capítulo 4
disputa
Gestern Abend habe ich nach Shanes Besuch nicht mehr viel unternommen, dafür bin ich an diesem Morgen umso produktiver.
Mein Tag beginnt mit einem Spaziergang über die Farm. Ich ‚entdecke‘ ein leicht renovierungsbedürftiges Gewächshaus. Als ich damals hier gewohnt habe, stand das garantiert noch nicht hier, aber das Gewächshaus ist vielleicht gar keine schlechte Idee. Ich könnte dort ein bisschen Gras anpflanzen und in die produktiven Fußstapfen meiner Familie treten. Natürlich nur für meinen persönlichen Bedarf, die Gesetze in diesem Gebiet hinken leider immer noch hinterher. Man sollte Politiker überzeugen, mit den Fern Islands mitzuziehen.
Ach, die Fern Islands…
Das Heimweh trifft mich wie ein Stromschlag. Mein Besuch im letzten Jahr hatte leider einen furchtbar bitteren Beigeschmack, den ich bis heute noch nicht richtig verdaut habe, doch trotzdem...
Schnell schüttle ich die negativen Gedanken ab und ersetze sie durch etwas Positives. Sommer, Strand, Sonnenschein.
Ich schätze, dass ich in meinem Leben nur noch ein einziges Mal umziehen werde. In meinen Sechzigern werde ich meinen Hintern auf einem Liegestuhl auf den Fern Islands parken und für den Rest meines Lebens Sonnenuntergänge beobachten, die Meeresluft atmen, Tequila trinken und den einen oder anderen Joint rauchen. Das Älter werden wird mir auf Anhieb doch sympathischer, als es das bisher war.
Im Haus herrscht leider noch nicht die Ordnung, in der ich mich sonst wohlfühle, doch ein Umzug bringt immer etwas Chaos mit sich.
Ich mache mich daran, die Betten der Mädchen zu überziehen, auch ihre als Favoriten gekennzeichneten Umzugskartons öffne ich, damit die Mädchen sich später ohne weitere Hindernisse bedienen können.
Zurück in der Küche widme ich mich meinen Bedürfnissen. Ich mache mir Frühstück. Eigentlich ist es genau genommen nur Kaffee, außerdem drehe ich mir eine Zigarette, die ich mir gleich hinter das Ohr stecke, um sie nicht zu verlegen. Obwohl ich schon ein wenig Hunger habe, bin ich zu faul, mir etwas zu essen zu machen. Irgendwas hat Pelican Town an sich, dass ich mir nicht ganz erklären kann. Irgendetwas liegt hier in der Luft. Sobald ich hier in diesem Haus bin, habe ich keine Lust, auch nur einen Finger zu rühren. Am liebsten würde ich mir sofort eine Hängematte besorgen und mich hineinlegen.
Ich stelle meine Tasse draußen auf dem Tisch ab, zünde mir im Anschluss meine Zigarette an. Gemütlich spaziere über das Grundstück, um ein wenig Löwenzahn oder andere Kräuter für die verfressenen Kaninchen meiner Töchter zu sammeln. Ich gehe den Zaun entlang, ziehe genüsslich an meiner Zigarette. In einen kleinen Korb, den ich an meinem freien Arm trage, lege ich ein wenig gepflückten Löwenzahn.
Ich sehe auf, als ich das Kichern von einem Baby wahrnehme. Neugierig blicke ich über den Zaun auf Dans Grundstück. Zwischen den Bäumen hat man einen ganz guten Einblick auf Dans Haus und seinen Garten. Im Schatten einiger Bäume sitzt er auf einer Decke. Dan hat auch Aiden und Damian dabei, das Kichern erklingt erneut. Einer der Zwillinge wird von Dan hochgehalten, er überhäuft den Bauch des Babys mit vielen Küssen, was den Kleinen zum freudigen Quietschen und Lachen bringt. Sogar ich muss zugeben, dass dieser Anblick mehr als niedlich ist. Sebastians Dad hat ein Talent dafür mit Kindern und Jugendlichen klarzukommen, liegt vermutlich daran, dass er selbst nie ganz erwachsen wurde. Der Anblick betätigt mich, ich hatte Recht, als ich zu Sebastian sagte, dass die Zwillinge in guten Händen sind.
„Buenos diás, Nachbar“, begrüße ich Dan grinsend. „Frisst du da kleine Kinder? Sollte ich meine Mädchen vielleicht vor dir verstecken?“
Dan ist etwas überrascht, doch er lacht über meine Frage. „Guten Morgen, Trevor. Ich wusste nicht, dass ich einen Zuschauer habe.“ Er gibt dem Jungen in seinem Arm noch einen dicken Kuss auf die Wange, ehe er ihn zu seinem Bruder setzt. Interessiert beschäftigen die beiden Kinder sich mit dem Spielzeug, das sich auf der Decke befindet. Dan streichelt die Kleinen kurz, ehe er sich aufrichtet und auf mich zukommt. „Was hast du so vor, außer Nachbarn zu beobachten?“
Ich zucke mit den Schultern. „No se.“ Ich ziehe an meiner Zigarette. „Diese Stadt hat seltsame Vibes, sobald ich hier bin, will ich nur in der Sonne liegen und nichts tun.“
„Wie bei deinem letzten Besuch, was?“, fragt er, wobei er sich an den Zaun lehnt. Sein Blick ist auf die Kinder gerichtet.
„Sí.“
„Was pflückst du da? Dein Frühstück?“, zieht er mich auf.
„Cállate. Vegetarierwitze sind schon ewig out.“ Dan lacht trotzdem darüber. „Du sag mal, hast du keine Angst, dass die beiden in den Pool fallen und ertrinken?“
„Nein“, antwortet Dan lässig. „Ich hab doch ein Auge auf sie. Glaub mir, die beiden sind noch nicht schnell genug. Sie krabbeln noch. Damian ist zwar schon ein bisschen neugieriger, aber solange er nichts hat, an dem er sich aufrichten und festhalten kann, bleibt er sitzen und Aiden… Aiden ist wie du, er ist ein faules Stück. Den müsste ich mit Keksen zum Pool locken und selbst da ist seine Motivation sehr begrenzt.“
„Hey“, gebe ich lachend von mir. „Ich bin nicht faul, ich chille…“
„Latinos“, legt Dan noch einen drauf, um mich zu ärgern.
