capítulo 16
alucinaciones
Ich stehe vor dem Fenster in Harveys Klinik. Mein Blick ist nach draußen gerichtet. Der kalte Wind zieht ins Innere des Behandlungszimmers. Im Moment bin ich mir nicht sicher, ob ich halluziniere oder ob alles, was im Moment passiert der Wahrheit entspricht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich aus dem Bett gefallen bin, doch dann war ich plötzlich wieder auf der Matratze. Vielleicht bin ich auf den Kopf gefallen und träume. Wahrscheinlich kann ich dem, was gerade passiert, nicht trauen. Es macht auch gar keinen Sinn. Es ist unlogisch und verwirrend.
„Cassie, was machst du hier?“, frage ich vollkommen durcheinander. Mir leuchtet nicht ein, wieso mein Kopf sich ausgerechnet diese Halluzination aussucht. „Du solltest nicht hier, sondern in deinem Bett sein.“
„Ich-Ich wollte bei dir sein“, antwortet meine Tochter schluchzend. „Du bist krank, papá.“
Draußen ist es zu kalt für eine Sommernacht, die blonden Haare meiner Tochter wehen im Wind. Auch ihr Nachthemd bewegt sich. Das kann gar nicht wahr sein. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass meine Tochter vor meinem Fenster steht. Cassie schläft. Sie schläft tief und fest und Calum würde es doch merken, wenn eines der Mädchen sich wegschleicht. Nein, das hier ist nicht real, das kann nicht sein.
„Bleib genau da stehen“, bitte ich meine Tochter ernst. „Bleib da stehen und ich hole dich.“
„Oh-okay. Beeil dich, es ist kalt…“
Ich schließe das Fenster und eile zu meinem Bett. Gestresst drücke ich den roten Knopf, der Harvey auf mich aufmerksam machen soll. Mit ziemlicher Sicherheit klingle ich ihn aus dem Schlaf, doch ich brauche Hilfe. Im Moment weiß ich nicht, was der Realität entspricht. Wenn man Drogen konsumiert, dann ist man bereits darauf vorbereitet, dass etwas mit seiner Psyche passieren wird, doch auf das hier bin ich nicht vorbereitet. Ich bin verwirrt und weiß nicht, was ich tun soll.
Es dauert nicht lange schon steht Harvey bei mir im Zimmer. Er schaltet das Licht an, auf das ich noch gar nicht gekommen bin. Mein Arzt schließt seinen Bademantel mit einem Gürtel.
„Was ist passiert? Setz dich, bist ja ganz blass“, bittet er mich.
Ich lasse mich auf mein Bett sinken. „Cassie ist da draußen. Ich weiß nicht, ob… Harvey, ich drehe durch… Meine Beine waren so schwer, ich bin gefallen und… Was ist hier los? Harvey, hilf mir, ich weiß grade nicht, ob das echt ist oder ob ich träume oder halluziniere…“
Wieder das Geräusch an dem Fenster. Verängstigt sehe ich hinüber. Mein Herz rast, ich bin ziemlich sicher, dass ich im Moment den Verstand verliere.
„Cassie ist da draußen… oder auch nicht? Ich weiß es nicht…“
„Bleib hier“, gibt Harvey mir ruhig eine Anweisung. „Ich sehe nach, was da draußen ist. Wenn deine Tochter wirklich da draußen bei dem Unwetter herumläuft, muss ich sie herein holen. Ich bin gleich wieder bei dir und dann kümmere ich mich um dich, ist das in Ordnung?“
„Sí, gracias, Harvey.“
Ich bleibe am Rand des Bettes sitzen. Verängstigt klammere ich mich an das Bett. Harvey verlässt den Raum, ich sehe ihm nach. Mein Blick fixiert starr die Tür und zwar so lange, bis mein Arzt wieder zurück ins Zimmer kommt. An der Hand hält er Cassidy. Ich bin skeptisch, da ich mir immer noch nicht sicher bin, ob das hier alles real ist, doch ich reiche ihr trotzdem die Hand.
