»Schüchtern, ohne Dynamik, ist das Gute unfähig, sich mitzuteilen. Das viel eifrigere Böse will sich übertragen und erreicht es, denn es besitzt das zweifache Privilegium, faszinierend und ansteckend zu sein.« (Emile Michel Cioran)
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Siobhans Schädel fühlte sich an, als wäre ein Panzer darübergefahren. Ihr Unterkiefer war taub und geschwollen, sie war nicht in der Lage, ihre bleischweren Lider zu öffnen oder den Kopf aufrecht zu halten.
In ihrem Rücken fühlte sie eine kalte Mauer, ein Arm hielt sie an der Taille aufrecht und eine Hand unterstützte ihren Nacken. Unter Anstrengung gelang es schließlich, die Augen zu öffnen.
»Hey«, sagte Jonathan mit sanfter Stimme.
Ihr Blick irrte im Halbdunkel umher. Es sah nicht aus wie das Institut. Die Wände waren aus blankem Beton, welche mit zahllosen Rohrleitungen überzogen waren. Es roch nach feuchtem Metall und Rost, und es schmeckte auch so. Oder war das der Geschmack ihres Blutes? Sie schmeckte wieder etwas. Immerhin.
»Wo sind wir? Was machts du?«, fragte sie und ihre Stimme hallte in diesem Keller genauso kalt und eisig wider, wie alles hier.
»Da, wo sie uns vorerst nicht suchen werden«, beantwortet er nur die erste Frage.
Jonathan ließ sie vorsichtig los, vergewisserte sich, dass sie einigermaßen sicher stand, und musterte sie so, als würde er sie zum ersten Mal sehen.
Siobhan betrachtete abwesend ihre Hand. Die Wunde, die ihr Imogen zugefügt hatte, brannte und man konnte immer noch deutlich den Umriss des Anhängers erkennen, den die Inquisitorin ihr ins Fleisch gepresst hatte. Wie ein Blitz durchzuckte Siobhan die Erkenntnis, dass Sebastian all das wohl mitbekommen haben musste. Erschrocken blickte sie auf.
Doch er stand nur da und sah sie mit dem gleichen behutsamen Lächeln an wie zuvor. Jaces Reaktion darauf erschien ihr da wesentlich logischer, wenn auch schmerzhafter, in vielerlei Hinsicht.
»Schon okay«, sagte er leise. »Du bist in Sicherheit.«
»Warum tust du das?«
»Sie hätten dich getötet«, sagte er leise und sie bemerkte, wie kurz etwas Zorniges in seinen Augen aufflackerte.
Siobhan machte einen wackligen, aber energischen Schritt auf ihn zu und stieß ihm mit beiden Händen wütend gegen die Brust. »Ja, und jetzt werden sie dich auch jagen, Verlac.«
Er wankte kein bisschen, hielt sie an den Handgelenken fest und sah sie durchdringend an. »Das können sie gerne versuchen.«
»Was ist nur los mit dir?«, fragte sie fassungslos. »Warum machst du das? Hast du nicht gesehen, was ich bin. Ich habe dir gesagt, du sollst dich raushalten.«
Ein hauchfeines Lächeln huschte über sein Gesicht. »Den Anblick, wie die alte Hexe sich am Boden gewälzt und gejapst hat, werde ich nicht so schnell vergessen. Vielen Dank, dafür.«
Siobhan war verwirrt. Dass die Inquisitorin nicht gerade beliebt war, hatte sie schon gemerkt. Selbst Jace schien nicht sehr angetan von seiner Granma. Aber gleichwohl war er ein Shadowhunter und hatte sich auch so verhalten. Sebastian hingegen …
»Ich musste eine Entscheidung treffen und das habe ich getan«, sagte er, als hätte er ihren Gedanken gehört. »Ich weiß, was das für Konsequenzen hat, aber es war ja nicht so, als hätte ich viel Zeit zum Abwägen gehabt, oder?« Sein Griff um ihre Handgelenke lockerte sich, sein Blick wurde wieder sanfter.