„Jetzt reicht aber, Dan. ¡Cállate!“
„Das heißt doch so etwas wie Schnauze halten, oder?“
„Du erinnerst dich?“, frage ich grinsend.
„Wie könnte ich nicht? Du bist ein stures Stück, du hast drei meiner besten Mitarbeiter dazu gebracht, dass sie keine Lust mehr haben, mit dir zusammen zu arbeiten. Du bist nicht besonders pflegeleicht.“
Wieder zucke ich mit den Schultern. Mein Blick richtet sich von Dan auf die Zwillinge. Aiden und Damian spielen zusammen, sie wirken auf mich nicht wie die kleinen Monster, die Sebastian beschrieben hat. Aber natürlich erinnere ich mich auch an seine Aussage, dass sie eben nur bei ihm so sind…
„Apropos arbeiten… Du hast nicht zufällig ein Studio in deinem chicen Haus?“
„Doch, also nicht direkt im Haus, aber ich habe ein Studio.“
„Darf ich da vielleicht mal rein? Demnächst irgendwann?“
„Klar, schreib mir vorher eine kurze Nachricht, du hast es ja nicht weit.“ Dan zündet sich eine Zigarette an, er räuspert sich. „Wann kommt deine Familie?“
„Heute Mittag, eigentlich wollte ich einkaufen und kochen…“
„…aber du bist faul“, stellt Dan lachend fest.
„Okay, ich bin faul, ich stehe dazu, aber ich habe die Betten der Mädchen überzogen und… oh eigentlich wollte ich ihre Kaninchen füttern.“ Deswegen laufe ich hier ja eigentlich rum. Ich wollte Futter sammeln. „Das sollte ich machen… Kaninchen füttern…“ Ich welche das schnell Thema: „Hey, hast du zu Robin Kontakt?“
„Ja, wieso fragst du?“
„Ich bräuchte einen Stall für diese Viecher…“
„Für einen Vegetarier bist du ganz schön hart zu den Kaninchen“, antwortet er schmunzelnd. „Ist es, weil sie dir das Essen wegfuttern?“
„Wie witzig, Dan. No, sie machen Dreck und ich hasse Dreck“, antworte ich. „Robin würde mir einen Gefallen tun, wenn sie mir einen Stall baut. Dann hab ich die Kaninchen wieder aus dem Haus und bin ein wenig entspannter.“
„Ich wollte sie ohnehin anrufen und mich nach Sebby erkunden, ich kann ihr ja sagen, dass sie sich bei dir melden soll. Ist deine Nummer noch aktuell?“
„Sí, gracias, Dan.“ Ich drücke meine Zigarette an dem Zaun aus, stecke den Filter dann in die Hosentasche. „Grüß das Zuckerstück von mir.“
„Mach ich. Wir sehen uns, Nachbar.“ Auch Dan drückt seine Zigarette aus, ehe er sich wieder auf den Weg zu den Zwillingen macht. Ich sehe ihm kurz nach, widme mich dann aber meinem eigentlichen Plan. Ich suche Futter für die Kaninchen meiner Kinder…
…
„¡Papá!“, werde ich von meiner Tochter Cassidy fröhlich gerufen. Damit meine Zigarette nicht vom Tisch rollt, lege ich sie in den Aschenbecher. Ich steige von der Veranda, um meiner Tochter entgegen zu kommen. Zufrieden nehme ich Cassidy in den Arm, als sie auf mich zustürmt. Sie bekommt einen Kuss auf die Wange. Ich drücke meine Tochter liebevoll an mich.
„Prinzessin, du hast mir gefehlt.“ Cassie strahlt mich an, ich lächle ein wenig. „Soll ich dir gleich dein Zimmer zeigen?“
„Ja! Bitte, bitte! Hier ist es schön. Auf dem Weg hab ich Kühe und Pferde gesehen.“
„Ach wirklich? Das ist ja toll.“ Um Cassie zu streicheln, lege ich eine Hand an ihren Kopf.
Ich blicke zu dem Kombi, den Calum neben unseren Sportwagen geparkt hat. Mein marido hebt gerade unsere zweite Tochter aus dem Auto. Er hält sie im Arm, Lucías Arme liegen um Calums Hals. Es sieht so aus, als würde sie schlafen.
„Ist alles okay?“, frage ich, als er auf mich zukommt. Calum beugt sich zu mir, um mir einen sanften Kuss zu geben. Unsere Lippen treffen sich nicht einmal eine Sekunde, dabei will ich nach dieser einsamen Nacht eigentlich viel mehr als nur einen kurzen Kuss.
