epílogo
Der letzte Tag des Sommers.
Ich vermisse die Sonne jetzt schon.
Mit meinem marido an der Hand und den Kindern, sowie Richie im Schlepptau begeben wir uns zum Strand. Heute steht die langersehnte Quallenwanderung an. Es fühlt sich so unwirklich an, dass der Sommer schon wieder vorbei ist. Er hat doch gerade erst begonnen.
Wir spazieren über den Hauptplatz von Pelican Town.
Ich erinnere mich noch daran, wie ich das erste Mal hier war. Damals haben meine Eltern mich nach Pelican Town verfrachtet, damit ich mich von meinem Entzug erholen und Ruhe finden kann. Ich sollte den Weg zurück zur Natur finden. Genau genommen ist mir das bis heute nicht richtig gelungen. Gut, mittlerweile züchte ich meine eigenen Kräuter und gehe wegen Domingo täglich im Wald spazieren, doch ich bin sicher, dass meine Eltern das anders im Sinn hatten.
Auch mein Entzug hat damals nichts gebracht. Jeder Aufenthalt in einer Klinik hat mir nur kurzzeitig geholfen. Immer wieder hatte ich Rückfälle, sowohl mit Alkohol, als auch mit harten Drogen. Tabak und importierter grüner Zauber aus meiner Heimat begleiten mich ebenfalls schon seit vielen Jahren. Ich kann nicht ohne, das Leben ist zu kurz um auf alles zu verzichten, was einem gefällt. Der Tag, an dem ich mich von Suchtmitteln löse wird vermutlich mein letzter Tag auf Erden sein.
„Sag mal Richie, wolltest du dich nicht mit Adam treffen?“, fragt Calum, als wir uns dem Strand nähern.
„Mhm, aber er hat mir nicht mehr zurückgeschrieben, als ich ihn gefragt habe, wann wir uns treffen wollen. Vielleicht ist er ja eingeschlafen… Jedenfalls wollte ich nicht alleine zu Hause sitzen und auf die Antwort warten. Außerdem sind wir ja nur Freunde, er ist mir also nichts schuldig.“
„Oh, das klingt aber trotzdem als wärst du ein klein wenig wütend auf ihn“, bemerke ich den etwas bissigen Unterton von Richie. „Hattet ihr Streit?“
„Nein, ich schätze nur, dass er nicht der richtige Mann für mich ist. In den letzten Tagen habe ich viel über mich nachgedacht. Ihr hattet alle Recht… Ich sehe einen Typen, verliebe mich unsterblich in ihn und hänge dann an ihm, als wäre er ein Teil von mir. Das kann nicht gesund sein. Ich dachte für einen Moment, dass ich bereit für etwas Neues bin, aber ich kann das alles noch nicht. Es ist gut so, wie es ist. Ich muss erst an mir selbst arbeiten, bevor ich eine neue Beziehung eingehen kann. Ich brauche keine bessere Hälfte, um komplett zu sein.“
Obwohl Richies Aussagen ein wenig nach einem Selbsthilfebuch klingen und er versucht, Selbstbewusstsein und Stärke auszustrahlen, bemerke ich die große Traurigkeit, die er zu verschleiern versucht. Mein Kleiner hat noch einen weiten Weg vor sich, wenn er der Mann werden möchte, der er gerne sein will.
„Bist du sicher, dass alles okay ist?“, erkundigt Calum sich nach der Befindlichkeit seines Cousins.
„Schätze schon“, antwortet Richie geschlagen. „Es ist nur so, dass es nicht einfach ist, einen Mann in sein Leben zu lassen, wenn man mit dem Kopf die ganze Zeit bei jemand anderem ist.“
„Liebe ist manchmal schwer“, antwortet Calum ebenfalls etwas bedrückt. „Es beginnt einfach und locker und dann kommen einem immer mehr Probleme in die Quere.“
Ich kenne das Gefühl.
