capítulo 3
calma
Der Fahrt war lang, so verdammt lang. Es war anstrengend und ich konnte im Auto nicht rauchen, weil ich die dummen Kaninchen meiner Töchter dabei hatte…
Doch ich habe es endlich geschafft.
Übergangsweise bringe ich die Kaninchen in einem Käfig unter, den ich extra dafür gekauft habe. Die Mädchen werden sich darüber freuen, dass ich diese kleinen Dreckfabriken im Haus dulde, zumindest bis sie ich mit Robin über den Bau eines Stalles gesprochen habe. Es ist nicht so, dass ich Tiere per se nicht leiden kann, es ist eher so, dass ich den Dreck, den sie fabrizieren nicht ausstehen kann. Calum war fest davon überzeugt, dass ich weniger penibel sein werde, sobald wir Kinder haben, doch das Gegenteil ist der Fall, kaum hinterlassen die Mädchen auch nur ein Haar, verfalle ich in einen Putzwahn.
Ich nehme das schwarze Kaninchen, das den einfallsreichen Namen Blacky bekommen hat, aus der Transportbox. Vorsichtig streichle ich durch das weiche Fell. „Habt keine Angst, der dumme, kleine Käfig ist nur vorübergehend. Sobald ich Kontakt zu Robin aufgebaut habe, bekommt ihr wieder euren eigenen Stall. Unser Garten ist viel größer, ich werde mir da etwas einfallen lassen. Ihr werdet viel Platz zum Hoppeln bekommen.“ Blacky hebt seinen Kopf, er sieht sich etwas um. Um zu vermeiden, dass er mich wohlmöglich noch vollpinkelt, setze ich ihn in den Käfig. Als nächstes ist Lucías Kaninchen Nieve dran. Auch meine zweite Tochter ist nicht besonders kreativ, was die Namensgebung angeht. Ein weißes Kaninchen schlicht Schnee zu nennen ist… naja, nicht besonders kreativ. „Ich bring euch noch ein paar Karotten, aber auf eure Streicheleinheiten müsst ihr leider verzichten, weil ihr überall eure dämlichen Haare verstreut und mich das wahnsinnig macht.“ Nieve scheint durch den Kommentar über die dämlichen Haare beleidigt zu sein. Kaum setze ich sie auf meinen Schoß, schon springt sie in den Käfig hinein. Die beiden Kaninchen bekommen noch frisches Trinkwasser und etwas Futter, ehe ich den Käfig schließe. Ich sehe ihnen noch ein paar Minuten beim Fressen zu. Die lange Fahrt scheint die beiden nicht besonders gestresst zu haben, sie wirken recht zufrieden in ihrem Käfig und mit reichlich Futter vor ihren wackelnden Nasen.
Auf der Veranda streiche ich mir genervt das Kaninchenfell von den Klamotten, außerdem taste ich meine Hosentaschen nach einem Feuerzeug ab.
Die Mitarbeiter der Umzugsfirma arbeiten nach einer kurzen Einweisung, was in welches Zimmer gehört vollkommen selbstständig, sodass ich mir darüber keine weiteren Gedanken machen muss. Für das Zusammenbauen meiner Möbel habe ich ein extra saftiges Trinkgeld versprochen. Sollte allerdings Calums Klavier beschädigt werden, verteile ich Arschtritte. So weiß jeder, woran er ist.
„Hallo Nachbar, warum so genervt?“ Irritiert blicke ich mich zu der mir bekannten Stimme um.
„Dan…?“, frage ich verwirrt. „Was machst du denn hier?“
Er zeigt auf das Nachbargrundstück, dreht sich dann in eben diese Richtung. Er wohnt gegenüber der Bushaltestelle, sein Zaun grenzt an mein Grundstück an. „Okay, von hier sieht man nicht viel, aber hinter den Bäumen steht ein hübsches Haus, ein Pool und alles, was ich brauche, um meinen Ruhestand zu genießen.“
Ich nicke. „Ay, das klingt nicht schlecht. Wieso ausgerechnet Pelican Town?“
„Ich fand’s hier immer gut“, erklärt er lächelnd. „Die Umgebung ist wundervoll. Egal zu welcher Jahreszeit man hier ist, es gibt immer etwas zu entdecken. Es gibt einen Strand, ich kann Waldspaziergänge machen und ich muss nicht im Stau stehen, wenn ich einen schnellen Einkauf erledigen möchte. Außerdem ist es ruhig. Ich genieße diese Ruhe.“
„Ich glaube, dass das mit dem Alter kommt, mir geht’s ähnlich“, stimme ich grinsend zu. „Und dass deine Ex in den Bergen wohnt, stört dich nicht? … Wohnt sie überhaupt noch hier? Ich bräuchte nämlich ihre Hilfe.“
Dan nickt. „Ja, Robin wohnt nach wie vor in den Bergen.“ Mein Nachbar hebt seine Hand, erst da erblicke ich die Whiskeyflasche. „Ich weiß, dass du eigentlich lieber Tequila trinkst, aber ich war jetzt eine Woche weg und bin selbst erst vor einer Stunde nach Hause gekommen. Ich hatte noch keine Zeit, einzukaufen.“
„Es sei dir verziehen“, antworte ich grinsend. Eilig trete ich auf den Umzugswagen zu. Ich weise einen der Arbeiter an, meine Gartenmöbel gleich auf die große Veranda zu stellen, sodass Dan und ich zusammen trinken können. In einem Karton in der Küche stöbere ich nach Gläsern.