„Ich werde deinen papá jetzt untersuchen, meine Süße.“ Harvey hilft meiner Tochter auf das Bett. Cassies kalte Hand drückt meine ganz fest. „Und außerdem werden wir zwei ein ernstes Wörtchen miteinander reden. Wenn dein Daddy herausfindet, dass du nicht in deinem Bett liegst, macht er sich große Sorgen.“
„Aber ich wollte doch nur zu meinem papá… Er ist doch krank und ganz alleine. Er braucht meine Hilfe.“
„Das ist ja auch okay, aber du darfst nicht von Zuhause weglaufen“, antwortet Harvey ihr. „Wenn du unbedingt hier bleiben möchtest, dann hättest du es nur deinem Daddy sagen müssen. Dein papá hätte es bestimmt erlaubt, dass du ihm Gesellschaft leistest.“
„Der Onkel Doktor hat Recht, Cassie. Dass du von Zuhause wegläufst ist nicht in Ordnung“, stimme ich ihm zu. „Aber du kannst heute hier bleiben. Ich kann dich mitten in der Nacht unmöglich alleine nach Hause schicken.“
Harvey kontrolliert die Reflexe meiner Pupillen, außerdem misst er meinen Blutdruck und meine Körpertemperatur. Ich muss auch einige Fragen beantworten, doch nach diesem Prozedere bin ich mir schon wieder sicherer, dass ich jetzt gerade keine Halluzinationen habe. Ich hatte einen real wirkenden, verwirrenden Albtraum…
Während Cassie und ich im Bett miteinander kuscheln, kümmert sich Harvey darum, Calum zu erreichen. Für ein Gespräch mit meinem marido bin ich im Moment noch zu wirr, er würde sich nur Sorgen machen, wenn ich versuche, ihm zu erklären, was passiert ist.
Ich streiche durch die Haare meiner Tochter. Sie ist real, das weiß ich jetzt. Ihre kleinen, kalten Finger berühren meine Haut. Cassie hatte Angst um mich und ist den weiten Weg hierher gelaufen, um bei mir zu sein, um mich zu sehen und auf mich aufzupassen. Auch wenn ich die Geste äußerst süß finde, kann ich das nicht gutheißen. Sie hätte sich in der Dunkelheit verlaufen können und das nur meinetwegen…
„Cassie?“
„Ja, papá?“
„Du musst mir versprechen, dass du nie, nie, niemals wieder von Zuhause wegläufst. Dir hätte etwas passieren können.“
„Okay, aber dann musst du wieder nach Hause kommen“, antwortet Cassie leise. „Ich hab Angst, wenn du weg bist. Daddy ist groß, aber du machst den Monstern unter meinem Bett viel mehr Angst, weil du sie so böse ansiehst. Außerdem hast du eine Waffe.“
Ich schmunzle ein wenig. „Es dauert nicht mehr lange, dann geht es mir besser und dann nehme ich mir viel mehr Zeit für dich und auch für Lucía. Ich habe nicht immer auf meine Gesundheit geachtet und deswegen dauert das jetzt ein bisschen länger, aber in ein paar Tagen bin ich wieder fit. Es wird alles wie vorher, wenn nicht sogar besser, Prinzessin.“
„Darf ich bei dir bleiben bis du wieder gesund bist?“
„Du bleibst erstmal heute Nacht bei mir.“ Ich gebe Cassie einen Kuss auf den Kopf. „Du schläfst bei mir und morgen wird Daddy dich abholen. Vielleicht geht es mir morgen wieder gut genug, um nach Hause zu kommen.“
„Na gut…“
Harvey öffnet die Tür. „Calum weiß Bescheid, dass es Cassie gut geht und dass sie bei dir ist.“
„Gracias.“
„Braucht ihr noch irgendwas?“
„Nein“, antwortet Cassie für uns beide. „Ich brauche nur meinen papá, dann ist alles gut.“
„Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht. Ich bin oben, falls doch noch was ist.“
„Gracias, Harvey und entschuldige, dass ich dich geweckt habe. Ich war ein wenig panisch.“
„Das war die einzig richtige Entscheidung, Trevor“, sichert er mir gut zu.
Harvey schließt die Tür, zurück bleiben meine Tochter und ich in der Dunkelheit. Dieses Mal spüre ich, dass mein Körper ganz ohne Hilfsmittel müde wird. Jetzt, wo meine Tochter hier ist fühle ich mich geborgener.
