Siobhans Finger krallten sich in Jonathans Kleidung. Sie zerrte kurz an ihm, schüttelte ihn und legte dann ihr Gesicht an seines. Wie schnell die Wärme aus seinem Körper wich, erschütterte sie.
»Ave atque Vale«, hauchte sie und küsste ihn ein letztes Mal.
Siobhans Verzweiflung berührte Jace. Aber er bedauerte nicht, Jonathan getötet zu haben. Das Licht des Engels war immer noch über dem See und sie mussten handeln. Jaces Blick ging zu den Insignien im flachen Wasser, er deutete Isabelle, die Artefakte aus dem See zu holen. Isabelle nickte stumm und warf einen ehrfürchtigen Blick zum grellen Licht über der Mitte des Sees. Zögerlich nahm sie das Seelenschwert aus dem Wasser. Der Engel verharrte, wenn auch nur als schwaches Licht. Als sie nach der zweiten Insigne greifen wollte und ihre Finger schon fast am Kelch hatte, spürte sie, wie ihr etwas die Kehle zuschnürte. Isabelle fühlte sich, als hätte sich ein Seil um ihren Hals gelegt, das sich nun langsam immer fester zog. Sie taumelte, drehte sich zu Jace und sah, dass es ihm genauso ging. Auch er schien gegen die unsichtbare Macht hilflos zu sein und wie Isabelle sank er nach Luft japsend auf die Knie. Sie griffen sich an den Hals, doch da war nichts, wovon sie sich hätten befreien können. Isabelles Blick ging nun erschrocken zu Siobhan, die dort aufrecht neben Jonathans Leiche stand. Siobhan war nicht davon betroffen. Sie war der Grund dafür.
Ihre Kleidung war von den Schultern abwärts blutgetränkt. Ihre Haare hingen in nassen, ebenso blutgetränkten Strähnen vor ihren Augen, die jetzt leuchteten wie Höllenfeuer. Auf ihrer Haut zeichneten sich zahllose schwarze Adern ab. Siobhans Hände waren geformt, als würden sie etwas würgen. Und das taten sie auch ... irgendwie. Doch dann löste sie diese Geste wieder. Das beengende Gefühl um Isabelles und Jaces Hals verschwand sofort.
Isabelle stolperte nach Luft ringend ein paar Schritte zurück und musste mit ansehen, wie Siobhan das Schwert nahm und es zurück ins flache Wasser legte. Isabelle beabsichtigte, sie aufzuhalten, aber ihre Füße waren am Boden festgeschweißt.
»Mach das nicht«, rief Jace, der sich ebenfalls nicht von der Stelle rühren konnte. »Siobhan, wenn du ihn zurückbringst, wird der Rat ihn zum Tode verurteilen. Du würdest damit nichts gewinnen.«
Siobhans Kopf schnellte herum und sie fixierte Jace mit ihren feurig glühenden Augen. Seine Arme und Beine wurden augenblicklich schwer wie Blei, die Verletzungen, die Jonathan ihm zugefügt hatte, hauptsächlich die Stichverletzung in seiner Seite, begannen zu brennen, als würde jemand mit einem glühenden Eisen darin herumstochern. Jace stöhnte auf. Etwas Bitteres schoss ihm in den Mund und er erbrach einen zähflüssigen Brei aus Blut und allem, was er noch im Magen hatte. Das Erbrochene begann sich nun langsam in seine Luftröhre zu drängen. Jace würgte, hustete und würgte …
»Hör auf!«, brüllte Isabelle panisch. »Du bringst ihn um!«
In diesem Augenblick wurde die Nacht taghell. Siobhans Einfluss auf Jace und Isabelle endete abrupt. Clarys stand am Ufer, ihre Hand war gegen Siobhan gerichtet und aus der Sonnenlichtrune schoss ein greller Strahl. Überrascht wirkte Siobhan, doch mehr auch nicht.
Dennoch reichte dieser Moment der Ablenkung, dass Siobhan von Jace abließ. Sie ignorierte die Schattenjäger nun wieder und ging unbeirrt weiter in den See hinein. Jace spuckte den Rest des blutigen Breis ins Gras und röchelte. Er sah dankbar und erleichtert zu Clary, stemmte sich ächzend auf, griff seine Seraphklinge und wollte verhindern, was Siobhan vorhatte. Da stieg plötzlich Raziel wieder aus dem Licht empor und zeigte seine Gestalt.