„Sag mal, Trevor. Wo sind Calum und die Mädchen? Zwischen euch ist doch alles gut, oder?“
„Sí, todo está bien. Er war noch bei Carly und die Mädchen brauchen ja immer wieder eine Pipipause, weil sie Hamsterblasen haben. Calum hat die Mädchen übernommen und ich hatte die ganze Fahrt zwei Kaninchen neben mir sitzen. Ausgemacht war, dass wir auf dem Weg hierher zwei kurze Verschnaufpausen machen. Ich bin ja sozusagen mit den Umzugsleuten zusammen gefahren… Eine oder zwei weitere Pausen wären nicht schlecht gewesen, vor allem, wenn man durch diese dummen Kaninchen nicht im Auto rauchen kann.“
„Du rauchst in so einem schönen Wagen? Man sollte ihn dir wegnehmen.“
Ich sehe zu Dan, schüttle dann den Kopf. Ein Blick zurück in den Karton offenbart mir endlich die gesuchten Gläser. Zusammen mit Dan gehe ich wieder nach draußen. Wir setzen uns gleich auf die aufgestellten Verandamöbel. „An sich ja nicht. Das Ding ist quasi unser Auto für Aktivitäten ohne Kinder, wie romantische Ausflüge, Spritztouren und so weiter. Mein Cabrio in dem ich immer geraucht habe, hab ich verkauft, nachdem ein Paparazzo in meinen Wagen geklettert ist, als ich an einer Ampel gewartet habe. Und jetzt haben wir abgesehen von dem Sportwagen noch so einen… Kombi…“
Dan schmunzelt ein wenig. „Das Familienauto.“
„Mhm“, stimme ich zu. Ich öffne die Flasche, schenke dann erst meinem Gast und dann mir einen Drink ein. „Apropos Kinder. Wie kommst du mit den Zwillingen zurecht? So wie ich dich kenne, willst du sie Max und Sebastian gar nicht erst zurückgeben, sobald sie bei dir sind.“
„Ich liebe sie und ja, du schätzt mich richtig ein, ich kann sie kaum wieder gehen lassen, sobald sie bei mir sind“, schwärmt Dan zufrieden. „Sebby kommt später her, um sie mir zu bringen. Mein kleines Frettchen braucht eine Pause. Jetzt wo Max wieder auf Tour ist, versucht Sebby alles alleine auf die Reihe zu bekommen, aber er ist ein kleines bisschen überfordert, auch wenn er sich das schwer eingestehen möchte.“
Dan bringt mich zum Grinsen. „Sí, er hat so etwas in die Richtung erwähnt. Durch seine Horrorgeschichten bin ich ausgesprochen froh darüber, dass wir keine Babys adoptiert haben.“
Dan nickt. „Also ich muss sagen, dass ich mich gerne um die Zwillinge kümmere. Bei mir sind sie immer brav. Als sie das letzte Mal bei mir waren, haben sie durchgeschlafen, kaum geweint und sie waren pflegeleicht und zufrieden. Aiden hat ein bisschen gespuckt, aber er hat den Großteil seines Essens brav behalten.“
„Das ist der Vorzeigeeffekt, meine Mädchen sind bei fremden auch viel braver, als bei uns. Sie schmollen, sie weinen, alles ist dramatisch und stresst die kleinen Monster“, erkläre ich grinsend. „Ich muss ständig aufpassen, was ich sage, weil ihre kleinen Köpfe sich immer das Schlimmste ausmalen. Außerdem fassen sie prinzipiell alles anders auf, als ich es gemeint habe.“
„Sebby war als Babyfrettchen nicht anders“, antwortet Dan schmunzelnd. „Aber sobald er bei mir war, war er meistens ein kleines Engelchen.“ Mein Gast fasst in seine Hosentasche, er zieht sein Smartphone heraus. „Entschuldige, das ist Sebby.“ Dan geht ran, legt es sich ans Ohr. „Hey mein kleines Frettchen, ich habe gerade von dir gesprochen. Ist alles okay?“ Interessiert lehne ich mich etwas nach vorne, stütze mich auf der Tischplatte ab. Ich versuche zu lauschen, doch Sebastian ist zu leise, ich verstehe nicht, was er sagt. „Ich bin schon zu Hause, also eigentlich auf der Farm nebenan, aber ich bin da. … Du klingst gar nicht gut. Atme tief durch und konzentrier dich aufs Fahren. Fahr bei der nächsten Raststation ab, Sebby. Mach eine Pause, ruh dich ein paar Minuten aus, du hast keinen Stress.“
Ich stehe auf, um von drinnen meinen Tabak zu holen. Sieht so aus, als wäre ich nicht der einzige, der von seinem Leben gestresst ist, auch Sebastian braucht wohl ein wenig Abstand und Zeit, sich auszuruhen.
Es könnte sein, dass sich über Zuzu City eine große Stresswolke zusammengebraut hat, die ihren Stress auf arme, unschuldige Bewohner der Stadt verteilt.
…
Meine Annahme von vor einer halben Stunde wird bestätigt, als Sebastian aufgelöst aus seinem Auto steigt. „Dad… bitte hilf mir…“, bittet er schluchzend, wischt sich dann die Tränen aus den Augen.