„Ich glaube, dass sie Fieber hat. Ich dachte, es wäre gut, wenn ich sie gleich ins Bett bringe. Hier gibt’s doch bestimmt auch einen Arzt, oder?“
„Doch schon, zumindest gab es einen, als ich damals hier gewohnt habe… Ich nehme nicht an, dass es zumindest einen neuen Arzt gibt, wenn der nicht mehr hier ist.“
Mit Cassidy an der Hand betrete ich das Haus. Calum folgt uns, als wir die Treppen hinaufgehen. Wie versprochen zeige ich Cassie ihr Zimmer. Sie sieht sich interessiert um. Ihre Möbel wurden bereits aufgebaut. Auf dem Boden neben dem Bett steht der geöffnete Umzugskarton, über den sie bestimmt gleich herfallen wird. Der Großteil von Cassies Sachen ist natürlich immer noch in Kartons verstaut, doch das wird sich in den nächsten Tagen Schritt für Schritt ändern. „Aber die Wände sind ja noch gar nicht blau. Ich wollte blau haben, papá.“
„Ich weiß, Cassie, so schnell geht das nicht. Daddy und ich müssen noch Farbe kaufen, es gibt ja ganz viele verschiedene Blautöne, da musst du dir einen aussuchen. Lucías Zimmer ist auch noch nicht lila. Und unser Schlafzimmer bekommt auch noch eine andere Farbe, da müssen wir auch schauen, was wir so finden. Wir suchen uns alle unsere Lieblingsfarben aus und dann streichen wir zusammen die Wände. Das wird ein bisschen dauern, das ist viel Arbeit.“
„Okay, na gut, aber ich will blaue Wände haben“, erinnert Cassidy mich eindringlich. „Blaue Wände.“
„Du bekommst alles, was du möchtest, Prinzessin, aber du musst dich ein bisschen gedulden.“
Calum kommt zu uns ins Zimmer. Er legt seine Hand an meinen unteren Rücken, ich bekomme einen sanften Kuss auf die Wange. Ich kann es kaum erwarten, ihm heute Nacht wieder näher zu kommen. Meine Kinder haben mir schon gefehlt, aber es hat mir noch mehr gefehlt, Calum neben mir und vor allem unter mir zu spüren. Die heutige Nacht kann gar nicht früh genug einbrechen.
„Sie ist jetzt im Bett, ich würde aber trotzdem gerne einen Arzt holen, der sich Lucía mal ansieht.“
Mit einem Nicken stimme ich ihm zu. „Doktor Harvey… irgendwas? Den Nachnamen hab ich vergessen, es ist schon eine Weile her.“
„Ich werde ihn schon finden. Egal wie klein die Praxis ist, jeder ist irgendwo aufgelistet“, erklärt Calum lächelnd. „Und Cassie? Wie gefällt dir dein Zimmer?“
„Ich will blaue Wände“, erklärt sie. „Und die Lampe ist doof.“ Sie zeigt nach oben auf die alte Lampe, die über unseren Köpfen hängt. Mein marido und ich folgen ihrem Finger, wir sehen nach oben.
„Sí, das Ding ist hässlich“, stimme ich meiner Tochter zu, als ich die seltsame, runde, bunte Lampe betrachte. „Passt auch gar nicht zu deinem Blau-Thema. Das ändern wir auf jeden Fall.“
„Du darfst dir eine neue Lampe aussuchen, wenn dir die nicht gefällt“, erklärt Calum lächelnd. „Wir sehen uns das demnächst im Baumarkt an, wenn wir die Farben kaufen, okay?“
„Okay. Papá? Wo ist Blacky?“, wechselt Cassie das Thema. Die Renovierung scheint schon wieder vergessen zu sein.
„Im Wohnzimmer in einem Käfig, bis wir einen neuen Stall haben“, erkläre ich ihr lächelnd.
„Ich will ihn sehen, bitte.“
Cassidy schnappt meine Hand, ich führe sie nach unten und ins Wohnzimmer, um ihr zu zeigen, dass es ihrem Kaninchen gut geht. Freudig lässt Cassie sich vor den Käfig sinken. Sie legt ihre Hand an das Gitter.
„Hallo Blacky, hast du mich vermisst? Ich hab dich ganz doll vermisst.“
„Ich hab ihn ein bisschen gestreichelt und ihm etwas zu essen gepflückt. Du weißt ja wie Löwenzahn aussieht, wenn du aufpasst, dass du nicht von einer Biene gestochen wirst, kannst du ihnen einen kleinen Snack pflücken“, schlage ich vor.
„Ja, ich pass auf, papá“, erklärt sie schnell, ehe sie schon aufsteht und mit dem kleinen Korb an mir vorbei läuft.
„Bleib auf dem Grundstück!“, rufe ich ihr nach. „Am Zaun ist Schluss, verstanden?“
„Ja-ha!“, ruft Cassie aus der Küche aus. Eilig schlüpft sie in ihre Schuhe, läuft dann schon nach draußen.
Cassidy hat zu viel Energie…
Vielleicht sollten wir sie morgens raus lassen, damit sie ein paar Runden läuft, um sich auszupowern. Wie so ein Hirtenhund oder so…
Jetzt in den Sommerferien werden die Mädchen jeden Tag hier sein, ich muss also auf meinen geliebten, ruhigen Vormittag verzichten und mich den ganzen Tag mit den Mädchen beschäftigen… …und dabei liebe ich meinen freien Vormittag doch so sehr.
„Nein, nein, es ist nicht akut. Lucía schläft jetzt. Gestern hat sie sich übergeben, heute Morgen ging es ihr auch schon ein bisschen besser, sie hat auch ein wenig gegessen, aber eben wirklich nur wenig, das passt gar nicht zu ihr. Sie hat immer einen gesunden Appetit, sie isst immer alles, was auf den Tisch kommt. Sie ist ein bisschen heiß, vielleicht hat sie auch Fieber, aber ich konnte das jetzt nicht nachmessen, wie gesagt, sie schläft jetzt, da wollte ich sie nicht stören. Ist es möglich, dass Sie heute noch vorbei kommen und sich unsere Tochter ansehen? Ich möchte sie jetzt nicht wieder wecken und ins Auto stecken, wir haben einen langen Weg hinter uns, ich will, dass sie Ruhe bekommt“, höre ich Calum mit dem Doktor am Telefon sprechen.
Während Calum das alles klärt, habe ich Zeit, mir eine Zigarette zu drehen. Außerdem würde ich nach meiner Zigarette gerne anfangen zu kochen, da ich sicher bin, dass Calum gestern Abend mit den Mädchen Fastfood gegessen hat und ich der Meinung bin, dass unsere kleinen Prinzessinnen lieber gesund essen sollten.
…also nicht, dass Calum sie mit Burger und Fritten vollstopfen würde, er weicht nur in Ausnahmefällen gerne auf so etwas aus, während ich der Typ Mensch bin, der seinen Kindern den Spruch ‚Wir haben Essen zu Hause‘ an den Kopf wirft, wenn sie auf dem Rücksitz vor Hunger quengeln. Gestern hatte mein marido allerdings kaum eine andere Wahl. Irgendetwas mussten die Mädchen ja essen.
