capítulo 32
tiempo para pensar IV
Dass mein marido sich nicht meldet und damit nicht nur meine Chance auf ein konstruktives Gespräch abblockt, sondern auch meine Töchter von mir fernhält, geht nicht spurlos an mir vorbei. Ich bin frustriert und das Trockenbleiben fällt mir immer und immer schwerer. Ohne meiner Familie habe ich nicht die Motivation, meinen ‚nüchternen Lebensstil‘ aufrecht zu erhalten. Calum ist immerhin der Grund, wieso ich so viele Dinge in meinem Leben aufgegeben habe. Mittlerweile fühlt es sich so an, als hätte ich sie umsonst aufgegeben.
Obwohl ich es meinem Liebsten nicht zeigen kann, versuche ich mich trotz der Isolation von meiner Familie zu bessern. Mir ist bewusst, dass ich nicht innerhalb weniger Tage ein besserer Mensch werden kann, doch ich kann zumindest anfangen, Versprechen einzuhalten. Eines der Versprechen begleitet mich jede Sekunde meines Tages: Dem Alkohol weiterhin abzuschwören.
Ich arbeite auch an meiner Fitness. Max ist wieder auf Tour, doch bevor er sich verabschiedet hat, hat er mir ein einfaches, tägliches Trainingsset zusammengestellt. Ich jogge jeden Morgen, ich mache Übungen und ich quäle mich sogar durch eine Stunde Yoga mit Richie als meinem persönlichen Trainer.
Sobald mein marido wieder nach Hause kommt, wird er sehen, dass ich es ernst meine und dass ich mich wirklich bessern möchte und an mir arbeite. Doch je länger er weg ist, desto mehr habe ich das Gefühl, dass es zu spät ist. Mit jeder Stunde, die er sich nicht meldet, verliere ich die Hoffnung ein Stückchen mehr.
Ich ziehe mein verschwitztes Shirt aus und lasse es auf den Boden der Veranda sinken. Das Belohnungssystem funktioniert bei mir ausgezeichnet, ich freue mich unheimlich auf meine Zigarette.
„Noch ein paar Wochen und du bist so sportlich wie Max“, erzählt Richie lächelnd. „Vielleicht schaffst du es auch bald, dein Bein hinter den Kopf zu bekommen.“
Die Vorstellung bringt mich zum Lachen. „Ich will weder so wie Max werden, noch so biegsam sein wie du, mein Kleiner. Es reicht mir, wenn ich kein mehr Couchpotato bin.“
„Du siehst auf jeden Fall schon frischer aus. Der Sport tut dir gut.“
„Naja“, antworte ich etwas geschlagen. „Es würde mir auch gut tun, wenn ich endlich mit meinen Töchtern reden dürfte.“ Ich seufze. „Ich könnte problemlos Anwälte einschalten, weil es mein Recht ist, meine Kinder zu sehen, aber ich will nicht noch Öl ins Feuer gießen. Ich fasse es nicht, wie stur Calum eigentlich sein kann.“
„Naja“, antwortet Richie wage. „Er musste in seinem Leben viel kämpfen. Als mittleres Kind war er quasi unsichtbar und im Modelbusiness kommt man ja auch nicht weit, wenn man sich nicht durchbeißt.“ Richie lässt sich in Calums Sessel sinken. „Er fehlt mir. Es ist toll, Zeit mit dir zu verbringen, aber mir fehlt Calum trotzdem.“
„Was denkst du, wie es mir geht? Keine Drogen, keine One-Night-Stands, kein Alkohol, kein Sex, kein Calum. Alles, woran ich Spaß hatte, ist aus meinem Leben verschwunden. Versuch mal diese Frustration nachzuvollziehen.“
„Ich glaube du vergisst gerade mit wem du sprichst.“
„Lo siento, ich bin frustriert.“
„Und… Calum kommt als letztes in dieser Aufzählung… weil?“
„Das ist die Reihenfolge der Geschehnisse“, stelle ich meine Aussage klar.