Damals, noch bevor Calum und ich ein Paar wurden, hing mein Herz dummerweise noch ein wenig an einer längst vergangenen Jugendliebe. Ich musste auch erst mit Enrique abschließen, bevor es mit Calum ernst wurde. Für mich war es jedoch einfacher, mit meinem Ex abzuschließen, nachdem unser Wiedersehen nicht das Ergebnis brachte, was ich mir erhofft hatte… …diese Möglichkeit hat Richie nur leider nicht.
„Lass dir Zeit, mein Kleiner“, meine ich überlegend. „Gewisse Dinge kann man nicht erzwingen.“
„Ich weiß“, stimmt Richie mir zu. „Ich versuche, weniger darüber nachzudenken. Es wäre besser, auf deinen Rat zu hören und mich wieder einem Hobby zuzuwenden. Vielleicht sollte ich auch anfangen Gedichte zu verfassen. Könnte ja sein, dass die Quallen mich zur Kreativität inspirieren. Das wird mich bestimmt etwas von der Realität ablenken. …und das kann ich im Moment echt gut gebrauchen.“
„Ich freu mich auch auf die Quallen!“, ruft Cassie beschwingt. Sie springt fröhlich über die Brücke, die Richtung Strand führt. Wie dieses Kind nach einem langen Tag noch so viel Energie in sich trägt, ist mir ein Rätsel.
„Lauf ja nicht ins Wasser!“, ruft Calum ihr nach. „Die Quallen sind zwar sehr schön, aber auch sehr gefährlich!“
„Ja-ha!“
Wir folgen unserer Tochter über die Brücke und über den Strand. Domingo hüpft durch den Sand, die Leine sorgt jedoch dafür, dass er in meiner Nähe bleibt. Im Normalfall braucht er sie nicht, doch heute ist es mir lieber, wenn ich Domingo ein wenig unter Kontrolle habe. Die vielen Menschen könnten ihn stressen und dann noch die Quallen… Das ist mir etwas zu gefährlich.
„Maaaaax!“
Überglücklich läuft Cassie auf Max zu, dass sie dabei ein Gespräch unterbricht, ist ihr vollkommen egal. Cassies laute Stimme sorgt dafür, dass sie die Blicke einiger Leute auf sich zieht.
„Oh. Hey meine Süße. Du bist ja ganz schön stürmisch“, begrüßt Max seine kleine Freundin.
„Du hast mir so sehr gefehlt. Ich hab dich echt vermisst, Max.“
„Awww, ich hab dich auch vermisst, Cassie.“
„Sind sie nicht süß?“, fragt Calum mich.
„Wäre toll, wenn sie sich auch zukünftig einen schwulen Mann sucht. Hab ich auch gemacht, das funktioniert ganz super.“
„Ganz super, klar. Das sehe ich ein bisschen anders“, meint Calum trocken. „Ich habe gesehen, dass du vorhin-“
„Ich hab dir das Glas auch nicht verheimlicht“, antworte ich schnell. „Ohne ein Geheimnis daraus zu machen habe ich mir einen Drink eingeschenkt und ihn getrunken. Es war nur ein Glas und es waren vielleicht… 3cl, das ist gar nichts.“
„Sagte der Alkoholiker…“
„Könntet ihr das vielleicht ein andermal besprechen?“, unterbricht Richie unsere kleine Diskussion. „Lucía kann euch ganz genau hören.“
„Was heißt Alkoholiker?“, fragt unsere Tochter nach. „Ich kenne das Wort nicht.“
„Ach, das bedeutet gar nichts, meine Süße“, winkt Calum das Thema gleich ab. Er nimmt unsere Tochter auf den Arm und schließt sich der Gruppe um Max und Sebastian an.
