*~*~*
Der Schwur
*~*~*
Der Schlag traf den Jungen völlig unvorbereitet. Mit einem schmatzenden Geräusch landete er im Matsch.
"Hey! Das war unfair", protestierte er, aber sein Gegenüber lachte nur.
"Unfair gibt es nicht. Nur gewinnen oder verlieren. Leben oder sterben."
Der Junge ergriff die dargebotene Hand und rieb sich mit der anderen sein schmerzendes Hinterteil.
"Gibst du schon auf oder kämpfen wir noch eine Runde?"
Als Antwort nahm der Junge die Ausgangsstellung ein. Leicht gespreizte Beine, den rechten Fuß vorangestellt, die Spitze des stumpfen Übungsschwert zu Boden gerichtet. "Niemals werd ich aufgeben", kündigte er an. "Hörst du! Bis ich auch dich besiegt habe!"
"So ist es recht, Valerian. Mir gefällt deine Einstellung." Kaum war das letzte Wort verklungen, holte sein Schwertmeister bereits zum Angriff aus. Diesen konnte er mühelos abwehren. Die hölzerne Klinge krachte gegen die Parierstange des Älteren. Mit enormer Kraftanstrengung stieß er dessen Waffe zur Seite, dieses Mal wohl darauf achtend, keinen Tritt oder Faustschlag der anderen Hand zu übersehen.
"Wir kämpfen nicht nur mit der Waffe, sondern mit allen Mitteln, denke stets daran", pflegte der erfahrene Waffenmeister beinahe täglich zu sagen. Dass seine Methode erfolgreich war, davon zeugten unzählige überstandene Schlachten und einige wüste Narben auf seinem Körper.
"Wer edel kämpft, stirbt edel und was kannst du dir davon kaufen?", lautete ein anderer Spruch den Sigurd stets zum Besten gab.
Aber nicht nur Weisheiten auch Kampftechniken wusste er zu vermitteln.
Valerian duckte sich unter seinem eigenen Körper hinweg, ehe Sigurd die Gelegenheit bekam, den Schwung des Angriffs für einen Gegenschlag auszuschöpfen. Valerian war flink und wendig, kaum eine seiner Bewegungen war leicht vorherzusehen. Auch diese nicht. Urplötzlich hatte er sein Schwert befreit, noch ehe sein Übungspartner reagieren und den Schwertarm hochreißen konnte.
Valerian machte den selben Fehler kein zweites Mal. Der Blick seines Schwertmeisters war auf seine Waffe gerichtet, in Erwartung eines weiteren Angriffs. Er sah den Tritt in die ungedeckte Seite nicht kommen. Die Wucht war nicht stark genug, um ihn umzustoßen, aber unwillkürlich fasste er sich an die getroffene Stelle. Ein Keuchen entwich seiner Kehle. Der nächste Schlag erfasste die Hand, die den Griff umklammerte. Sigurd fluchte, als ihm das hölzerene Schwert entglitt und auf dem Boden zu liegen kam. Eilig stellte Valerian seinen Fuß darauf und legte seine Schwertspitze auf die freie Brust des Älteren.
Jemand applaudierte im Hintergrund, aber Valerian machte nicht den Fehler, sich umzudrehen und sich den Sieg im letzten Moment stehlen zu lassen. Mit entschlossenem Blick starrte er seinen Waffenmeister an.
"Gibst du auf?", fragte er immer noch lauernd. Selbst jetzt noch erwartete er Gegenwehr. "Wir geben niemals auf", lautete ein weiterer von Sigurds Wahlsprüchen. Aber der lachte nur, sich noch immer die Seite reibend und die Schwerthand schüttelnd. Sein Blick war nicht auf Valerian gerichtet, sondern fixierte etwas in dessen Rücken.
"Ich gebe auf. Für heute haben wir beide genug eingesteckt. Du hast gewonnen."
Dieses Eingeständnis ließ den jungen Recken in lautes Triumphgeheul ausbrechen.
Erst ein langes und schallendes Lachen vom Rand des Übungsplatzes hieß ihn innehalten. Langsam drehte er sich um, während seine Miene versteinerte.
"Vater?", hauchte er beinahe tonlos.
Dieser setzte sich in Bewegung. Humpelnd und auf einen Stock gestützt.
"Du bist groß geworden, mein Junge."
Noch immer lag Unglaube auf Valerians Gesicht. "Vater", stammelte er.
Dieser lachte. "Ich bin wieder zurück. Es hat zwar ein paar Jahre gedauert, aber glaube nicht, dass ich meinen Schwur vergessen hätte." Er grinste.
"Ich schwor dir, dass ich zurück sein würde, um dem ersten Kampf beizuwohnen, den du siegreich gegen Sigurd führst. Wie es scheint, bin ich gerade rechtzeitig eingetroffen."
Eine bandagierte Hand legte sich voller Stolz auf die Schulter des Sohnes. Er musste sich nicht mehr dazu bücken.
Viele Jahre hatte der Vater seine Truppen im Grenzgebiet befehligt. Wie es aussah, würde er bald einen würdigen Nachfolger haben.
"Und ich habe dir geschworen, jeden Tag fleißig zu üben", flüsterte der Junge.
"Hiermit habt ihr beide euren Schwur gehalten", stellte der alte Waffenmeister fest. "Denn was man schwört, sollte man besser halten. Wozu sonst sollten Schwüre gut sein?"
Das ausgelassene Gelächter der drei schallte noch lange über den Burghof.