»Was ist es, was du begehrst, Siobhan Branwell?«, fragte der Engel.
Isabelle und Clary sahen sich erschrocken an.
»Bring ihn zurück«, forderte Siobhan, »Bring Jonathan Morgenstern zurück!«
Einen quälend langen Augenblick verharrte der Engel über dem See. Niemand sagte einen Ton oder wagte es, sich zu rühren. Eine stille Anspannung legte sich über den ganzen Ort. Und dann sagte Raziel: »Es ist mir nicht gestattet, dir diesen Wunsch zu gewähren.«
Fassungslos starrte Siobhan den Engel an. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ihr Atem ging stoßweise und ihre Muskeln spannten sich zum Zerreißen. Und dann brach es aus ihr heraus.
»Bring ihn zurück!«, brüllte sie.
Doch es änderte nichts. Der Engel war wieder zu einem hellen Licht im Nachthimmel geschrumpft und schien immer noch drauf zu warten, jemandem einen Wunsch zu gewähren.
Jace stand dort mit offenem Mund. Es war nicht nur, weil Raziel sich dem Wunsch Siobhans widersetzt hatte, sondern auch wegen dem, was er gerade gesehen hatte. Im hellen Schein des Engelslichtes hatte Siobhans Spiegelung im See gigantisch gewirkt. Ihre Silhouette war deutlich zu erkennen gewesen, aber es hatte ausgesehen, als hätte sie Flügel gehabt – dunkel und zerfetzt wie die Wolkenfront, die sich gerade vor den Mond schob.
Sie wandte sich nun langsam um. Ihre Haut war wieder frei von dämonischen Adern, die Augen nicht mehr glühend und zornig. Verzweiflung hatte die Wut ersetzt.
Jace wollte zu ihr, doch Isabelle hielt ihn am Arm: »Nicht, Jace. Sie ist gefährlich.«
Clary fragte: »Was machen wir denn jetzt mit ihr?«
»Hast du nicht eine Rune, mit der wir etwas gegen sie unternehmen können?«
»Bisher hatte ich immer eine Art Eingebung, wenn ich eine spezielle Rune benötigte. Aber gerade … nichts.«
Jace strich sich die verschwitzten Haare von der Stirn und überlegte: »Weil die Engel nicht wollen, dass wir sie töten.«
Isabelle zog missbilligend ihre Augen zusammen. »So ein Quatsch.«
Siobhan stand immer noch bis zur Hüfte im eiskalten Wasser des Sees, hob plötzlich ihren Kopf und blickte nun in deren Richtung. Kurz zuckten die drei zusammen und dachten, der Moment ihre Trauer wäre vorüber und sie würde sie nun wieder angreifen. Doch ihr Blick ging an ihnen vorbei.
Ein unangenehmes Surren zog durch Jaces Magengegend und er folgte ihrem Blick zur Uferböschung hinter ihnen. Ruckartig drehte sich nun sein ganzer Körper in diese Richtung. »Oh, Shit. Hol mir das Schwert, Izzy. Sofort.«
»Was?«, fragte die verwirrt und drehte sich ebenfalls um.
»Das Seelenschwert, Izzy!«
Clary war schneller und hatte es schon aus dem Wasser gezogen.
Auf der Böschung, nur wenige Meter von ihnen entfernt, stand Beleth und blickte zu ihnen hinunter.
»Wie lange steht der schon da, verdammt?«, fragte Isabelle.
»Keine Ahnung«, murmelte Jace und nahm Clary das Schwert aus der Hand, um sich damit in Angriffsstellung zu bringen. In Beleths Fall wäre blindes Drauflosstürmen keine gute Idee. Abwarten, war die bessere Alternative. Davon abgesehen standen sie zwischen Beleth und Siobhan. Ebenfalls keine gute Ausgangsposition, wenn man davon ausging, dass Siobhan im Moment nicht gerade für Team Jace jubelte.
»Scheiße, scheiße, scheiße«, fluchte er.