„Gracias, du hast mir wohl grade den Abend ein wenig angenehmer gestaltet.“
Richie seufzt. „Ach, keine Ursache. Ich versteh sowieso nicht, wieso er sich so aufregt. Du bist ein erwachsener Mann, solange du nicht wieder jeden Tag mehrere Gläser becherst, ist doch alles okay. Andere Männer trinken auch jeden Tag ihr Feierabendbier und dann noch ein paar am Wochenende, während sie sich ein Gridballmatch ansehen“, erzählt Richie etwas unbeteiligt. „Denen würde auch keiner unterstellen, dass sie ein Alkoholproblem haben. Du arbeitest wenigstens daran und hältst dich an deine Vorsätze, das sollte er mehr schätzen. Das alles ist bestimmt sehr schwer für dich.“
„Würdest du ihm das auch sagen?“, frage ich nach. „Vielleicht besänftigt ihn das ein bisschen.“
„Hab ich schon. Hat ihn nicht beeindruckt“, antwortet Richie, wonach er mit den Schultern zuckt. „Er macht sich da viel mehr Gedanken und Sorgen als ich, aber wahrscheinlich liegt das daran, dass ich nicht alles mitbekommen habe, was in den letzten Jahren in eurer Ehe passiert ist… Wahrscheinlich wird man da ein wenig empfindlicher, wenn man sozusagen in der ersten Reihe sitzt.“
„Damit könntest du Recht haben.“ Ich ziehe etwas an der Leine, als Domingo auf das Wasser zugeht. „Es ist ja auch eigentlich nicht dein Problem, mein Kleiner, aber es ist trotzdem sehr nett von dir, dass du dich für mich eingesetzt hast“, bedanke ich mich ein weiteres Mal.
„Ich hab’s zumindest versucht. Hey, da drüben ist Adam… Ich werd mal mit ihm reden und mich selbst dabei ein wenig unter die Lupe nehmen.“
„Verlieb dich nicht.“
„Wie witzig, ich rette dir nicht mehr den Arsch, wenn du fies zu mir bist“, antwortet Richie frech. Er zeigt mir die Zunge und macht sich dann gleich auf den Weg zu Adam, der sich gerade scheinbar mehr als blendend mit Sam und Cait unterhält.
„Hey, Sex Machine, komm mal her“, höre ich Junos Stimme. Ich drehe mich in ihre Richtung und sie winkt mich eilig zu sich.
„Sex Machine, an den Spitznamen könnte ich mich gewöhnen“, meine ich schmunzelnd, als ich mich in die Gruppe einreihe.
Sebastian neben mir lässt einen Seufzer los. Er wirkt etwas neidisch, als er sieht, wie Max sich abseits mit meinen Mädchen beschäftigt.
„Hoffentlich bekomm ich Max noch wieder, eure Mädchen stehen total auf ihn“, gibt er ein wenig schmollend von sich.
„Ach, das wird schon, ich pfeife sie dann zurück“, verspricht mein marido ihm.
„Danke. Heute Abend wollten wir eigentlich ein bisschen Romantik tanken, bevor wir tot ins Bett fallen.“
Juno packt meinen Arm. „Ich nehm’s langsam echt persönlich, Trevor.“
„Lo siento, mein Schatz, aber ich bin wahnsinnig be-“
„Mhm, ich versteh schon. Mit dem Hund spazieren, in der Sonne zu liegen und sich brutzeln zu lassen ist zu hart, da hat man keine Zeit, seine Freunde zu besuchen. Gut, dass der Sommer endet, jetzt fällt dir zu Hause bestimmt die Decke auf den Kopf.“
„Ich kann ja als Wiedergutmachung mit dir schlafen“, biete ich breit grinsend an. Kaum habe ich ausgesprochen, fliegen die Fäuste. Nicht nur Calum gibt mir einen Schubs, auch Sebastian legt einen Schlag nach. Selbst an meinem Schienbein spüre ich etwas. Als ich nach unten blicke, sehe ich Haley, die Domingo hinter den Ohren krault.
„Beim nächsten Mal boxe ich dir zwischen die Beine“, droht sie mir.
Juno beginnt zu lachen, während ich mir die Schulter reibe, die Calum erwischt hat. Sein fieser Blick zeigt, dass er heute keinen Spaß versteht. Manche Dinge ändern sich wohl nie.
