capítulo 1
mi familia
Ich schätze, dass ich noch einige Details meines Lebens im Dunkeln gelassen habe. Nun gut, wo soll ich anfangen, um Licht in diese Unklarheit zu bringen?
Mein gebürtiger Name ist Luciel Sanchez, doch ich habe mir den Künstlernamen Trevor zugelegt. Einige Jahre habe ich diesen Namen sogar offiziell getragen, doch ich habe festgestellt, dass ich damit eigentlich nur meine Eltern ärgern wollte. Trevor hat nicht nur meinen Eltern Kopfzerbrechen bereitet, auch ich muss sagen, dass ich mit dieser Identität immer nur Ärger hatte.
Als ich 18 war, dachte ich, dass es eine gute Idee ist, sich durch Drogen und Alkohol an seinem Leben zu erfreuen und dass das Leben eine endlose Party ist. Kleiner Spoiler: Das Leben ist keine endlose Party, vor allem nicht, wenn man beinahe an einer Überdosis verreckt. Es hat zwar ungefähr zehn Jahre gedauert, doch sogar ich habe zumindest ein wenig dazu gelernt.
Die Ärzte konnten mich beinahe nicht mehr zurückholen, doch ich habe es geschafft, ich habe überlebt. Ich war 27 als ich im Krankenhaus aufgewacht bin und erfahren habe, dass ich beinahe gestorben wäre. Dieses Erlebnis hat mich geprägt und selbst jetzt, beinahe zehn Jahre nach meiner Überdosis, denke ich noch oft daran zurück.
Genug von dieser dramatischen Nostalgie, kommen wir wieder zurück in die Gegenwart.
Mein Leben ist aktuell leider nicht so einfach, wie man es sich von außen vielleicht vorstellt. Es heißt, man versteht einen Menschen erst, wenn man in seinen Schuhen geht, doch das sehen die Medien wohl anders. Jeder Idiot denkt, dass er sich aus einem Bild oder einem kurzen Video die richtige Meinung über mich und mein Leben zusammenreimen kann. Immer wieder wird ein neuer Skandal gesucht. An jedem Tag, an dem ich nicht mit einem Lächeln durch die Straßen laufe, wird mir ein neuer Drogenskandal oder Eheprobleme nachgesagt. Ich kann es nicht mehr hören.
Doch was hat mich eigentlich so interessant gemacht?
Nun ja, ich will nicht angeben, aber abgesehen davon, dass ich ein mittelmäßiger papá bin, bin ich ein sehr erfolgreicher Musiker. Gut, meine Sternstunde habe ich schon etwas länger hinter mir, doch es war eine eigenständige Entscheidung, meine Karriere aufzugeben.
Bis vor zwei Jahren war ich der Gitarrist der mehrmals mit Platin ausgezeichneten Alternative Rockband Highway 89. Nach drei Alben, unzähligen Konzerten, Touren und auch Preisen habe ich mich dazu entschieden, die Band zu verlassen.
Die Jungs und ich hatten mehrere Diskussionen und klärende Gespräche, als ich das Thema das erste Mal angeschnitten habe. Es hat einige Wochen gedauert, doch wir haben uns einstimmig darauf geeinigt, die Band aufzulösen, sodass jeder von uns einen Neuanfang starten kann. Wir sind ohne Streit auseinander gegangen und Freunde geblieben. Selbstverständlich habe ich zu all meinen ehemaligen Bandkollegen noch Kontakt, zwar nicht so regelmäßig wie früher, aber wir schreiben uns und telefonieren öfter miteinander, um die anderen auf dem Laufenden zu halten.
Unser Sänger Jayson hat schnell eine neue Band zusammen getrommelt, er hat sofort wieder einen Vertrag bei unserem alten Label DRS Records bekommen. Der Neustart war zwar nicht ganz einfach für ihn, doch trotzdem hat er nach wie vor großen musikalischen Erfolg. Soweit ich weiß arbeitet er aktuell an einem neuen Album für seine Band 1000 Years From Now. Dem Musikstil von Highway 89 ist er treu geblieben, die meisten unserer Fans feiern sein letztes Album, auch wenn ihnen die bekannten Gesichter der restlichen Band fehlen.
