Author's Note:
Für dieses Kapitel habe ich mir "Sally" von der Autorin "Marmelade" (nicht auf Belletristica registriert) geliehen.
capítulo 11
alcohol y comprimidos
„Baby?“, rufe ich nach meinem marido, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Ich bin gerade dabei, den Kofferraum unseres Familienautos aufzuräumen, da wir Platz für einen Großeinkauf brauchen. Vom gestrigen Ausflug in den Baumarkt ist noch einiges im Wagen geblieben.
„Ja?“
„Hier ist noch eine Kiste. Wo soll die hin?“
„Lass nur, Sweetie, die ist schwer. Ich mach das selbst!“
„Ach was. Lass mich helfen! Wohin damit?“
„Sweetie. Ich meins Ernst, lass die Kiste, wie sie ist! Ich mache das selbst!“
Bis Calum das selbst in die Hand nimmt, dauert es eine Ewigkeit, die ich definitiv nicht verschwenden möchte. Ich greife nach der Kiste, um sie anzuheben. Calum hat nicht gelogen, sie ist verdammt schwer. Als ich sie anhebe, trifft mich ein schmerzender Stich in der Wirbelsäule. Wie ein Blitz zieht sich der Schmerz durch meinen gesamten Körper. Ich stütze mich auf die Kiste, es ist kaum möglich, mich zu bewegen. Meine Versuche den Schmerz einfach weg zu atmen sind vergebens. Ich kann mich nicht mehr rühren.
„Sweetie? Was machst du da?“, fragt Calum, als er auf mich zutritt. Er beugt sich zu mir, sodass er in mein Gesichtsfeld dringt. „Trevor?“
„Geh weg…“
„Sweetie? Was ist los? Du siehst aus, als hättest du Schmerzen.“
„Was ist in dieser scheiß Kiste?“
„Große, schwere Farbeimer… deswegen solltest du die Kiste so lassen. Ich hab sie da reingestellt, dass das Auto nicht voll mit Farbe wird, sollte irgendwo ein Bruch in den Plastikeimern sein.“
„Mein Rücken…“ Calum legt eine Hand auf meinen Rücken, um mich etwas zu streicheln. „Lass es. Bitte. Au…“
Mein marido lacht ein wenig, doch er fasst sich schnell ein Herz und hat doch Mitleid mit mir. „Kannst du dich irgendwie bewegen? Ich muss dich zu Harvey schaffen, der muss irgendetwas tun.“
„Und was ist mit den Mädchen?“
„Ich frage eben Dan, ob er auf sie aufpassen kann. Halt durch, Sweetie.“
„Klar… du kannst mich mal…“
Calum drückt mir einen Kuss auf die Wange, er streichelt mich doch noch einmal, obwohl ich ihn gebeten habe, es nicht zu tun. Ich kann deutlich sehen, dass er schmunzelt und dass er es genießt, mich leiden zu sehen. Für ihn ist es wahrscheinlich eine Genugtuung, dass es mir jetzt schlecht geht, da ich nicht auf ihn hören wollte.
Verdammt, diese Schmerzen…
…
Calum hilft mir aus dem Wagen, jeder weitere Schritt in Harveys Arztpraxis fühlt sich an wie die pure Hölle.
„Hey. Calum Sanchez, ich hab grade angerufen“, erklärt er der jungen Frau an der Rezeption. Die Rothaarige kommt mir gleich bekannt vor. Das ist ‚die Unbekannte‘ aus Pierres Laden. „Mein Mann hat sich verletzt, als er versucht hat, eine Kiste zu heben.“
Ich rolle mit den Augen. Wenn ich nicht so große Schmerzen hätte, würde ich ihm die Leviten lesen. Trotz des Seitenhiebes reicht Calum der jungen Frau meine Versicherungskarte.
„Lusiel Sanchez“, liest sie vor. „Wir haben uns kurz bei Pierre gesehen, richtig? Ihr seid erst vor ein paar Tagen angekommen, oder? Wir haben noch keine Akten angelegt. Das werde ich im Anschluss gleich machen.“
„Ja, genau, aber das C in Luciel wird wie ein F gesprochen. Lufiel Sanchez ist richtig“, bessert mein Mann sie gleich aus.
„Oh, das tut mir leid“, entschuldigt sich die Frau an der Rezeption. „Was für ein außergewöhnlicher und schöner Name.“
„Könnte ich jetzt bitte zu Harvey? Ich sterbe hier gerade tausend Tode, ich habe keinen Nerv für Smalltalk“, beschwere ich mich unter Schmerzen.
Calum legt seinen Arm an meine Schulter. Er streichelt mich ein wenig. Die Frau reicht ihm meine Versicherungskarte, die er wieder wegsteckt. „Sweetie, leide leise. Wenn du auf mich gehört hättest, wäre das nicht passiert und wir könnten schon einkaufen fahren.“
„Guter Plan, halte mir ruhig vor, dass ich Zeit sparen und helfen wollte. Das wird mir garantiert nicht in Kopf bleiben, wenn du mich demnächst mal um Hilfe bittest.“
„Lass es nicht an mir aus, dass du jetzt Schmerzen hast. Ich kann nichts dafür, das war ein Unfall. Außerdem hättest du ja in die Kiste hineinsehen können.“
„Du mich auch…“, murmle ich genervt. Für Calum werde ich in den nächsten Wochen auf keinen Fall auch nur einen Finger rühren.
