capítulo 34
sentimiento
Das Rufen und freudige Lachen meiner Mädchen reißt mich aus meinem Mittagsnickerchen in meiner neuen Hängematte, die ich mir wegen dem Sturm vor einigen Tagen besorgen musste.
Eilig nehme ich meine Metallbox von meinem Bauch und lege sie zur Seite. Ich bin eingeschlafen, bevor ich mir eine zweite Zigarette gedreht habe.
Ich springe aus der Hängematte und komme meinen Mädchen schnell entgegen. Glücklich gehe ich in die Knie, als Lucía und Cassie auf mich zulaufen. Meine Mädchen fallen mir in die Arme, sie lassen sich mit so einer Wucht auf mich fallen, sodass auch ich falle. Als wir zusammen im Gras liegen, drücke ich meinen Töchtern viele Küsse auf ihre Wangen. Meine Gefühlswelt ist im Moment vollkommen durcheinander, ich kann kaum beschreiben, was in mir vorgeht.
„Ich hab euch so sehr vermisst, es kommt mir vor, als wärt ihr richtig erwachsen geworden“, begrüße ich meine Mädchen glücklich.
„Wir sind erwachsen, wir haben jetzt auch bunte Haare wie du und Daddy“, erzählt Cassie stolz. Sie streicht durch ihre Haare und präsentiert mir ihre blaue Strähne. Nun trägt sie ihre rebellische Art nicht nur auf der Zunge, sondern auch auf ihrem Kopf. So gefällt mir das.
Es kostet etwas Kraft, doch ich setze mich auf. Ich kann es nicht lassen, die Wangen meiner Mädchen müssen ein weiteres Mal geküsst werden. Ich streiche durch Cassies offenes Haar. „Du siehst wunderschön aus.“ Ich richte meinen Blick auf Lucía. „Und du natürlich auch. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr es mir gefehlt hat, euch Prinzessinnen die Haare zu machen.“ Fröhlich stupse ich Lucías Nase an, sie kichert und fällt mir gleich wieder in die Arme. Liebevoll streichle ich über ihren Rücken.
„Ich hab dich vermisst, papá. Ich musste viel reden, weil keiner Spanisch kann. Aber wir haben abuela besucht, das war toll. Wir haben Kekse gegessen.“
„Ihr habt Kekse gegessen? Das ist ja toll“, antworte ich in überfröhlichem Ton, der überhaupt nicht nach mir klingt. Ich muss meine Empörung etwas überkompensieren.
Calum hat meine Eltern besucht und keiner hat mir etwas gesagt. Wahrscheinlich hat er sich bei ihnen über mich beschwert und sie haben ihn in seiner Entscheidung auch noch bestärkt. Wenn meine mamá mir nicht den Kopf abreißen würde, würde ich mich darüber beschweren, dass sie bei diesem Streit nicht auf meiner Seite waren. Vermutlich habe ich das alles irgendwie verdient. Karma schläft nicht, es lässt sich manchmal nur etwas länger Zeit, einen zu bestrafen.
„Ich freu mich, dass ihr Spaß hattet. Richie und ich haben uns ganz toll um eure Kaninchen gekümmert.“ Ich streiche Lucía eine Haarsträhne aus dem Gesicht und begutachte die pinke Farbe in ihrem Haar. „Deine kleinen Freunde haben übrigens ganz schön viel Hunger.“
Lucía kichert. „Sí, sind sehr hungrig. Sie mögen Cracker und Tomaten auch.“
„Das tun sie wohl…“
Über uns bildet sich ein Schatten. Calum bleibt vor uns stehen. Ich blicke zu ihm nach oben. Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass ich mich mehr freue, ihn zu sehen, aber seine Mimik verspricht, dass wir wohl gleich mit einem ernsten Gespräch beginnen. Die Wiedersehensfreude schmälert sich.
„Mädchen, ihr könnt euren papá nachher noch ganz viel drücken und ihm alles erzählen, aber zuerst bringt ihr eure Taschen auf eure Zimmer, okay?“, bittet Calum sie.
Cassie klammert sich an meinen Arm. „Aber kann das nicht warten?“
„Ich will bei papá bleiben“, stimmt auch ihre Schwester zu.
„Er läuft euch ja nicht weg. Abmarsch.“
„Meh, das ist voll blöd“, beschwert Cassie sich. Dennoch nimmt sie ihre Schwester an der Hand und die beiden gehen Richtung Auto.
„Hey“, begrüßt Calum mich etwas distanziert. Er lässt sich ins Gras sinken. Die Sonne lässt sein frisch gefärbtes türkisfarbenes Haar strahlen.
„Hey“, erwidere ich seine Begrüßung. Es folgt kein Kuss, keine Umarmung. Es ist beinahe, als wären wir Fremde, die sich zufällig über den Weg laufen.
„Also… Komisch wieder hier zu sein…“
„Hast du dich doch für eine Scheidung entschieden?“, frage ich nach.
