"Aber das ist ja ..." David setzte sich auf, nahm das kleine Ding zwischen zwei Finger, drehte es im Licht und begutachtete es mit geschultem Blick. "Wo hast du denn dieses Nugget her?"
"Das habe ich vor Jahren in einem Zufluss des Colorado River gefunden."
"Du hast in Amerika nach Gold gesucht?"
"Nein. Ich habe überhaupt nicht gesucht. Ich habe einfach nur dort gesessen, mit den Füßen im Wasser und da war ein Glitzern. Nur kurz. Dann war es wieder weg."
Gespannt schaute David zu ihm auf.
"Ich war mir ganz sicher, ich habe etwas Besonderes gesehen. Für mich", lächelte der Mann fast entschuldigend. Dass es für einen Goldschmied nicht unbedingt außergewöhnlich war, genau dieses Edelmetall in der Hand zu halten, war natürlich klar. "Etwas so Seltenes eben, dass jede Mühe sich lohnen würde. Also habe ich von der Stelle mit beiden Händen Sand ans Ufer geschaufelt. Wie lange ich gebraucht habe, weiß ich nicht mehr genau. Aber ich habe mich nicht geirrt. Unter Millionen von gewöhnlichen, uninteressanten Sand- und Kieselsteinchen um mich herum, habe ich dieses eine wertvolle Nugget gefunden."
"Wow!", entfuhr es dem Goldschmied lachend, "wie kann einer nur so ein irres Glück haben?!"
Noah zog ihn in seine Arme und küsste ihn innig. "Glaub mir, das frage ich mich seitdem jeden Tag", sagte er ernst. "Bis bald."
Dann stand er auf und war viel zu schnell weg. David ließ sich in sein Kissen fallen, das Klümpchen reinen Goldes noch immer dicht vor Augen. Unglaublich, diese Geschichte. Nur wegen einem kurzen Glitzern, das Noah gemeint hatte, gesehen zu haben! Der junge Mann lächelte immer noch. Mit jeder Sekunde die er brauchte um zu verstehen, ließ er die Hand weiter sinken. Fest schlossen seine Finger sich um dieses Körnchen. Das eine unter Millionen.
Nugget.
Als Noah seine Wohnung betrat, staunte er nicht schlecht. Emma hatte sich bereits im Homeoffice häuslich eingerichtet, mehrere Arbeitskollegen kreuzten beschäftigt seinen Weg und Nevena, die Teamassistentin, informierte ihn knapp über den Beginn eines Online Meetings in vier Minuten. War heute überhaupt einer in der Firma?
Jemand drückte ihm eine große Tasse Kaffee in die Hand.
"Danke, dass ihr hier seid", begrüßte Noah alle, die ihn erwartungsvoll anschauten. Reale Personen und einige, wie Julian, die auf dem Bildschirm zugeschaltet waren. "Da die meisten von euch mit Emma schon in ... einer ähnlichen Angelegenheit zusammengearbeitet haben, gehe ich davon aus, ihr seid über den Grund dieses Zusammentreffens informiert."
Seine Zuhörer antworteten still, mit Nicken oder Daumen hoch. Wenn es um Informatiker ging, war das sicher das Maximum an diszipliniertem Verhalten.
"Für diejenigen von euch, die ein bisschen ihrer Zeit übrig haben, will ich kurz erklären worum ich euch heute bitte, beziehungsweise wie ich mir das vorstelle.
Wir bilden zwei Teams. Team A hat die Aufgabe, herauszufinden wo Max ist. Wer er ist und wie wir an ihn rankommen. Mehr als diesen Namen und eine uralte Adresse haben wir nicht. Bitte denkt daran, dass Max eine Abkürzung oder sogar ein Spitzname sein kann. Maximilian, Maxime, Maxwell, sogar Markus kommt in Frage. Die Leitung hat Emma.