„Was für eine Krankheit hast du, papá? Daddy wollte es nicht sagen.“
„Das ist kompliziert, Cassie. Ich glaube nicht, dass du das schon verstehst. Ich kann es aber trotzdem versuchen, du bist ja kein Baby mehr.“ Ich erfinde eine kleine Notlüge und strecke die Wahrheit ein wenig zu meinen Gunsten. „Der Körper wird durch das Blut mit allen Stoffen versorgt, die er braucht, aber damit das funktioniert, muss das Blut auch alle Nährstoffe haben, die der Körper benötigt. Soweit klar?“
„Denke schon.“
„Muy bien. Mein Blut hatte ein paar Probleme, da haben Vitamine und Salze gefehlt und durch die Beutel, die du gesehen hast, hat Harvey mir geholfen, diese fehlenden Nährstoffe auszugleichen. Blöd ist nur, dass ich mir davor ja schon meinen Rücken verletzt habe, deswegen wirkt das jetzt so, als wäre ich schon ganz lange krank.“
Cassidy hält sich an mir fest. „Danke, dass du mir das erklärt hast. Ich erinnere mich nicht mehr so gut an die Krankheit meiner Mama, aber die Beutel haben mir Angst gemacht, die hab ich bei ihr gesehen. Ich hab dich lieb, papá.“
„Ich hab dich auch lieb, Prinzessin. Es ist bald wieder alles in Ordnung und wir können spielen und zeichnen und ich kann euch Zöpfe flechten und ich hole mein Versprechen nach und lasse dich meine Nägel lackieren.“
„Ja, das ist toll, das machen wir.“
Cassie kuschelt sich an mich. Ich sorge dafür, dass sie gut zugedeckt ist und dass sie es an meiner Seite so bequem hat wie ich. Müde streichle ich meine Tochter. Die Bewegungen wirken auf mich schon fast hypnotisch, ich werde immer müder und müder.
…
Nach zwei weiteren Nächten in der Klinik werde ich von meiner Familie abgeholt. Sie kommen zu Fuß, sodass unser Flohzirkus ein wenig Bewegung bekommt. Domingo springt mich aufgeregt an, zusätzlich dazu werde ich von meinen Mädchen gedrückt. Von Calum bekomme ich einen Kuss, dabei legt er seine Hände an meine Wangen. Alles in allem werde ich gerade von allen Seiten mit Liebe überschüttet. Es ist ein bisschen zu viel auf einmal. So viel Liebesinput muss man erst einmal verkraften können.
„Hey, ich würde eigentlich gerne nach Hause gehen, anstatt hier in aller Öffentlichkeit geknuddelt zu werden.“
„Hoffentlich gefällt dir, was in der Zwischenzeit passiert ist“, spricht Calum freudig. „Es hat sich einiges getan.“
„Der Stall für die Kaninchen ist fertig“, freut Cassie sich glücklich. „Und Daddy hat unsere Zimmer ausgemalt. Max hat geholfen und Sebastian hat mit uns gespielt.“
„Ach, Max hat also geholfen?“, frage ich Calum grinsend. „Ich rate mal wild drauf los: Max hat sein Shirt nicht anbehalten, richtig?“
„Nein, er arbeitet immer ohne Shirt“, antwortet Calum schmunzelnd. „Das hat mir gefallen.“ Ich merke, dass Calum sich gerade daran zurück erinnert, also ich lasse ihm diese kleine ‚sexy Handwerker‘-Fantasie.
„Das kann ich mir denken, er war bei den Bandproben nicht anders.“
Mir wird das Kommando für unseren Hund übertragen. Fröhlich schnüffelnd läuft Domingo voran. Ich halte seine Leine recht demotiviert. Lieber wäre es mir gewesen, wenn Calum mich mit einem Auto geholt hätte, doch ich habe wohl die Arschkarte gezogen und muss zu Fuß gehen.
„Ich bin froh, dass ich meinen Mann endlich wiederhabe“, freut Calum sich fröhlich. Er greift nach meiner freien Hand als wären wir ein frisch verliebtes Pärchen oder so furchtbar kitschig wie Max und Sebastian es sind. Calums andere Hand trägt meine Reisetasche, aus der ich in den letzten Tagen in der Klinik sozusagen gelebt habe. Wenn ich schon zu Fuß gehen muss, dann ist das das mindeste. „Freust du dich gar nicht?“
„Doch“, antworte ich. „Aber ich freue mich schon, wenn ich auf der Veranda sitzen und Kaffee trinken kann.“
„Komm bloß nicht auf die Idee, dass du dich jetzt noch mehr ausruhen kannst. Heute vielleicht noch aber morgen Früh kommst du gleich mit mir und Max joggen. Du wirst nicht auf deinem faulen Hintern sitzen, das ist nicht gut für dich.“
„Oh, welch ein Spaß“, erklinge ich mich sarkastisch. „Ich freue mich wahnsinnig.“
„Was ist das Problem? Das Joggen oder Max?“
„Dass ich keine Zeit habe, mich auszuruhen“, antworte ich ehrlich.
