~***~
Sternschnuppen
~***~
Laurentius Blick schweifte hinauf in den Himmel.
Aber auch von dort erhielt er keine Unterstützung. Es waren schwierige Zeiten im römischen Reich. Kaiser Valerian hatte Papst Sixtus, den Bischof von Rom, enthaupten lassen. Die Christenverfolgung hatte erneut einen blutigen Höhepunkt erreicht. Jeder, der nicht bereit war, dem Gott der Christen abzuschwören und sich zu den römischen Göttern zu bekennen, musste mit einem grausamen Tod rechnen.
Laurentius dachte gar nicht daran. Er war Archdiakon der Kirche von Rom und als solcher für die Verwaltung des Kirchenschatzes zuständig. Eine Aufgabe, auf die er sehr stolz war und der er gewissenhaft nachkam. Am meisten freute ihn, die Gelder für soziale Zwecke verwenden zu dürfen. In diesen schwierigen Zeiten war die Not groß. Hunger, Flucht und Krankheiten setzten den Leuten zu. War es da nicht Aufgabe der Kirche helfend einzugreifen? All das zu tun, wovon Jesus der Gekreuzigte gepredigt hatte?
Laurentius Blick senkte sich vom Himmel hernieder auf die römischen Reiter, die auf ihn zugaloppierten und knapp vor ihm ihre Pferde zum Stehen brachten.
"Kirchenmann!", riefen sie und spuckten.
Er wartete in aller Ruhe am Portal der Kirche und entgegnete ihren Blicken mit erhobenem Haupt.
Schließlich war es ein Hauptmann, der zu ihm sprach: "Im Namen unseres Kaisers Valerian ergeht folgendes Urteil: In drei Tagen wirst du vor mir erscheinen, und den gesamten Kirchenschatz aushändigen."
Der hochgewachsene Mann erwartete keine Antwort, und so schwieg Laurentius.
Aber der Hauptmann war noch nicht fertig mit ihm. Er schwang sich von seinem Pferd, erhob die Peitsche und ließ sie auf Laurentius niedersaußen. Der Knall wurde von den Aufschreien der umstehenden Schaulustigen gedämpft, ehe Bewegung in die Beistehenden kam und jeder zusah, möglichst schnell das Weite zu suchen. Auch Laurentius Keuchen ging darin unter.
Der zweite Peitschenhieb zerfetzte sein Gewand und hinterließ eine blutige Spur auf seinem Rücken. Trotzdem blieb Laurentius aufrecht. Erst der fünfte Peitschenhieb zwang ihn auf die Knie. Blut lief in Strömen über seinen Rücken und die Haut hing ihm in Fetzen herab.
"Drei Tage, denk daran. Wir werden uns wiedersehen", mit diesen Worten und einem höhnischen Grinsen ließ der römische Soldat von ihm ab, schwang sich auf sein Ross und trabte in Begleitung seiner Kompanie davon.
Laurentius sackte auf den Stufen seiner Kirche zusammen. Erst allmählich wagten sich einige seiner Schützlinge aus dem Schatten. Kranke und Bettler, die hier für gewöhnlich nach Almosen fragten, eilten auf ihn zu, um ihm aufzuhelfen, seine Wunden zu reinigen und zu verbinden.
Sie hatten gehört, was der Hauptmann gesagt hatte.
Auch Laurentius selbst war bewusst, was dieses Urteil bedeutete.
Er war entschlossener denn je. Mit dem Kirchenschatz würde er genau das tun, wofür er vorgesehen war.
An diesem Tag verteilte der Archdiakon sämtliche Wertgegenstände, goldene Kerzenhalter und Schalen, Goldmünzen und Silbertaler an alle Bedürftigen auf den Straßen. Schnell verbreitete sich die Kunde auf den Gassen und Plätzen und noch schneller war alles ausgeteilt.
"Aber jetzt kannst du den Kirchenschatz nicht mehr dem Hauptmann übergeben", wagte einer der Anwesenden auszusprechen.
Laurentius grinste nur. "Ich werde dem Kaiser den wahren Schatz der Kirche präsentieren."
Am dritten Tag versammelte er sämtliche Bettler, Blinde, Verkrüppelte, Witwen und Waisen um sich, die er finden konnte und marschierte mit ihnen zum Hauptmann. Viele weitere Kranke und Ausgestoßene schlossen sich ihm unterwegs an.
Wie erbost der Hauptmann war, als er nach dem Schatz verlangte und Laurentius auf die Leute zeigte und sagte: "Hier siehst du den wahren Schatz der Kirche", kann man sich vorstellen.
Erneut wurde Laurentius gefoltert und fand schließlich auf einem glühenden Eisenrost seinen Tod.
Einigen Überlieferungen nach soll er dabei noch fröhlich gescherzt und seine letzten Worte an den Kaiser gerichtet haben:
"Du armer Mensch, mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir aber bringt es ewige Pein."
Am 10. August, wenn der jährlich wiederkehrende Meteorstrom der Perseiden über unseren Himmel zieht, gedenken wir seiner.
Die Sternschnuppen, die dabei niedergehen, werden auch als Tränen des Laurentius bezeichnet.
Dieses Jahr werde ich im Garten stehen, meinen Blick zum Himmel erheben und an den mutigen Archdiakon von Rom denken, der bereit war, für seine Überzeugung zu sterben.
Und wenn ich eine Sternschnuppe sehen, werde ich mir auch etwas wünschen.
{https://de.wikipedia.org/wiki/Laurentius_von_Rom}