Ebenso wie mein Privatleben sorgt auch seines hin und wieder für Schlagzeilen. Aktuell lebt er in Scheidung, seine Ehe mit der Sängerin Jenny der Punkrockband Blue Strawberries hat leider nur ungefähr ein Jahr gehalten. Glücklicherweise sparen sich die beiden eine schmutzige Schlammschlacht, die Trennung wird einvernehmlich geschehen, sobald alle Formalitäten geklärt sind.
Auch der Gitarrist Max hat schnell wieder Fuß im Musikgeschäft gefasst, er hat ebenfalls wieder einen Vertrag bei DRS Records unterschrieben. Max ist aktuell mit seinem zweiten Soloalbum auf Tour. Seine Musik einzuordnen ist nicht ganz einfach, da er einige verschiedene Genres streift. Ich würde es trotzdem wieder unter Alternative Rock unterbringen, denn ganz verlässt er die Rockschiene nie. Seine Hits sind allerdings nicht aus Max’ eigener Feder, all die lyrischen Ergüsse stammen von seinem talentierten Mann, meinem kleinen Zuckerstück, Sebastian. Das Traumpaar hat vor drei Jahren geheiratet, außerdem haben sie zwei ausgesprochen hübsche Zwillinge mit den Namen Aiden Morning Sun und Damian Midnight Moon adoptiert. Ich verstehe nach wie vor nicht, was die beiden sich bei diesen Namen gedacht haben. Das muss wohl so ein ‚Promikinder-Phänomen‘ sein. Ich bin mir allerdings fast sicher, dass ‚Morning Sun‘ und ‚Midnight Moon‘ Sebastians Ideen waren. Immerhin war er immer schon eine einzigartige Schneeflocke. Dass Sebastian ein wenig exzentrisch ist, zeigt er auch in der Reality Show, die Max und Sebastians Leben für alle Fans zugänglich machen. Genau habe ich die Sendung nicht verfolgt, aber Calum hat jede Folge der zwei Staffeln von ‚Couple Goals‘ und der darauffolgenden ersten Staffel von ‚Family Goals‘ verfolgt. Ich persönlich kann es mir nicht antun, Max’ verdammtes Gesicht und sein Sixpack ständig auf einem Bildschirm zu sehen. So sehr ich Max auch mag, aber irgendwann hat man dieses strahlende Lächeln und sein ständiges Geplappere einfach satt.
Unseren Schlagzeuger Dave hat das Karriere-Aus nicht besonders hart getroffen. Schon bei den Gesprächen war er sehr neutral und beinahe schon gleichgültig, was die Trennung der Band angeht.
Nach der Auflösung der Band hat Dave die Gelegenheit und seinen Bekanntheitsgrad genutzt, um sich seinen Jugendtraum zu erfüllen. Wir alle haben im Laufe unserer Karriere Kontakte in verschiedenste Branchen geknüpft und Dave hat eben diese Kontakte genutzt, um Designer zu werden. Er ist an seinem Ziel angekommen, vor kurzem hat er seine erste Mode Collection präsentiert. Zusätzlich zu seiner Designerlinie, denkt er auch an die Menschen mit weniger Geld, die sich trotzdem hübsch kleiden wollen. Viele seiner Designerstücke gibt es auch in einer kostengünstigeren Version zu kaufen, bei der angeblich nicht an der Qualität, sondern nur an der Werbung gespart wird. Ich persönlich habe mich nicht weiter damit auseinander gesetzt, aber ich schätze Daves Aufwand für die Allgemeinheit und seine Mitmenschen sehr. Der Großteil seiner Einnahmen kommt verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen zu Gute, unter anderem arbeitet er eng mit Sebastians Dad, unserem ehemaligen Produzenten zusammen. Dave spendet außerdem regelmäßig Kleidung mit kleineren ‚Produktionsfehlern‘, um auch mittellosen Menschen zu helfen.