„Oh. Ja, stimmt. Macht Sinn.“
Ich stecke mir meine Zigarette an und gehe auf meiner Veranda auf und ab. „Hast du vielleicht eine Idee, was ich tun könnte? Ich will ihm keine Anwälte auf den Hals hetzen. Wenn er nicht mit mir sprechen möchte, okay, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mädchen nicht ein einziges Mal nach mir gefragt haben. Er ist eine Woche weg, Richie. Eine Woche. In einer Woche werden die Mädchen doch irgendwann nach mir gefragt haben, oder nicht?“ Ich sehe zu dem Blonden, der mich nur ratlos ansieht. „Schon gut, ich weiß… Ich soll ihm Zeit lassen…“ Um eventuell wieder zur Ruhe zu kommen, setze ich mich. „Es nervt trotzdem…“
Richie zögert mit seiner nächsten Antwort: „Es tut mir leid, dass ich keine Hilfe bin.“
„Du kannst nichts dafür, Richie. Du bist zauberhaft. Weißt du… Es regt mich nur so extrem auf.“ Ich ziehe an meiner Zigarette und puste den Rauch durch meine Nase aus. „Calum ist in Zuzu City, vögelt irgendeinen Kerl, der sich ja angeblich so sehr für seine Persönlichkeit interessiert und was tue ich? Ich bleibe wie ein dressierter Hund zu Hause, mache Sport, füttere seine dämlichen Guppies und kümmere mich um die restlichen Haustiere. Anstatt zu heulen arbeite ich an mir. Ich bleibe trocken, damit ich jemanden, der mich vollkommen ignoriert, zufrieden stelle. Was soll der Scheiß? Ich kann niemanden beeindrucken, der mich ignoriert…“ Richie seufzt. Er schenkt sich ein Glas Wasser ein. „…ich stecke in einer Zwickmühle. Wir haben eine Beziehungspause… und anstatt mir das zu nehmen, was ich mir seit langem wünsche, sitze ich hier und warte darauf, dass Calum sich dazu herablässt, mich wieder an seinem Leben teilhaben zu lassen.“ Ich mache eine kurze Pause, bevor ich mich weiter beschwere: „Das Dumme ist aber, dass ich ihm so oder so in die Hände spiele. Wenn ich zu meinem alten Lebensstil zurückkehre, dann bin ich der Böse, weil ich ihm damit zeige, dass er Recht hat und dass ich mich nicht ändern kann. …und wenn ich weiterhin das mache, was ich ohnehin gerade mache, dann kann er mich zappeln lassen. Und dann wäre da natürlich noch die Möglichkeit, dass er überhaupt nicht mehr zurückkommen möchte und mich trotzdem zappeln lässt, um sich an mir zu rächen. Vielleicht ist das hier nur die Ruhe vor dem Sturm und er bespricht die Scheidung schon mit einem Anwalt.“
Richie legt seine Hand an meinen Oberschenkel. „Ich weiß, dass es frustrierend ist und dass du in der Luft hängst, aber du machst die Veränderungen doch nicht nur für Calum. Es ist wichtig, dass du nicht mehr trinkst. Der viele Alkohol war nicht gut für deine Gesundheit. Auch das Sportprogramm schadet dir nicht, im Gegenteil. Du verbesserst dein eigenes Leben. Du bist es wert, dass du das für dich selbst und deine eigene Gesundheit machst. Calum hat damit gar nichts zu tun.“ Ich nicke, da mir die Worte fehlen. Es ist nett von ihm, mich aufrichten zu wollen. „Ob Calum zurückkommt oder nicht kannst du vielleicht gar nicht beeinflussen, aber selbst wenn ihr euch scheiden lässt… Ihr seid nicht das erste Paar und auch garantiert nicht das letzte. Es ist schade, aber wenn Calum sich dafür entscheidet, kannst du nichts mehr ändern.“
Ich hebe Richies Hand von meinem Oberschenkel und gebe ihm einen zarten Kuss auf den Handrücken. „Du hast Recht. An einem gewissen Punkt in seinem Leben kann man nichts mehr tun, als alles auf sich zukommen zu lassen. Wenn Calum mich verlassen möchte, dann ist das auch irgendwie nachvollziehbar. Ich kann nur auf Sachlichkeit plädieren, um dafür zu sorgen, dass wir das alles nicht auf dem Rücken unserer Kinder austragen. Eine Scheidung ist scheiße, aber es ist noch beschissener, wenn die Eltern sich bei jeder Gelegenheit streiten. Ich will nicht, dass Cassie und Lucía darunter leiden.“
Richie nickt. „Das klingt vernünftig.“
Ich lasse Richies Hand los und nehme den letzten Zug meiner Zigarette. Es wird Zeit, unter die Dusche zu springen und einige Bedürfnisse zu befriedigen.
