Auf der Flucht:
Eve klammerte sich an Milos Hand und ließ sich halb von ihrem Freund ziehen, während sie rannten.
Zum Glück waren die fünf Begleiterinnen von Samstag geistesgegenwärtig genug gewesen, um ihre Taschenlampen mitzunehmen und einzuschalten. Jetzt tanzten die Lichtfinger vor ihnen über den Boden, schnitten durch die Dunkelheit und bahnten ihnen den Weg fort von den Zimmern und hinein in die Nacht.
Nach dem ersten Schreck, in dem sie blindlings losgelaufen waren, hatte Samstag die Führung übernommen. Sie nahmen den Weg zurück die Straße hinauf, die sie her gekommen waren. Hinter ihnen fiel die Tür von Lucas Zimmer mit einem Knall ins Schloss, doch von einem Verfloger war nichts zu hören. Etwa auf halber Strecke den sanften Hügel hinauf hielten sie inne. Liam stützte keuchend die Hände auf die Knie. Eve sah sich um: "Ist er weg?"
Sie ging automatisch davon aus, dass der Angreifer ein Mann gewesen war.
Samstag leuchtete mit der Taschenlampe zum Motel zurück. Sechs Lichtfinger strichen über den Parkplatz und durchdrangen den Nieselregen kaum. Dann fuhren die Jugendlichen zusammen, als sie einen Schatten über den Platz laufen sahen.
"Lauft!", rief Eve und stürzte los, Von den anderen zögerte Niemand und sie flüchteten die Straße weiter hinauf. Als sie die Kreuzung erreichten, an der die Hauptstraße ansetzte, lief Samstag jedoch nicht weiter.
"Lichter aus", sagte der junge Mann und zog sie von der Straße: "Los, in den Graben."
"Was?", fragte Amy: "Wir müssen hier weg!"
Inzwischen waren alle Lampen erloschen, deswegen konnte Eve nur erahnen, wie Sam den Kopf schüttelte: "Wir wären auf jede Entfernung gut zu sehen. Vertraut mir, das hier ist sicherer."
Schweigend kletterten sie in den Graben hinter den Leitplanken. Etwas huschte über Eves Hand, als sie sich abstützte, und ihre Schuhe landeten in einem schlammigen Rinnsal Wasser, zu wenig, um ein Bach zu sein, aber tief genug, dass ihre Socken bald durchnässt waren.
Die Elf kauerten sich auf den Grund des Grabens. Eve hörte die Anderen atmen und spürte dankbar Milos Hand, der sie nicht losgelassen hatte. Sonst hätte sie sicher Panik bekommen.
Sie warteten lange. Evelyns Beine wurden taub. Irgendwann war sie sich ziemlich sicher, dass der Verfolger aufgegeben hatte. Trotzdem rührte sich keiner, während es immer kälter wurde.
Dann hörte sie Schritte, die auf dem Kies am Seitenstreifen erklangen. Sie riss die Augen auf und atmete flach durch den Mund. Im Sternenlicht konnte sie einen dunklen Umriss auf der Straße erkennen, der langsam dem Weg folgte.
So kalt und ungemütlich ihr Versteck auch war, plötzlich kam es ihr vor wie ein Präsentierteller. War es wirklich möglich, dass Jemand die Zwölf übersah, die sich hier versteckten?
Unvermittelt stand Jemand aus der Gruppe auf und ging auf die Straße. Evelyn schloss entsetzt die Augen. Sie waren verraten!
Dann allerdings hörte sie Samiras Stimme: "Dimitri?"
"Ah, Sam", kam es von der Straße. Eve sah zu Milo, aber sie konnte kaum sein Gesicht erkennen. Wie hatte Samira Dimitri auf die Entfernung erkannt?
"Was tust du hier?", fragte Samira, während die Jugendlichen zögerten, ihr Versteck zu verlassen.
"Dieser Norman hat mit mir gesprochen. Meinte, er hätte euch fortlaufen sehen", erklärte Dimitri: "Ich habe euch gesucht. Die Kinder sind doch bei dir, oder?"
"Wir sind keine Kinder!", rief eines der Mädchen, vielleicht Tee-jo, und sprang auf. Jetzt verließen auch die Restlichen ihre Deckung. Milo half Eve galant den Hang hinauf.
Es war tatsächlich Dimitri, der sie erwartete.
"Hast du jemanden gesehen, der vor dem Hotel herumgeschlichen ist?", fragte Samstag den Russen.
"Nein. Ich hab einen Nachtspaziergang gemacht. Das Einzige, was ich gehört habe, war ein Klirren."
"Das war das Fenster!", rief Luca aufgeregt: "Jemand hat unser Fenster eingeschlagen."
"Der Besitzer hat sich das schon angeguckt", sagte Dimitri: "Es war ein Ast, der ungünstig gefallen ist."
Die Jugendlichen tauschten Blicke. Sie hatten doch eindeutig einen Arm gesehen. Oder - war das am Ende nur eine Täuschung gewesen?
"Jedenfalls sollten wir zurück", meinte Samira: "Hier draußen holt sich noch Jemand den Tod."
Eve zögerte. Milo blicke zu Amy und Luca, die mit den Schultern zuckten und Samstag ansahen.
Der entschied schließlich: "Gehen wir."
Auf dem Rückweg hielten die fünf Frauen die Augen offen. Eve starrte ebenfalls in die Dunkelheit, doch es tauchten keine Schatten und keine Gestalten mehr auf. Inzwischen war sie wirklich müde und fror dadurch noch mehr. Der Besitzer kam ihnen entgegen, als die müde Gruppe zurück zu den Zimmern humpelte.
Eve hörte dem Wortschwall kaum zu. Offenbar hatte wirklich ein Ast das Fenster eingeschlagen und Luca musste für die Nacht umziehen. Sie standen neben der offenen Tür zu dem beschädigten Zimmer und es lagen tatsächlich nur Blätter in dem Rahmen. Vielleicht hatte es in der Dunkelheit nach einer Hand ausgesehen. Es war still auf dem Parkplatz und Eve entspannte sich völlig, als Milo Luca sein Zimmer anbot und stattdessen zu ihr zog. Als sie endlich nebeneinander im Bett lagen - noch vollständig angezogen, weil sie kaum einen Muskeln mehr rühren konnten, ging bereits die Sonne auf. Eve kuschelte sich an Milo, legte den Kopf auf seine Brust und schlief fast auf der Stelle ein, erleichtert, dass offenbar wirklich nichts gewesen war.