„Du hast dich in den letzten Tagen genug ausgeruht“, schlägt Calum meine unterschwellige Bitte ab. „Wenn du dein Training jetzt einreißen lässt, dann willst du nicht mehr anfangen, ich kenne dich doch. Eine zu lange Pause könnte deine Trainingserfolge ruinieren.“
„Stimmt wohl… Sag mal… Warst du gestern auch mit Max joggen?“
„Ja und vorgestern auch, wieso?“
„Habt ihr… geredet?“
„Ich rede doch immer mit Max, was ist das Problem?“, fragt Calum weiter nach.
Die Mädchen sind uns schon einige Schritte voraus, also kann ich offen reden. „Max meinte, dass wir unserer Ehe eine Chance geben sollen. Er hat gesagt, dass ich mit dir reden soll, wenn es mir besser geht… Ich dachte, dass er dich vielleicht schon vorbereitet hat.“
„Hat er“, antwortet Calum. „Wir waren gleich um 6 Uhr morgens joggen. Sebastian hat in der Zwischenzeit die Stellung gehalten, falls die Mädchen aufwachen. An den Klippen haben wir eine kurze Pause gemacht und die hat er gleich genutzt, um mit mir zu sprechen.“
„Was hat er gesagt?“
„Dass du große Selbstzweifel hast und Angst hast, dass wir nicht mehr zueinander finden. Oh und dass dir dein riesengroßes, fettes, monströses Ego im Weg ist und du deswegen nicht glücklich werden kannst.“
„Du solltest nicht mehr mit Max reden, der ist offensichtlich ein Arschloch“, antworte ich scherzend. „Im Ernst: Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe. Das war nicht okay und es auf den Entzug zu schieben ist so billig…“
„Weißt du was? Was soll’s. Dir ging es nicht gut. Ich hätte damit rechnen müssen“, tröstet Calum mich. „Ich bin nur noch froh, dass du es dieses Mal wirklich ernst nimmst. Ich hab all unseren Alkohol übrigens verschenkt und Sebastian hat mir ein paar Rezepte für seine liebsten alkoholfreien Cocktails aufgeschrieben. Ich hab schon einige Flaschen Sirup gekauft und frisches Obst für die Garnierung ist auch schon zu Hause. Ich könnte dir schon heute den ersten Cocktail mixen. Wir könnten jeden Abend auf der Veranda mit einer alkoholfreien Happy Hour genießen, ohne auf etwas zu verzichten. Ich tausche natürlich auch meinen Old Fashioned gegen einen hübschen, bunten Cocktail ein, um dir beizustehen. Ich bin stolz auf dich, Trevor.“
„Du hast dir wohl viele Gedanken gemacht.“
„Ja, das habe ich. Übrigens, da die Kaninchen jetzt aus dem Haus sind, hab ich die Zeit genutzt und den Platz für neue Haustiere vorbereitet“, warnt Calum mich vor.
„Neue… Haustiere… Oh Yoba, no. Calum, wieso? Was tust du mir an?“
„Sie sind noch nicht da, aber ihr Zuhause ist schon vorbereitet. In ein paar Wochen können sie dann anziehen. Und das Beste ist: Sie haben keine Haare, also hast du keinen Grund dich zu beschweren.“
„Wenn du mir irgendwelche Reptilien anschleppst, die dann unseren Scherz von einem Hund fressen, bin ich nicht derjenige, der unsere Mädchen tröstet“, antworte ich genervt. Ich bin noch nicht einmal zu Hause, schon will ich Calum den Kopf abreißen. Ich will keine Haustiere…
„Es wird ein Aquarium mit Guppys, reg dich ab“, antwortet Calum amüsiert. „Und ich kümmere mich um das Aquarium, für dich fällt also keine Arbeit an.“
„Falls du mich auch nur einmal bittest, den Filter sauber zu machen oder die Fische auch nur zu füttern, leere ich das Aquarium in den Teich.“
„Ha, viel Glück, das Ding hat über 100 Liter, das kannst du nie hochheben“, antwortet Calum amüsiert. „Ich mach das schon.“
„Ich kann die blöden Fische rausfangen.“
„Hör auf, pack deinen Psycho wieder ein. Das Aquarium ist super und du wirst es lieben. Das plätschernde Geräusch ist sehr beruhigend. Das Hundekörbchen ist jetzt übrigens im Schlafzimmer, weil Domingo nicht alleine schlafen möchte. Er hat die ganze Zeit geweint.“
„Toll, ich komme nach Hause und wohne in einem Zoo…“
„Könntest du bitte aufhören so griesgrämig zu sein?“, bittet Calum mich genervt.