»Es tut so mir leid, dass ich dich da mit reingezogen hab«, sagte sie leise und schluckte runter, was in ihr aufsteigen wollte. »Ich bin nicht wie Jonathan Morgenstern, falls du das denkst.«
Er lachte leise. »Ich weiß«, und zog ihren Körper an seinen. Sie ließ es geschehen. Sie war zu erschöpft für irgendetwas. Ihr Kopf ruhte plötzlich an seiner Brust, unter der sein starkes Herz hämmerte. Sie sog seinen Geruch tief in sich. Sie wollte sich daran erinnern. Egal, was ab jetzt passieren würde, sie wollte sich an genau diesen Moment erinnern – an seinen gleichmäßigen Atem, an seine Hand, die ihren Kopf sanft gegen seine Brust drückte, der Arm, der ihren Körper, so dicht an seinen zog, dass kein Hauch mehr zwischen die beiden passte. Es war, als flossen sie ineinander und nichts, würde sie in diesem Augenblick davon überzeugen können, dass das falsch war.
»Ich bin es so leid«, raunte sie.
Jonathan wusste genau, was sie meinte. Er schloss die Augen und genoss ihre Nähe – ihr Vertrauen, ihre Zuneigung und das, was er dachte, verloren zu haben, als sein Vater ihn in die Hölle verbannt hatte.
Siobhan sah ihn nun etwas verlegen und entschuldigend zugleich an und löste sich von ihm. »Wo sind wir hier?«
»Immer noch im Institut.«
»Im Institut?«
»Ich hatte keine Chance, uns rechtzeitig rauszubringen. Das Gebäude ist abgeriegelt, aber in den alten Heizungstrakt kommt nie jemand. Er liegt seit Jahrzehnten, versiegelt und verlassen unter dem Atrium.«
»Aber sie werden das ganze Institut systematisch auf den Kopf stellen.«
»Nicht, wenn sie glauben, wir hätten es hinausgeschafft.«
»Wieso sollten sie das glauben.«
»Ich bin schneller als sie.«
Siobhan sah ihn kurz zweifelnd an. Ein summendes Gefühl zerrte an ihren Eingeweiden, doch sie ignoriert es. »Und wie kommen wir raus? Selbst wenn sie uns nicht finden, es gibt keinen Weg aus dem Institut, ohne dass sie uns entdecken.«
Sebastian schwieg, nahm ihre verletzte Hand in seine und untersuchte ihre Wunde. Siobhan war das unangenehm. Diese Verletzung gab so viel von ihr preis. Aber hauptsächlich das, was sie gerade vor ihm hatte verbergen wollen. Er sah sie wieder an, wirkte aber weder verunsichert noch angewidert.
»Ich hatte schon so eine Ahnung«, sagte er.
Sie sah ihn fragend an. Das Summen in ihre Magengegend wurde wieder präsent. Er lachte leise und blieb ihr eine weitere Erklärung schuldig.
Doch das brauchte er nicht, denn in diesem Augenblick erkannte sie, ihr nicht hätte entgehen dürfen. Und es gab wahrlich mehr als einen Hinweis darauf.
»Jonathan«, sagte sie, stolperte ein paar Schritte zurück, bis sie die kalte Mauer wieder in ihrem Rücken spürte und sank dort in sich zusammen.
Jonathan hatte vermutet, dass sie erschüttert reagieren würde, doch dass sie so reagieren würde, das überraschte ihn. Und es verletzte ihn. Sie kauerte dort, die Hände um ihre Beine geschlungen und das Gesicht in die Knie gedrückt. Er verstand es nicht. Sie war, wie er. Gerade von ihr hatte er etwas anderes, als das erwartet. Er ging einen Schritt auf sie zu, da hob sie plötzlich ihre Hand mit eindeutiger Geste.