Die Tür zu den Behandlungszimmern öffnet sich. Mein Blick richtet sich sofort zu Harvey. Meine letzte Begegnung in dieser Klinik war nicht gerade erfreulich, so wie die meisten Begegnungen in dieser Stadt, doch heute bin ich erleichtert, dass ich hier bin und mir so schnell geholfen wird. Harvey führt mich vorsichtig ins Behandlungszimmer.
„Ich warte hier draußen, Sweetie.“
„Mach was du willst…“, antworte ich sauer.
„So sieht man sich wieder“, begrüßt Harvey mich, als wir alleine sind. „Du bist als Luciel angemeldet. Ist-“
„Nenn mich wie du willst, von mir aus kannst du mir auch schmutzige Spitznamen geben und mir den Hintern versohlen, aber mach etwas… Bitte Harvey, ich habe Schmerzen und die sollen aufhören.“
Er bittet mich mit einer Handgeste, mich zu setzen. „Ich werde dich zuerst abtasten. Erzähl mir, was genau passiert ist.“ Harvey stellt sich hinter mich, er tastet sich von meiner Halswirbelsäule Wirbel für Wirbel zu meinem Steißbein vor.
„Ich hab eine Kiste gehoben, die im Kofferraum war. Ich wusste nicht, dass sie so schwer ist…“ Harvey kommt an der Stelle an, dir mir am meisten weh tut. „Au, fuck…“
„Entschuldige.“
„Kannst du mir irgendeine Spritze geben? Irgendwas, dass mich ins All schießt, bis es mir wieder besser geht?“
Der Arzt räuspert sich, ehe er mir erklärt, wie er mich behandeln möchte: „Das wird nicht nötig sein. Ich gebe dir Schmerzmittel und Muskelrelaxans mit. Die Tabletten gegen die Schmerzen kannst du bei Bedarf nehmen, allerdings nicht mehr als drei pro Tag. Am Abend, bevor du schlafen gehst, nimmst du eine der Muskelrelaxans. Sie wirken schnell und vor allem in Verbindung mit den Schmerzmitteln wirst du sehr müde. Du solltest nicht Autofahren oder schwere Maschinen bedienen, sobald du sie intus hast. Du solltest am besten nichts heben, das schwerer ist, als deine Kaffeetasse, allerdings solltest du dich ein wenig dehnen und strecken. Ich schreibe dir die Dosierung für deine Tabletten auf, damit du nichts verwechselst. In ein paar Tagen sollte es dir besser gehen. Wenn ihr mir in ein paar Tagen die Akten eurer Kinder bringt, würde ich gerne nochmal nach dir sehen.“
„Gracias, Harvey.“
„Kein Problem. Wie geht es Lucía?“
„Wunderbar, sie war wohl nur aufgeregt durch die neuen Umstände. Die Mädchen leben sich ganz gut ein. Dan passt gerade auf sie auf.“
„Dort sind sie gut aufgehoben. So wie ich Dan kenne verwöhnt er die Mädchen mit allem, was sie sich wünschen.“
„Mhm… Klingt nach ihm.“
Harvey begleitet mich wieder zur Rezeption. Mein marido unterbricht das angeregte Gespräch mit Sally. Er kommt auf mich zu, um mich zu streicheln. Calum gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Wenn wir zu Hause sind, ruhst du dich aus, während ich mit den Kindern einkaufen fahre.“
„Geht klar. Entschuldige, dass ich nicht mitkommen kann. Lo siento.“
„Schon gut, Sweetie. Hauptsache, dir geht es schnell besser.“
Harvey übergibt Calum die Medikamente und wir machen uns wieder auf den Weg zurück zur Farm. Alles, was ich mir vom heutigen Tag wünsche sind starke Schmerzpillen, ein Drink und ein Nickerchen in der Sonne…
…
„Was zur Hölle? … Trevor?! Was denkst du, dass du da tust?“, schnauzt Calum mich sauer an. Mir ist überhaupt nicht klar, worauf er überhaupt hinaus möchte. Ich bin zu müde und mein Verstand ist zu vernebelt, um klar zu denken.
„Baby, ich hab Schmerzen. Harvey hat mich untersucht und mir die Tabletten gegeben. Er hat zu mir gesagt, dass ich mich ausruhen soll.“ Meine Augen offen zu halten ist nicht so einfach. Müde spreche ich weiter: „Und das mache ich, ich ruhe mich aus…“
„Und es war auch garantiert Harveys Idee, das Zeug mit Tequila runterzuspülen!“
„Hör auf mich anzuschreien, das ist echt nicht nötig.“
Wütend nimmt Calum mir meine Tequilaflasche weg. Ich hab gar nicht mitbekommen, dass ich sie in den Händen gehalten habe. Mein marido gibt mir einen Klaps auf den Kopf, um mich zu bestrafen. „Komm bloß nicht auf die Idee, dass ich dich dummen Hund auch noch bediene, während du hier in der Sonne liegst und dich wie ein Junkie zudröhnst!“
„Was?“, frage ich verwirrt. Es kommt mir vor, als würde ich das Gespräch nicht richtig verfolgen. „Baby, ich bin verletzt, weil ich die blöden Farben tragen wollte, um zu helfen.“
„Das kann schon sein, aber ich hab dir gesagt, dass du die Kiste stehen lassen sollst, außerdem ist das noch lange kein Grund, dich hier mit Tabletten und Alkohol zuzudröhnen. Ich schwöre bei Yoba, dass ich deinen verdammten drogensüchtigen Arsch sitzen lasse und mit den Kindern verschwinde, wenn du wieder mit so einem Scheiß anfängst!“
Beschwichtigend hebe ich meine Arme. „Ay, Baby, komm mal runter, okay? Ich bin verletzt. Ich bin müde und muss mich ausruhen.“
Calums Blick verfinstert sich. Er beugt sich über mich. „Such dir für heute Nacht einen anderen Schlafplatz, dumme Hunde sind im Haus nicht erwünscht.“ Mein marido schubst meinen Kopf, sodass ich beinahe meine Sonnenbrille verliere. Er richtet sich wieder auf. Während er zurück zum Haus geht, kann ich beobachten, wie er demonstrativ meinen Tequila im trockenen Gras verteilt.