Team B", Der Mann sah kurz zu seiner besten Freundin, die ihn ermutigend und auch ein bisschen stolz anlächelte. "Team B beschafft alle nötigen Informationen, die wir brauchen um David nach Hause zu holen. Ich will wissen wie das läuft, wer helfen kann, was ich in die Wege leiten muss. David soll alles haben, was ihn glücklich macht. Wichtig in diesem Zusammenhang, wir müssen Herbert auftreiben. Die Leitung hat Nevena."
"Was, ich?!", schreckte die Assistentin hoch.
"Ja, Liebes." Noah legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Für diese Angelegenheit brauchte es Gefühl. "Niemand ist besser im Organisieren, als du.
Wir sind unter enormem Zeitdruck", fuhr er fort. "Trotzdem will ich, dass eines klar ist: Wir ziehen keine krummen Dinger ab", schmunzelte er ein wenig. "Ebenso können wir es uns nicht leisten, uns mit langwierigen Diskussionen oder Streitereien aufzuhalten. Alle Infos laufen daher bei Emma, Nevi und schließlich mir zusammen. Notwendige Entscheidungen werden ebenfalls von den Teamleads getroffen und Anweisungen nicht in Frage gestellt. Wer unter diesen Bedingungen nicht arbeiten will, den bitte ich jetzt auszusteigen, danke fürs Zuhören und verabschiede mich."
Es passierte ... Nichts. Alle Anwesenden blieben sitzen, die Bildschirme an. Dann meinte aber einer, das Vorhaben bräuchte einen Namen. So James Bond mäßig. Und entschied, "Operation Max" wäre passend. Team B war dagegen und bestand auf "Operation Herbert".
So viel zur Disziplin.
Die heftig geführte Debatte wurde von Julian gestoppt. Er schlug stellvertretend für alles was zu suchen war, "Operation findet Nemo" vor. Was zum Glück, und weil Noah anzusehen war, dass er im Moment kein bisschen Spaß verstand, einstimmig angenommen wurde.
Am Nachmittag kam Emmas Oma vorbei und holte Luisa zu einem ausgedehnten Spaziergang ab. Da hatte Team B schon ganze Arbeit geleistet. Sie hatten über Annelieses Hausverwaltung die Nummer des Pflegeheimes bekommen, in dem sie anschließend gelebt hatte. Eine sehr nette Mitarbeiterin hatte die Adresse jener Nichte herausgesucht, die die alte Dame schließlich zu sich genommen hatte. Vor Noah lag ihre Telefonnummer.
Wie er erfahren musste, war Anneliese vor etwa vier Wochen verstorben. Aber Herbert war noch da.
Noah erklärte ohne langes Herumreden den Grund seines Anrufes. Er erzählte, wie viel David die Katze bedeutet hatte, wie gerne er sie bei sich gehabt hatte und fragte gerade heraus, ob es möglich wäre, sie zurück zu bekommen. Und sei es auch nur für kurze Zeit.
Die Frau wirkte selbst am Telefon recht geschockt. Ihre Tante hatte wohl oft von dem netten Nachbarn gesprochen. Sie hatte immer gelacht, wenn Herbert über dem Trockenfutter das Näschen gerümpft hatte und gemeint, der junge Mann habe sie wohl zu sehr verwöhnt. Kurz dachte die Frau am anderen Ende der Leitung nach. Herbert wäre nicht ganz glücklich mit der Situation, meinte sie langsam. Zwar herrsche zwischen der Katze und dem Dackel der Familie in den letzten Wochen eine Art Waffenstillstand, aber der Sache wäre nicht wirklich zu trauen. Dennoch hätten sie Herbert auf jeden Fall behalten wollen, zumal es Annelieses größte Angst gewesen war, der kleine Stubentiger könnte im Tierheim landen. Aber das wäre ja nicht so und angesichts der traurigen Umstände ... Und wenn man David damit eine große Freude bereiten könnte ... Nicht leichtfertig, aber dennoch entschlossen, stimmte die Frau zu, Noah das Tier zu überlassen.
In der Wohnung gingen unzählige Leute aus und ein, Noah hatte den Überblick längst verloren. Er hatte andere Sorgen. Die Suche nach Davids Vater führte von einer Sackgasse in die nächste. Es war zum Verzweifeln. Welchen Ansatz sie auch verfolgten, nichts schien in die richtige Richtung zu führen.