„Entschuldige, ich finde es nicht so prickelnd, dass uns der Hund ab jetzt beim Sex zusehen wird…“
„Da können wir ihn ja mit einer Handvoll Leckerlies ins Wohnzimmer bringen. Bitte fang keinen unnötigen Streit an. Zu Hause ist alles in Ordnung. Es hat sich etwas geändert, aber du wirst dich daran gewöhnen. Eine gute Nachricht hab ich für dich: Es wird dich bestimmt freuen, dass die Arbeiter jetzt wieder weg sind.“
„Sí, das klingt auf jeden Fall, als würde es mir gefallen.“
Wir kommen unserem Grundstück immer näher. Mir fällt sofort auf, dass auch das verwilderte Gras gemäht wurde. Am meisten erstaunt mich, dass es so aussieht, als hätte Calum ein kleines Beet angelegt.
„Ich war doch nur drei Tage weg…“
„Ja und? Die Arbeiter waren schon fast fertig und für das Mähen habe ich den Stallburschen von Marnie eingespannt. Süßer Kerl, leider hetero.“
„Wenn er dir gefällt, dann drehen wir ihn eben um und laden ihn zu einem Dreier ein“, antworte ich abgelenkt. Ich sehe mich um, pfeife dann nach Domingo, um ihm die Leine abzunehmen. Unser Hund kommt gleich angelaufen. Ich gehe in die Knie, um die Leine zu lösen. Für seinen Gehorsam streichle ich den Chihuahua.
Calum bringt meine Tasche nach drinnen, ich hingegen sehe mich ein bisschen um. Die Kaninchen der Mädchen sitzen bereits in dem Außenbereich ihres Stalles. Die Hütte, in der die Tiere wohnen macht ganz schön Eindruck auf mich. An der Außenseite gibt es einen Wasserhahn mit einem tiefen Waschbecken und über der Tür gibt es sogar eine Lampe. Wasser und Strom, so wie Calum es sich gewünscht hat. Der Außenbereich wirkt auf mich wie ein Kaninchenparadies. Nieve und Blacky haben es ganz gut getroffen. Ein ausgehöhlter Baumstamm bietet genug Platz zum Verstecken. Robin hat sogar einen Busch gepflanzt, um das Gehege noch ein wenig zu verschönern. Für Futter und Wasser hat Robin einen kleinen Bereich des Geheges gemauert. Eines muss man dieser Frau lassen: Sie arbeitet verdammt gründlich. Ich staune nicht schlecht, als mir auffällt, dass es sogar eine kleine Höhle für die Nager gibt. Die Steine, die dafür gewählt wurden, sehen gut aus. Die Lösung mit der Höhle gefällt mir besser als diese kleinen Häuser aus Holz, die wir in unserem alten Garten hatten. Blacky richtet sich auf, er springt auf einen Baumstumpf und hebt seine Vorderpfoten. Als er anfängt sich zu putzen, muss ich schmunzeln. Süß sind sie zwar schon, aber ich bin froh, dass ihr verdammtes Streu nicht mehr in meinem Wohnzimmer verteilt ist. Ich habe es gehasst, ständig hinter den beiden herzuwischen.
Als Lucía sich an mir fest hält, sehe ich zu ihr nach unten. Liebevoll lege ich meine Hand an ihren Kopf und streichle sie. „Nieve mag das neue Zuhause.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Robin hat sich viel Mühe gegeben. Erstaunlich wie schnell das jetzt gegangen ist.“
„Hier waren viele Leute. Die haben alle gearbeitet. Ein Mann hat meine Blumen weggemacht.“
„Deine Blumen?“, frage ich nach. „Oh, der Mann hat das Gras gemäht. Meinst du die Wildblumen im Gras?“ Lucía nickt. „Hast du Daddy gesagt, dass du wieder Blumen haben willst?“
„Sí. Blumen sind dort.“ Lucía zeigt Richtung Veranda. Vor dem Geländer, links und rechts neben den Treppen wurde wohl umgegraben. „Die müssen wachsen.“
„Das wird einige Zeit dauern, aber dafür sind sie dann umso schöner. Hat Daddy dir gezeigt wie man sich um die Blumen kümmert?“
„Sí, ich muss gießen. Ich habe eine rosa Gießkanne.“
„Das ist toll, princesa.“
„Papá. Domingo ist weggelaufen! Er war da im Gebüsch und jetzt ist er weg!“
Ich drehe mich um und blicke zu meiner zweiten Tochter. „War er in den letzten Tagen angebunden?“, frage ich nach.