Ich setze mich auf die Veranda, beginne damit, mir eine Zigarette zu drehen. Kaum lege ich sie mir an die Lippen und greife nach meinem Feuerzeug, realisiere ich, dass ich ja bereits eine Zigarette rauchen wollte, als Calum und die Kinder angekommen sind. Kopfschüttelnd über meine eigene Vergesslichkeit sehe ich auf die Zigarette, die ich in den Aschenbecher gelegt habe.
Irgendwas stimmt nicht mit mir…
Ich werde immer vergesslicher.
Ich sollte vielleicht ein bisschen weniger Gras konsumieren.
…
Zu dritt stehen wir in Lucías Zimmer. Meine kleine princesa wird gerade von Doktor Harvey untersucht. Vorsichtig und mit einem Lächeln hört er gerade Lucías Herz und ihre Lunge ab.
„Und? Was fehlt ihr?“, fragt Calum neugierig.
„Die Temperatur ist wieder im Normalbereich. Vielleicht hat sie etwas Falsches gegessen oder es könnte die Aufregung über den Umzug gewesen sein. Kinder haben das manchmal“, erklärt Harvey freundlich. „Wie fühlst du dich Lucía? Tut dir irgendwas weh?“
„Quiero que mi papá“, schmollt Lucía leise.
„Was hat sie gesagt?“, fragt der Arzt nach, als er sich zu mir dreht.
„Sie will zu mir“, antworte ich ihm. Ich setze mich auf Lucías Bett. „Princesa, du darfst dem Onkel Doktor ruhig antworten, du musst nicht schüchtern sein. Du weißt, dass es okay ist, wenn du Fehler machst, niemand lacht dich aus.“
„Papá…“ Lucía klettert auf meinen Schoß, ich lege gleich meine Arme um sie, um sie zu streicheln. Lucía vergräbt ihr Gesicht in meinem Shirt, sie sieht aus, als würde sie sich vor der Welt verstecken wollen.
„Das ist wichtig, tut dir irgendetwas weh? Tut dir vielleicht dein Bauch weh oder ist dir schlecht? Wir können so viel kuscheln wie du willst, aber als erst musst du mir sagen ob du Schmerzen hast.“
„No, estoy bien“, antwortet Lucía leise.
„Sie sagt, dass es ihr gut geht“, übersetze ich.
„Ihr solltet ihre Temperatur beobachten, sollte die Temperatur wieder ansteigen oder sollte Lucía sich erneut übergeben, muss ich sie mir genauer ansehen, dann könnte sie eine Virusinfektion haben.“
Calum nickt. „Okay, dann messe ich später nochmal bevor sie schlafen geht.“
„Papá, mi conejo…“
„Moment Prinzessin, wir können gleich zu Nieve gehen.“ Ich halte Lucía fest, als ich aufstehe. „Ich leg mich mit ihr auf die Couch.“
„Ist gut, Sweetie“, antwortet Calum lächelnd. Er streichelt Lucías Kopf. „Ruh dich noch ein bisschen aus, ja?“
Unsere Tochter nickt zaghaft. Es ist nicht so, dass ich denke, dass Lucía simuliert, aber ich bin mir fast sicher, dass ihr Zustand auf den Stress zurückzuführen ist. Wahrscheinlich war ihr die Fahrt zu lang oder sie war unsicher, weil ich nicht da war… Vielleicht hat sie sich auch so große Sorgen um ihr Kaninchen gemacht, dass ihr das gleich auf den Magen geschlagen ist.
Was es auch war, ich hoffe, dass es ihr bald besser geht.
Mit Lucía auf dem Arm gehe ich an Doktor Harvey und meinem marido vorbei. Ich halte meine Tochter dabei fest, um sicher zu gehen, dass sie nicht fällt. „¿Puedo comerme una galleta?“, fragt Lucía leise, als ich mit ihr die Treppen hinunter gehe.
„Ay, kann man machen.“ Im Wohnzimmer lege ich Lucía auf der Couch ab. Liebevoll streichle ich ihre Wange. „Ich hole dir einen Keks, dann schließe ich den Fernseher an und wir schauen einen Film, okay?“
„Kann ich Nieve kuscheln?“
Für einige Sekunden ringe ich mit mir selbst, weil ich bei dem bloßen Gedanken an Kaninchenhaaren auf meiner Couch die Krise bekomme, doch das hier wäre eine Ausnahmesituation…
In Ausnahmesituationen ist einiges okay, das sonst nicht okay ist…
Außerdem kann ich die Couch morgen gründlich putzen, sollte Nieve etwas hinterlassen, was sie lieber nicht hinterlassen sollte.
„Sí, aber sie bleibt auf der Decke. Ich will nicht, dass sie im ganzen Haus herumläuft und überall ihre Haare oder Schlimmeres verteilt“, erkläre ich ein wenig strenger.
Meine Tochter kichert ein wenig. Es geht ihr bereits jetzt schon besser, das kann ich deutlich an ihrem Blick erkennen.
„Danke, Doktor Harvey“, verabschiedet sich Calum in der Küche gerade.
„Es ist mein Job“, entgegnet der Arzt freundlich. „Wäre es vielleicht möglich, dass ihr in den nächsten Tagen vorbei schaut? Ich würde mir gerne die Krankenakten der Kinder ansehen, damit ich auf alles vorbereitet bin.“
„Kein Problem, wir haben alles da. Es ist nur… naja, noch verstreut“, antwortet Calum.