Calum zuckt mit den Schultern. „Ich würde so gerne bei null anfangen. Ich will keine Vorwürfe, kein Misstrauen, keinen angestauten Stress, keine antrainierten Ängste…“
Ich schmunzle. „Okay, Fremder. Dann lass uns bei null starten.“ Ich reiche ihm die Hand. „Ich bin übrigens Trevor.“
„Doch nicht so“, antwortet Calum schmunzelnd. Er gibt meiner Hand einen kleinen Klaps und schubst mich dann ins Gras, sodass ich auf dem Rücken liege. Wieder taucht Calum über mir auf, er nimmt auf meiner Hüfte Platz und beugt sich über mich. „Könnten wir den ganzen Scheiß vergessen und uns auf die Liebe in unserer Beziehung konzentrieren? Bitte.“
„Wenn Liebe auch Sex bedeutet, gerne“, stimme ich seinem Vorschlag zu.
„Zerstör den Moment nicht.“
Ich schmunzle. „Sonst was?“
„Sonst versohle ich dir wirklich den Hintern.“
„Nette Drohung, ich liege auf dem Rücken, du Genie“, ziehe ich meinen marido auf.
„Und schon fängt ein neuer Machtkampf an“, gibt er geschlagen von sich.
„Das sehe ich anders. Ich bin dir vollkommen unterlegen. Du bist wortwörtlich in der dominanten Position und ich habe dir deine liebste Schokolade besorgt und dir Blumen gekauft, um dir zu zeigen, dass deine Bedürfnisse wichtig für mich sind. Im Moment ringe ich garantiert nicht nach Dominanz. Ich bin einfach nur noch froh, dass du wieder zu Hause bist.“ Calums eher neutraler Blick ändert sich zu einem Lächeln. „Ich nehme das alles ernst, Calum. Ich will glücklich sein und zwar mit dir.“
„Hoffentlich kannst du deine liebevolle Art etwas länger als ein paar Tage aufrecht erhalten“, gibt Calum überlegend von sich.
„Denk nicht so viel und gib mir lieber einen Kuss. Ich habe schon ewig nicht mehr so schöne Lippen geküsst.“
„Wie viele Lippen hast du denn ge-“
Um diese dumme Frage nicht beantworten zu müssen, ziehe ich meinen Liebsten zu mir und gebe ihm einen Kuss. Ich für meinen Teil habe meine Eifersucht und Neugierde erfolgreich verdrängt und möchte gar nicht wissen, was Calum in der Auszeit getan hat. Dass er den Kerl in Zuzu City gelassen hat und wieder bei mir ist, reicht mir schon. Das zeigt mir, dass ich die bessere Wahl bin.
Calum löst den Kuss. Er nimmt Abstand, legt sich aber dann neben mich ins Gras. Er nimmt meine Hand und verhakt unsere Finger miteinander, so wie Richie es in den letzten Tagen immer wieder getan hat. Es ist fast schon ungewohnt, keine schmalen Finger, sondern Calums vergleichsweise große, etwas raue Hand zu spüren. Ich spüre die Schwielen von seinem Training. Wahrscheinlich hat er viel seiner Wut mit dem Stemmen von Gewichten abgebaut.
„Entschuldige…“, sagt Calum leise.
„Hm?“, frage ich nach, da ich seine halbe Frage lieber verdränge, als darüber zu sprechen.
„Ich habe dir die Schuld für viele negative Veränderungen gegeben und das war dumm.“
„War es nicht“, entgegne ich. „Ich habe dir viele Gründe gegeben, mir zu misstrauen. Es war nur logisch, dass du irgendwann anfängst, mich zu kontrollieren und ich wusste es. Ich wusste es schon, als du es selbst noch nicht bemerkt hast.“
„Und du hast nie etwas gesagt?“, fragt Calum nach.
„Natürlich nicht. Ich wollte dich nicht aufregen. Du weißt, dass ich mir nichts sagen lasse, deswegen hast du alles verheimlicht. Wieso denkst du war mein Smartphone so oft ohne Code für dich verfügbar? Ich wollte, dass du mich kontrollierst. Ich habe es zugelassen, um dir zu zeigen, dass ich nicht fremdgehe und auch sonst nichts verheimliche. Du solltest dich sicher fühlen.“
„Du hast mich manipuliert…“
„No, ich habe dir gegeben, was du gebraucht hast“, entgegne ich ihm. „Auf eine etwas… unkonventionelle Art wollte ich damit unser Vertrauen ineinander stärken. Außerdem ist es schön zu wissen, dass du dir Sorgen machst und dass du mich vor mir selbst beschützen wolltest. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich niemals Drogen vor dir verstecken können und das ist gut so.“
„Hm… Ist ja nicht so, als hätten wir auch darüber sprechen können“, scherzt Calum ein wenig. „An manchen Tagen kommt es mir so vor, als würde alles, was wir uns aufgebaut haben zerbrechen, aber dann fühlt es sich wieder richtig an. Denkst du, dass wir unsere Ehe wieder hinbekommen?“ Ich drehe mich zur Seite. Calums erwartungsvolle Augen sehen mich an. Ich nicke, ehe ich ihm einen sanften Kuss auf die Lippen gebe.
„Hoffentlich. Ich wünschte nur, du hättest kein Fleisch gegessen. Du hattest Rindfleisch, richtig?“
Calum legt seine Hand an seine Lippen. „Wir haben Burger gegessen“, nuschelt er in seine Hand.