Der einzige, der zurück in ein normales Leben wollte, ist unser Bassist Joey. Er hat den Bass an den Nagel gehängt und auch die Öffentlichkeit hinter sich gelassen. Schon auf der letzten Tour war er öfter mit seinem Leben unzufrieden, er hat viel und oft getrunken, doch seit er sich aus der Öffentlichkeit zurück gezogen hat, geht es ihm besser, viel besser. Er war der erste, der sich meinem Ausstieg sofort angeschlossen hat. Ich erinnere mich noch genau an seinen Blick, als ich ihn in meinen Plan vom Ausstieg eingeweiht habe. Er hat mich angesehen, als hätte er ewig darauf gewartet, dass ihm jemand hilft, diesen Teil seines Lebens hinter sich zu lassen.
Joey widmet sich seit der Trennung unserer Band wieder intensiv seinen anderen Hobbys. Er ist zurück zu seinen Let’s Plays und seinen Videos, in denen er verschiedene Süßspeisen zubereitet. Er erzählt mir immer öfter, dass ihm die Klicks egal sind, er ist nur noch froh, vom Alkohol und der übermäßigen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit abgekommen zu sein. Hin und wieder besucht er auch einen Therapeuten, um all die Dinge, die uns in den vergangenen Jahren widerfahren sind, aufzuarbeiten. Joey schlägt sich gut und ich bin sicher, dass er sein Glück in der Banalität eines einfachen Lebens gefunden hat. Ich bin stolz auf meinen kleinen Kumpel.
Nun fehlt noch der letzte in der Runde.
Was ist mit meinem Leben?
Nun ja, ich habe ein hübsches, um einige Jahre jüngeres Männermodel geheiratet, viel Scheiße gebaut und meine Ehe mehr als nur einmal gefährdet, doch…
Calum kuschelt sich im Schlaf an mich, er bettet seinen Kopf an meiner nackten Brust. Ich ziehe die Decke über seinen Rücken und seine Schultern, sodass ihm nicht kalt wird. Vorsichtig gräbt meine Hand sich unter die Decke. Zufrieden streichle ich über Calums Haut. Seine bloße Anwesenheit treibt mir ein Lächeln ins Gesicht.
…auch wenn ich oft über die Stränge geschlagen habe, hält mein Mann immer noch zu mir. Wir haben in den letzten neun Jahren viel miteinander durchgemacht.
Calum und ich haben uns kennengelernt, als ich gerade meinen ersten Entzug hinter mir hatte und mein Leben neu ordnen wollte. Nach meiner Überdosis haben meine Eltern mich dazu gezwungen, mein Ego hinten anzustellen und ihre Hilfe anzunehmen. In einem schwachen Moment haben mich aus meinem Umfeld in Zuzu City gerissen und mich in der winzigen Stadt Pelican Town abgesetzt, damit ich Ruhe finde und den Versuchungen aus dem Weg gehen kann. Ich sollte zurück auf den rechten Weg finden, mich mit der Natur verbinden und meine Drogensucht hinter mir lassen.
Sie hatten damals Recht. Solange ich aus Zuzu City weg war, hat es funktioniert. Es war ein harter, steiniger Weg und ich habe mich oft verwirrt im Kreis gedreht, aber es hat funktioniert.
Nachdem ich Calum durch einen Zufall kennengelernt habe, bin ich recht schnell zu ihm in die Stadt gezogen, um dem langweiligen Alltag Pelican Towns wieder entfliehen zu können. Der Anfang unserer Beziehung war ziemlich… nun ja, es… es war kompliziert. Wir hatten Sex, noch bevor wir uns richtig kannten, wir sind erst einige Zeit später so etwas Ähnliches wie Freunde geworden, wobei wir auch in diesem Stadium Sex hatten… Wir haben irgendwie so getan, als wären wir zusammen, damals habe ich ihn auch als ‚meinen novio‘, also meinen festen Freund bezeichnet. Es war alles in allem irgendwie undefiniert und eigentlich hatten wir ständig nur Sex. Es hat lange gedauert, bis ich mir eingestanden habe, dass ich mich wirklich in Calum verliebt habe. Seit ich es allerdings aus Überzeugung ausgesprochen habe, will ich es nicht mehr zurück nehmen. Calum bedeutet mir unheimlich viel, mehr als ich jemals in Worte fassen könnte. Aus meinem novio ist mein marido, mein Ehemann, geworden.