„Ja.“
„Oh…“
Ich lege meine Finger an meine Lippen und pfeife nach unserem Hund. „Domingo!“
Lucía eilt zu ihrer Schwester, auch sie ruft nach unserem Hund: „Domingo! ¡Vuelve aquí, perrito!“
Nach einem weiteren Pfiff meinerseits stürmt Domingo aus dem Gebüsch als wäre er eine kleine Rakete mit vier Beinen. Er macht sich sofort auf den Weg zu mir und springt an meinem Bein hoch.
Ich setze mich ins Gras und lehne mich mit dem Rücken an das doppelte Gitter des Kaninchenstalles. Domingo klettert auf meine Beine, er versucht freudig mein Gesicht abzulecken, doch ich halte ihn auf Abstand. „No. No, Domingo.“
Ich kraule Domingo hinter den Ohren, seine kleinen Füße fühlen sich an als würden sie sich tief in meinen Körper bohren. Ich mache es mir etwas bequemer und Domingo kuschelt sich gleich auf meinen Schoß.
Meine Mädchen kommen auf mich zugelaufen. Erst lässt Cassie sich fast schon auf mich fallen, dann setzt Lucía sich vor mich. Sie streichelt Domingo, während Cassie sich an meinen Arm klammert und mir einen Kuss auf die Wange drückt.
„Ich bin froh, dass du wieder gesund bist, papá. Willst du dann mein Zimmer sehen? Meine neue Tapete ist echt cool und unsere Möbel sind noch in Folie eingepackt.“
„Eure Möbel wurden in Folie gepackt?“, frage ich gespielt ungläubig nach. „Wer macht denn so etwas?“
„Max“, antwortet Cassie freudig. „Max ist so cool, wir durften seine Tattoos anmalen.“
Lucía zeigt auf ihren Kopf. „Sebastian hat mir Haarspange geschenkt.“
Ich nicke, als ich Lucías neue Haarspange betrachte. „Blumen stehen dir am besten, mein Schatz. Du siehst fast schon aus wie eine kleine Fee.“
„Fee?“, fragt sie verwirrt. Ich war mir sicher, dass sie das Wort bereits kennt.
„Hada“, übersetze ich, was Lucía zum Lächeln bringt.
Ein Pfiff ertönt. Calum zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. „Sweetie, dein Kaffee ist fertig und für euch Prinzessinnen gibt es Kakao und Kekse.“
Die Mädchen machen sich auf dem Weg zu Calum auf die Veranda. Ich muss mich noch entscheiden, ob ich aufstehe oder nicht, denn Domingo hat es sich bequem gemacht und will sich scheinbar nicht vom Fleck bewegen. Seine Augen sind geöffnet, seine Ohren bewegen sich. Es wirkt, als würde er die Mädchen im Blick haben.
Da mein Drang nach Kaffee ein wenig vor meiner Tierliebe steht, hebe ich Domingo an und setze ihn neben mir ab. Sein Kopf wird natürlich noch von mir gestreichelt, er soll sich nicht ungeliebt fühlen. Ich erhebe mich und mache mich auf den Weg zu meiner Familie. Neben mir läuft ein Hund, den ich nie wollte, doch ich gewöhne mich immer mehr daran, dass er da ist. Ich schätze, dass es nicht schlecht ist, einen Hund zu Hause zu haben. Vermutlich kann er uns nicht vor Einbrechern schützen, doch dafür habe ich ohnehin einen Baseballschläger und eine Waffe.
Bevor ich mich zu meiner Familie setze, wasche ich mir noch die Hände. Schon in der Küche fällt mir auf, dass sich etwas getan hat. Am Kühlschrank hängen neue Zeichnungen meiner Mädchen. Sie haben unser neues Familienmitglied in ihren Zeichnungen integriert. Auf jedem Bild unserer Familie befindet sich jetzt auch Domingo.
Ich habe Gabe zwar dafür gehasst, dass er mir den Chihuahua einfach aufgedrängt hat, doch mittlerweile habe ich Domingo gern. Er ist wohlerzogen und eigentlich ziemlich einfach handzuhaben. Außerdem lieben die Mädchen ihn, wie kann ich mich da nicht anschließen?