Als ich aufstehe, nimmt Richie meine Hand. „Möchtest du heute irgendetwas machen?“
„Eigentlich nicht.“
„Stört es dich, wenn ich Sebastian besuche? Er hat mir vorhin geschrieben.“
Ich schüttle den Kopf. „No, tu was du möchtest, du musst nicht mit mir hier sitzen bleiben und dich mit mir zusammen im Selbstmitleid suhlen. “
„Ja toll, ich will dich damit aber nicht alleine lassen. Jetzt hab ich ein schlechtes Gewissen“, antwortet Richie schmollend.
„Musst du nicht“, versichere ich ihm mit einem Lächeln. „Viel Spaß bei Sebastian. Er kann deine Gesellschaft bestimmt brauchen, jetzt wo Max wieder arbeitet.“
„Damit hast du wahrscheinlich Recht. Ich mache mich noch frisch und dann gehe ich gleich los. Falls irgendetwas ist, kannst du mich anrufen. Ich bin ja nicht weit weg.“
„Schon gut, genieß deinen Tag, mein Kleiner.“
…
Ich sitze im Gras und beobachte die Kaninchen meiner Töchter dabei, wie sie in ihrem Gehege herumhoppeln. Da ich ziemlich sicher bin, dass meine Mädchen Updates haben wollen, mache ich einige Fotos für sie. Auch ein Foto von Domingo ist dabei, als ich Carly die Fotos zukommen lasse.
Mein Blick richtet sich wieder auf die flauschigen Tiere. Keine Ahnung, was Calum den Mädchen erzählt, aber wenn sie neue Fotos von ihren Haustieren sehen, fühlt sich die aktuelle Situation für sie zumindest ein bisschen normaler an.
Ich fühle mich furchtbar, wenn ich an meine Mädchen denke. Mir ist bewusst, dass ich oft zu streng war, dass ich viele Fehler gemacht habe und dass ich es auf jeden Fall besser machen sollte, allerdings bin ich auch fest davon überzeugt, dass ich es schon um einiges besser gemacht habe, als andere Elternteile. Ich liebe meine Kinder und ich will nur das Beste für sie, auch wenn das manchmal nicht so wirkt.
Frustriert lasse ich mein Smartphone ins Gras neben mir sinken. Domingo stattet mir einen Besuch ab, er kommt zu mir, um an mir zu schnüffeln. Neugierig stützt er seine Vorderpfoten an meinem Oberschenkel ab und streckt sich so weit, dass er es beinahe bis zu meinem Gesicht schafft. Ich hebe Domingo auf meinen Schoß.
„Falls Calum sich tatsächlich scheiden lassen will, werde ich auf jeden Fall dafür sorgen, dass deine neugierige Nase bei mir bleibt.“ Als Antwort dafür leckt Domingo über meine Wange. „Ich hasse es, wenn du das tust.“ Ich streichle meinen Hund und drücke ihm einen Kuss auf den Kopf. „Weißt du… Falls die Mädchen sich uneinig sind, wohin sie möchten, will ich, dass sie bei Calum bleiben. Ich will sie nicht trennen und ich bin sicher, dass Calum ihnen ein angenehmeres Leben bieten kann. Alleine wäre ich wohl viel zu streng, ihnen würde Calums liebevolle Art sehr fehlen…“
Das Aufleuchten meines Displays lenkt mich ab. Ich greife nach meinem Smartphone und öffne die Nachricht, die ich von Carly bekommen habe.
Carly: ‚Ich soll dir danke für die Fotos ausrichten.‘
Eilig tippe ich an einer Antwort.
Trevor: ‚De nada. Wäre es vielleicht möglich, dieses kindische Spiel hinter uns zu lassen und ein normales Gespräch zu führen? Ich habe ein Recht darauf, meine Kinder zu sehen. Ich schicke Calum keine Anwälte, weil ich nicht streiten möchte. Ich will das alles in Frieden klären, aber wenn es so weiter geht, wird mir bald nichts anderes mehr übrig bleiben, als einen Krieg zu starten auf den ich selbst keine Lust habe. Ich will meine Mädchen sehen! Ein Telefonat würde mir erstmal reichen!‘
Carly: ‚Ich werde es dich wissen lassen, wenn Calum bereit ist, mit dir zu sprechen.‘
Trevor: ‚Eine noch arrogantere Antwort kann man ja kaum geben.‘
Carly: ‚Ich diskutiere mit einem Menschen wie dir nicht über Arroganz. Du hast Calum schon so viel angetan, dass du es verdient hast, ein paar Tage im eigenen Saft zu schmoren.‘
Carly: ‚Und eigentlich muss ich dir gar nicht antworten! Ich mache das nur für Calum, weil er mich darum gebeten hat.‘
Ich rolle mit den Augen. Es hat keinen Sinn. Ich gebe auf. Allerdings zeigen mir Carlys Zeilen, dass Calum genau das hat, was er möchte. Wie ein Streuner sitze hier und warte, bis er mir einen Knochen zuwirft. Vielleicht habe ich es verdient, aber ich habe meine verdammte Lektion definitiv gelernt!