Obwohl wir damals recht schnell zusammen gezogen sind, haben wir einige Jahre getrennt voneinander verbracht. Es ist nicht so leicht, eine Beziehung zusammen mit einer Musikkarriere und einer Modelkarriere unter einen Hut zu bekommen. Calum und ich waren oft getrennt voneinander auf Reisen. Abgesehen davon, dass wir oft in unterschiedlichen Ecken der Welt gearbeitet haben, bin ich nicht ganz einfach im Umgang gewesen, sobald wir dann doch zusammen waren. Ich habe viele Fehler gemacht. Ich habe oft getrunken und unter Drogen irgendwelche Dummheiten angestellt, die ich mir im Nachhinein nicht erklären kann. Ich habe Calum blamiert und ihn verletzt, nicht körperlich, aber seelisch… Ich war oft ein riesengroßes Arschloch, dass es überhaupt nicht verdient hat, einen Menschen wie ihn an seiner Seite zu haben…
Nach meinem ersten Entzug hatte ich die ehrliche Absicht, clean zu bleiben. Ich bin jedoch trotz meiner guten Vorsätze rückfällig geworden, sobald meine Band einen Plattenvertrag in der Tasche hatte und wir unsere erste Tour gespielt haben.
Ich will nicht sagen, dass die Musikindustrie schuld daran ist, denn niemand hat mich dazu gezwungen, wieder zu Drogen zu greifen. Ich habe mich aus freien Stücken dazu entschieden, dennoch ist es so, dass einem der Zugang zu sämtlichen Drogen sehr leicht gemacht wird. Kokain wird einem angeboten, als wäre es ein Glas Wasser. Es ist so weit verbreitet, dass es beinahe zum guten Ton gehört, mit anderen Prominenten zu koksen. Wie gesagt: Ich sage damit nicht, dass ich ein unschuldiges Opfer bin, ich habe mich freiwillig dazu entschieden, weil es sich einfach verdammt gut anfühlt, high zu sein.
Ich weiß, dass es mir nicht gut tut, aber man fühlt sich, als würde einem die Welt gehören und für dieses Gefühl gibt es nichts Vergleichbares. Für dieses Gefühl wäre ich beinahe gestorben.
…und wer weiß, ob es nicht irgendwann einen Punkt in meinem Leben geben wird, an dem ich vielleicht wieder so ein Idiot bin und zugreife…
Vermutlich werde ich niemals ganz aufhören, suchtgefährdet zu sein, doch seit Cassidy und Lucía in meinem Leben sind, ist es mir mehr als ernst damit clean zu bleiben. Ich will die Zeit mit meinen Kindern in klarer Erinnerung behalten, ich will so viele Stunden wie möglich mit ihnen verbringen und ihnen eine schöne Kindheit schenken. Ich würde alles für meine Mädchen tun. Ich will unbedingt ein gutes Vorbild für meine Töchter sein. …naja so gut man eben sein kann, wenn die Medien jeden Schritt kommentieren und in jeder Aktion einen neuen Skandal wittern.
Meine kleine Familie bedeutet mir alles. Je länger Calum und ich verheiratet waren, desto mehr hat es uns gefehlt, eine eigene Familie zu haben. Wir haben lange überlegt, ob wir ein Baby oder ein älteres Kind adoptieren möchten. Nach einigen Wochen abwiegen der Pros und Contras haben wir uns dazu entschieden, einem etwas älteren Kind eine Chance zu geben. Hauptsächlich, weil Calum davon überzeugt war, dass ich nicht besonders gut darin wäre, Windeln zu wechseln und mir das Weinen eines Babys die letzten Nerven rauben würde.
Vielleicht hatte mein marido in diesem Punkt Recht. …wer weiß, wie lange ich es durchgehalten hätte, wenn mich ein Baby ständig um den Schlaf gebracht oder uns mit seinem Geschreie beim Sex unterbrochen hätte. So wie ich mich kenne, hätte mein Temperament mich dazu gebracht das Babyphone nach spätestens einer Woche aus dem Fenster zu werfen.
