*~*
Lodernde Flammen
*~*
Zwei Dinge sind mir von dieser Nacht in Erinnerung geblieben.
Dunkelheit und Licht.
Zuerst war da Dunkelheit. Allumfassende Schwärze.
So wie es in einer mondlosen Sommernacht sein sollte.
Wir alle waren müde gewesen nach einem langen Arbeitstag in der Mühle. Falls ich aufgewacht wäre, ich hätte meinen Bruder nebenan schnarchen hören können oder eben auch nicht.
Er war es schließlich, der wach wurde. Nur diesem Umstand verdanke ich mein Leben.
Er war es, der nicht einfach die steilen Stufen hinunterstieg und sich in Sicherheit brachte. Er rettete mich.
Erst als er mich hochriss, bemerkte ich, dass etwas nicht stimme. Ganz und gar nicht stimmte. Da war ein Knistern und Knacken, das weit über das übliche Knistern und Knacken im Gebälk unter dem Dach hinausging. Parrik schrie mir irgendetwas entgegen, aber ich realisierte kaum, was er sagte, nur langsam dämmerten die Worte in mein Bewusstsein. Ich realisierte den Sinn dahinter fast gleichzeitig mit dem Geruch nach verbranntem Holz und Rauch. Feuer. Die Mühle brannte. Dann war oben unten. Nichts mehr war wie es sein sollte. Mein Bruder hatte mich einfach gepackt, aus dem Bett gerissen und die Stiegen hinunter geschleppt. Die Zeit drängte. Mir blieb keine Sekunde, um mich zu sammeln oder zu verstehen, was gerade passierte. Innerhalb von Sekunden kämpften wir um unser nacktes Überleben.
Um uns herum züngelten die Flammen. Fraßen sich tief hinein in alles, was mir vertraut und lieb war. Ich spürte, wie mein Bruder zögerte. Sich zu den Räumen im zweiten Stock umsah, wollte er dort hinein? Die Tür zum Schlafgemach unserer Eltern war geschlossen. Er schrie etwas. Auch die Kammern unserer beiden Brüder waren zu. Überall dicker Rauch, der den Atem nahm, die Sinne benebelte. Lodernde Feuerzungen, die sich unaufhaltsam ausbreiteten. Immer schneller und gieriger.
Die Stiegen hinab waren versperrt. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Ich konnte spüren, wie er seine Entscheidung fällte.
Dann ging alles zu schnell. Es war zu spät. Hinab war die einzige Richtung, die letzte Möglichkeit, die einzige Rettung. Etwas rauschte durch meine Wahrnehmung. Noch immer verdreht und unwirklich. Etwas schlug hart auf. Holz krachte auf Holz. Ein Balken hatte Hitze und Flammen nachgegeben und sich gelöst. Ich fiel von seinen Schultern, polterte die letzten Stufen hinunter, blieb liegen und wurde von Armen umfangen und ins Freie gezogen. Aber davon wurde mir erst später berichtet.
Von dieser Nacht, die mein Leben grundlegend veränderte, sind mir zwei Dinge in Erinnerung geblieben: Die Dunkelheit und die lodernden Flammen.
~*~
Der Text erzählt ein Ereignis aus einer meiner Geschichten aus einer anderen Perspektive. Wer wissen will, wie es mit dem Bruder ausging, kann hier nachlesen:
https://belletristica.com/de/books/20205-waldhafen-narben-der-zeit/chapter/84047-wie-alles-begann