Regentage treiben mich jedes Mal weit zurück in meine Vergangenheit. Der Blick aus dem Fenster genauso trüb, wie der Blick zurück.
Verschleiert, wolkenverhangen.
Längst vergangen sind die Tage der Kindheit, aber dennoch muss ich an solchen Tagen oft an dich denken. An damals.
An früher, als wir zusammen in den Kindergarten gingen. Es sind meine frühesten Erinnerungen und bereits dort hast du deinen Platz.
Ich sehe uns zwischen den flachen Sträuchern auf der Spielwiese stehen, spüre noch den klebrigen Harz der Zweige an meinen Fingern und sein Duft an den Händen. Ewige Freundschaft haben wir uns dort versprochen. Ich habe es nie vergessen. Du vielleicht schon. Ich weiß es nicht. Habe dich nie mehr danach gefragt oder dich daran erinnert. Für mich hat dieses Versprechen gegolten.
Wir sind unseren Weg gemeinsam gegangen, vom Kindergarten nachhause, über Gartenmauern balancierend. Dann gemeinsam durch die Grundschuljahre. Natürlich waren da auch andere Freunde, aber wir zwei waren etwas Besonderes. Dann gingen wir gemeinsam aufs Gymnasium. Ich erinnere mich an so viele Gespräche auf dem Heimweg von der Bushaltestelle.
Jeden Früh stand ich vor deinem Haus und habe auf dich gewartet.
Ich kann meinen Kindern nicht von den Abenteuern meiner Kindheit erzählen, ohne dass du darin einen Platz findest und doch kennen sie dich nicht. Unzählige Picknicks, Radtouren und weißt du noch, wie wir Hämmer, Nägel und Bretter aus dem Bestand unserer Väter entführt und zu unserem Lieblingsplatz am Bach gebracht haben. Aus dem geplanten Baumhaus wurde nicht viel, aber wir hatten unseren Spaß. Wir waren Entdecker, Weltenbauer, Abenteurer. Wir waren jung und frei. Die Welt war in Ordnung.
Campingausflüge, gemeinsames Zeltaufbauen, Entdeckungstouren, Spaziergänge, Freibadbesuche im Sommer. Wenn ich jetzt mit, "weißt du noch" anfange, ist die Chance groß, dass ich nie aufhören werde.
Weißt du noch, damals im Zeltlager... die Jugendfreizeit in der Eifel... unsere Jugendfahrt nach Ungarn... der Schüleraustausch in Paris... unser verregneter Campingtrip am Main? Ich weiß es noch. Aber es sind die kleinen Dinge, die mich an dich erinnern
Es sind die Regentage, die mich immer weit in die Vergangenheit zurücktragen. Damals, als wir die Serien unserer Kindheit gemeinsam schauten oder schweigend nebeneinander lagen und Bücher lasen. Noch immer erinnert mich 'Wolfsjahre' an dich oder die Musik von Craig David.
Dann zog uns das Studium in verschiedene Städte.
Aber unsere Freundschaft war stark. Stand auf festem Grund, so viele geteilte Erinnerungen, so viele durchlebte Abenteuer. Egal wie lange wir uns nach der Schulzeit nicht mehr sahen, diese Vertrautheit war jedes Mal sofort wieder da.
So viele geteilte Erinnerungen. Sie reichen für ein ganzes Leben.
Seit über acht Jahren habe ich dich nicht mehr gesehen, aber noch immer muss ich an dich denken. Freunde für immer, mein Versprechen aus Kindertagen hätte viel länger gelten sollen.
Und noch immer frage ich mich, was ist geschehen.
Was habe ich übersehen?
Warum bist du mir entglitten? Was war es, dass du mir nie sagen konntest?
Dann, eines Tages hast du mir diese Mail geschrieben und ich war sprachlos. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Wie ich dir helfen konnte.
Hätte ich dich drängen sollen, alles zu erzählen? Du kanntest mich gut genug, um zu wissen, dass ich das nie getan hätte.
Noch heute sind da so viele Fragen. Vor allem an trüben Regentagen.
Wie geht es dir? Wo bist du jetzt? Warum hast du dich nie wieder gemeldet? Warum bist du einfach aus meinem Leben verschwunden?
Weißt du eigentlich, wie sehr du mir fehlst? Wie oft ich noch an dich denke?
Denkst du ab und zu an mich?
Noch heute stehe ich an Regentagen ab und zu am Fenster und denke an dich und warte darauf, dass das Telefon klingelt und ich deine Stimme höre.
Aber du hast dich anders entschieden und mir nie gesagt warum.
Ich weiß noch, dass ich dir in meiner letzten Mail vom Tod unseres Katers berichtet habe. Doch du hast nie geantwortet. Die nächste Mail sollte dich nicht mehr erreichen.
Es war Mitte Juni an deinem Geburtstag. Per Telefon warst du nicht zu erreichen. Also schrieb ich dir eine SMS - und dachte mir nichts weiter dabei.
Erst als ich dein Päckchen am nächsten Tag wieder in der Hand hielt, wurde ich stutzig. Ungläubig starrte ich auf den Vermerk. 'Empfänger mit unbekannter Adresse verzogen'
Auch am Telefon nur ein trauriges Piepsen, 'kein Anschluss unter dieser Nummer', eine SMS ins Leere, die Email kurze Zeit später wieder im Postfach. 'Delivery Failure'
Von heute auf morgen warst du lautlos aus meinem Leben verschwunden. Ohne ein Wort des Abschieds. Ohne eine Erklärung.
Und noch immer stehe ich am Fenster, schaue dem prasselnden Regen hinterher und hinauf zum grauen Himmel und denke an dich.
Wo bist du gerade?
Und wie geht es dir?
Ob es dir geholfen hat, den Kontakt abzubrechen und unterzutauchen?
Ich hoffe es. Ich hoffe, dein Leben ist gut.
Geschrieben für meine beste Freundin, der ich diesen Text so gerne zukommen lassen würde. Aber ich weiß nicht wie...
Dank dir weiß ich, was der Begriff Ghosting bedeutet und wie es sich anfühlt.
Und trotzdem bewundere ich dich für den Mut und die Entschlossenheit, das durchzuziehen. Bis heute. Vielleicht für immer? Wer weiß.
Ich hatte nie wieder jemanden wie dich in meinem Leben.