Die Auflagen, ein Kind zu adoptieren sind in Zuzu City ziemlich streng, wenn ich sie mit den Auflagen der Behörden auf den Fern Islands vergleiche. Nachdem ich in einige öffentliche Skandale verwickelt war, musste ich den Behörden psychologische Gutachten und einen negativen Drogenbefund zukommen lassen. Es lief nicht alles ganz reibungslos, die Bürokratie macht es einem Paar manchmal schwer, ein Kind zu adoptieren, aber nach einigen Monaten wurde uns mitgeteilt, dass es ein passendes Mädchen für uns gibt.
Mittlerweile ist es nun drei Jahre her, dass unsere Tochter Cassidy in unser Leben getreten ist. Ihr leiblicher Vater ist unbekannt. Sie hat ihre ersten drei Jahre bei ihrer Mutter gelebt, doch ihre Mutter musste die kleine Cassie weggeben, als sie zu krank wurde, um sich um sie zu kümmern.
Calum und ich haben die kleine blonde Prinzessin sofort ins Herz geschlossen, als wir sie kennenlernen durften. Dieses aufgeweckte, neugierige, freche, fröhliche Mädchen hat uns zu unserem Familienglück gefehlt. Nach einigen weiteren Besuchen, bei denen immer ein Sozialarbeiter anwesend war und einem Testwochenende, bei dem wir endlich mit Cassidy allein sein durften, wurden wir offiziell zu ihren Pflegeeltern ernannt. Einige weitere Monate danach wurde die Adoption Yoba sei Dank letzten Endes besiegelt.
Unser erstes gemeinsames Wochenende ist wie im Flug vergangen. Ich erinnere mich gerne an diese Zeit zurück. Cassidy hat uns damals ziemlich auf Trab gehalten. Wir haben Eis gegessen, im Garten gespielt und ich habe ihr eine Geschichte vorgelesen, damit sie einschlafen konnte. Calum und ich haben mit ihr sogar einen Ausflug an den See gemacht, um ein bisschen zu plantschen. Kaum waren wir im Wasser, hat sie Calum und mir gesagt, dass sie uns lieb hat und am liebsten nie wieder weggehen würde. Cassidy hat unsere Herzen im Sturm erobert. Dass die kleine blonde Prinzessin vor unserem Ausflug noch nie die Gelegenheit hatte, einem Ausflug ins Grüne so nah zu kommen, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Als ich ein Kind war, war ich ständig draußen unterwegs. Diese Zeit gehört heute noch zu meinen schönsten und kostbarsten Erinnerungen. Ich hoffe, dass ich in der Lage bin, Cassidy ähnlich prägende Erinnerungen zu bescheren.
Als mein marido und ich erfahren haben, wie es um die Gesundheit von Cassidys Mutter steht, wollten wir ihr natürlich helfen, aber auch das war nicht so einfach. Keiner konnte oder besser gesagt wollte uns Auskunft über die Identität von Cassidys Mutter geben. Als es uns durch einige nicht ganz legale Umwege gelungen ist, den Kontakt aufzunehmen und unsere finanzielle Hilfe anzubieten, war es bereits zu spät. Cassidys Mutter ist ihrer Krankheit erlegen. Der Krebs war zu weit fortgeschritten, wir konnten nichts mehr tun, um ihr zu helfen. Alles, was wir für sie tun konnten, war die Kosten für die Beerdigung zu übernehmen und zu versprechen, dass wir uns gut um ihre Tochter kümmern werden. Und dieses Versprechen werden wir auch einhalten. Cassie werden in der Zukunft alle Möglichkeiten offen stehen.
Unsere zweite Tochter Lucía ist seit einem Jahr Teil unserer Familie, auch mit ihr war es nicht ganz einfach. Sie wurde wie ich auf den Fern Islands geboren. Ihre Eltern kamen bei einem Wohnungsbrand ums Leben, bei dem auch Lucía verletzt wurde. Selbst heute wird ihr Körper noch von einigen Brandnarben gezeichnet. Die größte, teilweise sehr schwulstige Narbe streckt sich von ihrem rechten Unterarm hoch bis zu ihrer Schulter und ihrem Schlüsselbein. Auch in ihrem Gesicht sind einige kleine Narben zu sehen, doch sie fallen kaum auf, wenn man nicht jeden Millimeter ihrer Haut bis ins kleinste Detail analysiert.