„Ist klar, Calum. Ich bin wieder der Böse in der Geschichte, aber dass ich dir helfen wollte, ist mal wieder vollkommen nebensächlich! Ich hab Schmerzen, verdammt, ich wollte mich nur besser fühlen!“
„Ich kann leider kein Wort von deinem Bellen verstehen!“, antwortet er eingeschnappt. Es dauert nicht lange, schon verschwindet er aus meinem Sichtfeld.
Von wegen Schlafplatz suchen… Ich bin so high, dass ich mich nicht mal richtig aufrichten kann. Meinen Arm erneut anzuheben erfordert meine gesamten Kraftreserven, doch ich muss meine Sonnenbrille wieder zurechtrücken…
…
Ich spüre etwas in meinem Gesicht, das mich dazu bringt, vor Schreck zu zucken. „Sch… Nicht erschrecken. Geht’s dir gut, Sweetie?“, höre ich Calums Stimme. Es dauert ein paar Sekunden, doch dann öffne ich meine Augen. Calum streichelt meine Wange. „Kannst du aufstehen?“
„Du hast mich zugedeckt“, bemerke ich leise. Ich erinnere mich noch daran, dass ich hier draußen in der Sonne gelegen bin, irgendwann war mir dann kalt, aber ich konnte mich kaum bewegen, ich war zu müde.
„Auch wenn du ein dummer Hund bist, verdienst du eine Decke. Ich war wütend, das stimmt schon, aber… du bist ja auch manchmal sehr dämlich. Was denkst du dir bei dem Scheiß immer?“
„Ich hatte Schmerzen…“
„Ja, aber deswegen hat Harvey dir die Tabletten gegeben. Der Alkohol ist vollkommen unnötig…“ Er seufzt. „Machst du das, um mich zu ärgern? Willst du, dass ich wütend auf dich bin? Kannst du nicht einmal in deinem Leben etwas gut sein lassen und genießen, dass unsere Beziehung läuft? … Das alles ist wahnsinnig anstrengend für mich… Ich hab darauf wirklich keine Lust mehr.“
„Lo siento…“
„Eine Entschuldigung reicht mir nicht aus, Luciel. Gestern… hätte ich beinahe meine Sachen gepackt. Ich will nicht, dass es wieder von vorne losgeht. Ich bin noch jung genug, dass ich ein neues, besseres Leben anfangen kann. Ich will einen Mann, der nachdenkt, bevor er etwas tut, verstehst du?“
Ich atme tief durch. „Du willst gehen?“
Calum steht auf, er zuckt mit den Schultern. „Manchmal ja. Du bist nicht der einzige, der eine Pause braucht.“
„Baby…“
„Hör auf mit Baby. Nette Worte helfen dir jetzt nicht.“
„Calum, lass mich das erklären. Ich hatte gestern Schmerzen und ich wollte, dass es aufhört, das ist alles.“
„Die Schmerztabletten hätten gereicht. Ich hab die Tabletten gesehen, ich weiß, dass sie stark sind und ich weiß auch, dass man dieses Muskelrelax-Zeug abends nehmen soll, bevor man schlafen geht, weil man davon müde wird. Es hätte vollkommen gereicht, wenn wir ein Bad genommen hätten, du dir das Zeug reinhaust und dich dann zu mir ins Bett kuschelst. Und was hast du gemacht? Du hast dich dafür entschieden, dich in die Sonne zu legen und dich schon am Nachmittag zuzudröhnen. Das geht nicht. Die Mädchen haben nach dir gefragt. Sie haben gefragt, wieso du nicht aufwachst und wieso du draußen schläfst…“
„…naja, du wolltest, dass ich draußen schlafe.“ Calum redet zu viel. Es ist nicht so einfach, alle Informationen aufzunehmen. Ich bin immer noch sehr erschöpft. Es dauert noch ein wenig, bis ich wieder fit genug bin, um alles um mich herum richtig zu verstehen.
„Ich hab das gesagt, weil ich wütend war, aber in Wirklichkeit ist es mir lieber, wenn du bei mir im Bett liegst. Ich dachte, dass wir das alles ein für alle Mal hinter uns haben, aber diese Aktion lässt mich zweifeln.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, entschuldige ich mich, ohne es wirklich auszusprechen.
Calum reicht mir seine Hand, er hilft mir, aufzustehen. „Es ist egal, was du sagst. Ich bin immer noch wütend auf dich.“
Auch wenn mein marido wütend auf mich ist, nimmt er mich in den Arm. Calum drückt mich an sich, außerdem streichelt er meinen Rücken. Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn, lächelt danach ein wenig. „Komm, ich hab Frühstück gemacht. Wir essen und dann will ich mit dir in Ruhe darüber reden. Du siehst so aus, als würdest du noch ein bisschen Zeit brauchen, bis du richtig aufwachst.“ Ich nicke bloß, lehne mich dann an Calum, damit ich nicht alleine die Balance halten muss. „Ich schreie dich nicht mehr an und ich bin auch nicht mehr… allzu wütend. Also ich bin schon wütend, aber nicht mehr so wütend wie gestern.“
Wir gehen zusammen ins Haus, Calum hält die ganze Zeit meine Hand fest. Erst als wir drinnen ankommen, lässt er mich los.