„Hab ich mir fast gedacht.“
Ich lehne mich an Calums muskulöse Brust. Dass er wieder da ist, kommt mir nach so langer Abstinenz wie ein grausamer Scherz vor. Es macht mir ein bisschen Sorgen, dass ich eventuell aufwache und dann doch nur Domingos Schnarchen neben meinem Kopf höre.
„Wo ist Richie?“, erkundigt Calum sich.
„Er wollte einen Spaziergang machen und hat Domingo mitgenommen. Er hat auch einen Rucksack gepackt, könnte also sein, dass er länger unterwegs ist und vielleicht ein kleines Picknick macht.“
„Ganz alleine?“, fragt Calum etwas skeptisch. „Das klingt nicht nach ihm.“
„Ich hab ihn gefragt, ob er Gesellschaft braucht, aber er wollte Zeit zum Nachdenken haben. Ein Gespräch mit dir würde ihm gut tun. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn er mit dir mitgefahren wäre.“
Calum setzt sich eilig auf, sodass ich von seinem Brustkorb rutsche. „Was ist passiert?“
„Nichts“, antworte ich ihm. „Ich bin nur der falsche Mensch für gewisse Gespräche. Richie ging es nicht ganz so gut. Ich hab alles versucht, aber er braucht jemand anderen, um das alles zu besprechen. Ich sollte nicht derjenige sein, der ihn in den Arm nimmt und ihn tröstet. Das klappt nicht so, wie es sollte, verstehst du?“
Mein marido nickt.
Er wendet seinen Blick zu unseren Mädchen, die stürmisch aus dem Haus laufen. Sie kommen wieder auf uns zu. Ich kann kaum glauben, dass sie wieder über das Grundstück laufen. Es ist so unwirklich, dass meine Familie wieder vereint ist. Kurzzeitig hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass Calum und ich es noch einmal versuchen werden, doch jetzt sind sie zurück.
„Welchen Weg ist Richie gegangen?“
„Cindersap Forest“, antworte ich. „Er mag den Fluss ganz gerne, ich nehme an, dass er dort in der Nähe sein wird. Sein Smartphone hat er dabei. Du kannst ihn bestimmt erreichen.“
„Okay, dann werde ich mal nachsehen, wie es ihm so geht.“ Calum bittet mich: „Kannst du mir einen Gefallen tun und etwas mit den Mädchen unternehmen? Vielleicht wäre es toll, wenn du mal zur Abwechslung mit ihnen zum Spielplatz gehst. Wenn sie heute Abend richtig müde sind, dann können wir beide uns noch einmal ausgiebig unterhalten, ohne gestört zu werden.“
„Okay. Dann sehen wir uns später?“
„Mhm.“ Calum beugt sich zu mir, doch anstatt meine Lippen zu küssen, küsst er meine Wange.
Ich bleibe liegen, um meine Kinder noch gebührend zu knuddeln, bevor wir uns auf den Weg machen. Aufgeregt kichernd lassen die beiden sich schon zu mir ins Gras fallen. Ich genieße es, meine Mädchen fest drücken zu können. Niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich sie so vermissen könnte. Die Zwangspause hat mir klar gemacht, dass meine Kinder mich vielleicht doch nicht so nerven, wie ich vorher dachte. Sie rund um die Uhr um mich zu haben ist vielleicht zu viel, sie dafür aber tagelang nicht zu sehen ist auch nicht die Lösung.
„Papá?“, beginnt Cassie mit einer ihrer berühmten Fragen.
„Was gibt’s?“
Sie drückt mich ganz fest. „Ich hatte ein bisschen Angst, dass wir dich nicht mehr sehen dürfen.“
„Oh no, Süße, wieso das denn?“, frage ich etwas erschrocken. „Ich hab dir doch gesagt, dass ihr nur ein paar Tage Urlaub macht und dass es nichts mit unserem Streit zu tun hat.“
„Ja, aber Daddy hat gesagt, dass er wütend auf dich ist und dass du nicht gut bist.“
„Das hat er zu euch gesagt?“, frage ich verwirrt.
Auch auf die Gefahr, dass Calum mir das Genick bricht, trete ich ihm dafür in den Arsch…
„Nein, aber zu Carly“, erzählt Cassie weiter. „Ich konnte nicht einschlafen und wollte zu Daddy gehen, aber er war traurig und böse und dann bin ich lieber ins Bett gegangen.“
Ich seufze. „Cassie, dein Daddy und ich haben öfter mal Probleme und wir streiten, aber wir vertragen uns jetzt wieder. Das braucht ein bisschen Zeit. Daddy ist sehr stur und ich bin auch sehr stur und sich zu einigen ist manchmal nicht so einfach.“
„Okay.“
„Während ihr in Zuzu City wart, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und mir ist klar geworden, dass ich es auch viel lieber habe, wenn wir alle lieb zu einander sind. Ich nehme mir fest vor, nicht mehr so viel mit eurem Daddy zu streiten. Wir wollen lieb zueinander sein.“
„Cassie war sehr lieb“, erzählt Lucía mir. „Wir haben gespielt und gemalt und sie hat meine Hand gehalten.“
Ich sehe meine blonde Tochter an. „Ich bin sehr stolz auf dich. So soll eine große Schwester sein. Komm und gib mir einen Kuss und wenn wir alle genug geknuddelt haben, dann gehen wir zusammen auf den Spielplatz.“
Kichernd lehnt Cassie sich zu mir. Ich überhäufe ihre Wange mit Küssen und damit Lucía sich nicht benachteiligt fühlt, bekommt sie genau dieselbe Anzahl an Küssen.