Sebastian sieht ganz anders aus als auf den Fotos, die er und Max auf ihren Social Media Seiten posten. Die Welt kennt seine gestylte Fassade, das Lächeln und die abgedeckten Augenringe. Vor mir steht nun allerdings die Realität. Ein müder, aufgelöster, überforderter Vater von Zwillingen, die noch nicht ganz ein Jahr alt sind.
Dan lässt sich nicht viel Zeit, er nimmt seinen Sohn sofort fest in den Arm und spricht ihm gut zu. Auch wenn ich mich dafür interessiere, wie es Sebastian geht, wird meine Aufmerksamkeit von meinem Smartphone beansprucht.
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3 neue Nachrichten.
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Calum: ‚Hey Sweetie. Ich hab zwei schlechte Nachrichten und zwei gute Nachrichten für dich. Auch wenn es ausgeglichen klingt, wird es dir nicht gefallen.‘
Calum: ‚Die schlechte Nachricht: Lucía hat sich übergeben. Die gute Nachricht: Sie hat nicht ins Auto gekotzt.‘
Calum: ‚Die zweite schlechte Nachricht: Wir machen für heute Schluss und schlafen in einem Hotel. Die gute Nachricht: Das Zimmer ist hübsch und Lucía geht es schon ein bisschen besser.‘
Die Stresswolke hat ein neues Opfer gefunden.
Calum hat Recht, das gefällt mir nicht. Seufzend blicke ich auf das Display. Die Vorstellung, die erste Nacht am Land alleine zu verbringen, ist nicht besonders ansprechend für mich, was mich allerdings mehr beunruhigt ist die Tatsache, dass es meiner princesa nicht gut geht.
Trevor: ‚Baby, das ist scheiße…Kannst du telefonieren?‘
Calum: ‚Lucía schläft gerade, ich will sie nicht wieder wecken. Aber sie hat nach ihrem Kaninchen gefragt. Kannst du mir ein Foto schicken, dass ich es ihr zeigen kann, wenn sie wieder wach ist?‘
Trevor: ‚Sí, kann ich machen. Ich schicke dir vielleicht noch ein anderes Foto ;)‘
Calum: ‚Ich wünschte, ich könnte das Foto annehmen, aber ich will nicht, dass die Mädchen das mitbekommen.‘
Trevor: ‚Du kannst es ja wieder löschen, sobald du es dir angesehen hast ;)‘
Calum: ‚Ja, das kann man machen. Ich vermisse dich jetzt schon, Sweetie.‘
Trevor: ‚Ich vermisse dich auch schon, Baby. Knuddel die Mädchen von mir :) Te amo, mi corazón.‘
Calum: ‚Yo también te amo <3 Wir sollten morgen Mittag da sein? Schätze ich? :)‘
Trevor: ‚Ist auch okay. Dann werde ich morgen die Betten überziehen und ein paar Dinge einkaufen. Vielleicht packe ich schon ein paar Sachen der Kinder und Küchenutensilien aus. Mal sehen wie weit ich komme.‘
Calum: ‚Okay, aber mach dir keinen Stress, Sweetie. Du musst ein bisschen zur Ruhe kommen nach dem vielen Stress in der Stadt. Ich helfe dir, sobald ich da bin, versprochen. Tu weniger als das Nötigste und dreh dir eine Zigarette :)‘
Trevor: ‚Ich mach mir keinen Stress, keine Angst, du weißt ja, dass ich mir immer viel Zeit nehme, wenn ich etwas erledige ;)‘
Calum: ‚Oh ja, das ist mir wohlbekannt :D Vergiss das Foto nicht, ich melde mich am Abend noch einmal :D‘
Trevor: ‚Okay, pass auf dich auf, Baby.‘
Calum: ‚Mach dir keine Sorgen, ich hab alles im Griff. Bis später!‘
Ich lege mein Smartphone zur Seite, stehe dann auf, um das Zuckerstück ebenfalls zu begrüßen. Er wirkt immer noch ein wenig aufgelöst. Dan gibt Sebastian einen Kuss auf die Stirn. Kaum lässt er von seinem Sohn ab, öffnet er eine Autotür, um die Zwillinge zu begrüßen.
Meine Beine tragen mich zu Sebastian, er fummelt zitternd eine Packung Zigaretten aus seiner Jackeninnentasche. Das Klicken eines Benzinfeuerzeuges erklingt, er entzündet seine Zigarette.
„Hola Zuckerstück.“
„Hallo…“
„Ist alles okay?“
„Ja, ja, klar. Sicher“, antwortet er, streicht dabei mich einmal über seine müden Augen. „Die Fahrt war nur echt lang. Aiden und Damian sind noch zu jung für so lange Reisen. Ich musste immer wieder Pausen machen, um sie zu wickeln oder ihnen etwas zu trinken zu geben.“
„Sieht so aus als wäre die lange Reise auch nichts für dich gewesen.“
„Es ist alles okay, ich bin nur ein bisschen müde. Wie gesagt, die Fahrt war lang. Normalerweise wechseln Max und ich uns ab, wenn wir etwas länger unterwegs sind.“
Jetzt, wo ich so nah an Sebastian dran bin, sieht er noch müder und fertiger aus, als von meiner Veranda aus. Das kleine Zuckerstück braucht eine Dusche, frische Klamotten, eine gute Mahlzeit und mindestens zwölf Stunden Schlaf. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so zerbrechlich erlebt. Am liebsten würde ich ihn sofort unter meine Fittiche nehmen und ihm wieder auf die Beine helfen. Ich weiß nicht, was es ist, aber kleine, zerbrechliche Männer wecken immer meinen Beschützerinstinkt.