„Buenos diás, meine schönen Prinzessinnen. Habt ihr gut geschlafen?“, begrüße ich meine Mädchen lächelnd. Calum weist mir mit einer Handgeste an, dass ich mich setzen soll, während er Kaffee macht.
Doch bevor ich mich setze, bekommen sowohl Lucía, als auch Cassidy einen Kuss auf Stirn. Ich streichle Lucías Wange, dann nehme ich Cassidys Hand in meine. Dabei fällt mir schnell auf, dass sie neuen Nagellack trägt. Das helle Blau habe ich vorher noch nie an ihr gesehen. „Oh, du hast ja blaue Nägel. Ist der Nagellack neu? Habt ihr den gestern gekauft?“
Meine Tochter lächelt mich an. „Ich mag blau. Wir waren brav und deswegen hat Daddy uns etwas geschenkt. Er hat meine Nägel gemacht.“
„Er steht dir ausgezeichnet, Prinzessin.“
„Robin hat mir noch einmal die fertigen Pläne für die Küche gezeigt, damit wir alles absegnen können“, erklärt Calum sachlich.
„Können wir gleich darüber reden? Ich muss schnell zur Toilette, dann kannst du mir alles erzählen, was in deinem hübschen Kopf vor sich geht.“
„Ist gut.“
Nachdem ich mich auf der Toilette erleichtert und mir Hände und Gesicht gewaschen habe, schleppe ich mich wieder in die Küche. Ich setze mich gegenüber von Lucía hin, sie sieht mich mit einem Lächeln an. Ich lächle zurück, widme mich dann aber wieder meinem Gesprächspartner. „Also die Küche… hast du den Plan schon abgesegnet?“
Calum stellt eine Tasse Kaffee neben mein Glas Wasser, ehe er sich neben mich setzt. „Ja. Außerdem hat Robin versprochen, dass sie uns dabei hilft, ein Baumhaus zu bauen.“
„Ein Baumhaus?“, frage ich irritiert nach. „Wer sagt, dass wir ein Baumhaus bauen?“
„Ich“, antwortet Calum kühl. „Im Baumarkt haben die Mädchen ein Plakat gesehen. Jetzt wünschen sie sich ein Baumhaus, indem sie spielen können.“
„Ich wusste ja gar nicht, dass ihr an so etwas Interesse hättet“, stelle ich irritiert fest.
„Ist aber so. Wir wollen ein Baumhaus“, erklärt Cassie. Sie greift nach ihrem Glas und trinkt von ihrem Orangensaft.
Ich nicke. „Gut, dann bekommt ihr euer Baumhaus.“ Ich sehe zu Lucía. „Du hast heute noch gar nichts gesagt, princesa. Ist alles okay?“
„Alles gut“, antwortet sie lächelnd. „Du hast lustig geschlafen. Mit gafas de sol.“
Ich schmunzle ein wenig. „Als ich eingeschlafen bin, hat mir die Sonne ins Gesicht geschienen“, antworte ich. „Ich war sehr müde.“
„Ich hab dich gesehen von meinem Fenster.“ Ich spüre deutlich Calums Blick auf mir ruhen. „Daddy hat dir eine Decke gebracht.“
„Er hat auf mich aufgepasst“, antworte ich lächelnd. Ich greife nach seiner Hand, sein eisiger Blick taut wieder etwas auf.
„Ihr habt gestritten, wir haben euch schreien gehört. Wieso streitet ihr wieder?“, stellt Cassie eine ihrer berühmten Fragen. Es ist die Art von Frage, die man nicht beantworten möchte.
„Es war meine Schuld“, antworte ich schnell. „Ich hab etwas gesagt, dass euren Daddy geärgert hat. Er hat mir dann gesagt, dass es nicht okay ist, das zu tun.“
„Hast du Daddy beschimpft?“, fragt Cassie nach. „Ihr sagt, dass wir nicht schimpfen dürfen. Wieso darfst du schimpfen, papá?“
„Ich hab Calum nicht beschimpft. Ich hab etwas Dummes gesagt, dann hat er etwas Dummes gesagt… Ihr zwei streitet auch immer mal wieder, so etwas kommt vor“, entschärfe ich das Gespräch gleichgültig. „Aber wenigstens ziehen wir uns nicht an den Haaren.“
„Ich hab mich schon bei Lucía entschuldigt“, antwortet Cassie trotzig.
„Ja, das stimmt…“, stimmt Lucía leise zu.
Calum lächelt. „Ich bin froh, dass ihr das endlich geklärt habt, Mädchen.“
„Ich mache das auch nicht mehr. Lucía ist zwar komisch, aber ihr wehzutun ist nicht nett“, gesteht Cassie ihre Tat das erste Mal.
„Es ist gut, dass du zugibst, was du gemacht hast, Cassie“, lobe ich meine Tochter. „Jeder macht Fehler, aber man muss auch zu seinen Fehlern stehen können.“
Cassie nickt. „Ja, papá. … Aber ihr seid nicht böse, oder?“
„No, wir sind nicht böse. Wenn du dich bei Lucía entschuldigt hast, ist alles wieder in Ordnung.“
Lucía hebt ihren Kopf, sie sieht zu ihrer Schwester, lächelt dabei ein wenig. „Es ist alles gut.“
Das Gespräch schläft ein bisschen ein. Während der Rest meiner Familie sich mit Ham and Eggs den Bauch vollschlägt, streiche ich etwas von dem Kräuteraufstrich, den Calum für mich gemacht hat, auf ein Vollkornbrot.