„Es hat keine Eile.“
„Ich bin nicht sicher, ob wir diese Woche schon so weit sind. Vielleicht nächste Woche? Brauchen wir einen Termin?“
„Nein, schon gut. Es reicht, wenn ihr mir die Sachen in die Praxis bringt. Ich nehme mir genug Zeit, die Akten zu studieren.“
Während Calum und Harvey noch ein wenig plaudern, lege ich eine Decke zusammen, in der Hoffnung, dass das Kaninchen nicht auf die Couch pinkelt. Ich lege sie Lucía in den Schoß, meine princesa bekommt einen Kuss auf die Stirn. Sie fühlt sich schon deutlich kühler an, als bei ihrer Ankunft. Das Schläfchen hat ihr gut getan.
Vorsichtig fange ich ihr kleines, weißes Kaninchen ein, nehme es dann auf den Arm. Noch vorsichtiger setze ich es bei Lucía ab.
Meine Tochter wirkt augenblicklich wacher und fitter, als sie ihr Tier bei sich hat. „Te quiero, Nieve“, bekundet sie dem Kaninchen ihre Zuneigung, wobei sie durch das weiße Fell streichelt.
„Was willst du dir ansehen?“, erkunde ich mich nach Lucías Meinung. „Den Film mit den Hasen.“
„Keine Ahnung wieso, aber irgendwie habe ich mir das gedacht“, antworte ich. Vermutlich liegt das daran, dass ich den Film in den letzten Wochen ungefähr hundertmal gesehen habe.
Ich widme mich der Technik. Ich habe kein einziges Gerät richtig angeschlossen, weil ich nichts benutzt habe. Gestern ist es recht spät geworden, ich wollte am Ende des Tages nur noch ins Bett und verdrängen, dass ich alleine schlafen muss.
Auch Cassidy klettert hinter mir auf die Couch. „Wieso darf Lucía Nieve im Haus halten und ich Blacky nicht?“
„Cassie, hör auf, mich zu nerven“, antworte ich gereizt, als ich gerade hinter den Fernseher sehe, um alle Kabel in die Anschlüsse zu stecken, wohin sie gehören.
„Du bist voll blöd.“
„Du bist voll blöd“, äffe ich sie nach. „Cassie, ich bin gleich bei dir und dann darfst du Blacky auch auf der Couch halten. Du kannst ja schon mal eine Decke falten, damit er es bei dir bequem hat. Neben dir liegt eine Decke. Ich bin gleich fertig und dann hast du meine volle Aufmerksamkeit.“
„Ja, okay…“, antwortet sie trotzig, doch dafür habe ich gerade keinen Nerv. Cassidy ist alt genug, dass sie verstehen kann, dass man manchmal ein paar Minuten warten muss. Ich bin ohnehin gleich fertig…
Kabel für Kabel stecke ich an den richtigen Platz. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Cassie gerade an Lucías Haaren zieht. Lucía verzieht ein wenig das Gesicht, doch sie sagt nichts, sie wehrt sich auch nicht. Sie erträgt es einfach still. Ich traue meinen Augen kaum.
„Cassie, lass sie sofort los!“, schimpfe ich streng.
„Ich mach gar nichts!“, antwortet sie laut, wobei sie Lucías Haare loslässt.
„Hältst du mich für einen Idioten? Ich habe ganz genau gesehen, dass du an ihren Haaren gezogen hast.“
„Nein, das ist nicht wahr!“, verteidigt sich meine Tochter eilig. „Das sagst du nur, weil du sie viel lieber magst.“ Ich verkneife mir jede Antwort auf diese Aussage, was ich mir jedoch nicht verkneifen kann, ist die Strafe für ihre Tat und ihre Lügen. Sauer ziehe ich sie an ihrem Arm hoch, Cassie wehrt sich etwas, doch sie gibt schnell nach. „Du bist so gemein! Ich sag das Daddy!“
„Sag ihm doch, was du willst, das ist mir wirklich egal. Du weißt ganz genau, dass du deiner Schwester nicht wehtun sollst. Das macht man nicht. Man verletzt andere Menschen nicht.“
Ich ziehe Cassidy an Calum vorbei, sie hält sich an seinem Arm fest. Jammernd klammert sie sich an ihn, um mich als den Bösen darzustellen. „Hilfe, papá ist wieder gemein zu mir. Er will mich bestrafen, aber ich hab nichts gemacht.“
Unbeeindruckt sehe ich Harvey an, er wirkt etwas geschockt von Cassies Aussage.
„Muss das jetzt sein?“, fragt Calum, wobei er mich ansieht.
„Cassie bleibt in ihrem Zimmer. Sie hat an Lucías Haaren gezogen. Ich hab sie dabei gesehen und sie lügt mir frech ins Gesicht.“
„Cassie, geh mit papá nach oben. Wir besprechen das gleich.“
„Ja, aber das ist so unfair, ihr haltet immer zu Lucía, weil sie dumm ist und nichts versteht“, beschwert Cassidy sich weiter. „Ich hab nichts gemacht, ihr seid so gemein!“
Damit der Vorhang für dieses dramatische Stück schneller fällt, hebe ich Cassie hoch. Ich lege sie mir über die Schulter und trage sie nach oben. Dass sie schreit und zappelt und sich wehrt, als würde ich ihr da oben tatsächlich etwas antun, beschäftigt mich nicht mehr. Es ist nicht das erste Mal, dass sie sich so aufführt. Ich habe gelernt, damit zu leben.
In ihrem Zimmer angekommen lasse ich Cassidy in ihr Bett sinken, sie tritt nach mir, um sich an mir für diese ‚unfaire Behandlung‘ zu rächen. Wütend, aber dennoch ruhig halte ich ihre Beine fest, ohne ihr dabei weh zu tun natürlich. „Hör auf, es reicht Cassie“, erkläre ich streng. „Lucía ist nicht dumm, sie braucht Hilfe, weil sie die Sprache noch nicht so gut versteht, wie du es tust. Und nur weil du sie für dumm hältst, ist das noch lange kein Grund, ihr weh zu tun. Das macht man nicht, man tut anderen Menschen nicht weh, das ist nicht in Ordnung. Du weißt das ganz genau.“
„Ich hab gar nichts gemacht.“
„Cassie, ich hab genau gesehen, wie du an Lucías Haaren gezogen hast.“
„Hab ich nicht! Das ist nicht wahr!“
„Hör auf, mich anzulügen. Du bleibst den restlichen Tag hier auf deinem Zimmer. Wenn ich nur einen Mucks höre, dann haben wir beide ein Problem, verstanden?“
Cassie dreht sich weg, sie antwortet nicht mehr. Von mir aus kann sie den restlichen Tag schmollen, es ist mir vollkommen egal.