„Versprich mir, dass du demnächst vorbeikommst“, bittet Juno mich mit einem Lächeln. „Ich hab gehört du genehmigst dir ab und zu ein Gläschen und ich würde mich freuen, wenn du unser neues Bier probierst. Wir feilen aktuell an ein paar Formeln und könnten noch ein paar Testpersonen brauchen.“
„Na ob professionelles Trinken so gut für ihn wäre? Denk doch mal nach, Juno“, mischt Sebastian sich in das Gespräch ein. „Der soll mal lieber klar im Kopf bleiben.“
„Professionell“, wiederholt Juno schmunzelnd. „Er soll nen Schluck nehmen und mir sagen ob es ihm schmeckt oder nicht, mehr steckt da nicht dahinter.“
Auch Calum hat etwas zu sagen: „Ich finde die Idee auch nicht so prickelnd.“
„Ay, gut, dass ich bereits erwachsen bin und selbst bestimmen darf. Ich komme liebend gerne vorbei, Juno“, antworte ich selbstsicher.
„Hey, ähm… wenn das Streit zwischen euch bedeutet, dann vergiss das Angebot lieber. Ich hab da nicht so genau drüber nachgedacht.“
Ich schüttle den Kopf, ehe ich antworte: „Ich brauche seine Erlaubnis nicht und ich komme ja auch nicht zu dir, um mich zu betrinken, sondern um zu quatschen.“
Ein kurzer Blick zu meinem marido verrät, dass er mehr als angepisst ist. Er verkneift sich jeden weiteren Kommentar, allerdings nicht seinen tödlichen Blick. Er nimmt Abstand von der kleinen Gruppe. Bei jedem seiner Schritte, die er auf den Steg zumacht, spüre ich seine Wut.
„Gut, dass deine gesamte Familie aus Anwälten besteht, das wird dir die Scheidung erleichtern“, erklärt Sebastian, wobei er meinen Arm tätschelt. „Ich werd mal da rüber gehen und meinen Mann für mich beanspruchen.“
„Schick die Mädchen zu Calum“, bitte ich ihn.
„Mach ich.“
Und schon stehe ich alleine mit Juno und Haley da. Die Blondine richtet sich auf, jedoch haucht sie dem aufgeregten Hund noch einen Kuss zu. Ihr verurteilender Blick sagt einiges, ihre Lippen jedoch nichts.
Juno seufzt, ehe sie schuldbewusst spricht: „Ich bin so ein Idiot. Die Pferde sind mal wieder mit mir durchgegangen. Entschuldige, ich wollte nicht, dass ihr streitet.“
„Das will ich auch nicht und trotzdem passiert es immer wieder…“, antworte ich.
„Ich bin sicher, dass du daran gar keine Schuld trägst“, meint Haley nun doch. Der Sarkasmus ist nicht zu überhören. „Und du… Juno, was sollte das?“
Beschwichtigend hebt Juno die Arme. „Es war keine Absicht. Ich war aufgeregt, weil ich ihn endlich mal zu Gesicht bekomme und ich hab alle eingeladen, mein Gehirn hat das nicht differenziert.“
„Du kannst überhaupt nichts dafür, Juno“, spreche ich die Latina von ihrer Schuld frei. „Calum ist bei diesem Thema empfindlich, weil ich schon viel zu viel Scheiße gebaut habe. Er würde mir gerne vertrauen, aber er hat Angst, dass ich wieder rückfällig werde. Es ist aktuell ein sehr heikles Thema.“
„Du solltest dich bei ihm entschuldigen und mit ihm reden“, rät Haley mir. Ihre Stimme klingt nun wieder etwas sanfter. Sie greift nach Junos Hand. Meine Freundin lächelt und gibt Haley einen Kuss auf die Wange.
„Hör auf sie, sie ist ein schlaues Mädchen.“
„Mhm… Mach ich, aber falls ihr noch ein paar Küsse austauschen wollt bevor ich gehe, habe ich nichts dagegen.“ Wieder ernte ich kollektive Schläge gegen meinen Arm und meinen Brustkorb. „Das war ein Nein, richtig?“
„Hau einfach ab“, antwortet Juno grinsend.
„Na gut, wenn ihr meint.“
Auf dem Weg zum Steg kommen mir noch einige der Bewohner unter die Augen. Auch Sally und Harvey sehen sich die Quallenwanderung an. Ich begrüße sie mit einem Winken, das von den beiden erwidert wird. Ihre zwei aufgeweckten Kinder sind schon auf dem Weg zu Cassie und Lucía. Sieht so aus, als würden Sebastian und Max doch noch die Chance haben, all die romantischen Dinge, die sie geplant haben, abzuhaken.