Beleth ging entspannten, selbstgefälligen Schrittes die Böschung hinunter. Er war kaum einhundert Meter entfernt und kam näher.
»Das ist übel«, sagte Isabelle, blickte kurz über ihre Schulter zu Siobhan, die sich nicht regte und brachte sich ebenfalls in Stellung gegen Beleth.
»Clary?«, sagte Jace leise.
Clary begann mit ihrer Stele die Sonnenlichtrune in ihre Handfläche zu zeichnen. Noch bevor sie die Rune vervollständigen konnte, fühlte sie plötzlich eine unsichtbare Kraft, die sie lähmte. Sie konnte nicht einmal mehr den kleinen Finger rühren. Lediglich ihre Augen konnte sie bewegen und sah so, dass Beleth nun direkt vor ihr erschien und ihr die Stele mit einem süffisanten Lächeln aus den steifen Fingern nahm und achtlos ins Gras warf, sich dann in einen Schwarm Motten auflöste und sich nun vor Jace und Isabelle manifestierte.
Jace holte sofort zu einem schnellen und mächtigen Hieb mit dem Seelenschwert aus, doch der ging nur ins Leere.
»Wo ist er hin?«, hechelte er und drehte sich suchend im Kreis. Sein Blick ging kurz zu Isabelle, die, genau wie Clary, nun wieder eingefroren schien. Dann sah er Beleth etwas weiter unten am See wieder erscheinen. Der Dämon stieß beiläufig mit dem Fuß gegen die angespülte Leiche von Valentine, als würde er geschossenes Wild auf ein Lebenszeichen testen und hockte sich dann neben Jonathans Leiche. Er musterte den Toten genau. Dann wanderte sein Blick zu Siobhan. Gemächlich erhob er sich, stellte sich ans Ufer und hielt Siobhan die Hand entgegen, als wünschte er sie zum Tanz aufzufordern. Jace wollte diesem ganzen Theater ein Ende bereiten, doch auch er konnte sich nicht rühren.
Siobhan fühlte, wie sich alles verzehrende Gleichgültigkeit allmählich die Oberhand gewann. Ein Zustand, der ihr aus Edom vertraut war. Sie beobachte das Geschehen am Ufer ohne jede Emotion. Erst, als Beleth sich zu Jonathans Leiche gehockt hatte, war wieder etwas dagewesen. Genug, um die zerstörerische Gleichgültigkeit zu vertreiben. Zorn gewann erneut die Oberhand. Das Wasser des Sees wurde unruhig. Erst war es nur ein leichtes Blubbern, doch es wuchs innerhalb von Sekunden zu einem dampfenden Brodeln. Der ganze See kochte, Siobhan mittendrin und Beleth stand am Ufer und hielt ihr weiterhin seine Hand entgegen. Sein Lächeln war sanft, kaum merklich.
»Ich weiß«, sagte er leise. Sein Blick fiel nur kurz auf das gleißend helle Licht des ausharrenden Engels über Lake Lyn. Aber auch diese himmlische Macht schien ihn nicht zu beeindrucken.
»Komm zu mir«, sagte er. »Und hör auf mit dem Blödsinn. das bringt ihn dir auch nicht zurück.«
Das Wasser hörte auf zu brodeln und die Verbrühungen an ihren Beinen im Wasser heilten augenblicklich. Das Einzige, was noch brannte, war die Schattenrune an ihrem Hals. Sie ging sie auf Beleth zu.
»Macht sie gemeinsame Sache mit diesem Bastard?«, presste Clary hervor.
Sie stand am nächsten zu Beleth und erntete einen tadelnden Blick von ihm, der sich durch ihren Körper bohrte wie ein Speer. Sie schrie vor Schmerzen. Jace zerrte an der unsichtbaren Barriere, die ihn gefangen hielt und musste hilflos mit ansehen, wie Clary plötzlich zu Boden sackte und ich nicht mehr regte.
Siobhan blieb stehen und sah etwas irritiert zur reglosen Clary.
Beleth bemerkte da. »Sie wird es überleben.«
»Seit wann interessiert es dich, ob jemand lebt oder stirbt?«, sagte Siobhan.