„Sweetie? Kommst du? Wehe du suchst nach Tequila. Es gibt keinen Tequila mehr in diesem Haushalt.“
„Oh, no“, antworte ich. „Ich betrachte gerade die neuen Kunstwerke der Mädchen. Süß, dass sie Domingo auf ihren neuen Bildern verewigen.“
„Tja, jetzt kannst du ihn nicht mehr loswerden.“
„Will ich auch gar nicht“, antworte ich lächelnd. „Er wird allerdings niemals bei uns im Bett schlafen. Solltest du ihm das einmal erlauben, schläfst du in einem Hundekörbchen und er bleibt bei mir.“
„Ich würde sagen, dass das ab jetzt gilt. Rückwirkend darfst du diese Regel nicht anwenden.“
„Ich hoffe für dich und deinen Hintern, dass du das Bettzeug gewechselt hast. Ich will keine Hundehaare in meinem Bett, auch nicht wenn sie so kurz sind wie seine“
„Natürlich hab ich das. Du hättest mich gekillt, wenn ich es nicht getan hätte. Weißt du, in der Nacht, in der es so gestürmt hat, hat er nicht aufgehört zu bellen und zu jaulen. Er hatte so große Angst, dass-“
„Spar dir bitte diese Tränendrüsenstory, gracias.“ Aus einem Hängeschrank nehme ich ein Glas und fülle es mit Wasser. „Ich weiß, er ist ein armes, kleines Hündchen und die Welt ist ungerecht zu ihm. Ich will davon gar nichts mehr hören.“
Auf der Veranda mache ich es mir bequem. Meine Mädchen sind bereits mit ihren Keksen beschäftigt. Auf dem Tisch liegen auch einige Stifte und alles, was man so zum Basteln braucht. Im Prinzip sitze ich mit meinem Kaffee am Kindertisch.
„Willst du auch einen Keks?“, fragt Cassie, sobald ich mich gesetzt habe. Ich nehme ihr den Keks ab und beiße hinein. Kauend sehe ich meinen Kindern zu. Ich werfe erst einen Blick auf Cassies Bild und dann sehe ich hinüber zu Lucía. Cassidy hat mich so sehr vermisst, dass sie mich jetzt zeichnet. Lucía widmet sich wieder der Natur.
Mein marido stellt eine Kanne mit Wasser auf den Tisch, setzt sich dann ebenfalls bin, jedoch mir gegenüber. Neben mir ist heute leider kein Platz mehr, die Mädchen wollen nah bei mir sein. Mit einem Lächeln sieht Calum mich an.
„Du siehst heute sehr gut aus, Trevor.“
„Gracias, Baby.“ Ich nehme einen Schluck meines Kaffees. An meinem Bein spüre ich, dass Domingo mich kratzt. „No, Domingo.“
„Wieso sprichst du eigentlich spanisch mit ihm?“
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung? Weil es funktioniert, schätze ich.“
Calum schmunzelt. „Witzig.“
„Wieso ist das so abwegig? Er ist doch von den Fern Islands und ich bin sicher, dass er bei Gabe nur bedingt grammatikalisch richtige Sätze gehört hat.“ Ich sehe zu Domingo nach unten, der gerade versucht bei Calum zu betteln. „Bin gespannt wie du das handhabst.“
„Ich hätte ihn jetzt hochgenommen…“, erklärt Calum mit einem dezent schmollendem Unterton.
„No, das tust du nicht“, entgegne ich. „Das ist ein Hund und kein Baby, er hat bei Tisch nichts verloren und schon gar nicht, wenn wir gerade essen und Kaffee trinken. Wenn du ihm das angewöhnst, tanzt er dir nur auf der Nase rum. Dann bellt und bettelt er jedes verdammte Mal, sobald du sitzt und dich entspannen willst. Wir müssten ihn jedes Mal aussperren, wenn wir essen und das kann doch nur ein Scherz sein. Er muss das lernen.“
„Oh Mann… Ich muss also echt streng sein? Aber er ist so klein und süß.“ Calum sieht unter den Tisch. „Es tut mir leid, Domingo. Trevor sagt, dass du nicht mit mir kuscheln darfst, wenn ich bei Tisch sitze. Und die Kekse kann ich dir ja auch nicht geben, da ist Schokolade drinnen und die ist no bueno für dich.“
„Wieso darf Domingo keine Schokolade essen?“, fragt Cassie nach. „Das ist echt traurig, ich wäre sehr traurig, wenn ich keine Schokolade essen dürfte.“
Mit Blicken beraten Calum und ich uns, wer ihr die Frage beantwortet. Als ich einatme, um zu sprechen, nimmt Calum mir die Antwort ab: „Weil er davon sehr, sehr krank wird und davon sterben kann. Wir wollen ja, dass es Domingo gut geht und er ein langes Leben hat, deswegen bekommt er auch nur sein Hundefutter und seine Leckerlies. Ihr dürft ihm nichts Anderes zu fressen geben, ist das klar?“
„Ja, Daddy“, antwortet Cassie gehorsam.