Eigentlich sollte ich mir genauso wie er jemanden aufreißen, um die Zeit zu überbrücken, doch ich stehe im Zugzwang der Vernünftigere zu sein. Es ist so frustrierend!
…
Die heutige Nacht ist ungemütlich. Ein Gewitter hält mich wach. Unruhig klettert Domingo über das Bett. Er knurrt, doch ich stupse ihn mit meinem Fuß an, um ihn abzulenken.
„Hör auf damit, ich weiß, dass da draußen einiges los ist… Wir sind sicher und uns passiert nichts… Ich hab alles in Sicherheit gebracht…“
Dass meine Worte verschenkt sind, wird mir wenige Sekunden später klargemacht. Domingo bellt Richtung Fenster. Um ihn wieder zu beruhigen, setze ich mich auf und nehme ihn auf den Arm. „Sch…“ Ich streichle Domingo, dabei lege ich mich wieder hin. Mit ein wenig liebevollem Zwang bringe ich ihn dazu, sich zu mir zu legen. Ich schenke ihm Aufmerksamkeit und Sicherheit, in der Hoffnung, dass er endlich versteht, dass das Gewitter für uns nicht gefährlich ist.
Seine Reaktion auf das Gewitter ist trotzdem verständlich. Der Donner ist laut, der Rhythmus des Regens ist eher aufwühlend als beruhigend und außerdem quietscht da draußen irgendetwas. Die Kaninchen sind es jedenfalls nicht, denn das habe ich schon überprüft. Ich weiß nicht, woher das Quietschen kommen könnte, nur dass es da ist. Vielleicht schlägt der Wind einen Ast gegen die Dachrinne, ich weiß es nicht…
Trotz des unruhigen Wetters gewinnen meine schweren Augenlider irgendwann immer mehr an Gewicht. Am Fenster sehe ich einen Schatten oder zumindest bilde ich mir einen ein. Vielleicht hat der Wind etwas bei meinem Fenster vorbei geweht. Ich bin zu müde, um das nachzuprüfen. Mit Domingos Schnarchen in den Ohren schlafe ich ein...
…
Am nächsten Morgen begutachte ich schon kurz nach dem Aufstehen die eventuellen Schäden auf meinem Grundstück. Es ist trüb und kalt, also habe ich mich in viel Stoff gewickelt, um nicht zu frieren. Mit meiner morgendlichen Zigarette spaziere ich durch die nasse Wiese. Natürlich habe ich auch Futter für die Kaninchen dabei.
Domingo bleibt auf der Veranda zurück, offensichtlich ist es ihm zu nass und zu kalt an diesem Morgen, denn er wirkt nicht, als hätte er besonders große Lust, spazieren zu gehen. Nachvollziehbar. Mir ist auch mit Pullover und meiner Jacke nicht gerade warm. Die Sommersonne fehlt mir jetzt schon.
Einige Äste haben letzte Nacht ihren Tod gefunden, auch meine Hängematte ist von einem großen, heruntergefallenen Ast beschädigt worden. Der schwere Ast liegt halb auf meiner zerrissenen Hängematte. Als ich mit meinem Fuß etwas dagegen trete, rutscht der Ast etwas näher Richtung Boden. Mein Chillout-Area wurde somit vernichtet, doch das ist halb so wild, eine neue Hängematte kostet nicht die Welt, das wird mein Konto problemlos verkraften.
Ich sehe in die Baumkrone, auch da oben scheinen sich einige Äste verhakt zu haben. Sobald das Wetter es zulässt werde ich mir das genauer ansehen, damit niemand durch einen fallenden Ast verletzt wird.
Meine Schritte führen weiter zum Stall der Kaninchen. Schon von außen sieht alles okay aus. Sobald die Tür geöffnet ist, sehe ich, dass auch die Kaninchen wohlauf sind. Das Unwetter hat ihnen nichts ausgemacht. Blacky frisst gerade etwas Heu, Nieve hingegen wirkt neugierig über meinen Besuch.