»Es interessiert dich.«
»Und seit wann interessiert dich, was mich interessiert?«
»Nun komm schon aus dem Wasser, Liebes«, sagte er ungeduldig und hielt ihr wieder seine Hand entgegen.
Siobhan ging weiter, ignorierte jedoch seine Hand und sah ihm herausfordernd in die Augen.
Er lächelte. »Du erinnerst mich so sehr an ihn, weißt du das?«
»An wen?«
Er deutete auf die Dolche an ihrem Gürtel. »Ich habe dir diese Geschichte sicher tausendmal erzählt.« Seine Hand fuhr über ihre Wange, den Hals hinab zur Schattenrune, die nun wieder zu leuchten begann wie das Höllenfeuer, aus dem sie bestand – genau wie das Gegenstück dazu an seinem Hals. Ein leises Stöhnen entfuhr beiden unter dem Schmerz.
»Hm«, machte er genüsslich. »Das habe ich vermisst.«
»Ich nicht.«
Er lachte leise, wandte ihr den Rücken zu und ging ein paar Schritte. »Da wir nun nicht zurück nach Edom müssen …«, er ließ den Rest des Satzes offen, blickte kurz zu Jonathans Leiche und sah sie dann wieder an. So, als würde er auf etwas warten. Siobhans Haltung löste sich augenblicklich und sie sprang Beleth wütend an. Er wehrte diesen Versuch mühelos ab und lachte wieder.
Doch der Bann, der auf Jace gelegen hatte, löste sich plötzlich. Das war seine Chance. Er war nur einen Sprung von Beleth entfernt. Geistesgegenwärtig setzte er an und stieß Beleth das Engelsschwert mit beiden Händen und voller Wucht in den Rücken. Beleth wirbelte herum und riss dabei Jace das Schwert aus den Händen, das jedoch in Beleth Körper steckenblieb. Wider Erwarten, zerfiel der Dämon nicht zu Staub, sondern er wuchs jetzt zu seiner wahren Größe und Gestalt. Das Monster in ihm zeigte sich und das Schwert der Engel in ihm schien plötzlich so klein und unbedeutend.
Jace stolperte ein paar Schritte zurück.
Doch erneut geschah etwas, womit Jace nicht gerechnet hatte. Der zu einem Monster mutierte Dämon stürzte sich nicht auf ihn, er schaffte es sogar, sich das Schwert aus seinem Rücken zu ziehen und rammte es genau vor Siobhans Füßen in die Erde.
Die wich erschrocken zurück und sah verwirrt auf das Silberschwert vor sich. Dann hob der Dämon seine gewaltige Klaue über ihrem Kopf …
Jace hielt den Atem an, ein Adrenalinschub durchzuckte ihn, er griff nach seinem Seraphschwert und schleuderte es auf den Dämon. Der wirbelte erneut herum, fing es mühelos, warf es auf den Boden, stampfte auf Jace zu und legte seine Pranke um dessen Hals. Er hob ihn in die Höhe, bis Jace den Boden unter seinen Füßen nicht mehr spürte.
Isabelle brüllte in Panik Jaces Namen, doch sie konnte sich immer noch nicht rühren. Da kam Clary wieder zu Bewusstsein und hörte nur noch das knöcherne Knacken von Jaces Halswirbelsäule. Sie schrie laut auf und presste sich beide Hände auf den Mund. Isabelle strömten Tränen über die Wangen. Mit einem Zornesschrei stürzte sich Clary auf den Dämon, der Jaces leblosen Körper, wie eine Puppe wegschleuderte und sie wurde mit einer ebenso beiläufigen Bewegung von Beleth, mehrere Meter weit auf die Böschung geschleudert. Doch damit schien sich Beleth jetzt nicht mehr begnügen zu wollen. Er stampfte auf Clary zu, die versuchte, vor ihm wegzurobben, aber sie kam nicht vorwärts. Als die messerscharfen Krallen von Beleths Klauen sich in das Fleisch ihres Beines gruben, schrie sie auf und er ließ unerwartet von ihr ab. Es war jedoch nicht ihr Schrei, der ihn irritiert hatte. Es war die Spitze des Engelsschwertes, die aus seiner Brust ragte.
Und da grinste er plötzlich.
Clary war zutiefst verstört.