Hoffentlich sind die Mädchen durch dieses kurze Gespräch wieder etwas beruhigt. Es muss verwirrend sein, wenn ich Cassie eine Geschichte erzähle und dann belauscht sie Calums Seite, die eher nach dem Gegenteil klingt. Zu dumm, dass Kinder immer etwas aufschnappen, das nicht für ihre Ohren geeignet ist.
Ich wünschte Beziehungen wären nicht so unnötig kompliziert.
…
„Jetzt ich! Jetzt ich!“, ruft Cassie auf ihrer Schaukel.
Ich schubse Lucía noch einmal an, nehme dann einen Schritt Abstand, um die Schaukel nicht gegen den Kopf zu bekommen. Nun ist Cassie wieder an der Reihe. Als sie in meine Reichweite kommt, gebe ich ihr einen Schubs, sodass sie noch höher schaukeln kann.
„Jaaaaa!“, ruft sie freudig.
„Und du hast gar keine Angst, wenn du so hoch schaukelst?“
„Nein, papá! Im Flugzeug waren wir noch viel, viel höher!“, antwortet sie schnell. Die Antwort ist gar nicht mal so blöd.
Ich nehme wieder Abstand von meinen Töchtern, die fröhlich lachend weiterschaukeln.
„Wohin gehst du, papá?“, fragt Lucía.
„Ich drehe mir nur eine Zigarette, princesa, ich bin nicht weit weg“, antworte ich meiner Tochter. Wenige Meter weiter setze ich mich neben unseren Rucksack, in dem ich einiges verstaut habe, was wir bei diesem kleinen Ausflug bestimmt brauchen werden. Die Mädchen haben mich im Blickfeld, damit ich ihnen nicht verloren gehe.
Ich sehe zu meinen Töchtern hinüber. Zu sehen, wie glücklich sie lachen, bringt mich zum Lächeln. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie heute eventuell bei uns im Bett schlafen werden. Die Aussprache mit Calum wird sich wahrscheinlich ein wenig verschieben, doch vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Ein wenig Alltag verstreichen zu lassen, würde die intensiven Gefühle etwas abschwächen. Je neutraler wir etwas besprechen, desto besser ist es für uns alle.
Cassie springt von der Schaukel. Ich spüre, dass mein Herz für eine Sekunde aufhört zu schlagen, als sie auf dem Boden ankommt. Jeden Moment rechne ich damit, dass sie mir sagt, dass sie sich verletzt hat, doch sie läuft unbehelligt auf mich zu und setzt sich neben mich.
Ich bin noch nicht einmal dazu gekommen, meine Metallbox zu suchen, schon klammert sich die blonde Prinzessin an meinen Arm. Ich fürchte, dass ich in den nächsten Tagen viel mehr körperliche Zuneigung bekommen werde, als mir lieb ist. Auch mein Gedanke, dass die Mädchen uns heute nicht alleine lassen werden bestärkt sich.
„Cassie?“
„Hm?“
„Ich wollte mir eine Zigarette drehen… und spring nicht von der Schaukel, es wäre sehr schade, wenn du dir wehtun würdest und den restlichen Sommer eventuell ein Gipsbein hast.“
„Okay.“ Ich sehe zu meiner Tochter, die den Wink leider nicht ganz verstanden hat, ehe ich mich dafür entscheide, meine Metallbox mit einer Hand weiterzusuchen. Kaum ziehe ich sie aus der Tasche, lässt Cassie doch brav von mir ab. „Wieso rauchst du eigentlich?“
„Weil ich das gerne mache.“
„Dürfen wir auch mal?“
Ich schmunzle, schüttle dabei aber den Kopf. „Es wäre mir ehrlich gesagt lieber, wenn ihr beiden nie damit anfangen würdet.“ Auch Lucía gesellt sich zu uns. Sie streicht über ihren Rock, ehe sie sich hinsetzt. „Ihr wisst ja, dass Rauchen nicht gesund ist und dann ist es auch noch teuer und man stinkt… Sich das abzugewöhnen ist sehr, sehr, sehr schwer und wenn ihr gar nicht erst anfängt, dann habt ihr dieses Problem auch nicht.“ Ich zeige Cassie meine Finger. „Und das Nikotin verfärbt auch die Finger gelb, das sieht nicht so hübsch aus.“
Cassie hält meine Hand fest. „Und wieso rauchst du dann?“
„Habe ich dir die Frage nicht gerade erst beantwortet oder bin ich schon wieder vergesslich?“, stelle ich eine Gegenfrage.