„Verabschiedet euch von eurem Daddy“, spricht Dan fröhlich. Er trägt einen großen Rucksack auf dem Rücken. Darin sind wahrscheinlich alle Utensilien verpackt, die er heute Nacht brauchen wird.
Sebastian reicht mir eilig seine Zigarette, er pustet den Rauch aus und wedelt mit seiner linken Hand vor seinem Gesicht herum, ehe er auf seine Söhne zutritt.
Dan hat die kleinen Monster aus dem Wagen geholt. Die beiden sehen aus als hätten sie es in diesen Tragedingern bequem. Die Zwillinge sehen recht zufrieden und brav aus, wenn ich mir etwas genauer ansehe. Sowohl Aiden, als auch Damian haben einen Schnuller im Mund, sie sehen uns aus ihren großen blauen Augen an. Um die Kinder auseinander halten zu können, tragt Aiden wie immer etwas mit einer Sonne und auf Damians Shirt sind viele kleine Monde und Sterne aufgedruckt. Auch bei ihren Schnullern halten sich Max und Sebastian an das Sonne und Mond Thema.
Die Zwillinge sind immer hübsch anzusehen, egal zu welcher Tageszeit ich sie sehe, sie sind immer ausgesprochen gut gekleidet und gepflegt. Wie Babys, die in einem Film mitspielen. Dass seine Kinder immer sauber und hübsch sind, ist Sebastian sehr wichtig. Er besteht darauf, sie Tag und Nacht vorzeigen zu können. Vielleicht setzt er sich damit selbst zu sehr unter Stress und ist deswegen so ausgepowert, wie er es in diesem Moment ist.
Damian hebt seine rechte Hand und nimmt sich selbst den Schnuller aus dem Mund. „Wir sehen uns morgen“, verabschiedet Sebastian sich gespielt fröhlich. „Daddy liebt euch über alles.“ Er streichelt erst Aiden und dann Damian. „Seid schön brav und macht Dad keinen Kummer, aber wie ich euch kenne seid ihr jetzt wieder perfekte, kleine Engelchen, weil ihr ja nicht mehr bei mir seid, ihr kleinen, frechen Monster.“ Sebastians fröhlicher Tonfall passt nicht zu seinen passiv aggressiven Worten.
Auch Dan verabschiedet sich: „Schlaf dich aus, mein kleines Frettchen. Ich nehme die Kleinen solange du möchtest. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Nur wenn du fit bist, kommst du mit dem Stress klar.“
„Danke, Dad. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun sollte. Seit Max wieder auf Tour ist, ist das alles schon sehr anstrengend für mich.“
„Ich weiß, Sebby, es ist nicht so leicht, wenn man alleine ist. Bitte schlaf dich aus, du kannst jede Stunde Ruhe brauchen. Erhol dich gut und versuch ein bisschen abzuschalten. Deine kleinen Monster sind bei mir gut aufgehoben. Ich werde sie lieben und küssen und wortwörtlich auf Händen tragen.“
„Ich weiß, Dad. Danke nochmal.“ Sebastian winkt seinen Jungs noch einmal zu, außerdem haucht er viele Küsse in ihre Richtung. Auch Aiden winkt ein wenig zurück, zumindest sieht es so aus.
Dan spaziert mit den Zwillingen über mein Grundstück. Das Zuckerstück sieht ihnen noch ein wenig nach, doch dann wendet er sich an mich, um nach seiner Zigarette zu greifen. „Ach Mist…“, gibt er leise von sich, als er die halb ausgerauchte und zusätzlich ausgegangene Zigarette an sich nimmt.
„Du siehst aus, als würdest du einen Drink brauchen. Kann ich dir etwas anbieten?“
„Nein, danke. Das ist nett, aber Mum erwartet mich“, erklärt er, entzündet dann die Zigarette. Er atmet den Rauch aus, räuspert sich dann. „Aber cool, dass ihr wieder hier seid. Dann lassen dich diese Schweine endlich in Ruhe. Ich hab vor ein paar Tagen diesen Artikel gelesen…“ Er schüttelt den Kopf. „…unfassbar, dass sie dich nicht einmal in Ruhe lassen, wenn du Lucía auf dem Arm hast.“ Sebastian streicht sich die Haare aus dem Gesicht. „Ein Wunder, das du diese Medienattacken so lange abwehren und verkraften konntest, ich wäre längst in einer Stressklinik.“
Stressklinik. Ist klar. Das Wort, das er sucht heißt Psychiatrie. Aber ich verstehe, was er meint, denn genau so sieht Sebastian im Moment aus, er sieht aus, als bräuchte er viel, viel Zeit, um sich physisch und psychisch von seinem Stress zu erholen.
Er lässt seine Zigarette fallen und drückt die Glut mit seinem Fuß aus. Kurz möchte ich schon meckern, doch dann kniet er sich hin und hebt die Zigarette auf. „Ich mach mich dann mal auf den Weg. Sorry, dass ich nicht bleiben kann, aber ich brauche dringend Schlaf. Ich bin fix und fertig.“ Er lässt den Zigarettenstummel in seine hintere Hosentasche verschwinden.
„Ich fühl mich unwohl, wenn du alleine da rauf fährst. Ich fahr dich. Der Spaziergang nach unten wird mir bestimmt auch gut tun.“
„Okay, danke.“ Ich streichle über seinen Arm, was Sebastian ein bisschen zum Schmunzeln bringt.