Siobhan zerrte das Schwert wieder aus Beleths Rücken und schnaubte wütend: »Das ist dafür, dass du mich Lilith überlassen hast.« Die Klinge leuchtete heller als das noch vorhandene Licht des Engels über dem See. Beleth drehte sich zu ihr und hob erneut seine Klaue. Doch irgendwie wirkte das alles sehr halbherzig. Siobhan stieß ihm das Schwert ein weiteres Mal in den Körper. Genau durch das knochenharte Sternum des Dämons, welches jetzt um einiges lauter krachte als Jaces Genick zuvor.
Beleth stand nun ganz still. Seine Gestalt wandelte sich zurück und er wurde wieder der Dämon mit dem Engelsgesicht. Ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen, schob er sich und seinen Körper weiter auf die Klinge des Schwertes, bis seine Fingerspitzen Siobhans Gesicht berühren konnten.
»Weißt du, was man über Mellartach sagt, fy Nghariad?«, sagte er.
Siobhan hielt den Griff des Schwertes immer noch fest umklammert und schüttelte unsicher den Kopf.
Dann sagte er so leise, dass nur Siobhan es hören konnte: »Ich habe sehr lange auf diesen Tag gewartet. Sehr lange.« Er umfasste ihre Finger am Griff des Schwertes und stieß es sich nun bis zum Anschlag selbst in den Leib. Seine Lippen berührten für den Bruchteil einer Sekunde ihre Lippen, bevor er zu silberglänzendem Staub zerfiel.
Siobhan erstarrte.
Isabelles stürzte zu Clary, die inzwischen neben Jaces Leiche kauerte und bitterlich weinte. »Oh, nein … oh, nein …«, wimmerte Isabelle.
Siobhan bekam allerdings nicht mehr mit, dass Clary plötzlich aufsprang, ihr das Schwert aus der Hand zerrte, und damit zum See rannte. Die Schattenrune, die Siobhan und Beleth verbunden hatte, begann sich aufzulösen und hinterließ ein Gefühl von eisiger Kälte an ihrem Hals. Siobhans Benommenheit nahm zu. Sie wankte und dann fühlte sie etwas Warmes ihren Hals hinunterlaufen. Sie tastete danach, blickte perplex auf das Blut an ihren Fingern und sackte zusammen. »Bollocks«, war das Letzte, was sie sagte, bevor die Dunkelheit sie umhüllte.
Clary rieb sich mit dem Ärmel Rotz und Tränen aus dem Gesicht, warf das Schwert der Engel zurück ins Wasser und blickte trotzig in das Licht des Engels. »Raziel!«, brüllte sie.
Der Engel zeigte sich sofort. »Was ist es, was du begehrst, Clarissa Fairchild?«, fragte er.
Isabelle hielt den Atem an. Sie wusste, sie müsste Clary davon abhalten, aber dann sah sie wieder auf den toten Jace, den sie in ihren Armen wiegte wie ein Kind. Sein Kopf hing unnatürlich locker an seinem Körper und sie schluchzte erneut hemmungslos. Allein der Gedanke, wie es Alec in diesem Augenblick ergehen musste. Sie hätte nicht einmal reden können, wenn sie es gewollt hätte.
Clary schnitt sich in die Hand und ließ etwas von ihrem Blut in den See tropfen. »Bring ihn zurück!«, brachte sie mit Tränen erstickter Stimme hervor. »Bring Jace zurück. Bitte!«
Der Engel verschwand, ohne ein Wort gesagt zu haben, und mit ihm nun auch das himmlische Leuchten. Clary rannte zurück zu Jace, beugte sich über ihn und rüttelte an seinen Schultern.
»Jace!«
Quälend lange Sekunden vergingen, doch dann hob sich plötzlich sein Brustkorb und er sog Luft ein, wie ein gerade vor dem Ertrinkender Wasser.
Isabelle und Clary sahen sich erleichtert an und Jaces Blick irrte orientierungslos umher.
»Was ist los?«, fragte er. »Was ist passiert.«
»Du warst …«
Isabelle wollte Clary noch davon abhalten es auszusprechen, aber da war es schon raus. »Du warst tot, Jace.«
»Was? Aber wie …«, er sah sie verwirrt an.