»Bleib, wo du bist!« Ihr Blick war kalt, doch ihre Stimme verriet etwas anderes. War das Angst? Hatte sie etwa Angst vor ihm? Wieso um alles in der Welt sollte ausgerechnet sie vor ihm Angst haben. Hatten Jaces und Clarys Abscheu auf ihn sie so sehr beeinflusst? Jonathan dachte, sein Hass auf Jace konnte nicht mehr gesteigert werden, doch gerade wurde er eines Besseren belehrt. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, sein Atem hing schwer und heiß in dieser feuchten Kälte und das reine Blau seiner Augen verschwand hinter schwelendem, glänzendem Schwarz. Jetzt sollte sie Angst haben.
Doch was dann geschah, war selbst für ihn nicht vorherzusehen gewesen. Er hatte nur den kühlen Luftzug gespürt und blickte plötzlich in ihre ebenso schwarzen Augen. Unmittelbar vor seinen. In ihrer rechten Hand hielt sie ihm seine eigene Klinge direkt an die Kehle. Beeindruckend, wie schnell sie war. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte er sie gewähren lassen. Zehn Jahre lang hatte er sich jeden Tag nach dem Tod gesehnt. Und als er Edom verlassen hatte, war es sogar noch schlimmer geworden. Bis sie aufgetaucht war. Fast so schnell wie sie, hatte er nun selbst einen Dolch zur Hand und wollte ihn ihr gerade in den Körper rammen. Als das helle Blau schlagartig in ihre Augen zurückkehrte und die Spitze seiner Klinge abrupt vor ihrem Nabel verharrte. Ihr Blick ging zu dem Dolch vor ihrem Bauch, dann sah sie ihn wieder an. »Jetzt mach schon«, knurrte sie.
Er schüttelte den Kopf, seine Augen verengten sich zu Schlitzen und das dämonische Schwarz wich indessen auch wieder seiner natürlichen Augenfarbe.
»Nein.«
Laut scheppernd, fiel sein Dolch zu Boden und er drückte sich und seinen Hals sogar noch etwas dichter an ihre Klinge, sodass das blanke scharfe Metall bereits in seine Haut schnitt. Sein Blut lief über die silberblaue Schneide. Ihre Hand begann zu zittern.
Jonathan griff ihren Körper grob in der Taille und zog sie noch näher.
Siobhan blickte erschrocken auf den tiefer werdenden Schnitt an seinem Hals. Es war noch nicht viel Blut, doch sicher schon ausreichend, um ein Tor nach Edom zu öffnen und ihn dahin zurückzuschicken. Mehr hatte Lilith nicht von ihr verlangt. Es wäre so einfach gerade.
Ihre Hand um den Griff des Dolches an seinem Hals löste sich, als seine Lippen sich plötzlich auf ihre pressten. Seine Arme zerrten ihren Körper an seinen und schoben sie gleichzeitig zurück an die Wand, wo er sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen sie presste. Seine Finger krallten sich in ihren unteren Rücken, sein Unterleib an ihrem, seine Lippen an ihrem Hals und dann wieder auf ihrem Mund. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm, als er sich noch fester an sie drückte und seine Zunge fordernd zwischen ihre Lippen schob. Ihr Kiefer schmerzte von Jaces Schlag, doch das war egal. Sie kannte Schmerzen, das hier war gar nichts. Alles, was die beiden aufhielt, sich ihrem Verlangen hinzugeben, war der Fakt, dass nur ein paar Ebenen unter ihnen, eine Meute Schattenjäger nach ihnen suchte, um sie zu töten.
Seine Stirn ruhte an ihrer und ein regelrecht scheuer Blick aus seinen Augen faszinierte sie. Doch sein Blick änderte sich schlagartig. Mit nun triumphierender Miene raunte er: »Ich wusste, dass du mich nicht tötest, Branwell.«
Siobhan war nach Schreien zumute. Schreien, oder etwas Zertrümmern. Diese Welt zum Beispiel, das wäre ein Anfang. Sie schob ihn beiseite. Ihr Blick tastete systematisch den dunklen Raum ab und suchte nach einem Ausweg. Es war ein verwinkeltes, modernes Kellergewölbe mit nur einem Ausgang. Soweit sie bisher erkennen konnte.