„Ja schon, aber wenn es nicht gut ist, wieso machst du es dann?“
„Weil der Vorteil daran erwachsen zu sein ist, dass man tun und lassen darf, was man möchte, ohne sich erklären zu müssen.“ Ich ziehe meine Hand aus Cassies Griff und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. „Spielt noch ein bisschen alleine, wenn ich fertig geraucht habe, dann können wir noch was machen.“ Ich erkundige mich mit einem Blick auf mein Smartphone nach der Uhrzeit. „Aber nicht mehr so lange, ich muss noch…“
„Was musst du, papá?“, fragt Lucía nach.
Ich denke kurz nach. Es wäre besser, wenn wir jede Minute nutzen, die wir haben. „Eigentlich kochen, aber… vielleicht sollten wir uns eine Pizza holen“, antworte ich lächelnd.
„Ja! Pizza!“, freut Cassie sich lautstark. Auch meine zweite Tochter stimmt laut mit ein.
Mein Gehör hat wieder ein wenig Funktionalität eingebüßt…
Das habe ich definitiv nicht vermisst.
…
Das Abendessen besteht aus Pizza, die ich bei Gus bestellt habe. Alle sind versorgt und offensichtlich auch zufrieden. Calum sitzt wieder neben mir, auch die Mädchen sind im Gegensatz zu den letzten Tagen wieder in Sichtweite. Zusammen mit meiner Familie zu essen fühlt sich gut an, es ist der richtige Weg.
Vielleicht ist es unrealistisch mehr vom Leben zu erwarten.
Vielleicht sollte ich mit dem zufrieden sein, was ich habe.
Ich blicke zu Richie, der noch etwas bedrückt wirkt. Der Fehler, den ich anfangs nicht bereut habe, schwillt auf unüberwindbare Größe an. Anstatt ihm zu helfen, habe ich ihn nur unglücklicher gemacht. Nach seinem zweiten Stück Pizza verabschiedet er sich mit der Erklärung, dass er noch ein Bad nehmen möchte und danach früh ins Bett will.
Als ich sicher bin, dass Richie nicht nur aus Sichtweite, sondern auch aus Hörweite ist, wende ich mich an meinen marido. „Habt ihr geredet?“
„Mhm. Sehr ausführlich.“
Kurz habe ich Bedenken, doch da Calum nicht wütend oder auch nur verstimmt wirkt, bin ich ziemlich sicher, dass Richie nicht alles erzählt hat. Vielleicht ist auch er nicht der richtige Gesprächspartner für meinen Kleinen. Vielleicht sollte er mit Emily über seine Gefühle sprechen…
„Ist alles okay?“, fragt Calum nach.
„Sí, aber der Tag war ziemlich lang. Domingo hat mich recht früh geweckt… Und mein Mittagsschlaf wurde mir ja auch verwehrt.“ Ich sehe zu meinen Mädchen.
„Dürfen wir heute bei euch schlafen, papá?“, greift Cassie das Thema sofort auf.
„Klar, wieso nicht?“, antworte ich mit einer Gegenfrage. „Aber während ihr mit Daddy ein Bad nehmt, werde ich noch mit Domingo spazieren gehen. Wenn wir das aufteilen, dann haben wir viel mehr Zeit zum Kuscheln.“
„Ja, das ist toll. Und morgen zeigen wir dir unsere neuen Sachen. Wir haben ganz viele Geschenke bekommen.“
„Sie haben Geschenke bekommen?“, frage ich nach, worauf Calum nickt.
„Nicht nur sie“, antwortet Calum mir. „Wir waren bei deinen Eltern und du hast ein Paket aus deiner Heimat bekommen.“
„Aha.“
„Von deinem Onkel… Ähm… Irgendwas mit G?“
„Gustavo?“, frage ich nach. „Also Gabes papá?“
„Ja, könnte hinkommen.“
„Die anderen beiden die in Frage kommen würden, wären Rodrigo und Salvatore. Klingelt da irgendwas?“, antworte ich.
Calum überlegt. „Nein. Es müsste Gustavo sein. … Und du kannst unmöglich erwarten, dass ich mich an all deine Verwandten erinnere“, meint Calum etwas scherzhaft. „Es ist schwer, mir alle Namen ohne Gesichter zu merken.“
„Ich verüble es dir nicht, meine Familie vermehrt sich wie Kaninchen. Wie groß ist das Paket denn?“
„Ziemlich groß. Deine mamá hat irgendwas von Kaffee und Geschenken der Familie gesagt.“
Ich grinse breit. Verstehe. „Ich liebe Kaffeelieferungen.“
„Mhm… Kann ich mir vorstellen.“
…
Calum kümmert sich darum, dass die Mädchen sich den Sand des Sandkastens aus den Haaren waschen. Ich übernehme den Spaziergang mit dem wandelnden Flohzirkus. Bevor ich mit Domingo spazieren gehe, mache ich allerdings noch einen kleinen Abstecher zu Richies Schlafzimmer. Vorsichtig klopfe ich an die Tür, nach einem leisen ‚Herein‘ öffne ich sie.
Richie sitzt auf der breiten Fensterbank. Das Fenster ist geöffnet. Mein Kleiner sieht nach draußen in die Nacht. Vor ihm liegt ein geschlossenes Buch, aus dem ein Lesezeichen herausragt.
