusstlose Schattenjägerin auf seine Arme und blickte Jace grimmig an. »Ich mache das.«
Jace hob kurz die Hände, verkniff sich zu sagen, was ihm auf der Zunge lag und drehte sich zum Gehen. »Dann lasst uns hier endlich verschwinden. Ich habe genug vom Central Park für heute. Und ich brauche eine Dusche.«
»Oh, ja. Ich auch«, sagte Clary.
New York Institut
Isabelle und Simon warteten bereits am Eingang auf sie.
Clarys Pupillen weiteten sich schlagartig, als sie Simon sah. Sie hatte es seit einer Woche geschafft, nicht mehr gleich in Tränen auszubrechen, wenn sie an ihn dachte. Doch ihn gerade hier zu sehen, nach all dem, was sie in den letzten Tagen erlebt hatte, drohte ihr wieder das Wasser in die Augen zu treiben. Sie blieb standhaft und schluckte den fetten Kloß, der sich gerade durch ihre Kehle zwängte, runter. Simon sah gut aus. Seine dichten, braunen Haare waren anders als sonst, gepflegt und nicht so ein wildes Durcheinander. Seine Augen wirkten klarer, wacher und überhaupt schien er, seit er ein Vampir war, so viel souveräner und männlicher – erwachsener eben.
Simon wich ihrem Blick aus. Jace ließ er ebenso ungeachtet und wandte sich gleich an Jonathan, der Siobhan gerade an einen der anderen Shadowhunter übergab, damit man sie zur Krankenstation brachte.
»Das ist sie also unsere Heldin«, sagte Simon und versuchte einen flüchtigen Blick auf Branwell zu erhaschen.
Jonathan sah ihn fragend an.
Simon winkte ab. »Isabelle hat mir schon alles erzählt. Wie Branwell damals diesen fiesen bösen Dämon geschnappt hat und so.«
Jonathans Blick zu deuten, fiel ihm schwer, also wandte Simon sich nun doch an Jace und wollte wissen: »Weshalb bin ich hier?«
»Das frage ich mich auch«, raunte Jonathan und ging.
»Frag Magnus«, beantwortete Jace ihm die Frage und ließ ihn ebenfalls stehen.
Simons Blick glitt unsicher zu Clary, die ihn immer noch erwartungsvoll anstarrte. Doch es war leider so, dass, jedes Mal, wenn er sie ansah, sah er nur, wie sie Jace küsste. Und das tat weh. Und es machte ihn auch etwas wütend. Vielleicht war es, weil er jetzt ein Schattenwesen war oder diese dunkle Seite hatte schon immer in ihm geschlummert. Er wusste es nicht, aber er wollte nicht riskieren, dass Clary etwas davon mitbekam. Also wandte er seinen Blick abrupt wieder ab und sah nun in das einzig entspannte und freundliche Gesicht an diesem Morgen. Izzy klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte: »Lass uns zur Krankenstation gehen und dort auf Magnus warten. Er wird alles erklären, okay?«
Er nickte und ließ sich von Izzy fortführen.
Clary stand immer noch dort und konnte sich über den heute errungenen Sieg nicht mehr so recht freuen. Denn im Moment war da niemand, mit dem sie diesen Sieg feiern konnte.