Ich lasse meine Tochter in ihrem Zimmer zurück, schließe die Tür hinter mir. Calum kommt mir gerade entgegen, er streicht durch seine türkisen Haare. „Was ist passiert?“ Mein marido wirkt genervt, aber auch ein wenig traurig. Ihm gefällt die Situation mindestens genauso wenig wie mir.
„Lass uns das unten besprechen“, bitte ich, Calum stimmt mir mit einem Nicken zu.
In der Küche stellt Calum sich zu seiner Kaffeemaschine, er schaltet sie ein, ich hingegen greife aus Gewohnheit nach meiner Metallbox, doch ich drehe mir keine Zigarette, ich halte sie nur in meiner in meinen Händen, um meine Finger zu beschäftigen. Nachdem ich einige Male mit dem Verschluss gespielt habe, lege ich sie weg, da ich mich an etwas erinnere. „Ich schalte den Film für Lucía ein… Machst du mir auch Kaffee?“
„Mhm.“
Nachdem ich Calum einen Kuss auf die Wange gedrückt habe, öffne ich den Schrank, um eine Packung Kekse herauszunehmen. Ich lege drei Stück auf einen Teller, als ich die Packung wieder in den Schrank legen möchte, nimmt Calum sie mir ab. Er nimmt sich einen Keks und beißt davon ab. Er wirkt nachdenklich, als er kauend an die Wand gegenüber sieht.
Während mein marido unseren Kindern die Kekse wegisst, gehe ich zurück zu Lucía ins sporadisch eingerichtete Wohnzimmer. „Lo siento, mi mariposa. Ich hab dich jetzt so lange warten lassen.“ Ich lege den Teller mit den Keksen auf den Couchtisch. Liebevoll streichle ich Lucías Kopf. „Geht’s dir gut? Hat Cassie dir wehgetan?“
Lucía zuckt mit den Schultern. „Sie zieht immer hier.“ Meine Tochter streicht durch ihre Haare. „Das tut weh, aber wenn ich was sage, dann tut es mehr weh.“
Ich bin geschockt. Ich muss zugeben, dass ich wirklich geschockt bin. Dass Cassidy Lucías Sachen nimmt ist ja noch zu verkraften, aber dass sie ihr anscheinend regelmäßig weh tut, ist nicht okay. Wieso bekommen wir das gar nicht mit? Das ist doch…
„Princesa, wieso sagst du mir so etwas nicht? Du musst unbedingt mit mir sprechen, es ist egal, wenn du spanisch sprichst, okay? Es ist wichtig, dass du mir so etwas sagst, egal wie.“ Lucía nickt, sie wischt sich über ihre braunen Augen. „Ay, no, no, nicht weinen…“
Ich klettere neben meine Tochter auf die Couch, sofort lege ich einen Arm um sie.
„Cassie no le gusto“, schluchzt Lucía traurig. „Ich hab nichts gemacht, papá.“
„Wir reden mit Cassie darüber, versprochen. Es ist nicht okay, dass Cassie dir wehtut, ich werde etwas dagegen unternehmen, das verspreche ich dir.“ Zärtlich drücke ich meine Tochter an mich, streichle dabei über ihren Arm. „Ich hab dir Kekse gebracht und sieh mal Nieve ist auch hier und sie will gerne den Film mit dir sehen.“
„Mhm…“
Ich ziehe ein Gummiband von meinem Handgelenk, um Lucías Locken damit ein wenig zu bändigen. „Ich spreche noch mit deinem Daddy über das, was passiert ist und wenn wir damit fertig sind, dann komm ich zu dir zurück und dann kuscheln wir ganz viel, ist das okay für dich?“
„Sí, gracias papá.“
„De nada, princesa.“
Ich küsse Lucías Wange einige Male. Ich gebe ihr so viele Küsse, dass sie sich kichernd von mir abwendet. Bevor ich aufstehe, streichle ich noch das kleine, weiße Kaninchen.
„Ich beeile mich, versprochen.“
Bevor ich gehe, schalte ich den Film für Lucía ein. Calum und ich machen es uns draußen auf der Veranda gemütlich. Es muss einfach besprochen werden. Cassidy darf mit Lucía nicht so umgehen, das ist nicht in Ordnung. Die Frage ist nur: Wie wollen wir das Problem lösen?