„Wolltest du nicht ins Bett?“
„Ja, das wollte ich.“
„Du hast Calum nicht alles erzählt, richtig?“, frage ich nach, worauf Richie den Kopf schüttelt.
„Ich würde alles ruinieren. Er wäre wütend auf mich, er wäre wütend auf dich und ich würde die Familie mit nur wenigen Sätzen auseinanderbringen. Ich hab zu meinen anderen Cousins und Cousinen keinen Kontakt. Calum ist der einzige, mit dem ich mich gut verstehe. Ich kann das nicht riskieren. Und ich möchte auch nicht, dass Calum dich rausschmeißt und du alleine dastehst…“
„Du denkst, dass er das tun würde?“, frage ich nach.
„Ich denke, dass er mich nicht mehr ansehen könnte, wenn er die Wahrheit wissen würde. Könntest du deinem Cousin nach so einem Geständnis noch ins Gesicht sehen?“
„Ich wäre hauptsächlich etwas irritiert, weil die alle hetero sind…“
„Du weißt was ich meine…“
Ich gehe auf Richie zu und lehne mich an die Wand neben dem Fenster. Er bricht den Augenkontakt schnell ab und sieht wieder aus dem Fenster.
„Wie kann ich dir helfen?“
„Gar nicht“, antwortet Richie etwas teilnahmslos. „Vielleicht wäre ein Spenderherz abgebracht. Eines aus Stein würde ich bevorzugen. Alles tut so weh, Trevor. Mein Körper fühlt sich so unbeschreiblich leer an.“ Richie legt seine Arme um seinen Oberkörper. Er streicht über seine Oberarme. „Ich hab auch Will verärgert. Er schickt mir seit dieser Nacht keine Sternschnuppen mehr… Er weiß, was ich empfinde und damit habe ich ihn verletzt…“
„Hast du daran gedacht, dass er… dass er das vielleicht nie getan hat? Sternschnuppen sind Steine und Staub, die in unserer Atmosphäre verglühen. Verstorbene Menschen haben damit nichts zu tun.“
„Und das soll mich aufheitern?“, fragt Richie bitter. „Danke, Herr Professor…“
„No, aufheitern vielleicht nicht, aber es gibt eine wissenschaftliche Erklärung für Sternschnuppen. Sie sind nicht magisch, sie sind Schmutz, der durch Hitze verglüht. Wenn man den Himmel lange genug beobachtet, sieht man das Phänomen irgendwann.“ Ich seufze. „Wenn du immer in den Himmel schaust, während du mit William redest, wird irgendwann eine Sternschnuppe erscheinen. Wenn man trauert, dann sucht man nach Zeichen, nach Hinweisen, nach irgendetwas, das einem Trost spendet. Dass du in den letzten Tagen keine Sternschnuppen gesehen hast, bedeutet nicht, dass William wütend auf dich ist.“
„Und dass ausgerechnet seit der Nacht auf der Couch keine Sternschnuppen mehr auftauchen ist reiner Zufall, obwohl Will mir sonst jedes Mal eine geschickt hat? Jedes Mal, Trevor. Nicht nur manchmal. Das kann kein Zufall sein. Das wären zu viele Zufälle.“, erklärt Richie energisch. „Er ist wütend auf mich. Vielleicht hasst er mich sogar und ich kann das verstehen, denn aktuell kann ich mich selbst nicht ansehen.“
Ich reiche Richie die Hand. Er sieht mich an. Eine Weile zögert er, doch dann lässt er sich aufhelfen. An der Hand führe ich ihn zu seinem Bett. Ohne weitere Worte lässt er sich auf die Matratze sinken.
„Richie… es tut mir leid, dass ich deine Fortschritte kaputt gemacht habe. Niemand wird dir böse sein, wenn du wieder in die Klinik zurückgehst.“
„Du willst mich also loswerden, weil ich deine Beziehung gefährde“, stellt Richie traurig fest.
„No“, antworte ich schnell. Ich setze mich zu ihm und nehme seine Hände in meine. „Hör mir zu, Richie. Du bist uns allen unendlich wichtig und wir lieben dich. Niemand möchte, dass du wieder weggehst, aber wenn wir dir nicht helfen können, dann müssen wir dir Hilfe suchen.“
„Ich bin nur eine Belastung für euch…“
„Das ist nicht wahr“, widerspreche ich ihm.
„Doch“, entgegnet Richie deprimiert. „Ich belaste eure Psyche und auch eure Ehe. Ich hätte gar nicht herkommen dürfen. Es ist besser, wenn man mich für immer wegsperrt. Ich bin total verrückt.“
Der Blonde zuckt etwas, er schluchzt herzzerreißend. Als er anfängt zu weinen, lässt er sich in meine Arme sinken. Da die Position für mich recht unangenehm ist, ziehe ich ihn mit einem Ruck auf meinen Schoß und lege meine Arme um seinen Körper. Ich halte Richie fest. Dass ich an diesem Zusammenbruch schuld bin, sorgt dafür, dass ich mich mindestens so scheiße fühle wie Richie selbst.
„Ich-Ich wünschte, du hättest mich sterben lassen…“
Richies Satz ist ein Schlag in die Magengrube. Ich wusste, dass er leidet und anstatt zu helfen, habe ich es nur schlimmer gemacht, so wie ich alles schlimmer mache, wenn ich versuche es zu verbessern.