Jonathan bemerkte ihren besorgten Blick. »Keine Sorge. Wir müssen nur hier warten.«
»Worauf?«
Er rieb sich verlegen den Nacken. »Ich musste leider etwas improvisieren.
So war das schließlich nicht geplant, aber mir blieb nichts anderes übrig.«
Sein Rumgedruckse machte Siobhan misstrauisch. Doch bevor er weiterreden konnte, öffnete sich plötzlich ein Portal. Siobhans Kopf schnellte herum und sie sah drei Männer aus dem Portal treten. Schattenjäger, ohne Frage. Auch, wenn jeder von ihnen eine kreisrunde Rune am Hals trug. Sie schnappte sich blitzschnell die beiden Klingen vom Boden und brachte sich in Angriffsstellung.
Ein stattlicher Mann mittleren Alters, mit durchdringend graugrünen Augen und Raziels Schwert auf dem Rücken, schien das zu amüsieren. Er blieb stehen und gab seinen Begleitern mit einem Handzeichen zu verstehen, dass sie sich zurückhalten sollten.
»Endlich lernen wir uns kennen, Siobhan Alice Branwell. Ich habe schon so viel von dir gehört.« Sein Blick ging kurz zu Jonathan.
»Valentine Morgenstern«, schlussfolgerte sie und ließ die Klingen sinken.
Er lächelte freundlich, wenn auch immer noch ein wenig verschlagen. »Ich bin ein großer Bewunderer der Arbeit deines Vaters«, sagte er.
»Das können Sie ihm ja sagen, wenn Sie ihm in der Hölle begegnen«, erwiderte sie.
Jonathan grinste.
Valentine musterte Siobhan einen Augenblick aufmerksam, lächelte wieder und wandte sich an seinen Sohn. »Wir sollten gehen.«
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Die Inquisitorin raste vor Wut. Allerdings äußerte sich das bei ihr nicht äußerlich, sondern es brodelte in ihrem Inneren. Wie ein praller Ballon, der jeden Moment zu platzen drohte. Clary wusste nicht, ob ihr Beleths rollende Köpfe nicht sogar lieber gewesen wären als die starren und im nächsten Moment wieder wild umherirrenden Sehschlitze der Inquisitorin. Clary war allerdings mit ziemlich vielen Gedanken beschäftigt und daher rauschte Imogens wütende Schimpftirade fast geräuschlos an ihr vorbei. An Jace prallten sie wohl auch ab, aber Alec und Isabelle wirkten äußerst eingeschüchtert.
Nachdem Imogen Herondale sich wieder einigermaßen im Griff hatte, sank sie erschöpft auf den Stuhl hinter Alecs Schreibtisch und gab, wie zum Abschluss, noch einen lauten Seufzer von sich.
Besser als ein lauter Knall, fand Clary und blickte verstohlen zu Jace, der dort mit eingefrorener Miene stand und in Gedanken meilenweit entfernt schien. Clary ahnte, was sich in ihm abspielte. Sie waren zusammen alles durchgegangen, was in den letzten Tagen, seit Siobhans Ankunft passiert war. Nichts davon deutete darauf hin, dass Siobhan in irgendeiner Weise absichtlich eine Bedrohung für das Institut dargestellt hätte. Außerdem entlastete sie Magnus Aussage zu Yaels Plänen mit dem Kelch. Und dann war da noch diese seltsame Sache mit Raphael. Auf dem Videomaterial der Überwachungskameras der Zellentrakte war eindeutig zu sehen, dass sie mit Raphaels wundersamer Genesung zu tun hatte. Wie auch immer sie das gemacht hatte, denn immerhin waren die Zellen nicht nur gegen Ausbruch, sondern dank Magnus auch gegen Magie gesichert. Das bedeutete, dass sie über Fähigkeiten verfügen musste, die weitaus mehr hätten anrichten können. Sie hätte Beleth befreien und auf das Institut loslassen können, oder ihre Festnahme verhindern. Wahrscheinlich sogar die Inquisitorin töten, wenn sie gewollt hätte, bevor Jace Siobhan ausschalten konnte.