Sebastian reicht mir seinen Schlüssel, wir steigen ein. Ich stelle den Sitz etwas nach hinten, sodass ich genug Platz habe, um fahren zu können. Sebastian ist zu klein für diese Welt. Ein Blick auf das Zuckerstück bringt mich zum Seufzen. Bei jeder seiner Bewegungen merke ich, dass er ein wenig zittert. Er klappt den Sichtschutz auf der Beifahrerseite hinunter, um sich im Spiegel zu betrachten.
„Fuck…“, gibt er leise von sich. Er murmelt etwas, zieht dann an seinem schwarzen Shirt, um den Fleck auf seiner Schulter zu inspizieren. Kaum fahren wir wenige Meter, fängt Sebastian wieder an zu schluchzen.
„Okay…?“ Ich blicke kurz zu ihm, schlage dann den Weg Richtung Berge ein. „Was ist los?“
„I-Ich bin so fertig… I-Ich bin müde…“, antwortet er weinend. „Sieh dir das an. Meine Haare, meine Augenringe...“ Sebastian bricht fix und fertig in Tränen aus. „U-Und auf-auf meinem Shirt i-ist Babykotze.“
Immer wieder werfe ich einen Blick zu dem weinenden Bündel Elend neben mir. Sebastian vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. Ja, er braucht definitiv eine Dusche und viel Schlaf. Erst als ich oben bei Robins Werkstatt ankomme, halte ich an. Ich parke sofort und ziehe die Bremse, sodass sein Wagen keinen Abhang hinunter rollt.
Sebastian sieht wieder auf. Immer wieder wischt er über seine Augen. „Es ist so schwer, Trevor. So verdammt schwer.“ Vorsichtig streichle ich über seinen schlanken Arm. „Ich liebe Aiden und Damian wirklich sehr, über alles, aber ich schaffe das nicht.“ Er wischt sich erneut die Tränen aus den Augen. „Sie-Sie sind so anstrengend. Keiner glaubt mir, aber sie sind so verdammt anstrengend, wenn ich mit ihnen alleine bin. Bei mir drehen sie komplett durch. Sie weinen und sie schreien und das immer nur bei mir. Bei allen anderen sind sie brave, kleine Engel. Ich-Ich hab mal ein Video gemacht, da-damit ich es Max z-zeigen kann, aber ich… ich bin darauf so furchtbar gestresst wegen den Kindern, dass ich es ihm nie gezeigt hab. Er-Er soll nicht denken dass ich ein schlechter Dad bin. Es ist als würden meine Kinder mich hassen. Max lieben sie, aber mich hassen sie…“
„Sie hassen dich doch nicht“, versuche ich ihn zu trösten. „Sebastian, sie sind doch noch so klein. Kinder gehen durch Phasen, aber es wird besser, sobald sie größer sind. Sie können noch nicht sprechen, alles, was sie tun können ist schreien und weinen, um ihre Bedürfnisse auszudrücken“, erkläre ich ruhig und sachlich. „Sobald sie sich ausdrücken können, wird alles einfacher. Also… falls sie sich ausdrücken. Mit Lucía hab ich oft dasselbe Problem, ich weiß auch oft nicht, was sie möchte und stehe ratlos vor meiner weinenden Tochter, bis sie mir endlich sagt, was los ist. Sie weint und schluchzt und versteckt sich in ihren Haaren, aber keiner von uns weiß, was sie damit ausdrücken möchte. Es wird aber besser, glaub mir.“
Sebastian nickt, er wischt erneut über seine Augen. „Aber was mache ich bis dahin? Max ist den ganzen Sommer auf Tour und ich kann mich nicht um Aiden und Damian kümmern. Ich-Ich schaffe das nicht alleine. Versteh mich nicht falsch, ich bin wirklich kein schlechter Dad, ich gebe mir so viel Mühe. I-Ich tue alles für sie, wirklich alles. Ich liebe meine Kleinen wirklich sehr, Trevor. Ich liebe sie mehr als alles andere, aber… ich…“ Er schüttelt den Kopf. „Es ist so viel…“
„Wenn du so zu kämpfen hast, wieso lässt Max dich dann alleine? Ist es ihm egal, dass du so fertig bist? Das kann ich mir nicht vorstellen. Max ist doch sonst nicht so egoistisch… Vor allem, wenn es um dich geht, nimmt er sich immer zurück.“
Sebastian öffnet die Beifahrertür, eine sanfte Brise zieht in das Innere des Autos. „Er… Max weiß es nicht. Wir sehen uns einmal pro Tag per Videochat. Wir machen uns die Zeiten so aus, dass ich die Möglichkeit habe…“ Sebastian streicht durch seine Haare. „…ich schminke und style mich, ich ziehe mich um und ich mache mich hübsch für ihn. Max würde seine Tour abbrechen, wenn er wissen würde, wie es mir wirklich geht und das will ich nicht. Er macht so gerne Musik und die Fans… Die meisten Konzerte sind ausverkauft… Es steht einfach viel auf dem Spiel, Trevor. Es geht um so viel Geld, um Max’ Karriere, sein Image, unser Image…“ Müde sieht Sebastian aus