Bevor ich eintrete, drücke ich meine Zigarette aus. Bedacht darauf, nicht auf die Kaninchen zu treten, begutachte ich den Stall auch von Innen. Alles was trocken sein sollte, ist auch trocken geblieben, Robin hat ihre Arbeit gut und gewissenhaft gemacht.
Ich füttere die munteren Tierchen mit dem mitgebrachten Gemüse. Sobald sie versorgt sind, streichle sie ein wenig und mache Fotos für meine Töchter. Blacky und Nieve machen einen fröhlichen Eindruck, als sie sich über die Karotten und Gurken hermachen. Ein bisschen nervt es mich, dass ich spätestens morgen ein weiteres Mal den Stall sauber machen muss. Aus genau diesem Grund wollte ich keine Haustiere haben. Ich wusste, dass es früher oder später an mir hängen bleiben würde. Ich wollte sie nie haben und jetzt muss ich mich darum kümmern. Es war ein Fehler nachzugeben. Es war ein verdammter Fehler und ich muss ihn ausbaden. Ich wusste, dass es so kommt.
…doch sie können nichts dafür und ich kann sie nicht in ihrem eigenen Dreck sitzen lassen.
„Na ihr? Ich hoffe, dass ihr mir es nicht übel nehmt, aber heute müsst ihr definitiv in eurem Stall bleiben.“ Ich streiche durch Nieves Fell. „Vor allem du. Lucía soll dich ja wiedererkennen, wenn sie nach Hause kommt und das könnte ihr schwer fallen, wenn du schmutzig bist. … Oh Yoba… Ich rede mit Tieren, weil kein Mensch mich aushält.“ Ich seufze genervt. „Wie deprimierend ist mein Leben ohne Familie eigentlich? … Wie auch immer, ich mache euren Stall morgen sauber… Ich weiß nicht, wann Lucía und Cassie zurückkommen, aber ich bin sicher, dass sie euch dann wieder so knuddeln, wie ihr es gewohnt seid.“ Ich räuspere mich. „Bis dahin müsst ihr wohl mit mir Vorlieb nehmen.“
Zum Abschied streichle ich noch die Köpfe der verfressenen Tiere. Ich gehe noch sicher, dass die Kaninchen frisches Wasser und genug Heu haben, ehe ich meinen Rundgang auf dem Grundstück fortsetze. Auf meinem Kontrollgang inspiziere ich sogar das Baumhaus der Mädchen, auch hier fallen mir keine Schäden auf. Alles wirkt stabil, meine Töchter können also sofort wieder in ihr Baumhaus einziehen, sobald sie nach Hause kommen.
Nun gut, die Schäden sind überschaubar. Dann sind jetzt Kaffee und Morgensport dran. Auch wenn mir eher danach wäre, mich in eine Decke zu wickeln und auf besseres Wetter zu warten, darf ich das nicht einreißen lassen.
…
Nach meiner Tasse Kaffee schreibe ich Richie eine Nachricht. Gestern Abend ist er wegen dem Gewitter nicht ‚nach Hause‘ gekommen. Er soll wissen, dass niemand auf ihn wartet und er ruhig länger bei Sebastian und Dan bleiben kann.
In Sportklamotten dehne ich mich gründlich. Domingo sieht so aus, als würde er schon wissen, was als nächstes geschieht. In freudiger Erwartung eines Spazierganges springt er neben mir auf und ab, er läuft hin und her und drängt mich schon fast dazu, endlich loszulaufen.
„Für einen Schoßhund bist du ziemlich agil. Von mir aus kannst du schon voran laufen.“
Domingo läuft zwischen meinen Beinen durch und gleich die Stufen hinunter. Ich drehe mich um und beobachte den Chihuahua dabei, wie er im Gras herumläuft. Er dreht sich zu mir und bellt mich an, dabei senkt er seinen Kopf und hebt seinen Hintern. Die typische verspielte Pose.
„Na warte.“
Ich laufe los, nicht zu schnell und nicht zu langsam, eben in einem angenehmen Tempo, einem Tempo das ich auch gleichmäßig halten kann. Domingo macht das Joggen mehr Spaß, als ich gedacht hätte. Schon bei den normalen Spaziergängen fiel mir immer wieder auf, wie gerne und lange er unterwegs ist, doch Joggen sagt ihm eindeutig mehr zu. Er kommt in den Genuss, sich richtig auspowern zu können, was ihn für mich wiederum einen braven, ruhigen Hund bedeutet.