Ich für meinen Teil begebe mich auf den Steg. Calum tippt gerade an einer Nachricht. Er steckt sein Smartphone weg, als ich mich neben ihn setze. Domingo versucht sich erst zwischen uns zu drängen, doch dann nimmt er auf der anderen Seite, direkt neben mir Platz und legt seinen Kopf an meinen Oberschenkel. Damit er sich nicht heimlich vom Acker machen kann, setze ich mich auf die Hundeleine.
„Natürlich werde ich mich nicht als Bier-Testperson melden“, besänftige ich meinen marido. „Das wäre keine gute Idee. Ein Drink alle paar Tage reicht vollkommen aus. Mein Tequila soll eine Belohnung sein. Biersorten zu testen wäre da kontraproduktiv.“
„Und wieso hast du dann zugesagt? Willst du vor deinen Freunden cool sein oder was? Du bist seit Ewigkeiten kein Teenager mehr, falls es dir entgangen ist.“
„Blödsinn. Ich will nicht, dass du mich bevormundest. Du hast selbst gesagt, dass du diese Rolle nicht möchtest. Wir sind ebenbürtig, oder nicht?“
„Im Prinzip ja, aber wenn du dämliche Entscheidungen triffst, dann muss ich dir das vor Augen führen. Es nervt mich selbst ja auch. Es wäre besser, wenn du nicht so ein Volltrottel wärst, dann hätten wir keine Probleme.“
„Was kann ich tun, um mich zu entschuldigen?“, frage ich nach.
„Nichts“, antwortet Calum gleichgültig. „Außer endlich dein Wort zu halten. Ich will nicht, dass mein Leben in die Brüche geht, Trevor. Ich liebe unsere Mädchen und ich liebe auch dich und…“ Er atmet tief durch. „Ich will das alles nicht verlieren. Ich hab das alles schon so oft gesagt und immer wieder wiederholt und es wird mir langsam zu blöd. Es ist anstrengend immer wieder zu hoffen und immer wieder aufs Neue enttäuscht zu werden. Es macht keinen Spaß mehr…“
Ich verhake unsere Finger ineinander, dabei liegt mein Blick auf meinem Liebsten. Obwohl Calum auf das Meer hinaussieht, erkenne ich, dass er nicht mehr wütend, sondern nur noch traurig ist.
„Wir können doch wieder glücklich werden, oder?“, fragt er mich mutlos.
„Was ist überhaupt das Problem?“
Calum lacht bitter. „Das soll wohl ein Witz sein, oder? Du bist das Problem. Du brichst ständig deine Versprechen. Ich kann mich nicht auf dein Wort verlassen. Wenn es um dich geht, siehst du alles locker, aber wenn es um andere Menschen geht, bist du kalt, hart und streng. … Ich weiß echt nicht, was ich an dir so gern mag.“
„Ich bin ein ganz hübscher Kerl“, antworte ich etwas scherzhaft.