„Und wie sieht’s mit dir aus, Lucía? Hast du alles verstanden oder hast du Fragen?“
Unsere zweite Tochter nickt. „Ich habe verstanden. Domingo darf keine Schokolade essen. Schokolade ist nicht gut.“
Es gelüstet mir von Minute zu Minute mehr nach einer Zigarette. Ich werde ein wenig nervös bei dem Gedanken, dass ich genau hier und jetzt keine Zigarette rauchen darf.
„Alles okay?“, fragt Calum nach. Ich nicke, deute dann mit Mittel- und Zeigefinger eine Rauchbewegung an. „Bleib sitzen, ich hol dir eben deinen Tabak und rauchen kannst du übrigens in deinem neuen Raucherdomizil. Das ist eine Mädchen-freie Zone und nur zu deiner Entspannung bestimmt.“
„Wie bitte?“, frage ich irritiert. „Du schiebst mich ab?“
„Nein, nein, gar nicht. Das war nicht der Gedanke. Es ist für Situationen wie diese, damit du einen kleinen Rückzugsort hast und in Ruhe deine Zigarette genießen kannst.“
„Aha.“
Calum zeigt auf das Grundstück. „Siehst du die Hängematte?“
Ich grinse. „Oh bitte sag mir, dass das meine Hängematte ist.“
„Ja, das ist deine Hängematte. Das ist jetzt nur improvisiert, ich wollte noch, dass demnächst Steinplatten gelegt werden oder so, damit du dich wohl fühlen kannst. Ich hab auch eine Plane bestellt, damit du sogar weiterhin in deiner Hängematte liegen kannst, wenn es ein wenig nieselt.“
Und ich wollte mich von diesem wunderbaren Mann scheiden lassen. Ich bin komplett bescheuert. „Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber freue, Calum.“
„Versuch es“, fordert er mich zufrieden auf.
„Ähm… sehr. Ich freue mich sehr.“
Calum zuckt mit den Schultern. „Naja, good enough.“
Ich gebe meinen Mädchen jeweils einen Kuss auf die Wange, ehe ich aufstehe. Calum folgt mir nach drinnen. „Wo ist meine Tasche?“
„Oh, die ist im Badezimmer. Deine Wäsche ist schon in der Waschmaschine. Ich glaub ich hab deine Metallbox dort liegen lassen.“
Calum will an mir vorbei ins Wohnzimmer, doch ich halte ihn am Arm fest. „Warte.“
„Was ist denn?“
„Gracias.“
„Es ist doch nur eine Hängematte.“
„No, für alles. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Diese gute Behandlung hätte ich gar nicht verdient und trotzdem kümmerst du dich um mich und denkst an mich…“ Calum legt seine Hände an meine Wangen und küsst mich zärtlich.
„Ich sagte doch, dass ich mich um dich kümmere und dass dieser Fakt nicht verhandelbar ist. Es wird Zeit, dass du das Konzept einer Ehe kapierst. Ich denke, dass ich dir eine Präsentation zusammenstelle. Vielleicht mit Plakat und Anschauungsmaterial.“
„Anschauungsmaterial… klingt sexy…“
„Ist es“, antwortet Calum grinsend. Wir küssen uns erneut. Ich bekomme einen Klaps auf den Hintern, der mich zum Lachen bringt.
„Fühlt sich so an, als hättest du mich sehr vermisst.“
„Das habe ich und heute Nacht werde ich dir zeigen wie sehr ich dich vermisst habe.“
„Das kann ich wirklich kaum erwarten, Baby, aber jetzt brauche ich ganz dringend eine Zigarette“, bitte ich ihn nervös. Der Nikotinentzug nagt an mir.
„Die wirst du heute Nacht auch brauchen“, antwortet mein marido verführerisch.
Das klingt als hätte er sich für heute Nacht etwas ganz Besonderes vorgenommen…