„Hast du damit genug?“, fragt mein marido mich. Ich nicke, da ich mit dem Gemüse auf meinem Teller und dem Tomatensalat auf jeden Fall versorgt bin. „Ich hab Chili in den Salat gegeben, hoffentlich verbrennt dein Magen nicht.“
„Da ist Chili drinnen?“, frage ich, als ich schon wieder mit meiner Gabel in die Schüssel stochere. „Merkt man gar nicht.“
„Echt nicht?“, fragt er verwundert. „Ich würde bereits brennen. Ich hab extra mehr reingemacht, weil ich weiß, wie gerne du das magst.“
„Gewohnheitssache“, antworte ich schmunzelnd. „Aber gracias, Baby.“ Calum lehnt sich zu mir, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken.
„Habt ihr euch wieder lieb?“, fragt Lucía vorsichtig nach.
„Wir haben uns immer lieb, auch wenn wir manchmal streiten“, erklärt Calum ruhig. Auch auf mich macht er den Eindruck, als würde er sich wieder zusammenreißen, vielleicht sogar entspannen. Es war dumm, dass ich die Tabletten mit Alkohol genommen habe, aber dass er mich deswegen so anschreit war nicht nötig. Immerhin habe ich mir keine tödliche Dosis verpasst. Ich wollte bloß, dass alle Wirkstoffe sich schnell entfalten und mir einen angenehmen Schlaf verschaffen. Ich weiß, was ich tue und Calum unterschätzt das vollkommen.
Nach dem Frühstück helfen die Kinder dabei, den Tisch abzuräumen. Cassie und Lucía helfen immer an den Wochenenden, so ist das schon seit wir sie bei uns aufgenommen haben. Da sie den Rest der Woche faul sein dürfen, gab es deswegen noch nie Streit oder Diskussionen.
Ich parke die Kinder draußen auf der Veranda. Sie werden mit Getränken und ihren Malsachen versorgt, das stellt sie für einige Zeit ruhig. Bevor ich mir eine Zigarette und ein wenig Ruhe gönne, lege ich mich in die Wanne. Doch ich bin nicht ganz alleine, mein marido leistet mir Gesellschaft, jedoch bleibt er außerhalb der Badewanne. Calum lehnt sich rücklings an die Wanne, er atmet tief durch. „Die Wanne ist total nervig… Ich will wieder eine große Badewanne haben. Eine wo wir zwei reinpassen, eine mit Düsen und Lichteffekten.“ Schmunzelnd höre ich Calum zu, doch als er aufhört zu sprechen, öffne ich wieder meine Augen.
„Calum?“
„Hm?“
„Denkst du… dass unsere Ehe funktioniert? Wir streiten… die Mädchen wissen das…“
„Sie sind weder taub, noch blind oder dumm, natürlich bekommen sie das mit“, erklärt Calum neutral. „Keine Familie ist perfekt, unsere auch nicht. Denk mal an deine Kindheit. Haben deine Eltern oft gestritten?“
Ich blicke nachdenklich an die Decke. „Eigentlich nicht. Meine Eltern waren immer so wie sie jetzt sind. Sie sind ruhig, beherrscht, ein bisschen verschlossen… Die meisten Meinungsverschiedenheiten wurden mit wenigen, sachlichen und kühlen Worten geklärt.“ Kurz denke ich über meine jungen Jahre auf den Fern Islands nach. „Ich hatte eigentlich eine schöne Kindheit. Ich war oft mit Gabe draußen. Mein abuelo hatte dieses riesige Grundstück…“ Die Erinnerungen an damals bringen mich zum Lächeln. „Gabe und ich haben viele Abenteuer erlebt. Klar, diese Abenteuer wurden immer wieder von der Schule beziehungsweise den Internaten unterbrochen, aber was soll’s, oder? An der Schule kann man nicht rütteln.“
„Meine Kindheit war scheiße. Meine Familie nervt und ich bin echt froh, dass ich keinen von denen mehr wiedersehen muss.“
„Und was ist mit mir?“, frage ich gespielt schmollend. Mein marido dreht sich zu mir. „Nerve ich auch?“
„Ja-ha?“, antwortet er grinsend. „Aber es gibt einen Unterschied. Dich sehe ich mir immer wieder gerne an.“
„Ach wirklich? Sieh mal unter den Schaum, da hab ich ein Geschenk für dich.“
„Ist es dein Penis?“, fragt Calum lachend, worauf ich nicke. „Pump dein Blut wieder in den Kopf, du alter Knacker. Du hast einen Hexenschuss. Wenn ich mich jetzt auf dich stürze, mach ich dich ganz kaputt.“
„Wie schade…“ Ich bin gar nicht so enttäuscht, wie ich dachte. Wahrscheinlich, weil ich es erwartet habe, dass Calum mich ein wenig zappeln lässt. „Zwischen uns ist trotzdem alles okay?“
„Was weiß ich… vielleicht sind wir einfach nur eine weitere, kaputte Familie… aber ist doch halb so wild. Sebastian und Max sind nach außen hin auch das perfekte Paar, die perfekte Familie und trotzdem haben sie Probleme. … Und jetzt ist Sebastian auch noch weg… Wer weiß, vielleicht hat er ja doch die Schnauze voll und reicht bald die Scheidung ein. Kann ja sein, dass er keine Lust mehr auf diese perfekte Fassade hat und ein neues Leben anfangen will.“
Stimmt… Mein wirrer Kopf hätte das fast verdrängt…
Sebastian ist immer noch weg…
Und Calum wäre letzte Nacht auch beinahe abgehauen…
Ich lasse mich ein wenig tiefer ins Wasser gleiten. „Sollten wir wieder eine Therapie machen?“ Dass ich das vorschlage, scheint Calum ein wenig zu verwirren. Er weiß, wie sehr ich Seelenklempner hasse.