„Mhm… noch… du wirst alt. Alkohol, Drogen und Zigaretten lassen dich übrigens schneller altern als du müsstest. Max ist fast so alt wie du. Der achtet auf sich und sieht blendend aus. Dem würd ich nie glauben, dass er schon Mitte 30 ist…“
Ich seufze. „Und du bist dir sicher, dass du mich wirklich liebst?“
Calum nickt. Jetzt sieht er mich das erste Mal in diesem Gespräch an. „Ja klar, aber ich wollte dir das schon länger mal sagen. Du bist älter als ich, das ist mir schon klar, aber es wäre von Vorteil, wenn du das nicht beschleunigen würdest.“
„Mhm… Beantwortest du auch meine Frage?“
„Also… Wenn ich dich nicht lieben würde, wäre ich längst weg. Glaub mir, ich würde mir den Scheiß hier echt nicht antun, wenn du mir nicht alles bedeuten würdest. Und was ist mit dir? Liebst du mich mehr als den Alkohol? Als die Drogen? Schaffst du es, deine Ziele im Auge zu behalten, auch wenn die Paparazzi dich wieder ablichten? Schaffst du es, clean zu bleiben und deine Versprechen einzuhalten, auch wenn du unter Druck und Stress stehst?“
„Das alles nagt immer noch an dir, was?“
„Und wie. Jeden verdammten Tag… Ich will nicht mehr denken, Trevor. Ich will den Scheiß endlich vergessen und unser gemeinsames Leben genießen…“
„Ich verspreche dir, dass ich mein bestes gebe“, beschwichtige ich meinen marido sanft. Ich hebe Calums Hand an und küsse seine Finger. „Te amo, mi corazón.“
Nun lächelt Calum wieder etwas. „Yo también te amo.“
Mein marido beugt sich zu mir und verwickelt mich in einen liebevollen Kuss. Hoffentlich habe ich diese Katastrophe für eine Weile aufgeschoben. Ich schätze, dass ich Junos Bier wirklich nicht probieren werde, solange sie nicht an einer antialkoholischen Variante feilt…
Calum und ich sehen auf das Meer hinaus. Neben uns wird ein kleines Boot mit einer Kerze in die Weiten des Wassers entlassen. Ich rutsche etwas näher zu meinem Liebsten. Calum legt einen Arm um mich und küsst meine Wange. Domingo gleicht den Abstand, der sich nun zwischen uns gebildet hat, wieder aus. Er kuschelt sich wie gewohnt an meinen Oberschenkel.
„Es wird wohl bald losgehen. Sollten wir die Mädchen holen?“, fragt Calum mich.
„No, lass sie spielen. Sie haben vorhin Sina und Lucas entdeckt, das heißt, dass sie beschäftigt sind. Sie wissen, dass sie die Quallen nicht anfassen dürfen und dass sie nicht ins Wasser gehen dürfen. Ich traue ihnen zu, dass sie das hinbekommen.“ Ich schmiege mich an Calum und lehne mich an seine Schulter. „Falls nicht, ist Harvey auch hier, der kann sie verarzten… Aber genug von den Mädchen, ich will die Ruhe genießen, solange sie andauert.“
„Awww, braucht da jemand etwas Liebe?“
„Sí.“
Ich werde etwas gedrückt und bekomme einen Kuss auf die Schläfe. „Wieso kannst du nicht immer so süß sein?“
„Ich arbeite daran.“
„Das hoffe ich.“
Während wir darauf warten, dass die Quallen näher kommen, rauche ich eine vorbereitete Zigarette, die ich in meiner Jackentasche aufbewahrt habe. In der Ferne ist bereits das Leuchten der Tiere zu sehen, es ist bis jetzt jedoch nur ein sanftes Glitzern, das von den Wellen bewegt wird.
„Wenn du dich nicht besserst, werde ich dich leider umbringen müssen, Trevor.“
Ich nicke. „Weißt du was? Sobald ich wieder Scheiße baue-“
„Sobald? Tz… Falls ist das Wort, das du suchst, mein Lieber“, berichtigt Calum mich streng. „Außer du hast vor, wieder auf die falsche Bahn zu geraten…“
„No, entschuldige meine Wortwahl. Fremdsprache und so.“
„Klar, jetzt holst du wieder die Ausländerkarte raus. Ich schubse dich ins Wasser, wenn die Quallen da sind, dann kannst du gleich zurück zu den Fern Islands schwimmen, wenn du mir so kommst…“
„Falls ich mich nicht benehmen sollte-“, knüpfe ich an meine unterbrochene Aussage an. „-dann hast du das Recht, mich umzulegen. Mach es aber bitte kurz und schmerzlos.“
„Hättest du wohl gerne. Ich fessle dich ans Bett und lasse dich ausnüchtern. Wenn du dann noch nicht genug gelitten hast, dann überlege ich mir eine Strafe für dich.“
„Sex wäre eine ganz, ganz furchtbare Strafe“, schlage ich grinsend vor.
