capítulo 38
pesadilla II
Obwohl der Traum, indem ich mit abuela gesprochen habe, eigentlich ein recht angenehmer Traum war, verfolgt er mich wie ein Albtraum. Ich erinnere mich nicht mehr genau an ihre Worte, doch ich erinnere mich an die Lektion, die sie mir erteilen wollte. Ich denke zu viel, doch ich habe mein Leben selbst in der Hand. Dummerweise ist genau das aktuell mein Problem. Ich soll nicht zu viel denken, tue es aber dennoch. Ich kann kaum aufhören zu denken, selbst das Gras hilft mir nicht dabei, abzuschalten.
Ich nehme den letzten Zug und drücke meine Zigarette im Anschluss in den Aschenbecher, der auf dem Tisch steht. Mit einem Seufzer lasse ich den Rauch aus meinem Mund gleiten.
„Hey, was hältst du davon, wenn wir heute ein Lagerfeuer machen?“, fragt Calum mich. Er sitzt mit seinem Smartphone neben mir. „Die Mädchen rösten Marshmallows und du kannst dir ein Stückchen Brokkoli auf einen Spieß stecken oder so.“
„Hm, von mir aus.“
„Ist alles okay?“, fragt Calum mich. Ich drehe mich zu ihm, doch sein Bildschirm ist interessanter für mich, als ihm eine nichtssagende Antwort zu geben.
„Sind das Aiden und Damian?“, erkundige ich mich.
„Oh ja. Sind sie nicht schnuckelig?“, antwortet Calum schmunzelnd. „Ich hab das Video schon gefühlte hunderte Male gesehen, aber ihre ersten Schritte sind so süß. Max hat totales Glück, dass sie gerade angefangen haben zu laufen, als er noch da war.“
„Das erklärt, wieso Sebastian sich in der letzten Zeit nicht gemeldet hat“, scherze ich grinsend.
„Den Kleinen das Laufen beizubringen ist bestimmt nicht so einfach. Vor allem weil er ja die doppelte Arbeit hat.“
„Tja, das haben wir uns erfolgreich erspart“, freue ich mich etwas schadenfroh.
„Du sagst es“, stimmt Calum mir zu. „Aber jetzt ehrlich: Ablenken bringt nichts. Was ist los mit dir?“
„Nichts. Te amo, mi corazón.“ Ich streichle Calums Oberschenkel und beuge mich zu ihm, um ihm einen Kuss zu geben. Mein Liebster ist erst skeptisch, doch dann berühren sich unsere Lippen kurz.
„Yo también te amo.“
Ich blicke über unser Grundstück, grinse dann bei dem Anblick eines blauen Haarschopfes, der aus dem Wald hervorsticht. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass es tatsächlich funktioniert, aber wenn man ganz fest an Emily denkt, dann besucht sie einen tatsächlich.
„Oh, da ist sie ja“, freut Calum sich. „Ich hab sie angerufen, weil Richie mit ihr plaudern wollte. Er wollte zwar weggehen, aber ich hab ihm gesagt, dass er doch lieber zu Hause bleiben soll und ich Emily lieber zu uns einlade. Er soll sich noch etwas ausruhen.“
Ich bin ein Idiot. So macht es natürlich mehr Sinn.
Seit den seltsamen, imaginären Freunden, der Geschichte mit den Sternschnuppen und dann noch dem Traum bin ich etwas anfällig für diese ‚übernatürlichen‘ Phänomene. Ich muss meine Skepsis wiedererwecken, bevor ich noch der Naivität verfalle.
„Trifft sich gut, ich wollte auch mit ihr sprechen“, verbalisiere ich die sinnvollsten meiner Gedanken.
Calum legt sein Smartphone ab, er geht an mir vorbei und streicht über meinen Arm. „Ich setze schon mal Wasser für den Tee auf.“
„Wenn du schon reingehst, machst du mir einen Kaffee?“
„Klar, Sweetie.“
„Gracias.“
Während Emily immer näher kommt, drehe ich mir eine Zigarette. Ich überlege, wie ich das Gespräch starten soll, dabei fällt mir auf, dass ich schon wieder zu viel denke. Nicht zu denken ist gar nicht so einfach, wie es bei dummen Menschen aussieht.
Calum bringt mir meinen Kaffee, außerdem füllt er mein Glas mit Wasser auf und nimmt den leeren Krug gleich wieder mit nach drinnen. Er geht jedoch nicht, ohne meine Stirn zu küssen.
„Mach mal ne Pause mit dem Kiffen, du Junkie.“
„Du mich auch.“
„Ich meine ja nur“, gibt er gleichgültig von sich.
„Das ist meine letzte Zigarette mit grüner Liebe, okay?“
„Dein Wort in Yobas Ohren!“, erklingt es von drinnen.