„Sagst du das, weil du es ernst meinst oder weil ich gesagt habe, dass ich gestern beinahe gegangen wäre?“
„Was hat dich davon abgehalten zu gehen?“, stelle ich eine Gegenfrage. Unser Augenkontakt ist intensiv, doch dann bricht Calum ihn ab.
„Weil ich dich liebe… Ich war wütend und hätte dir am liebsten das Gesicht eingeschlagen, aber ich hab mich zusammengerissen und mich um die Kinder gekümmert. Als ich dann ins Bett wollte, hab ich nach dir gesehen. Ich hab dich zugedeckt und dir einen Kuss gegeben. Dich zu verlassen wäre seltsam…“ Calum lehnt sich an den Rand der freistehenden Wanne, sein Blick ist auf mein Gesicht gerichtet. „…ich hab über alles nachgedacht, was in unserer Ehe passiert ist. Im Gegensatz zu mir, bist du nie handgreiflich geworden. Du lässt deine Gefühle nie an mir aus, aber an dir selbst und ich hab mich gefragt, wieso du gestern getrunken hast.“
„Ich hab dir schon gesagt, dass ich Schmerzen hatte.“
„Das glaube ich dir auch, aber du hast drei Schmerztabletten und zwei der Muskelrelax-Dings genommen, ich hab das gesehen. Das war viel mehr als ausreichend und das weißt du genauso gut wie ich.“
Ich nicke. „Ich hab mich scheiße gefühlt, ich wollte, dass es schnell wirkt, ich wollte, dass es aufhört.“
„Ist da noch mehr oder ist das wirklich alles?“
„Du hast gelacht…“
„Was?“, fragt Calum verwirrt.
„Ich hab mir wehgetan und du hast gelacht. Ich wollte dir Arbeit abnehmen.“
„Und ich hab dir gesagt, dass ich keine Hilfe brau-“ Calums Mimik wird vollkommen neutral. „Moment… Du bist beleidigt, weil ich deinen Stolz gekränkt habe? Das ist jetzt nicht dein Ernst oder? Trevor, das kann nur ein Scherz sein. Latino hin oder her, aber das ist nun wirklich das dümmste Klischee, das mir einfallen kann.“
„Es ist trotzdem so. Ich bin außerdem beleidigt, weil ich alt bin… und du mich nicht brauchst… Ich wusste nicht, was ich tun soll, also hab ich das gemacht, was ich immer tue, wenn meine Gefühle mich nerven. Ich schalte sie aus. Praktischerweise habe ich die Schmerzen gleich mit ausgeschalten.“
„Du bist so ein Idiot. Ich werde dich immer brauchen“, antwortet Calum mit einem Lächeln. „Du bist in letzter Zeit ziemlich abgedreht, weißt du das?“
„Ach ja?“
„Mhm“, bestätigt er sich. „Du bist auch ziemlich vergesslich. Ich glaube, dass du noch ein bisschen Zeit brauchst, um dich von dem Stress zu erholen und ich sollte dich dabei unterstützen. Ich verspreche, dass ich aufhöre zu meckern. Ich kümmere mich um die Renovierung und um den Stall für die Kaninchen. Ich will von dir nur eine einzige Sache.“
„Und die wäre?“
„Trink nicht so viel und pass auf dich auf. Wenn du ab und zu kochen würdest, würde mir das schon reichen. Wir gehen das alles langsam an. Ich dachte zwar daran, dass wir uns Gemüsebeete zulegen und viel im Garten arbeiten und den Mädchen dabei ein bisschen was beibringen, aber es ist besser, wenn wir erst einmal in Ruhe das Haus renovieren. Vielleicht könnten wir Kräuter in ein paar Töpfen ziehen.“
Ich schmunzle ein wenig. „Das war das, das meine Eltern mir auch gesagt haben, als ich damals hier war. Ich hab ihnen gesagt, wie schwer es mir fällt etwas anzufangen und wenig später haben sie mir Töpfe und kleine Setzlinge gebracht. Ich hab sie damals Emily geschenkt, als ich gegangen bin.“
„Hat es dir geholfen?“
„Naja… es hat geholfen ungefähr eine Minute pro Tag auszufüllen.“
Calum beugt sich zu mir, er gibt mir einen Kuss. „Na dann werde ich ebenfalls eine Minute deines Tages füllen. Du kümmerst dich um die Pflänzchen, sobald es dir besser geht. Aber jetzt… Solltest du dich in Ruhe entspannen. Übrigens… die Dosis deiner Medikamente wird von nun an von mir kontrolliert und Tequila ist gestrichen.“
„Ay… gestrichen, alles klar, du hast ihn verschüttet.“
„Und ich werde es wieder tun. Du trinkst ohnehin wieder zu viel.“
„Darf ich wenigstens rauchen?“
„Ohne Gras gerne“, antwortet Calum streng, als er das Badezimmer verlässt.
„Na dann kann ich es ja gleich lassen“, murmle ich grantig vor mich hin, ehe ich mich tiefer ins Wasser sinken lasse. Ich sinke so tief, dass mein Kopf untergetaucht ist.