dem Fenster. „Ich habe überlegt, mir Hilfe zu holen, aber… Ich will nicht, dass jemand Fremdes meine Kinder aufzieht. …außerdem: Wie sieht das aus? Erst strahle ich in die Kamera, teile fleißig kleine süße Geschichten und Bilder in meinem Blog… und in unserer Show hab ich mich so liebevoll um die Babys gekümmert, als wir sie gerade erst bekommen haben. …und dann schiebe ich meine Kinder ab? Ich hab auch irgendwie Angst, dass mich jemand so sieht wie ich jetzt bin… Ich will nicht, dass mir das Amt die Kinder wieder wegnimmt… Wir haben so sehr gekämpft, um endlich Kinder zu bekommen. Ich wünschte, ich wäre nur halbwegs so perfekt wie die Medien-Version von mir, dann müsste ich keine Angst haben.“ Sebastian kratzt sich am Arm, er atmet tief durch. „Trevor, ich… Ich hab so ein schlechtes Gewissen… Fuck, ich hab meine Kinder abgeschoben… Ich muss das alleine hinbekommen.“ Sein Blick richtet sich auf mich. „Fahr mich wieder runter, ich muss zu meinen Babys.“
Ich schüttle ungläubig den Kopf. Es fühlt sich gerade so an, als würde Sebastians Gehirn eine kleine Kernschmelze durchmachen. „Sebastian, Zuckerstück, mein liebster, kleiner Schatz… Atme noch einmal tief durch. Deine Kinder sind in guten Händen. Du hast Aiden und Damian nicht abgeschoben. Dein Dad passt auf sie auf, sie sind bei deiner Familie. Du hast sie nicht abgeschoben, okay? Wenn Dan auf sie aufpasst, damit du ein bisschen zur Ruhe kommst, dann ist das nicht abschieben. Es ist natürlich, dass man nicht perfekt ist und dass man Hilfe annimmt, gewöhn dich daran.“
Er nickt. „Ja, aber…“
„No, kein ‚aber‘ Sebastian. Komm, wir steigen aus und rauchen eine Zigarette und dann gehst du zu deiner Mum und lässt dir etwas Leckeres von ihr kochen. Du nimmst eine heiße Dusche oder ein schönes, entspannendes Bad, ziehst bequeme Klamotten an und schläfst dich aus.“ Ich lächle ihm etwas zu, streichle dabei seinen Arm. „Du musst kein schlechtes Gewissen haben, weil du dir Hilfe suchst. Du machst das klasse, alle Eltern brauchen Hilfe. Wir sind nicht perfekt und das müssen wir auch nicht sein. Deiner kleinen Sonne und deinem kleinen Mond geht es gut, Dan wird sie verwöhnen und ihnen viel Liebe schenken, während du wieder zu Kräften kommst und wenn du morgen ausgeschlafen bist, dann machst du einen Spaziergang an der frischen Luft und besuchst deine kleinen Monster. Sie werden sich freuen, wenn sie sehen, wie happy ihr Daddy sein kann.“
Das Zuckerstück nickt, er kämpft sich aus dem Beifahrersitz. Wir rauchen noch eine Zigarette, reden allerdings nicht weiter miteinander. Sebastian ist vollkommen in Gedanken versunken, sieht so aus, als würde er einiges verarbeiten müssen.
Auch die Verabschiedung nach unserer Zigarette ist stumm. Ich nehme Sebastian fest in den Arm, ehe er das Gebäude mit seiner Reisetasche betritt und ich mich wieder zurück auf den Weg zu meiner Farm mache. Obwohl ich eigentlich gleich mit Robin das Geschäftliche besprechen könnte, verschiebe ich das auf den nächsten Besuch in die Berge. Sebastian ist jetzt viel wichtiger, er soll sich von Robin bemuttern lassen und wieder zu Kräften kommen.
Ich hingegen werde den heutigen Abend wohl alleine verbringen. Relaxed nehme ich die Abkürzung über den Waldweg, sodass ich so schnell wie möglich wieder unten ankomme, nebenbei aber auch die Natur und die Ruhe genießen kann. Gut, dass ich mich noch daran erinnern kann, dass es diesen ruhigen Wanderweg gibt.
Heute habe ich noch ein bisschen etwas zu tun. Ich nehme mir vor, zumindest die Zimmer der Kinder halbwegs wohnlich einzurichten. In den nächsten Wochen werden wir ohnehin noch das gesamte Haus renovieren. Calum wünscht sich eine neue, moderne und stylische Küche, er ist kein Fan von der altmodischen Landhausküche, die er bereits auf den Fotos gesehen hat. Die Mädchen dürfen bei ihren neuen Zimmern mitreden und sich auch die Farbe für ihre Wände selbst aussuchen. Calum will außerdem auch den Rest des Hauses neu streichen. Es wird also noch eine Weile dauern, unser neues Haus zu unseren Bedingungen einzurichten und zu gestalten. Ich bin sicher, dass mein marido auch einige Ideen für den Außenbereich hat, aber eins nach dem anderen. Ich bin hier, um wieder abzuschalten, nicht um mich sofort wieder zu stressen.