Für die klassischen Paare war Lucía durch ihre Narben ‚nicht hübsch genug‘, weswegen es für die Agentur nicht einfach war, jemanden zu finden, der sie adoptieren möchte. Sie war auch nicht auf der Liste der Kinder, die uns vorgeschlagen wurden. Wenn es jedoch nach mir geht, ist Lucía eines der bezauberndsten Kinder, die ich jemals gesehen habe. Ihr Lächeln und ihre strahlenden, dunklen Augen sind schöner, als es makellose Haut jemals sein könnte.
Auf den Fern Islands ist eine Adoption weniger nervenaufreibend als hier in Zuzu City. Es gibt zwar behördliche Auflagen, diese sind jedoch nicht so streng, außerdem lassen sie sich mit Geld ein wenig verbiegen, lockern und aushebeln. Kurz nachdem ich den Antrag gestellt habe, wurden Calum und ich eingeladen, das Waisenhaus zu besuchen und uns ein Kind auszusuchen. Die Kinder die ihrer Meinung unseren ‚Ansprüchen genügen‘ wurden auf einer Liste vermerkt. Wie bereits erwähnt, stand Lucía aufgrund ihres Aussehens nicht auf dieser Liste.
Erst als Calum und ich das Waisenhaus besucht haben, habe ich das Mädchen entdeckt. Mir ist die kleine princesa sofort ins Auge gestochen, als sie ruhig an ihrem Tisch gesessen hat und in ihre Zeichnung vertieft war. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen, als ich sie nach ihrem Kunstwerk gefragt habe. Als sie mich dann mit ihren großen braunen Augen angesehen hat und mir erzählt hat, dass sie einen Regenbogen gesehen hat und ihn zeichnet, war es um mich geschehen. Die Kleine hat mir ihre Zeichnung geschenkt und ich habe sie sofort auf den Arm genommen und war bereit, sie mitzunehmen. Durch die Sprachbarriere hat Calum ein wenig Zeit gebraucht, um aufzutauen, doch auch er hat schnell erkannt, dass in Lucía mehr steckt, als ihr aufgrund ihrer ruhigen, zurückhaltenden Art zugetraut wird.
Die Bürokratie hat mir bei meinem kleinen Plan Lucía sofort mitzunehmen natürlich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mir war klar, dass ich nicht einfach ein Kind mitnehmen kann, als würde ich auf die Schnelle einen Laib Brot aus dem Supermarkt holen, doch es wäre schön gewesen, wenn es so gelaufen wäre.
Während Calum mit Cassidy nach Hause geflogen ist, musste ich zwei Monate auf den Fern Islands bleiben und einige bürokratische Rädchen finanziell schmieren, bevor Lucía einen neuen Pass bekommen hat und ich mit ihr das Land verlassen durfte, aber das war all die Umstände wert. Wir können uns ein Leben ohne unsere kleine princesa kaum noch vorstellen. Die Regenbogen-Zeichnung hängt übrigens heute noch über meinem Schreibtisch.
Ich bin vielleicht nicht der beste papá und habe nicht immer die größte Geduld mit meinen Töchtern, aber ich versuche immer fair und ehrlich zu ihnen zu sein. Ich versuche, ihnen die richtigen Werte beizubringen und ihnen zu zeigen, was im Leben am wichtigsten ist.
Auch wenn ich nicht perfekt dazu geeignet bin, Kinder groß zu ziehen, habe ich durch meinen marido die passende Unterstützung an meiner Seite. Calum hat das mir fehlende Feingefühl, er hat die mir fehlende Geduld. Er hat ein besseres Gespür dafür, was den Mädchen fehlt. Allerdings fehlt ihm oft eine gewisse Strenge, er kann ihnen schwer etwas abschlagen und lässt sich oftmals erweichen und um den Finger wickeln. Mein Wort hingegen ist jedoch Gesetz. Die Mädchen widersprechen mir nicht, wenn ich ein Machtwort spreche.
Kinder zu haben hat mich ein wenig ruhiger und vielleicht auch weicher gemacht, dennoch bin ich immer noch derselbe Mensch wie vor den Adoptionen. Ich bin ein Mensch mit vielen Fehlern, ein Mensch der oft die dümmsten und extremsten Entscheidungen trifft, aber ich arbeite an mir. Ich versuche mich zu bessern, da mein marido und meine Kinder die beste Version meiner selbst verdient haben.