Nein, das, was Jace anscheinend schon die ganze Zeit instinktiv wusste, wurde nun auch Clary etwas gewisser: Siobhan war sicher keine von den Bösen. Allerdings würde sie von nun an wohl zu den Bösen gehören.
»Oberste Priorität ist es, Branwell, die Morgensterns und die Insignien zu finden. Egal, wie«, sagte Imogen mit nun wieder ruhiger Stimme.
Jace blickte abrupt auf. »Wie lautet der genaue Befehl?«
»Egal wie!«
Jetzt blickten alle Vier sie getroffen an.
»Jonathan und Valentine, richtig?«, hakte Jace nach.
Imogen verzog ihr Gesicht, als hätte sie puren Essig getrunken. »Was ist an diesem Befehl, nicht zu verstehen?«
»Aber, Siobhan hat ni...«
»Unterbrich mich nicht, Junge!«, zischte sie Jace an. »Wir haben sechs tote Schattenjäger. Der Spiegel ist gestohlen, die Gefangene geflohen und nicht zu vergessen, dass sie versucht hat, mich zu töten. Ich denke, das ist alles andere als nichts.« Ihre schmalen Augen funkelten Jace streng an.
»Jonathan hat die Wachen getötet«, widersprach er. »Jonathan hat den Spiegel und das Schwert gestohlen und Valentine befreit. Jonathan hat Siobhan manipuliert, wie uns alle, indem er sich als der, ach so charmante Sebastian ausgegeben hat, und er hat Siobhan entführt. Sie ist nicht geflohen. Und ich denke auch nicht, dass Siobhan versucht hat, dich zu töten.«
»Genug!«, brüllte sie, sprang auf und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ab sofort werde ich die Leitung dieses Instituts übernehmen. Alexander Lightwood, du bist somit deiner Funktion enthoben und wirst mit den anderen den Schlamassel, den du zu verantworten hast, wieder geradebiegen. Habe ich mich klar ausgedrückt?« Bei dem letzten Satz sah sie jedem der Anwesenden drohend in die Augen. Die Vier nickten. Was sollten sie auch tun? »Wegtreten!«
Auf dem Weg zur Zentrale sprach keiner ein Wort. Jace rieb sich die schmerzende Faust. Er hatte nicht vor, sie mit Iratze zu heilen.
»Also, was machen wir jetzt?«, fragte Alec und stützte sich mit den Händen auf dem taktischen Kartentisch ab.
»Du konntest das nicht wissen, Alec. Keiner von uns konnte das«, sagte Isabelle. Aber Alecs Miene blieb ungerührt. Sie wusste, dass er sich die Schuld an allem gab. Isabelle machte sich Sorgen um ihren Bruder. Nach allem, was in letzter Zeit passiert war, die Sache mit Magnus, seine Ähnlichkeit zu Magnus Ex Yael, all die Geheimnisse, Lügen, Jonathan und dann noch das Desaster mit Siobhan. Er hätte vielleicht ihre Anwesenheit dem Rat melden müssen, aber wäre es die richtige Entscheidung gewesen?
»Wir hätten mit ihr eine starke Verbündete im Kampf gegen Valentine haben können«, sagte Jace plötzlich. »Aber jetzt, werden wir wohl auch noch gegen sie kämpfen müssen. Das hätte nicht sein müssen. Imogen hatte kein Recht, sie so zu behandeln.«
»Sie ist wie Jonathan. Sie kann ein falsches Spiel gespielt haben, genau wie er«, sagte Izzy.