„Stimmt… Ich kann es meinem neuen Macker vor deinen Augen besorgen. Das ist eine gute Idee. Die bewahre ich im Hinterkopf.“
„Wenn ich mitmachen darf, wieso nicht…“
„Nein und genau das ist deine Strafe“, zieht Calum mich auf. „Du musst zusehen und da du gefesselt bist, wirst du keine Erleichterung bekommen. Das viele Testosteron wird dich um den Verstand bringen. Deine Eier werden blauer als der Himmel.“
„Fies. So fies. Du bist ein böser Mensch.“
„Und ich bin es gerne“, antwortet Calum zufrieden.
Schmunzelnd und mit viel besserer Laune zieht Calum mich wieder zu sich. Ich wende meinen Kopf kurz ab, um ihm den Rauch meiner Zigarette nicht ins Gesicht zu blasen. Mit einem sanften, aber bestimmten Handgriff dreht Calum mein Gesicht zu sich. Er gibt mir einen liebevollen Kuss. Der Zigarettenrauch scheint allerdings Domingo zu viel zu werden. Er steht auf, kurz darauf spüre ich seinen warmen Körper jedoch an meinem Rücken.
Calum und ich küssen uns erneut. Unser romantischer Moment wird leider wieder einmal zunichte gemacht, als die Quallen nach und nach zum Ufer kommen. Die Mädchen wollen dieses Spektakel wohl lieber mit uns als mit ihren Freunden erleben. Calum nimmt Cassie auf den Schoß, während Lucía sich bei mir breit macht. Ich halte meine Tochter fest, um sicher zu gehen, dass sie nicht ins Wasser fällt. Obwohl Lucía sonst immer sehr schüchtern ist, zeigt sie deutlich, wie gut ihr die leuchtenden Quallen gefallen.
„Die Quallen leuchten schön“, schwärmt sie fröhlich. Sie zeigt Richtung Wasser. „Ich mag die Quallen, papá.“
„Das glaube ich dir auf’s Wort, princesa.“
„Ich will sowas für unser Aquarium haben“, erzählt Cassie aufgeregt. „Das wäre voll cool, oder Daddy?“
„Eigentlich ja, Prinzessin, aber Quallen leben im Salzwasser und wir haben ein Süßwasseraquarium. Ich glaube nicht, dass man solche Quallen überhaupt besitzen darf. Ich hab euch ja schon gesagt, dass die gefährlich sind.“
„Aber sie sind so schön“, antwortet Cassie begeistert.
„Ja, das sind sie“, stimmt Calum ihr zu.
Mit einem Seufzer lässt Richie sich neben mich sinken. Viel Platz ist zwar nicht, aber Richie ist glücklicherweise schmal genug, dass er sich setzen kann.
„Typen sind ja so ätzend, wenn man nicht mehr auf sie steht“, erzählt er leise. „Alles was ich vorher charmant und süß fand, kommt mir jetzt unangebracht und irgendwie blöd vor.“
„Das macht nichts“, tröstet Lucía ihn. „Blöde Leute muss man nicht mögen.“
„Hör auf die Kleine“, stimme ich meiner Tochter zu.
Seufzend lässt Richie seinen Kopf gegen meine Schulter sinken. „Gut, dass ich euch habe, so bin ich nie wieder alleine.“
„Ich hab dich lieb, Onkel Richie.“
„Ich hab dich auch lieb, Lucía.“
„Ich hab Onkel Richie auch ganz doll lieb“, erzählt Cassie eifrig.
Calum wirkt etwas erschrocken, als sie sich bewegt. Er klammert sich sofort an dem Holzstamm neben sich fest. „Cassie, pass bitte auf, sonst fallen wir beide noch ins Wasser…“
„Entschuldige, Daddy.“
Etwas wehmütig blicke ich über die Quallen. Einige von ihnen schwimmen schon beinahe unter unseren Füßen. Die Erkenntnis, dass der Sommer nun wirklich vorbei ist, trifft mich hart. Der Herbst ist anfangs ganz okay, sollte die Sonne sich noch einmal zeigen, aber das kalte Klima, das auf mich zukommt, bekommt mir nicht. Sollte es sich einrichten lassen, möchte ich den Winter mit meiner Familie auf den Fern Islands verbringen. Schnee und Eis können mir gerne gestohlen bleiben.