Während ich den matschigen Waldweg entlangjogge und mich dabei eher am grasbewachsenen Rand halte, um nicht in den größten Matschpfützen zu versinken, läuft Domingo munter von Gebüsch zu Gebüsch und von Baum zu Baum. Sobald ich den Flohzirkus hinter mir lasse, kann ich sicher gehen, dass er wenige Augenblicke später wie eine kleine Rakete an mir vorbei zischt, um etwas Vorsprung zum Schnüffeln zu haben. Ich habe Domingo unterschätzt. So dumm ist er vielleicht doch nicht.
Das matschige, glitschige Geräusch des aufgeweichten Waldbodens verfolgt mich jeden einzelnen Schritt meines Weges, meine Schuhe werden immer schwerer. Der Boden ist nicht ideal zum Laufen, die Temperatur hingegen schon. Mir ist nicht zu heiß und auch nicht zu kalt. Wenn ich allerdings auf der Veranda sitzen und rauchen würde, würde ich allerdings mit Sicherheit frieren.
Am Fluss angekommen mache ich eine kleine Verschnaufpause. Meine vom Matsch dreckigen Schuhe säubere ich so gut wie möglich an einem Stein, um das Gewicht wieder zu dezimieren. Ich atme die kühle Luft tief ein, meine Augen suchen dabei nach dem Hund. Domingo gibt sich schnell zu erkennen, also erspare ich es mir, nach ihm zu pfeifen. Sein Weg führt von einem Busch direkt zum Fluss. Ich bin etwas argwöhnisch, da der Wasserspiegel nicht nur gestiegen, sondern der Fluss auch ziemlich verunreinigt ist. Die Strömung ist ebenfalls stärker als normal, ob Domingo dagegen ankommen würde ist fraglich. Wenn der Idiot da hineinfällt, muss ich vielleicht nachspringen.
Das hohe Wasser schreckt den zurückhaltenden Chihuahua glücklicherweise ab. Er nimmt gleich Abstand, als er realisiert, dass das Flussufer nicht so seicht ist, wie er es gewohnt ist.
„Vamos, Domingo.“
Er folgt auf mein Stichwort, wir machen uns wieder auf den Weg nach Hause. Kaum haben wir einige Meter hinter uns, fängt es wieder an zu tröpfeln. Der bewölkte Himmel und die dunklen Wolken bringen also, was sie sichtlich versprochen haben: Noch mehr schlechtes Wetter. Super.
…
Nicht nur ich bin wieder erfrischt, auch Domingo musste ein Bad über sich ergehen lassen. Mit schmutzigen Pfoten und mit Matsch beschmiertem Fell kommt er mir nicht ins Haus.
Ich wickle den Chihuahua in eine Decke, auch ich bin angezogen, als wäre der Sommer längst wieder vom Herbst abgelöst worden. Mit dem Domingo-Bündel auf meinem Arm betrete ich die Veranda, um mir eine Zigarette zu genehmigen. Durch den morgendlichen Sport fühle ich mich tatsächlich etwas besser, außerdem habe ich so zumindest ein bisschen Routine, wenn schon alle anderen routinierten Aktivitäten von einem Tag auf den Anderen ins Wasser fallen. Apropos ins Wasser fallen. Der Regen hat wieder etwas zugelegt.
Meine Metallbox lege ich auf den Tisch, doch als ich nach dem Aschenbecher auf dem Fensterbrett greife, verharre ich in meiner Bewegung. Neben dem Aschenbecher liegt zu meiner Überraschung ein Ring, der meinem Ehering verdächtig ähnlich ist. Verdutzt nehme ich ihn zur Hand. Schon nach kurzem begutachten bestätigt sich meine Annahme. Ich erkenne die Gravur. Das ist mein Ehering. Der Ehering, den ich verloren habe!
Mein Ring ist tatsächlich wieder aufgetaucht.
Verwirrt sehe ich mich um.
„Was zur Hölle ist hier eigentlich los?“, frage ich verwirrt. Schon die Sache mit den immer wieder verschwindenden Crackern und den schwarzen, tonlosen Beweisvideos lässt mich an meinem Verstand zweifeln, aber das hier muss jetzt ein schlechter Scherz sein.
Gestern Abend habe ich den Aschenbecher auf das Fensterbrett gestellt, damit der Wind ihn nicht eventuell vom Tisch wirft und heute liegt mein Ehering daneben? Wenn er gestern dort gewesen wäre, dann hätte ich ihn gesehen! Ganz sicher!
Ich bin zwar manchmal vergesslich, aber das wäre mir definitiv aufgefallen.