Niemand antwortete.
Er stand langsam auf. Noch etwas unsicher auf den Beinen, rieb er sich den Hals und erinnerte sich plötzlich wieder an das Geräusch, das sein Genick gemacht hatte, als Beleth ihn in der Mangel hatte.
»Oh, verdammt«, murmelte er und blickte zum See, wo nichts mehr von Raziel zu sehen war.
»Was hast du getan?« Er sah Clary bestürzt an. Dann wanderte sein Blick suchend weiter. »Was ist mit Beleth und …«, wieder verstummte er und sah die beiden an.
»Siobhan, hat ihn getötet«, sagte Isabelle und deutete auf Siobhans leblosen Körper unweit im hohen Gras.
»Ist sie tot?«
»Unwahrscheinlich«, antwortete Isabelle abfällig.
»Nein, Izzy. Wenn Beleth tot ist …«, sagte Clary leise.
»Vielleicht besser so«, erwiderte Isabelle.
Jace setzte sich in Bewegung, während Clary und Isabelle zu streiten begannen.
»Izzy, sie hat mir das Leben gerettet!« Clary zeigte entrüstet auf die Spuren von Beleths Klauen an ihrem Bein. »Ohne sie wäre wohl keiner von uns mehr am Leben …«
Jace war inzwischen bei Siobhan und prüfte mit zwei Fingern ihren Puls am Hals. Der Puls war kaum noch zu fühlen. Sie hatte Unmengen von Blut verloren. Und das war seine Schuld. Die Schattenrune an ihrem Hals war verschwunden, dafür klaffte die Wunde, die sein Dolch ihr zugefügt hatte, weit auseinander. Es war unmöglich, dass sie das überleben würde. Zu viel Blut hatte sie bereits verloren. Ihre Haut war bleich und kaltschweißig, ihr Atem kaum noch vorhanden und der Puls nun nicht mehr tastbar. Jace fuhr sich mit beiden Händen durch das Haar und setzte sich dann neben sie ins Gras, zog ihren sterbenden Körper auf seinen Schoß, legte beide Arme um sie und aktivierte seine Heilrune. Es hatte schon einmal funktioniert bei Clary. Immerhin war Siobhan ein Shadowhunter. Es musste funktionieren. Seine Augen begannen golden zu glühen.
Isabelle und Clary hörten augenblicklich auf zu streiten. »Was macht er da?«, fragte Isabelle.
Jaces Heilrune aktivierte sich. Doch, nicht nur diese – es waren plötzlich alle Runen seines Körpers, die golden schimmerten.
Siobhans Körper rührte sich nicht.
Jace ließ sich nicht davon abhalten, weiterzumachen.
»Komm schon«, murmelte er. »Du schaffst das.«
Plötzlich stemmte und krümmte sich Siobhan energisch gegen Jaces festen Griff um ihren Körper. Etwas passierte mit ihr und Jace hielt sie so fest er konnte.
Clarys und Isabelles Augen weiteten sich in Erstaunen, als sie sahen, was dann geschah. Überall auf Siobhans Körper erschienen Runen. Sie war übersät mit den Symbolen der Nephilim. Und jede davon leuchtete jetzt genauso golden wie Jaces. Ihre Heilrune am Schlüsselbein erschien ebenso und tat schließlich, was sie sollte: »Es funktioniert«, japste Jace, die Wunde an Siobhans Hals schloss sich und ihre Haut nahm sogar wieder eine etwas gesündere Farbe an.
Isabelle wusste nicht, anders als Clary und Jace, ob sie erleichtert oder besorgt sein sollte. Sie ließ ihren Blick umherschweifen, und wollte gerade die überall verstauten Insignien einsammeln, als ihr etwas auffiel.