…
Obwohl ich davon ausgegangen bin, dass die Stimmung zwischen Calum und mir unterkühlt sein wird, geht er sehr liebevoll mit mir um. Mein marido behandelt mich, als wäre ich aus Porzellan. Er sorgt dafür, dass ich weich sitze, er bringt mir Kaffee und Wasser, außerdem bekomme ich jedes Mal einen Kuss wenn er das Haus verlässt oder hinein geht. Ich werde quasi jedes Mal geküsst, wenn er an mir vorbei geht. An diese Behandlung könnte ich mich gewöhnen.
Ich sitze bei den Kindern, meine Hand liegt auf einem weißen Blatt Papier. Cassie zeichnet die Umrisse meiner Hand nach.
„Deine Hände sind kleiner als die von Daddy“, erzählt sie mir. „Du kannst deine Hand jetzt weggeben.“ Ich sehe zu meiner Tochter, sie hebt beide Blätter an. „Sieh mal, Daddys Hand ist größer und die von Lucía ist am kleinsten.“
Ich schmunzle ein wenig. „Wenn Sebastian wieder zurückkommt, solltest du auch seine Hand dokumentieren. Er hat schlanke, kleine Hände, die sind noch kleiner als meine.“
„Wann kommt Sebastian wieder?“, fragt Cassie neugierig nach.
„Das weiß ich noch nicht, hoffentlich aber bald. Wieso fragst du?“
„Ich mag ihn ganz gerne. Er ist ein bisschen wie ein Mädchen“, antwortet sie lächelnd. „Ihr habt ja nicht so viele Mädchen als Freunde. Und jetzt wo wir hier sind, sehen wir Carly ja auch nicht mehr so oft.“
„Hm…“, gebe ich nachdenklich von mir.
Cassie hat Recht. Vor allem ich habe kaum Freundinnen. Die einzigen Frauen, die ich zu meinen Freunden zählen würde sind Juno und Emily. Vielleicht sollte ich Juno mal zum Spielen mit den Mädchen einladen. Sie kann ja die süße Cait mitnehmen, ein paar weibliche Kontakte wären bestimmt nicht schlecht. Abgesehen davon, fände ich es nicht schlecht, ein paar Frauen in knapper Kleidung zu sehen.
„Fändest du es gut, wenn du öfter ein Mädchen um dich hättest?“, frage ich nach. „So wie eine Mum?“
„Ich hatte eine Mami, aber sie war krank und dafür hab ich jetzt zwei Daddys bekommen“, erklärt Cassie unberührt, als sie etwas auf ein Papier kritzelt. Sie legt den Stift weg und sieht mich an, sie lächelt dabei. „Aber eine neue Freundin wäre schön. Dann muss ich nicht immer mit Lucía spielen. Lucía redet nicht gerne mit mir, also mag ich sie auch nicht so gerne.“
Ich sehe zu Lucía. Dass Cassie so über sie spricht, scheint sie nicht sonderlich zu verärgern, doch ich weiß, dass sie traurig ist, weil ihre Schwester sie nicht unbedingt mag. Sie wünscht sich sehr, dass Cassie sich mehr mit ihr beschäftigt.
„Ich bin sicher, dass Lucía gerne mit dir spricht, aber sie hat Angst, dass du sie auslachst. Du bist manchmal schon sehr gemein zu ihr, wenn sie beim Sprechen Probleme hat.“ Ich versuche ruhig und neutral zu klingen. Dass meine Tochter nicht sofort wütend wird, zeigt mir, dass ich meinen Ton gut unter Kontrolle habe.
„Ja, das stimmt schon, aber papá, es ist so anstrengend. Wenn wir spielen, versteht sie nie die Regeln. Sie kann nie richtig mitmachen. Das einzige, das sie gut kann ist malen, ihre Bilder sind schön.“
„Du weißt, dass ich auch von den Fern Islands komme, richtig?“
„Du warst aber bestimmt nicht so blöd wie sie, du redest.“
Ich hebe meine Hand, um Cassies Kopf zu streicheln. Calum hat Recht, wenn ich sie für ihre Meinung bestrafe und ihr die Worte verbiete, wird die Beziehung zwischen den beiden nicht besser. Das alles wird nicht besser. Ich muss das irgendwie mit mehr Gefühl angehen, so schwer es mir auch fällt.
„Als ich nach Zuzu City gekommen bin, konnte ich noch weniger sprechen, als Lucía. Ich musste sehr viel lernen, um mich zu verständigen.“
„Dann soll sie auch lernen… Immer muss ich mich um sie kümmern und das nervt…“
„Cassie, es ist nicht deine Schuld, okay? Ich denke, dass ihr zwei Süßen euch auf eure Gemeinsamkeiten konzentrieren solltet. Ihr malt gerne und ihr spielt gerne fangen. Wenn ihr Brettspiele spielen wollt, könnten wir das zu viert machen, die ganze Familie. So kann ich Lucía alles erklären, was sie noch nicht versteht. Wenn sie das Spiel versteht, dann könnt ihr auch mal alleine spielen. Ein bisschen magst du Lucía doch trotzdem, oder? Sie ist doch deine Schwester.“
„Ja, schon aber sie ist ein bisschen komisch…“, erklärt Cassie leise. „Seit Lucía ihr eigenes Zimmer hat, spricht sie in der Nacht mit sich selbst. Das ist unheimlich. Ich kann sie immer hören.“
„Was?“, frage ich ebenso leise nach, blicke dann kurz zu meiner zweiten Tochter, die uns interessiert ansieht. Lucía greift nach einem Keks, der auf einem Teller liegt. Sie beißt hinein, ehe sie sich wieder ihrer Zeichnung widmet. Mein Blick richtet sich wieder auf Cassidy, ich lächle sie an. „Prinzessin, du musst keine Angst vor Lucía haben. Sie spielt wahrscheinlich, vielleicht liest sie oder sie singt. Wenn sie alleine ist, ist sie nicht so unsicher, da traut sie sich alles zu sagen, was sie sonst für sich behält.“
Cassie zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht… Sie wird immer komischer…“
„Warum redet ihr über mich? Ich verstehe viel“, fragt Lucía schüchtern nach. „Das ist nicht nett.“
„Bist du fertig mit dem Bild?“, stelle ich eine Gegenfrage, was meine Tochter dazu bringt zu nicken.