Wenn ich doch nur wüsste, wie ich es wieder gut machen kann…
…
Nach einer kurzen Absprache mit Calum wird der gesamte Abend umgestaltet. Anstatt ins Bett zu gehen und mit den Mädchen zu kuscheln und zu plaudern, sehen wir uns im Wohnzimmer einen Film an. Calum übernimmt die Aufgabe, sich um Richie zu kümmern, während die Mädchen jede Sekunde meiner Anwesenheit genießen.
Richie lehnt sich an seinen Cousin. Ich sehe, dass Calum seine Hand festhält. Es ist schwer, sich auf die simple Handlung des Kinderfilmes zu konzentrieren, wenn man ständig diesen leeren, verzweifelten Blick vor seinem inneren Auge hat. Schon der Gedanke daran, dass Richie sich das Leben nehmen möchte, bereitet mir Gänsehaut.
Lucía lässt von meinem Arm ab. Sie bettet ihren Kopf an meinem Oberschenkel und rollt sich etwas zusammen. Ich sorge mit meiner nun freien Hand dafür, dass sie zugedeckt ist, außerdem streichle ich ihren Kopf. Auch Cassie will sich auf meinen Schoß kämpfen.
„Pass auf die Haare deiner Schwester auf“, bitte ich sie. Um das Problem zu lösen ändere ich meine Haltung. Ich winkle meine Beine an, sodass Lucía weiterhin auf mir liegen, Cassie allerdings auch auf meinem Schoß beziehungsweise meinem Oberschenkel sitzen kann. Mit einer Hand halte ich Cassie am Bauch fest. Sie bekommt einen Kuss auf die Wange. Glücklich lehnt sie sich an meinen Oberkörper.
„Ich hab dich lieb, papá.“
„Ich hab dich auch lieb, Prinzessin.“
Lucía wird vermutlich bald im Land der Träume einchecken und auch wenn Cassie noch sehr munter wirkt, wird sie ihrer Schwester wahrscheinlich bald folgen. Ruhig ist sie zumindest, das ist ein gutes Zeichen.
„Wieso hast du dein Geschenk nicht aufgemacht, papá?“
„Weil es nur Lebensmittel sind“, beantworte ich leise die Frage, die scheinbar aus dem Nichts zu kommen scheint.
„Aber Lebensmittel sind doch kein Geschenk.“
„Wenn man erwachsen ist, dann schon“, antworte ich erneut. „Du kannst mir morgen dabei helfen es zu öffnen, wenn du möchtest.“
„Echt? Das ist toll, aber du darfst es nicht vergessen.“
Calum antwortet: „Ich erinnere ihn daran, Cassie, aber jetzt sei bitte still, damit wir alle den Film sehen können.“
„Okay.“
Wie vermutet schläft nicht nur Lucía schnell ein, sondern bald darauf auch Cassidy. Sie hat ihre Arme um mich gelegt und ihren Kopf in meiner Halsbeuge versteckt. Calum nimmt mir Lucía ab, sodass ich aufstehen kann. Sobald ich meine Bewegungsfreiheit zurück erlange, nehme ich Cassie mit ins Schlafzimmer. Nachdem beide Mädchen es bequem haben, begeben wir uns wieder zurück ins Wohnzimmer.
Jetzt wo die Kinder nicht mehr alles mithören, haben wir die Freiheit über alles zu sprechen. Richie geht es nicht gut und der Gedanke, ihn in diesem Zustand alleine in sein Zimmer zu schicken bereitet mir große Angst. Ich habe ehrliche Angst davor, dass er sich das Leben nehmen könnte und ich dieses Mal zu spät komme.
„Möchtest du darüber reden?“, fragt Calum seinen Cousin, der nur mit den Schultern zuckt.
„Ich wüsste nicht wieso oder was ich sagen sollte“, fügt er leise hinzu.
„Trevor hat mir von eurem Gespräch vorhin erzählt.“
Richie sieht zu uns nach oben. „Wirst du es meinem Dad sagen?“
Calum ringt mit sich. Er verschränkt seine Arme. „Du weißt, dass ich es ihm sagen muss, wenn es dir wieder schlechter geht. Ich decke dich immer und so gut ich kann, das weißt du, aber es gibt gewisse Grenzen… …und dass du dir das Leben nehmen willst liegt weit über dieser Grenze. Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Wenn ich mich umbringe, dann ohnehin nicht hier. Es wäre schlimm, wenn die Mädchen mich finden, das kann ich ihnen nicht antun“, antwortet Richie gleichgültig. „Es ist so, dass… Ich habe nichts mehr… Das Leben ist total scheiße, ich verstehe langsam, wieso Dad mich vor allem abgeschirmt hat. Vorher war ich zwar auch unglücklich, weil ich nie etwas machen durfte, aber im Vergleich zu meinen heutigen Gefühlen, war ich damals ziemlich glücklich.“
Ich kenne das Gefühl, das Richie beschreibt. Je höher man fliegt, desto tiefer ist der Fall. Ich bin auch einige Male gefallen, teilweise so tief, dass ich kaum wieder aufstehen konnte.