»Wo ist Jonathans Leiche?«
ᛟ
Der nächste Morgen im Institut begann still. Obwohl, oder gerade, weil die Vorbereitungen für die ersten Mahnwachen der gefallenen Schattenjäger bereits im vollen Gange waren. Alec stand auf einer der oberen Ebenen des Instituts und blickte nachdenklich hinunter. Valentine, Jonathan, Beleth, Yael – sie alle waren tot. Ja, er sollte sich glücklich schätzen, erleichtert sein. Und zu einem großen Teil war er das auch, aber da blieb noch dieser Rest Zweifel – jedes Mal, wenn er sich an das kurzzeitige Verschwinden seiner Parabatei-Rune erinnerte. Mit all dem Leid und der Verzweiflung, die er in diesem Moment gespürt hatte. Alec war sich sicher gewesen, dass Jace tot war. Doch dort unten stolzierte er entlang – lebendig und schon wieder mit diesem verschmitzt angeberischen Lächeln auf seinen Lippen.
»Warum so ernst, Alexander? Alle bösen Jungs sind besiegt, eure wertvollen Insignien zurück in Alicante«, hörte er Magnus kommen, sah ihn nur kurz an und dann wieder hinunter.
»Ja. Alles ist so, wie es sein sollte. Oder?«
Dieses Oder? alarmierte Magnus, aber er wagte es nicht, Alec danach zu fragen, da der nach wie vor mit ihm nur über Geschäftliches mit ihm redete, also kam Magnus gleich zur Sache. Er hielt Alec ein Fläschchen entgegen. »Bist du sicher, dass ihr das so handhaben wollt? Es ist etwas riskant.«
Alec nahm ihm das Fläschchen aus der Hand. »Die Inquisitorin war die Einzige, die von Siobhans Anwesenheit wusste. Der Rat wurde weder von mir noch von ihr über die aufgetauchte Branwell informiert.«
»Das war nicht meine Frage, Alexander«, hakte Magnus nach.
»Wenn es nach mir ginge, nicht. Aber sie hat Beleth getötet. Und sie hat Clary das Leben gerettet. Jace besteht darauf«, antwortete Alec.
Magnus nickte. »Wie du meinst. Sie muss das Elixier jeden Morgen zu sich nehmen. Es wird ihre Fähigkeiten unterdrücken. Bevor es alle ist, kommt zu mir und ich gebe euch neues. Das ist essenziell«, sagte er mit nun eindringlicher Miene. »Wenn sie es auch nur einen Tag nicht nimmt …«
»Schon klar. Und sie wird sich an nichts erinnern? Bist du sicher?«
Magnus nickte. »Alles, was bis zum heutigen Tage passiert ist, existiert nicht mehr in ihrem Kopf. Ich habe ihre Erinnerungen gelöscht. Sie wird wissen, dass sie ein Shadowhunter ist. Mehr nicht. Der Rest liegt bei euch.« Magnus sagte es mit einem kurzen und traurigen Blick zu Alec, schien noch auf etwas zu warten und wandte sich zu gehen.
»Danke. Magnus …«, sagte Alec plötzlich.
Magnus blieb stehen. Es wirkte, als wollte Alec tatsächlich noch etwas sagen, doch … er rieb sich nur verlegen die Stirn.
Magnus schluckte. Er wandte sich ab, damit Alec nicht sah, wie sehr er mit sich zu kämpfen hatte, nicht vor ihm auf die Knie zu fallen und ein weiteres Mal um Vergebung zu bitten. Alec blieb stumm und Magnus ging.
ᛟ
Jonathan glitt in die eisige Schwärze der Endlichkeit.
Er befand sich auf einer Ebene, treibend zwischen Tod und der schwarzen, endgültigen Leere, welche die Irdischen als das Fegefeuer bezeichneten. Er wollte zurück ins Licht – zurück zu ihr. Doch dieser Weg war ihm versperrt. Alles, was ihm blieb, war Edom. Und so war der letzte Gedanke, den er dachte: ›Mutter!‹
Jonathans lebloser Körper strandete im dunkelsten Teil von Edom und sofort erhoben sich unzählige fledermausartige Dämonen, um sich am felsigen Boden der Höhle zu einer schlanken Gestalt zusammenzusetzen. Liliths Schlamm-verschmierter Körper bewegte sich geschmeidig auf Jonathan zu. Sie beugte sich über ihn, streichelte liebevoll sein Gesicht und raunte in sein Ohr: »Ich bin hier.« Sie strich ihm das blutverkrustete Haar aus dem Gesicht. »Bald, mein Sohn. Bald werden wir wieder zusammen sein.«