Ich sehe zu Calum, der meinen Blick sofort bemerkt und mich etwas unzufrieden ansieht. Es ist nicht so einfach für mich zu sagen, was ihm im Moment nicht passt, doch nach einigen Sekunden meldet er sich von selbst: „Du, Richie?“
Der Angesprochene hebt seinen Kopf. „Hm?“
„Willst du dir nicht die Mädchen schnappen und ein bisschen die Umgebung erkunden? Ein paar Erinnerungsfotos wären doch toll, oder?“, schlägt Calum vor. Der Vorschlag ist jedoch keine gewöhnliche Bitte, sondern eher eine unterschwellige Aufforderung.
„Äh… Ja, klar. Ich kann auch Domingo mitnehmen, je mehr er sich auspowert, desto besser wird er schlafen.“
Ich hebe meinen Oberschenkel, sodass ich Richie die Leine überreichen kann. Das Ablenkungsmanöver gelingt ganz gut. Beinahe in der Sekunde als Calum und ich wieder alleine sind, greift er nach meiner Hand und beugt sich zu mir, um mich zu küssen. Sanft bewege ich meine Lippen gegen seine. Die sonst im Alltag fehlende Romantik schlägt ein wie eine Bombe.
„Ich bin froh, dass er den Wink verstanden hat. Kann ja nicht sein, dass ich nicht mal eine Hand frei habe, um deine Hand zu halten und er sich da an deine Schulter kuschelt.“
„Eifersüchtig?“, frage ich schmunzelnd.
„Nein. …gut, vielleicht ein bisschen, aber du weißt schon… Hier verbringt jeder die Zeit mit seiner besseren Hälfte und ja… Da wird einem die Romantik vor die Füße gespült und trotzdem…“
„Schon gut“, winke ich ab. „Lass uns die Gelegenheit nutzen, bevor sie vorbei ist. Aber die Idee mit dem Erinnerungsfoto finde ich nicht schlecht. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste, nicht, dass ich diesen Abend hier noch vergesse.“
Calum lacht etwas. „Du bist so ein Idiot.“
Mein Liebster und ich fotografieren uns gegenseitig, schießen dann noch das eine oder andere Selfie, bevor wir uns wieder dem Moment hingeben. Ich zumindest. Calum will seine Eindrücke sofort mit seinen Freunden und Followern teilen.
Die Welt nur durch einen Bildschirm zu betrachten war nie mein Ding und wird es auch niemals werden. Ich möchte die Welt mit all meinen Sinnen erfassen. Ich will das Leben vollkommen auskosten, ich will alles und noch mehr und ich weiß, dass ich das auch erreichen werde.
In den nächsten Monaten werde ich mir das Beste aus mir und meinem Leben herausholen. Die Paparazzi werden mich nie wieder davon abhalten, das Leben zu führen, das ich mir wünsche. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Sollen sie doch schreiben, was sie wollen.
Nicht nur ich scheine für den Moment zufrieden zu sein. Auch die sich zusammengefundenen Pärchen, die frisch Verliebten und auch die, die schon ewig zusammen sind, genießen die von der Natur geschaffene, romantische Atmosphäre. Heute Abend werden bestimmt einige flachgelegt.
Calum steckt sein Smartphone weg und widmet mir wieder seine volle Aufmerksamkeit. Wir tauschen Küsse aus, doch dann einigen wir uns stumm darauf, das Naturschauspiel noch eine Weile zu beobachten. Der Wind ist zwar schon etwas kalt, doch durch Calums Körperwärme ist es noch aushaltbar.
Die Quallen werden immer weniger, nach und nach entfernen sie sich vom Ufer, bis sich nur noch wenige Quallen in der Nähe des Strandes befinden. Das Leuchten im Wasser lässt immer mehr nach, es wird fast schon von Minute zu Minute dunkler. Die leuchtenden Quallen ziehen weiter, so wie auch ich weiterziehen werde.
Ich drücke Calums Hand. „Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, um die beste Version meines Selbst zu werden, Calum.“
„Dein Wort in Yobas Ohren, Sweetie…“