Calum lässt sich neben Richie auf die Couch sinken. „Ich verstehe nicht, wieso du jetzt so einen großen Rückschritt machst. Dir ging es doch gut. Hast du deine Tabletten abgesetzt?“
„Ich… ähm… kann sein, dass ich sie vergessen habe…“
„Aber du hast doch deine Box, damit du nicht durcheinander kommst.“ Calum sieht zu mir nach oben. „Wieso hast du nicht darauf geachtet, dass er sie nimmt? Du weißt doch, dass er Hilfe braucht.“
„Weil er erwachsen ist, Calum.“
„Er schafft es aber nicht alleine, Trevor. Nicht jeder ist so hart wie du. Nicht jeder kann sich alleine aus der Scheiße kämpfen.“
Dass ich jetzt wieder schuld sein soll, nervt mich etwas, doch ich nehme die Schuld gerne auf mich. Immerhin habe ich einen großen Teil dazu beigetragen, dass es Richie jetzt so schlecht geht.
Ich seufze. „Ich hätte besser auf ihn achten sollen… Entschuldige…“
„Naja, wenigstens tut es dir leid, es hilft allerdings nicht.“ Calum nimmt Richies Hand. Er streicht durch die Haare seines Cousins. „Es ist auch meine Schuld. Ich hätte wenigstens deine Anrufe annehmen sollen… Offensichtlich hast du jemanden nötig, der etwas einfühlsamer als ein Stück Holz ist.“
Richie atmet tief durch. „Es ist gar nicht so schlimm. Ich gehe nach oben, nehme meine Tabletten und lege mich ins Bett.“ Der Blonde steht auf. Als er an mir vorbei gehen möchte, halte ich ihn fest.
„Kommt gar nicht in Frage. Wenn du traurig bist, lassen wir dich nicht alleine. Du schläfst hier unten.“
„Damit ihr ein Auge auf mich haben könnt?“, fragt Richie nach, dabei löst er sich aus meinem lockeren Griff. Er nimmt sogar etwas Abstand zu mir.
„So ist es“, antwortet Calum. „Das soll aber nicht heißen, dass wir dich einsperren, das verstehst du doch, oder?“
„Ja, schon gut, was soll’s.“ Er blickt zum Badezimmer. „Darf ich wenigstens alleine auf die Toilette gehen oder haltet ihr mich jetzt für so durchgeknallt, dass ich Bleiche trinke und mir die Pulsadern aufschlitze?“
„Du bist doch nicht durchgeknallt… Das ist Unsinn, den du dir einredest. Du trauerst um deinen Verlobten, du bist nicht verrückt.“
Richie schiebt seine Unterlippe vor. Er schmollt: „Calum, bitte lass mich einfach ins Badezimmer und dann schlafen. Ich brauche im Moment keinen Babysitter. Es wäre mir lieber, wenn ich alleine sein kann. Ich tue mir nichts an und ich nehme auch brav meine Tabletten, aber bitte lasst mir etwas Freiraum. Bitte. Ich bin im Moment wütend und traurig und alles fühlt sich scheiße an… aber es ist nicht so schlimm, dass ich mich heute Nacht umbringe.“
Calum und ich tauschen Blicke aus. Ich bin nicht überzeugt von Richies Worten. Am liebsten wäre es mir, wenn ich ihn wortwörtlich im Auge behalten könnte. Ich würde die ganze Nacht neben ihm sitzen, um sicher zu stellen, dass er friedlich schläft, wenn es nach mir gehen würde. Ich fühle mich schuldig und möchte es wieder gutmachen.
„Na gut, aber du schläfst hier auf der Couch und wir lassen die Tür geöffnet. Falls du etwas brauchst, kommst du zu uns“, bietet Calum ihm an. „Und ich hole deine Tabletten und ein Glas Wasser. Wo sind sie?“
„Im Nachttisch schätze ich.“
Calum steht auf, er geht gleich nach oben. Richie kratzt sich am Unterarm. Er lässt einen tiefen Seufzer los.
„Erzähl ihm alles“, bitte ich ihn. „Jedes Detail, okay? Falls er so wütend sein sollte, dass er alles hinschmeißen möchte, dann bin ich für dich da. Du bist nicht alleine, egal was passiert.“
Richie sieht mich an, er wirkt genervt. „Dann bist du für mich da? Klingt eher so, als würdest du das nehmen, was du kriegen kannst… Hau einfach ab, Trevor… Ich hätte mich niemals auf dich einlassen sollen… Ich war so dumm… mein ganzes Leben lang…“
„Richie, es tu-“
„Geh einfach weg…“
„Es tut mir leid, mein Kleiner.“
Ich respektiere Richies Wunsch und lasse ihn alleine im Wohnzimmer zurück. Calum und ich sehen einander nicht an, als wir uns in der Küche treffen. Ich verschwinde schnell ins Schlafzimmer. Die Mädchen schlafen bereits tief und fest, als ich Boxershorts und Shirt aus meinem Schrank nehme.
Ich nehme nur noch eine schnelle Dusche, bevor ich ins Bett gehe.
Dieser seltsame Tag kann gar nicht früh genug enden…