Das Klingeln seines Handys ließ Noah kurz innehalten und schließlich in der Küche verschwinden.
"Hey, Tiger", begrüßte Julian ihn. "Du siehst total fertig aus."
"Das bin ich. Du ahnst nicht, wie sehr."
"Ich weiß nicht, wie ich dich trösten soll", seufzte sein Exfreund traurig.
"Hol mal deine Mama", versuchte Noah zu scherzen. "Sie hat bestimmt ein aufmunterndes Zitat für mich."
"Leider ist sie gerade nicht da. Aber warte mal." Man hörte es rascheln. "Der Zufall geht Wege, da kommt die Absicht gar nicht hin."
"Ähm ..."
"Kalenderspruch des Tages. Hilft dir das weiter? Na ja. Ist vielleicht noch zu früh, was zu sagen!"
"Ach, Kätzchen ..." Das klang so unendlich traurig.
"Ich habe dich schon mal gefragt, ob du aufgeben willst. Erinnerst du dich?"
"Ja."
"Und auch daran, was du mir geantwortet hast?"
"Ja." Ein Grinsen huschte über Noahs Gesicht, als er daran dachte. Er hatte ihm damals gesagt, er würde David heiraten.
"Ich auch. Vergiss es nicht." Einen Moment war es still zwischen ihnen. "Noah? Wir finden was. Irgendwas! Du darfst nicht aufgeben."
"Werde ich nicht."
"Das wollte ich hören!"
"Das Wort kommt in meinem Repertoire gar nicht mehr vor."
Julians Lachen tat gut.
"Julian ..."
"Ich weiß. Ich hab dich auch lieb. Und jetzt arbeite gefälligst weiter."
"Sklaventreiber!"
Emmas Oma kam eben mit ihrer Urenkelin zurück. Das Kind quengelte, weil es Hunger hatte. Seine Mama verschwand mit ihm im Gästezimmer.
"Na, Junge?", fragte Henriette. "Wie kommt ihr voran?" Ein gequältes Lächeln seinerseits war nicht das, was sie sich erhofft hatte.
Dennoch freudig, stellte sie Noah den Mann in ihrer Begleitung vor. Ein alter Bekannter, den sie vorhin zufällig in der Stadt getroffen hatte. Offenbar hatten die beiden sich vor Jahren in den USA kennengelernt. "Bernhard ist Elvis-Imitator", erklärte die alte Dame. Und zwar einer der besten weltweit!"
"Ich habe natürlich auch einen soliden Zweitberuf", schmunzelte der etwa Fünfzigjährige mit einem Augenzwinkern.
"Was machen Sie", fragte Noah aus reiner Höflichkeit. Er war mit den Gedanken ganz woanders.
"Ich bin Standesbeamter, wenn ich nicht gerade auf der Bühne stehe."
"Aha. Warten Sie mal. Was?!"
"Ja, die Leute finden das immer spannend", nickte der Mann wenig überrascht. "Are you lonesome tonight, do you miss me to..."
Verflucht. Das klang täuschend echt! War aber nicht das, was Noahs Aufmerksamkeit gefesselt hatte.
"Sie sind Standesbeamter?!"
Schon seit einigen Minuten saß Emma neben ihrer Großmutter auf der Couch. Die beiden hatten von da einen guten Blick in die Küche, in der sich Noah offenbar angeregt mit Henriettes Bekanntem unterhielt. Immer wieder lächelte dieser auffällig unauffällig in ihre Richtung.
"Oma?"
"Ja, mein Schatz?"
Emma überlegte noch, wie sie es ausdrücken sollte. Einer der Kollegen ihres Freundes stürmte aus dem Homeoffice und winkte ihr hektisch.
"Der Elvis und du ..."
"Hast du noch nie 'Hangover' gesehen, meine Kleine?", grinste die Ältere verschwörerisch. "Was in Las Vegas passiert, das bleibt auch in Las Vegas! Und jetzt los. Du wirst gebraucht!"