„Also?“, fragt Calum, als er mir einen Sitzplatz anbietet. Er klopft mit seiner Hand auf den bequemen Sessel neben ihn. „Setz dich und sag mir, was passiert ist.“
Ich setze mich neben meinen Liebsten, natürlich habe ich meine Metallbox dabei. Ich drehe mir eine Zigarette, fange dabei an zu sprechen: „Ich habe Lucía erlaubt, Nieve auf der Couch zu halten und mich dann um die Technik gekümmert, damit sie einen Film sehen kann. Gestern hab ich nicht mehr ferngesehen, ich bin nur ins Bett.“ Calum trinkt von seinem Kaffee. „Cassie wollte natürlich auch ihr Kaninchen halten, ich hab ihr gesagt, dass sie mich jetzt nicht nerven und kurz warten soll und als ich mich umgedreht habe, hat Cassie an Lucías Haaren gezogen.“
Mein Mann lässt einen tiefen Seufzer los. „Sie ist eifersüchtig, Trevor…“
„Ich weiß, aber was soll ich machen? Soll ich einfach aufhören, Lucía zu erklären, was um sie herum passiert?“ Ich lecke über das Papier meiner Zigarette, rolle es dann zusammen. Als ich damit fertig bin, lege ich sie an meine Lippen und zünde sie an. Nach einem tiefen Zug spreche ich weiter. „Sie braucht noch ein bisschen Hilfe, Calum. Und weil Lucía an mir hängt, stellt sie ihre Forderungen immer an mich, weil sie auch auf Spanisch nachfragen kann, wenn sie nicht weiß, was sie sagen soll…“ Ich zucke mit den Schultern. „Ich liebe Cassie genau so sehr, wie ich Lucía liebe, aber solche Aktionen…“
Mein marido streichelt über meinen Arm. „Ich weiß, dass du dir Sorgen um Lucía machst. Die Kinder waren damals ja auch gemein zu dir, das prägt einfach.“
„Gemein?“, frage ich grinsend. „No, das war nicht so schlimm. Ich war ja schon 14 und keiner hat an meinen Haaren gezogen.“ Schmunzelnd sehe ich Calum an. „Naja, außer ich wollte es. In manchen Situationen kann das schon reizvoll sein.“
„Bleib bitte ernst, Trevor“, bittet Calum mich mit einem Blick, der mir sagt, dass ich die Schnauze halten soll. „Hat Cassie oben noch etwas gesagt?“
„No, nicht wirklich. Sie ist der Meinung, dass wir unfair sind, aber die Geschichte kennst du ja. Es ist immer dasselbe.“
Calum nickt. „Als sie alleine war, war es einfacher…“
Ich lehne mich zurück, ziehe an meiner Zigarette. Als ich den Rauch ausatme strecke ich meinen Arm zum Aschenbecher, um abzuäschern. „Stimmt schon, aber was sollen wir machen? Wir können keines der Mädchen zurückgeben, nur weil sie sich nicht verstragen. Das wäre unmenschlich.“
„Das würde ich auch nie in Erwägung ziehen“, meint Calum überzeugt. „Sie sind unsere Töchter, wir geben natürlich keine von beiden weg, aber wir müssen etwas tun, um die Konflikte zu lösen. Sie haben getrennte Zimmer, also haben sie ein bisschen Abstand zueinander und zumindest die Streitereien wegen dem Spielzeug sollten aufhören… Ich rede noch einmal mit Cassie und auch mit Lucía und vielleicht hört es ja von alleine auf?“
Ich zucke mit den Schultern. Kindererziehung ist nicht einfach, vor allem wenn man in einer Situation wie dieser steckt. „Lucía meinte, dass Cassie ihr öfter an den Haaren zieht, aber dass sie nichts sagt, weil Cassie ihr sonst mehr weh tut… Das ist doch nicht normal, oder? Ich denke mal nicht, dass das von alleine aufhört, sonst hätte es doch schon aufgehört, oder?“
„Ich war auf so etwas nicht vorbereitet“, schmollt Calum verzweifelt. „Ich dachte, dass wir zwei kleinen Mädchen ein schönes Zuhause bieten, sie sich lieb haben und zusammen spielen.“
Calums naive Aussage bringt mich zum Lachen. „Du hast selbst zwei Geschwister, die du nicht ausstehen kannst…“
„Ach, sei leise du glückliches Einzelkind…“
„Ich bin schon ruhig“, antworte ich grinsend.
Eine Weile ist es tatsächlich still. Ich ziehe immer mal wieder an meiner Zigarette. Als mein Blick von unserem Grundstück zu Calum schweift, sehe ich, dass er geistesabwesend in die Leere starrt, wie er es vorhin in der Küche gemacht hat.
Ich erschrecke etwas, als er mich plötzlich ansieht und spricht. „Sie sollen sich einfach lieb haben, Trevor…“
„Tja, so einfach wird das wohl nicht.“
„Vielleicht solltest du Cassie ein bisschen… naja ‚bevorzugen‘? Du weißt schon, damit sie nicht mehr eifersüchtig ist? Verbring mehr Zeit mit ihr.“
„Und ihr damit beibringen, dass man als Arschloch weiterkommt? Klingt zwar nach mir, aber nein… Cassie wird sich bei Lucía entschuldigen müssen, ich sehe da keine andere Lösung.“
„Ja, das stimmt auch wieder. Ich will nicht, dass sich eine der beiden ausgeschlossen fühlt… Weder Lucía, noch Cassie…“
„Ich auch nicht, Baby, aber jetzt…“ Ich drücke meine Zigarette aus, gebe Calum einen Kuss auf die Stirn. „…sehe ich mir zum wiederholten Male den dämlichen Hasenfilm an.“
„Viel Spaß, ich sehe dann mal nach Cassie und rede mit ihr. Ich versuche herauszufinden, wieso sie so gemein zu Lucía ist und vielleicht schaffe ich es ja, ihr Vernunft einzubläuen.“
„Guter Plan.“
„Danke.“
Wieder im Wohnzimmer bringe ich Nieve zurück in den Käfig zu ihrem Freund Blacky. Die Decke lege ich gleich ins Badezimmer, damit ich sie so schnell wie möglich wasche. Ich kuschle mich zu meiner Tochter auf die Couch. Sie bekommt viele kleine Küsse von mir, außerdem checke ich mit meiner Hand ihre Körpertemperatur an der Stirn und an ihrem Hals. Es könnte sein, dass das Fieber wegbleibt, bis jetzt scheint es ihr auf jeden Fall gut zu gehen.
…also bis auf die Tatsache, dass ihre große Schwester gemein zu ihr ist, aber auch das wird sich hoffentlich bald bessern.
Ich ziehe Lucía ein bisschen zu mir, sie bekommt einen weiteren Kuss auf die Wange. „Te quiero, mi princesa.“
„Tambíen te quiero, papa.“
…
Unsere erste gemeinsame Nacht in unserem neuen Zuhause bricht endlich an. Die Kinder sind im Bett, Calum und ich sind geduscht und auch wir sind bereits in den Federn. Es fühlt sich an, als wäre es ewig her, dass ich Calum nah sein konnte. Letzte Nacht musste ich es mir selbst machen und darauf habe ich heute definitiv meine Lust.