„Blumen und mariposa für dich.“
„Schmetterling.“ Lucía nickt, worauf ich ihr das Bild abnehme.
„Smetterling“, wiederholt sie leise.
„Das Bild ist sehr schön geworden, Lucía. Gracias. Te quiero.“
„Yo también te quiero, papá.“
Ich stehe etwas schwerfällig auf, reiche meiner princesa dann die Hand. „Komm, wir reden ein bisschen.“
„Bist du böse?“
„No, ich könnte niemals böse auf dich oder Cassie sein. Ihr seid meine kleinen Schätze. Ich will nur ein bisschen mit dir plaudern.“
Mit meiner Tochter an der Hand mache ich einen kleinen Spaziergang über unser Grundstück. Die Heuschrecken zirpen im trockenen, hohen Gras. Wir haben noch kaum einen Finger gerührt. Es würde diesem Stück Land nicht schaden, wenn wir ein wenig aufräumen und das Gras trimmen. Meine Tochter scheint sich durch das Chaos nicht gestört zu fühlen. Auch auf ihrer Zeichnung sind hohes Gras und wilde Blumen zu sehen. Aus ihrer Perspektive wirkt das ungepflegte Grundstück wie eine fröhliche Blumenwiese.
„Ich bin nicht komisch, papá.“
„Yo se. Aber Cassie ist ein bisschen verwirrt, weil du ja sonst nicht viel sprichst. Redest du mit deinen Spielsachen?“
„Mis amiguitos“, antwortet Lucía lächelnd.
„Oh… Du hast neue Freunde? Du hast sie mir noch gar nicht vorgestellt.“
„Sie sprechen nur mit mir. Sie helfen.“
„Und wenn es dunkel wird und du in deinem Bett sein solltest, dann sprichst du also mit deinen Freunden?“, hake ich interessiert nach.
„Sí.“
„Wenn sie dir helfen und nett zu dir sind, dann solltest du deine amiguitos unbedingt behalten. Dales mis saludos a tus amigitos.“ Lucía umarmt mich fest. Zu gerne würde ich sie jetzt hochheben und drücken, aber dabei breche ich mir vermutlich meine Wirbelsäule… „Vamos mariposa, wir malen noch ein Bild. Zeig mir mal, wie deine Freunde aussehen, okay?“
„Sí“, stimmt sie mir freudig zu.
Meine Tochter lässt von mir ab, sie läuft und springt zufrieden über die Wiese. Wenn ich mir meine kleine Lucía so ansehe, dann wirkt sie alles andere als schüchtern oder in sich gekehrt.
Vielleicht ist sie ja ein bisschen komisch, aber sie hat vieles erlebt, das sie geprägt hat. Sie hat ihre Familie bei einem Brand verloren und weiß Yoba, wie die Betreuer und die anderen Kinder in diesem Heim mit ihr umgegangen sind. Die medizinische Versorgung ihrer Wunden hätte wahrscheinlich auch besser sein können…
Und jetzt diese imaginären Freunde…
Harvey meinte, dass sich der Umzugsstress körperlich auswirken kann. Vielleicht verarbeitet sie den Stress jetzt auf eine positivere Weise. Kann sein, dass diese imaginären Freunde eine Art gesprochenes Tagebuch sind.
„Sweetie? Willst du noch Kaffee?!“
„Sí, gracias, mi amor.“
„Geht’s deinem Rücken besser?“
Ich komme Schritt für Schritt auf die Veranda zu, um nicht so schreien zu müssen. „Es wird schon. In ein paar Tagen bin ich wieder fit. Hoffe ich.“
Calum nimmt meine Hand, er führt mich dezent zurück auf meinen Sitzplatz. Mein marido legt seine Arme um mich, ich werde geküsst und durch Streicheleinheiten liebkost. Keine Ahnung, was in ihn gefahren ist, aber heute ist er äußerst liebevoll. Calum lehnt seinen Kopf gegen meinen, ich kann sein Parfum wahrnehmen. Er hat einen frischen Spritzer aufgetragen…
„Ich genieße das wirklich sehr, Calum. Es fühlt sich schön an, dich so nah bei mir zu haben.“
„Solltest du auch, Sweetie. Du hast dir Harmonie und Liebe verdient.“
„Apropos Liebe… ein bisschen grüne Liebe würde mich glücklich machen.“
„Vielleicht heute Abend.“
„Was ist grüne Liebe, papá?“, fragt Cassie neugierig wie immer nach.
„Meine Zigaretten. Ich hab mich ein bisschen verletzt und euer Daddy möchte, dass ich mehr auf mich achte, damit mir nichts mehr passiert. Er sagt, ich soll nicht mehr so viel rauchen.“
„Daddy hat Recht, dir soll es gut gehen“, fügt Lucía hinzu.
„Mir geht es gut“, erkläre ich überzeugt.
Calum beugt sich erneut zu mir, er küsst meine Wange. „Ich bringe dir gleich deinen Kaffee.“
„Gracias, Baby.“
Ich könnte mich eigentlich daran gewöhnen, so liebevoll bedient zu werden.