Ich atme tief durch, die kühle Luft der Nacht zieht durch das geöffnete Fenster in unser Schlafzimmer. Nachdenklich sehe ich im Dunkeln an die Decke. Heute Nacht fällt mir das Einschlafen das erste Mal seit langem wieder schwer. Mein Blick gleitet zu meiner rechten Seite, die roten Zahlen auf dem Wecker verraten mir, dass es nach drei Uhr nachts ist.
Vorsichtig löse ich mich aus Calums Griff. Gerade als ich aufstehen möchte, greift mein marido nach meinem Bein.
„Sweetie, was machst du?“, fragt Calum verschlafen nach.
„Ich dreh mir eine Zigarette, ich kann nicht einschlafen“, antworte ich ehrlich.
„Warte, bleib… Ich kann dir auch helfen zu entspannen…“
Ich schmunzle ein wenig, da ich genau weiß, was Calum mir anbieten möchte. Vorsichtig streiche ich seinen Arm entlang, als ich seine Schulter erreicht habe, taste ich mich zu seinem Kopf vor, um ihn zu streicheln. Normalerweise würde ich dieses Angebot nicht ablehnen, aber heute Nacht brauche ich ein paar Minuten für mich alleine.
„Schon gut, schlaf weiter, ich muss an die frische Luft.“
„Okay, mach nicht so lang, ich will kuscheln. Ich hasse es, wenn das Bett neben mir leer ist…“
„Ich weiß, Baby, aber ich bin ja nicht weit weg.“
„Trotzdem…“, erklingt mein Liebster müde, er gähnt. Ich höre das Rascheln unserer Bettwäsche, es klingt, als würde er sich bereits wieder richtig einkuscheln.
Ich hebe meinen Hoodie vom Boden auf, um ihn mir überzuziehen. Leise verlasse ich unser Schlafzimmer. Ich schließe die Tür hinter mir, die Nachtlichter, die wir wegen unseren Kindern installiert haben, erhellen den Gang gut genug, sodass ich kein Licht brauche. Erst im Wohnzimmer schalte ich es an. An der Bar taste ich auf der oberen Zierleiste des Schrankes nach dem Schlüssel. Ich muss mich dafür auf die Zehenspitzen stellen, da mein zu groß geratener marido den Schlüssel zuletzt weggelegt hat. Unser Alkohol ist seit Jahren kindersicher weggesperrt, wir haben die Schlösser angebracht, noch bevor wir Cassidy adoptiert haben.
Hinter Schloss und Riegel finde ich das, was ich suche. Ich schenke mir ein Glas Tequila ein, außerdem nehme ich eine Metallbox aus dem obersten Fach. In dieser Metallbox befinden sich alle Zutaten für das Drehen von Zigaretten und auch mein Gras. Auch das schließe ich immer weg, damit die Mädchen es nicht ständig vor ihrer Nase sehen. Sie wissen zwar, dass ich rauche, aber sie wissen auch, dass diese Zeit meine Freizeit ist und dass sie Abstand zu mir halten sollen, wenn ich auf der Terrasse sitze und meine Zigarette und meinen Kaffee konsumiere. Das gleiche gilt für die Zeit, die Calum im Fitnessraum verbringt. Wir haben den Mädchen von Anfang an gezeigt, dass auch Calum und ich hin und wieder eine Pause brauchen und das akzeptieren sie auch. Während der Eine seine Pause genießt, ist automatisch der Andere der Ansprechpartner der Kinder und das funktioniert gut.
Mit meinem Drink in der Hand und meiner Metallbox unter dem Arm gehe ich nach draußen auf die Terrasse. Ich stelle das Glas ab, lege die Box auf den Tisch. Ich gehe noch einmal rein, um mir eine Wolldecke zu holen, damit ich mich damit zudecken kann.
Ich genieße die Ruhe am Stadtrand von Zuzu City. Als ich damals von Pelican Town nach Zuzu City gezogen bin, haben Calum und ich in der Innenstadt gewohnt, direkt am Zuzu City Central Park. Zumindest ein bisschen Natur vor der Nase zu haben war schon recht angenehm, aber trotzdem ist es hier draußen mit Abstand zum stockenden Verkehr und dem Stress noch schöner.