„Oh Yoba, ich brauche eine Zigarette. Ich versteh es nicht. Hier muss es irgendwie spuken. Das würde auch erklären, wieso das Mädchen das vorher hier gewohnt hat, so plötzlich abgehauen ist, obwohl sie so viel Geld in das Haus gesteckt hat…“
Ich setze Domingo auf Calums Sessel. Der Chihuahua macht keine Anstände, die wärmende Decke zu verlassen. Er bleibt liegen, wie ich ihn abgesetzt habe. Den Aschenbecher stelle ich auf den Tisch und sobald ich mir eine Zigarette gedreht habe, zünde ich sie gleich an.
Meine Füße lege ich neben Domingo ab und lehne mich gegen die Lehne meines Sessels. Ein kleines Kissen im Lendenbereich bringt zusätzlichen Komfort.
„Ich verstehe es nicht, Domingo. Ich verstehe es einfach nicht… Irgendwer muss den doch dahin gelegt haben.“
Meinen Ehering in genau dieser Phase meiner Ehe zurückzubekommen, kommt mir wie ein schlechter Witz vor. Wer hat ihn gefunden und wer hat ihn da überhaupt hingelegt? Richie wird es wohl kaum gewesen sein und wenn jemand anders ihn gefunden hat, wäre eine kleine Nachricht nett gewesen, damit ich mich wenigstens bedanken kann.
Ein Windhauch lässt die Glut meiner Zigarette aufleuchten. Ich konzentriere mich kurz auf den orangenen Punkt, doch dann nehme ich einen tiefen Zug. In meiner Hosentasche vibriert mein Smartphone. Ich muss mich erst durch ein paar Schichten Stoff kämpfen, ehe ich in meine Tasche fassen kann.
Ich nehme den Anruf an.
„Hey Richie. Was gibt’s?“
„Hey Trevor. Soll ich dir irgendwas aus dem Saloon mitnehmen?“, erklingt die Stimme des Blonden auf dem anderen Ende der Leitung.
„Richie, Schatz, es regnet. Bis du mit dem Essen hier ankommst bist nicht nur du klitsch nass, sondern das Essen ist auch aufgeweicht.“
„Nicht wenn man es gut einpackt und mit dem Auto fährt“, antwortet Richie überzeugt.
„Guter Punkt.“
„Soll ich dir etwas mitbringen?“
„Sí, überrasch mich, du weißt ja, was ich mag und Gus weiß auch Bescheid“, antworte ich. „Es ist nett, dass du an mich gedacht hast, gracias.“
„Gern geschehen“, spricht Richie wieder. Er klingt, als würde er von einem Ohr zum anderen lächeln. „Ich bin bald da. Bis später, Trevor.“
„Bis später, mein Kleiner.“
Da ich mein Smartphone schon in der Hand habe, schicke ich auch gleich die Fotos von heute Morgen und ein Bild von dem Domingo-Bündel an Carly, damit sie die Fotos an meine Mädchen weitergeben kann. Ein Foto von mir könnte ich eigentlich auch verschicken, doch ich bin ziemlich sicher, dass Carly es löschen würde. Weder Calum, noch die Kinder würden es zu Gesicht bekommen.
Diese gesamte Situation ist so frustrierend, wie sie lächerlich ist. Egal was ich tue, ich stehe vor einer verdammten Mauer des Schweigens. Meine Bemühungen kommen nicht auf der anderen Seite an. Wer weiß? Vielleicht kommen sie ja doch an und werden schlicht ignoriert, damit ich mich noch schlechter fühle, als ohnehin schon.
Ich gebe Calum Zeit, ich bedränge ihn nicht mit zu langen, nichtssagenden Nachrichten, in denen ich nur sage, wie leid es mir tut, sondern warte. Ich warte auf ein verdammtes Lebenszeichen. Ein durch Dritte ausgerichtetes kurzes Danke reicht mir nicht!
Ich will, dass er mit mir spricht! Dass er mir sagt, ob ich es richtig mache, ob ich es falsch mache oder ob ich überhaupt irgendetwas machen soll. Ich will wissen, was er von mir möchte. Soll ich mich nun bessern oder soll ich es lassen, weil wir keine Chance mehr haben? Ist unsere Pause eine Pause oder soll ich auch anfangen, mich nach jemand neuem umzusehen?
Fragen über Fragen, die unbeantwortet bleiben.
Gracias, Calum… Dafür, dass du immer kommunizieren willst, ist das hier eine ziemlich miese Unterhaltung.