Als ich das letzte Mal hier eingezogen bin, war ich sehr genügsam, aber seit ich eine Familie habe, brauche ich mehr Platz. Wenn es nach mir geht, bräuchten wir eigentlich ein paar zusätzliche Zimmer. Ich bräuchte ein Arbeitszimmer, in dem ich in Ruhe meine Songs schreiben kann und mein Liebster braucht seinen Fitnessraum, aber es gibt dafür nicht genug Platz, wir werden uns um das eine freie Zimmer wohl streiten müssen. Das Farmhaus ist im Vergleich zu unserer Villa am Stadtrand eigentlich ein großer Rückschritt. Vielleicht reißen wir es auch nieder und lassen uns etwas Neues aufbauen…
Ich muss das alles noch mit Calum besprechen, wenn er mit den Mädchen ankommt. All diese Gedanken mache ich mir ohnehin viel zu früh, in den ersten Tagen wird auf jeden Fall gar nichts passieren. Ich will meinen Stresslevel senken, bevor ich mich der nächsten, großen und nervenaufreibenden Aufgabe widme. Wir sollten alle erst einmal richtig ankommen. Vor allem für die Mädchen ist es ein weiterer großer Schritt, immerhin hatten sie sich an ihr altes Zuhause gewöhnt.
Gemütlich spaziere ich den Waldweg entlang, atme die Waldluft. Die Sonne geht bereits unter, die Sonnenstrahlen tauchen das Tal in warmes Gold. Es wird ein wenig kühler, der Tag neigt sich langsam dem Ende zu.
Was mich angeht, gibt es noch ein klein wenig zu tun, zumindest mein Bett muss überzogen werden, damit ich es heute Nacht halbwegs gemütlich habe…
Ay…
Die Fotos!
Ich darf die Kaninchenfotos nicht vergessen!
…
Als ich bei meinem Grundstück ankomme, erwartet mich bereits erneut Besuch.
„Shane?“, frage ich überrascht. Er hebt seinen Arm, um mich zu begrüßen.
„Hey Neuling. Als Bürgermeister von Pelican Town heiße ich dich herzlich in unserem kleinen Dorf willkommen.“
„Dann bist du also wirklich Bürgermeister“, stelle ich fest, als ich auf ihn zutrete. „Und ich dachte, dass das ein Scherz ist. Ist Shane okay oder soll ich dich Bürgermeister Shane nennen?“
„Eure königliche Hoheit reicht vollkommen aus“, antwortet Shane grinsend. „Du hast bestimmt Zeit für ein Bierchen, oder?“
„Gratis Alkohol? Da sag ich nicht nein.“
Wenn mir jeder Gast einen Drink mitbringt, kann ich mich definitiv an Gäste und Gesellschaft gewöhnen.
Shane und ich setzen uns auf die Veranda. Während er es sich gemütlich macht, suche ich in der Küche nach meinem Glaskrug. Da ich heute noch nicht genug Wasser getrunken habe, fülle ich ihn und stelle ihn zusammen mit zwei Gläser auf den Tisch. „Ich bin gleich wieder da“, gebe ich Shane Bescheid.
Ich unterhalte mich kurz mit den Möbelpackern. Das Team ist noch dabei, die Möbel aufzubauen. Auch sie werden von mir kurz mit Getränken versorgt, ehe ich mit einer Kerze und einer Glasschale nach draußen gehe.
„Oh, romantisches Licht?“, zieht Shane mich auf. „Trevor, wenn du mich anbaggern willst, solltest du wissen, dass ich nach wie vor immer noch hetero bin.“
„Ich will das große Licht nicht aufdrehen, weil das zu grell ist“, erkläre ich, als ich die Kerze anzünde und auf die Glasschale stelle. „Ich brauche aber ein bisschen Licht für meine Zigaretten.“
„Verstehe.“
Ich setze mich zu Shane, wir öffnen uns eine Flasche Bier und stoßen an. „Und? Was gibt’s Neues in Pelican Town?“
„Wie viel weißt du schon?“, erkundigt er sich nach meinem Stand.
„Dan wohnt hier… Und von Juno weiß ich, dass sie oben in den Bergen ein Weingut aufgezogen hat. Sie verkauft billigen Fusel, damit ahnungslose Trinker ihr Augenlicht verlieren.“
„Halt die Klappe, der Schnaps von Juno und Cait ist klasse.“
„Ich weiß, ich hab eine Flasche geschenkt bekommen“, antworte ich grinsend. „Ich bevorzuge trotzdem Tequila.“
„War klar. Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks mehr.“
„Ich schmeiß dich gleich von meinem Hof, du Arschloch“, antworte ich lachend.
„Versuch’s doch.“
„Provozier mich nicht, ich bin durch meine Kinder sehr abgehärtet. Also? Was gibt’s Neues?“
„Okay… Klatsch und Tratsch aus Pelican Town. Sam und Penny haben sich letztes Jahr scheiden lassen. Sie ist nach Grumpelton gezogen.“
Sam und Penny. Ich war zwar nicht auf der Hochzeit, aber Sebastian war eingeladen. Ich habe einige Fotos auf Social Media gesehen. Penny sah in ihrem schlichten, weißen Kleid wunderschön aus. Sie hatte Wildblumen in den Haaren. Die Hochzeit war am Hauptplatz der Stadt, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
„Sie haben sich scheiden lassen?“, frage ich nach. „Was ist passiert? Hat Sam etwas angestellt?“
Shane schüttelt mit dem Kopf. „Penny wollte Kinder haben, aber Sam ist nicht zeugungsfähig. Nachdem sie es lange, lange probiert haben waren sie bei einem Spezialisten in Zuzu City und da kam raus, dass Sams Spermien so faul sind wie ich.“
„Das ist schon… naja, scheiße für Heteropaare, aber Calum und ich können zusammen auch keine Kinder bekommen, man kann doch adoptieren. Ist ja nicht so wild. Es gibt gröbere Gründe weswegen man sich trennen kann.“
„Das wollte sie nicht. Sie wollte unbedingt leibliche Kinder mit ihrem Mann haben“, erklärt Shane, zuckt dann mit den Schultern. Pennys Logik zieht wohl auch an ihm irgendwie vorbei.