Mein marido bekommt viele Küsse auf den Hals, meine Hand wandert zu seinen unteren Regionen. Kurz vor seiner Hüfte hält er mich allerdings fest. Wieso? Ich will aber…
„Cassie denkt ernsthaft, dass wir Lucía lieber haben als sie. Deswegen ist sie zu ihr so gemein… Das ist scheiße, Trevor. Das ist verdammt scheiße, meine Eltern haben meine Geschwister auch bevorzugt. Meine große Schwester war die gepriesene Heldin und mein kleiner Bruder das verzogene Baby. Und das mittlere Kind ist jedem egal. Ich weiß, wie Cassie sich fühlt und es fühlt sich scheiße an.“
„Eigentlich wollte ich darüber heute nicht mehr nachdenken. Ich will Sex…“ Calum setzt sich auf. Als meine Hand an sein Bein gleitet, nimmt er sie in seine Hand und lässt sie fallen als wäre sie eine heiße Kartoffel. Noch ablehnender kann er mich kaum behandeln. „Okay, ich höre dir zu.“
„Du solltest irgendetwas mit ihr unternehmen. Vor allem du gibst ihr das Gefühl, dass Lucía dir wichtiger ist.“
„Wir haben dieses Gespräch schon so oft geführt. Wir führen es, seit Lucía bei uns ist und ich hab da einfach keine Lust mehr darauf. Lucía braucht meine Hilfe.“
„Ja, ja, weil du ihren Übersetzer spielst, das wissen wir alle. Trotzdem: Ich möchte, dass du dich ein wenig intensiver um Cassidy kümmerst. Morgen gehen wir zusammen einkaufen. Es wäre schön, wenn du vielleicht ihre Hand nehmen würdest und wenn du sie vielleicht zuerst fragst, ob du ihr einen Zopf flechten sollst. Sie soll sich wertgeschätzt fühlen.“
„Es gefällt mir nicht, dass ihr Fehlverhalten gegenüber Lucía meine Schuld sein soll… Das ist unfair… Ich versuche mein bestes, ich behandle beide gleich, nur wer zuerst kommt, mahlt zuerst…“
„Ich weiß, dass du dein bestes gibst, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, etwas zu ändern. Wenn wir Cassie bestrafen, wird sie nur noch wütender auf Lucía sein… Und früher oder später wird Cassie ihr wieder an den Haaren ziehen und das ist auch nicht schön. Sie sind kleine, süße Mädchen und so sollen sie sich verhalten.“ Calum seufzt. „Sie sollen sich vertragen, Trevor…“
„Schon gut, ich kümmere mich darum. Nur was ist, wenn Lucía dann denkt, dass ich sie gar nicht mehr lieb habe und sich wieder zurückzieht und gar nicht mehr spricht?“
Mein marido lässt einen tiefen Seufzer los. „Weißt du was? Ich geb’s zu: Wir sind verdammt miese Eltern. Wir bekommen gar nichts gebacken und wir sind komplett unfähig. Wir können gar nichts. Man hätte uns vorher in einen Kurs stecken sollen, wo wir lernen, wie man mit so einem kindischen Blödsinn umgeht. Ich hab echt keine Lust mehr… So macht das keinen Spaß…“
Er lässt sich resignierend ins Kissen zurücksinken. Mit einem Knips ist auch das Licht an seiner Seite aus. Ich warte einige Sekunden, ob Calum noch irgendwie an diesem Thema anschließen möchte, doch als er still bleibt, starte ich einen neuen Annäherungsversuch. Ich nähere mich meinem marido, doch als ich einen Arm um ihn lege, drückt er mich weg.
„Ich bin grade echt gar nicht in Stimmung…“
„Ich kann dich in Stimmung bringen“, versuche ich, ihn zu überreden, doch Calum lässt nur einen genervten Seufzer los.
„Geh weg.“
„Gut, dann eben nicht.“
Ich klettere aus dem Bett, taste mich an der Wand entlang, um das Zimmer zu verlassen.
„Wo willst du hin, Sweetie?“, fragt Calum neugierig nach.
„Du hast doch grade… Ich dreh mir eine Zigarette und dann mach ich’s mir selbst… Vielleicht nehme ich auch nen Drink, was weiß ich.“
„Wie sauer du jetzt bist, nur weil ich bei hundert Malen ein einziges Mal nein zu Sex sage…“
Bevor ich irgendetwas sage, dass ich bereuen könnte, halte ich mich zurück. Mein Temperament und Calums Sturheit sind schon oft aneinander geraten und es ging nie gut aus. Ich weiß, dass wir beide in einem Streit nicht nachgeben. Calum zu provozieren kann auch schief gehen. Es ist das klügste, einfach die Klappe zu halten und Ruhe zu geben.
„Gute Nacht, Baby“, verabschiede ich mich leise, als ich die Tür zur Küche öffne.
„Ja, Nacht…“
Nach einer Zigarette und mehr als nur einem Drink, begebe ich mich ins Wohnzimmer, um auf der Couch zu schlafen. Ich schließe hinter mir die Tür ab, um sicher zu gehen, dass mich keiner überrascht, wenn ich es mir hier selbst mache. Ein bisschen hat Calum schon Recht. Es stimmt, ich bin etwas sauer, dass wir heute Nacht nicht miteinander schlafen, aber es geht nicht um den Sex an sich, sondern darum, dass er keine Stunde seinen Kopf abschalten kann, damit wir beide uns ein wenig entspannen können. Er denkt immer an die Kinder und an den Alltag, anstatt sich von mir verwöhnen zu lassen. Wir sind Eltern und wir haben nun einmal die Kinder, aber sie sind im Bett und das heißt, dass wir jetzt Freizeit haben, die wir genießen könnten, doch Calum…
Ich lasse einen Seufzer los.
Vielleicht sollte ich mich wieder ein bisschen mehr um meinen marido bemühen. Ein bisschen Romantik könnte Calum vielleicht von unserem Familienalltag ablenken…