»Nein«, sagte Clary mit einer Bestimmtheit, die alle überraschte. »Jonathan hat uns all getäuscht, mit seiner Freundlichkeit, seinen weisen Ratschlägen, die Art, wie er sich in unser Vertrauen erschlichen hat, war durch und durch berechnend. Er hat uns nicht den geringsten Anlass gegeben, an seiner Güte und seinem Wohlwollen zu zweifeln. Siobhan hingegen war launisch und wortkarg. Außerdem hat sie sich nicht allzu viel Mühe gegeben, von uns gemocht zu werden. So ist man nicht, wenn man jemanden derart täuschen will, wie Jonathan es getan hat.«
Jace nickte. »Und ich glaube auch nicht, dass sie wusste, wer Sebastian Verlac wirklich ist.«
»Egal«, sagte Alec, stieß sich mit einem Ruck vom Tisch ab und verschränkte die Arme vor dem Körper. »Inzwischen wird sie es wissen. Und das ist ein Problem. Da draußen laufen jetzt zwei Schattenjäger mit Dämonenblut herum, die wer weiß was für Fähigkeiten besitzen und sie jonglieren – zusammen mit Valentine – mit den mächtigsten Artefakten unserer Welt herum.«
»Ja«, stimmte Isabelle ihrem Bruder zu. »Die beiden haben eine starke Verbindung. Das war nicht zu übersehen. Und nach allem, was passiert ist, wird Siobhan nicht gerade für uns jubeln.«
Alec nickte.
Jaces Unterkiefer schob sich unaufhörlich hin und her. Er presste seine Finger auf die schmerzenden Knöchel der verletzten Hand und sah Alec an. »Du hast absolut keine Vorstellung davon, wie es sich anfühlt, wenn jeder, den du je geliebt hast, dich entweder betrügt oder stirbt.«
Clary, Isabelle und selbst Alec starrten Jace erstaunt an.
Der strich sich mit einem lauten Seufzen die Haare von der Stirn und fügte hinzu: »Ich hätte auf sie aufpassen müssen. Es war meine Schuld. Irgendwie hatte ich bei Sebastian schon seit einer Weile so ein komisches Gefühl, aber ich habe nicht reagiert. So etwas wird mir nicht noch einmal passieren.«
Isabelle seufzte. »Wie auch immer. Wir müssen jetzt erst mal herausfinden, wo wir stehen. Wir wissen, dass Yael den Kelch hat und – dank Magnus – auch, was er damit vorhat. Wir wissen ebenso, dass Valentine und Jonathan die anderen beiden Insignien besitzen und es ist klar, was sie damit vorhaben. Das Gute daran ist, einer von beiden wird sich für uns um den anderen kümmern und vielleicht sollten wir uns bis dahin einfach zurückhalten. An zwei Fronten zu kämpfen, ist riskant. Sollte Yael gewinnen, benötigt er Siobhan, um Raziel zu rufen. Sollte Valentine gewinnen, braucht er sie zwar nicht, aber ich bin mir sicher, dass sie trotzdem da sein wird, wo Jonathan ist. So oder so, alle Wege zu den Insignien führen über … «
»Siobhan«, ergänzte Clary den Satz.
»Das heißt, finden wir sie, finden wir auch die Insignien«, sagte Jace nachdenklich. »Wir müssen also nur noch zur richtigen Zeit, am richtigen Ort sein.«
»Selbst, wenn wir etwas von ihr finden, womit wir sie orten können, werden beide – Yael, genau wie Valentine – dafür gesorgt haben, dass sie nicht zu orten ist.«
»Das können sie jedoch nicht rund um die Uhr aufrecht halten«, mischte sich plötzlich eine Stimme hinter ihnen ein.
Alecs Blick verfinsterte sich sofort, als er Magnus sah.
Magnus hob entschuldigend die Brauen, kam nur zaghaft näher und erklärte: »Die Inquisitorin geht davon aus, dass der oberste Hexenmeister von Brooklyn nicht ganz unnütz bei dieser Jagd sei.«
Alec wollte gerade widersprechen, doch Jace legte sanft seine Hand auf Alecs Arm und sah Magnus erleichtert an. »Das ist die erste weise Entscheidung, die Imogen heute getroffen hat. Also, wie können wir sie finden?«
»Ihr habt etwas, womit man sie aufspüren kann«, sagte Magnus und ließ eine bedeutungsvolle Pause.
»Und?« Jace war nicht für seine Geduld bekannt.
»Raphael.«