„Aber man kann da doch in eine Klinik gehen“, denke ich laut vor mich hin. „Wenn er zumindest ein einziges lebendiges Spermium hat, kann man eine künstliche Befruchtung machen lassen.“
Shane nickt. „Das war auch Sams Idee… Penny ist aber so stur und versteift auf eine ‚normale Zeugung‘ und eine ‚normale Geburt‘ gewesen, dass die beiden nur noch gestritten haben. Letztes Jahr war die Scheidung dann endlich durch.“
„Hm… Scheißgeschichte. Wie geht es ihm jetzt nach der Trennung?“, frage ich, worauf ich von meinem Bier trinke.
„Sam wohnt jetzt am anderen Ende der Stadt, dort wo Joja früher ihren Standort hatten. Wir sind jetzt Nachbarn. Oh und es sind nur Gerüchte, aber ich habe gehört, dass er und Cait ein bisschen in einander verknallt sind.“
„Cait ist doch Caitlyn Smith? Sie kleine, süße Blonde, richtig?“ Shane nickt. „Immer wenn ich bei Juno vorbei geschaut habe, hat sie krampfhaft versucht, die Kleine vor mir zu verstecken“, erzähle ich grinsend.
„Gut so, sie ist eine Prinzessin und du bist ein Schwein.“
„Ich konnte es mir leider nicht aussuchen“, stimme ich ihm grinsend zu. „Aber man macht das Beste aus seiner Ausgangssituation, nicht wahr?“
„Du klingst, als würdest du es bedauern“, meint Shane mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
„Tu ich… nicht. Ich hab jemanden gefunden, der mich aushält. Es war nicht immer einfach, aber es funktioniert.“ Wir trinken von unserem Bier, ich beobachte kurz die zuckende Flamme der Kerze, ehe ich wieder zu Shane sehe. „Was hat sich sonst noch getan, außer Sams Liebesdrama?“
„Joja haben die Filiale zugesperrt. Wir hatten ein Meeting in der Stadt, oben im neuen Community Center und wir haben uns darauf geeinigt, dass wir alle geschlossen bei Pierre einkaufen, im Endeffekt hat es für Joja keine Umsätze mehr gegeben und sie haben zugesperrt. Ich hab’s veranlasst, dass der Laden abgerissen wird, davor hab ich es mir noch herausgenommen, die Scheiben eingeschlagen und nachdem Joja tot war, habe ich auf dem Grab mein Haus erbaut. Es tut gut, diese Blutsauger aus meiner Stadt zu haben.“
Ich lache ein wenig. Shane hat seinen Job bei Joja immer schon gehasst, aber dass er eine so theatralische Ader hat, wusste ich nicht. Vielleicht ist die auch neu, es hat sich immerhin doch einiges verändert. Es sind ja auch einige Jahre vergangen, seit ich hier ausgezogen bin.
„Bevor ich dich rauswerfe, habe ich noch eine einzige Frage…“
„Und die wäre?“
„Wie zur Hölle ist jemand wie du, der menschenhassende Stadtsäufer zum Bürgermeister geworden?“, frage ich interessiert, was meinen Kumpel Shane zum Lachen bringt.
„Willst du das ehrlich wissen?“
Ich nicke eilig. „Bitte.“
„Lewis hat doch immer wieder gesagt, dass die Stadt kein Geld hat, falls du dich erinnerst?“
Ich nicke nachdenklich. „Sí… könnte sein, dass ich da etwas aufgeschnappt habe.“
„Die Wahrheit ist, dass er das Geld unterschlagen hat. Man sollte meinen, dass man mit gestohlenem Geld etwas Wichtiges anfängt oder es für den Ruhestand zur Seite schafft, richtig?“
„Was hat er damit gemacht?“, frage ich neugierig. „Alkohol und Nutten? Falls ja, dann steckt in dem alten Knacker doch mehr, als ich dachte und ich bin ein bewundernder Fan…“
„Nein. Jetzt kommt’s… Halt dich fest…“ Grinsend halte ich mich tatsächlich an den Armlehnen fest. „…er hat Gold zu einer Statue seiner Selbst einschmelzen lassen.“
Mit offenem Mund sehe ich Shane an. „No. Nicht dein Ernst?!“
„Doch“, antwortet er schmunzelnd und nimmt einen Schluck seines Bieres. „…als das rausgekommen ist, hab ich mich im Suff dazu bereiterklärt, seinen Posten zu übernehmen. Ich erinnere mich noch an eine Aussage… Meine Tante meinte damals, dass ich es keinesfalls schlechter machen kann als Lewis. …ich hab mich aufstellen lassen und so bin ich an meinen Posten gekommen.“
„Das ist… echt verrückt. Du hast dir das doch nicht ausgedacht, um mich zu verarschen, oder?“
„Nein, du kannst jeden in der Stadt fragen, ich erzähle dir die Wahrheit. Es war überall im Valley in den Nachrichten.“
„Na dann: Herzlichen Glückwunsch. Ich schätze, solange du kein Geld veruntreust, wirst du bis an dein Lebensende versorgt sein.“
Shane nickt und wir stoßen ein weiteres Mal an. Ich freue mich für diesen betrunkenen Glückspilz.
Shane ist tatsächlich Bürgermeister von Pelican Town, Sachen gibt’s…