…
Diese Nacht verbringe ich auf der Couch. Ich bin zu müde, um in mein Bett zu wandern. Domingo schnarcht bereits am Fußende. Den Fernseher schalte ich aus. Ich versuche die Ruhe zu genießen, doch je länger sie dauert, desto erdrückender wird sie. Es fehlt mir, Calum neben mir liegen zu haben.
Als ich kurz davor bin, in den Schlaf zu driften, geht das Licht in der Küche an. Es strahlt durch den freien Zugang Richtung Wohnzimmer, in dem ich mich befinde.
„Ich-Ich muss nur etwas essen und-und dann geht’s wieder“, spricht Richie mit sich selbst. Er klingt etwas seltsam und aufgelöst. „Ein kleiner Snack. Und dann-und dann meine Übungen…“ Ich höre, dass er sich die Nase putzt. „Nur nicht daran denken, nur nicht daran denken…“
„Richie?“, frage ich etwas lauter, sodass er mich auch hören kann.
Es ist kurz still, doch dann antwortet er zaghaft: „Ja?“
„Ist alles in Ordnung?“
„Ich-Ich… Nein.“
„Komm her. Komm her zu mir, mein Kleiner.“
Ich setze mich auf, streiche über mein juckendes Auge und warte einen kurzen Moment. Richie klettert sofort auf die Couch, als er ins Zimmer kommt. Er setzt sich auf meinen Schoß und sinkt augenblicklich in meine Arme. Die letzten Tage ist er so stark gewesen…
„Ich-Ich-Ich vermisse ihn so sehr…“, schluchzt Richie gegen meinen Hals. „Will fehlt mir.“
„Es ist okay ihn zu vermissen…“ Fürsorglich streichle ich über seinen Rücken, während Richie sich an meiner Schulter ausweint.
Wenn ich etwas feinfühliger wäre und wenn ich Worte übrig hätte, dann würde ich sie jetzt loswerden, doch ich weiß nicht, was ich sagen soll, um Richie zu trösten. Ich wusste schon am ersten Tag, dass die Trauer ihn einholen wird und dass er sich irgendwann in den Schlaf weinen würde. Die Zeit konnte ich nutzen, um mich mental darauf vorzubereiten, doch die richtigen Worte fehlen mir trotzdem. Richies schlanker Körper zittert als er schluchzt. Es gibt nichts, das ich sagen kann, um die Situation zu bessern. Er tut mir so unendlich leid.
Einige Minuten in denen wir nur da sitzen und ich Richie im Arm halte vergehen. Vorsichtig küsse ich seine Wange. Meine Hände wandern über seinen Rücken, ich streife seinen Hintern ein wenig. Dass meine einzigen Gedanken sich darum drehen, wie gut er duftet ist selbst für meine Verhältnisse sehr armselig. Ich hatte schon so lange keinen Sex mehr, dass ich nicht anders kann, als Richie gegen mich zu drücken. Ein wenig nutze ich seine Hilfsbedürftigkeit schon aus, auch wenn ich es nicht sollte. Ich schmiege meinen Kopf gegen seinen. Es folgt ein weiterer Kuss auf seine Wange. Sein zarter Hals ist nicht mehr weit entfernt und meine Libido erwacht ausgerechnet zum unpassendsten Zeitpunkt.
„Es wird alles wieder gut“, flüstere ich.
„…und wann? …wann wird es endlich leichter?“
„Ich weiß es nicht, mein Kleiner…“
Richie löst sich etwas von mir. Er wischt über seine Augen und Wangen. Um ihn besser ansehen zu können, streiche ich ihm die blonden Haare aus dem Gesicht. Richies Haut fühlt sich heiß an, seine verweinten Augen sehen in meine.
Vorsichtig lege ich meine Hand an sein Kinn, meine zweite Hand stützt seinen unteren Rücken. Richie leckt über seine Lippen, er presst sie fest gegeneinander. Eine weitere Träne bahnt sich ihren Weg über seine Wange.
Auf der dunklen Seite der Couch leuchtet mein Smartphone auf. Das Display erntet sofort meine Aufmerksamkeit.
Calum ruft mich an. Ausgerechnet jetzt.
Ich richte meinen Blick wieder auf Richie. Seine blauen Augen drücken eine Menge Gefühl aus, als sie mich ansehen. Gefühle, die ich erforschen möchte. Mit meinem Daumen streiche ich unsicher über seine Wange, um die aufkommenden Tränen wieder verschwinden zu lassen.
Ich muss eine Entscheidung treffen…