Je älter ich werde, desto mehr verliert die Stadt ihren Reiz… Es nervt mich im Stau zu stehen, es nervt mich, dass es zu hell ist, um die Sterne zu sehen, es nervt mich, dass es laut ist… Ich will meine Ruhe haben und hier am Stadtrand komme ich dieser Ruhe schon sehr nahe.
In der Stille der Nacht drehe ich mir eine Zigarette. Kaum habe ich sie entzündet, nehme ich einen tiefen Zug davon. Ich exhaliere den Rauch, decke mich ein wenig mit der Wolldecke zu.
Ich nehme einen Schluck Tequila zu mir, streiche dann über den kratzigen Stoff der Wolldecke. Kein Weichspüler der Welt schafft es, dass diese Decke wieder weich und kuschelig wird. Ich hab sie vor vielen Jahren bei Joja Markt gekauft, kurz nachdem ich in Pelican Town eingezogen bin. Ich wollte damals eine Decke haben, auf die ich mich legen kann, wenn ich in der Sonne vor mich hin brutzeln möchte.
Bei dem Gedanken an Pelican Town muss ich lächeln. Eigentlich war mein Leben dort sehr chaotisch, weswegen das Lächeln nicht viel Sinn macht. Mit meiner arroganten Arschlochart kam ich bei den Bewohnern nicht besonders gut an. Es kam auch nicht gut an, dass ich mit einigen Personen geschlafen habe, mit denen ich vielleicht nicht schlafen hätte sollen.
…aber so bin ich nun einmal, mein Penis ist manchmal lauter als mein Gehirn und außerdem hatte ich zu dieser Zeit noch keinen Mann wie Calum an meiner Seite. Ich war single und notgeil, habe mir also nichts entgehen lassen.
Nach einem weiteren Schluck Tequila nehme ich mir etwas vor. Dieses Mal wird alles anders. Ich werde keinem der Bewohner Honig ums Maul schmieren, aber ich versuche mich daran, mich halbwegs zusammenzureißen und mich in der Stadt einzufügen. Es ist nicht unbedingt nötig, jedem sofort meine Meinung knallhart in den Rachen zu stopfen. Calum hat mir in dieser Hinsicht viel beigebracht. Er ist das kleine Engelchen, das auf meiner Schulter sitzt und mich dazu überredet, das richtige zu tun.
Er holt nicht nur aus mir das Beste heraus, durch seinen Touch wird das Farmhaus bestimmt schnell in modernem Glanz erstrahlen. Bis jetzt hat Calum sich immer um die Einrichtungen gekümmert, als wir umgezogen sind. Mit viel Liebe zum Detail und einem guten Geschmack, was Einrichtung angeht, kann er aus jedem Raum das Beste herausholen.
Außerdem nehme ich mir vor, dass ich mir Zeit nehme, zur Ruhe zu kommen und abzuschalten. Auch den Rat meiner Eltern, den sie mir schon vor Jahren gegeben haben, möchte ich mir wieder zu Herzen nehmen. Ich möchte mich von mir aus um die eine oder andere Pflanze kümmern und dieses Mal binde ich meine Familie mit ein. Unsere Töchter lieben wie andere Mädchen Blumen. Vielleicht würde es ihnen gefallen, wenn wir an der Veranda ein paar einsetzen.
Und vielleicht… vielleicht finde ich auch ein kleines Plätzchen, damit ich mir vielleicht die eine oder andere Hanfpflanze heranzüchten kann. So wie ich meinen marido einschätze, könnte es mir allerdings passieren, dass er mir dafür in den Arsch tritt.
Ein kleines Gewächshaus würde mir meinen Ruhestand allerdings auf jeden Fall versüßen.
Genüsslich ziehe ich ein weiteres Mal an meiner Zigarette.
Pelican Town.
Breit grinsend schüttle ich den Kopf. Ay, ich muss verdammt verzweifelt sein, wenn ich mich wirklich zurück in dieses Dorf wage. Die Menschen haben mich gehasst.
Wie high bin ich, dass ich tatsächlich nach Pelican Town zurückkehren möchte?