„…die letzte für heute, Baby!“
„Klingt schon eher nach dir!“
Emily tritt zu mir auf die Veranda. „Hallo Trevor“, begrüßt sie mich.
„Hola Emily. Setz dich doch“, bitte ich sie mit einer Handgeste. „Was kann ich dir anbieten?“
„Bleib sitzen und genieß deine Zigarette“, entgegnet sie lächelnd. „Wie geht es dir?“
„Ach, ich bin ein bisschen nachdenklich.“
„Drehen sich deine Gedanken wieder im Kreis?“, erkundigt sie sich lächelnd.
„Mehr oder weniger“, antworte ich ehrlich. „Aktuell sind wohl einige Änderungen fällig. Wie geht’s dir?“
„Gut würde ich sagen. Weißt du, Trevor, die Veränderungen stehen in den Sternen“, erzählt Emily mir.
„Was soll das genau bedeuten?“
„Dass nicht nur du Veränderungen durchmachst, sondern wir alle mit ein paar neuen Situationen konfrontiert werden. Bei Sebastian sind sie beispielsweise mehr als deutlich. Die Zwillinge machen einen großen Entwicklungsschritt. Sebastian blüht vollkommen in seiner Rolle auf. Es ist herzallerliebst zu sehen, wie glücklich er nach all dem Stress mit Aiden ist.“
„Ihr seht euch also öfter?“, frage ich nach.
„Ja und Dan war gestern im Saloon, er hat mir Videos von den Zwillingen gezeigt. Ich glaube, dass ich noch nie so einen stolzen Opa gesehen habe“, erzählt sie weiter. „Juno und Cait waren auch da. Sie brauen jetzt auch ihr eigenes Bier. Pelican Brew soll es heißen.“
Ich seufze. „Zu schade, dass ich das Bier nicht probieren darf.“
Emily schmunzelt. „Vielleicht erzählt Shane dir ja, wie es schmeckt. Er hat sich freiwillig gemeldet, die ersten Versuche zu probieren.“
„Beneidenswert.“
„Mit welchen Änderungen kämpfst du?“, fragt sie nun nach. „Du bist aktuell im Wandel, das sehe ich ganz genau.“
„Nun-“
Calum bringt Richie mit nach draußen, er serviert ihm eine Tasse Tee und stellt auch für sich selbst einen Cappuccino an den Tisch.
„Kann ich dir auch etwas bringen, Emily?“, erkundigt er sich freundlich nach den Bedürfnissen unseres Gastes.
„Der Tee duftet verlockend.“
„Kommt sofort. Willst du auch noch etwas, Richie?“
„Nein danke. Ich habe alles, was ich brauche“, lehnt der Blonde sanft ab. Er setzt sich neben seine Freundin. „Hi, Emily.“
Emily legt ihre Arme um Richie, sie umarmen sich zur Begrüßung. „Hey. Geht’s dir schon besser?“
Richie nickt, als er sich von ihr löst. „Ich bin noch ein bisschen müde. So richtig krank war ich ja eigentlich gar nicht. Außer erhöhter Temperatur und ein bisschen Schwindel und Müdigkeit ging es eigentlich.“ Ich reiche Richie die Decke, die auf meiner Rückenlehne hängt, damit er sich einkuscheln kann. „Danke Trevor, das ist nett.“ Mein Kleiner legt sich die Decke um. Er tut genau das, was ich mir vorgestellt habe. Emily lächelt, sie streichelt Richies Oberarm, was auch ihn zum Lächeln bringt.
„Dürfte ich dir eine Frage stellen, Emily?“, spreche ich unseren Gast an.
„Natürlich.“
„Erinnerst du dich noch an Lucías Zeichnung, die ich dir vor einiger Zeit gezeigt habe? Die von ihren imaginären Freunden?“
Emily nickt. „Was ist damit?“
„Nun… Ich weiß, ich klinge vollkommen verrückt.“ Ich hebe meine Hand und deute auf meinen Ehering. „Den hatte ich verloren und Lucía hat erzählt, dass ihre Freunde ihn gefunden haben. Als Dank, dass ich sie gefüttert habe, haben sie mir den Ring zurückgebracht.“
Richie sieht mich interessiert an. „Ach echt? Das hat sie gesagt?“
Ich nicke. „Wir haben doch versucht, diese kleinen Dinger zu filmen, erinnerst du dich?“
„Ja, sicher. Total komisch, weil die Speicherkarte immer leer war. Wir dachten schon, dass die kaputt ist oder die Kamera irgendwas hat“, erinnert Richie sich zurück. Er lächelt. „Das ist ja total cool. Glaubst du jetzt daran, dass man nicht alles rational erklären kann?“
Ich seufze. „Das ist das Problem, Richie.“ Geschlagen wende ich mich zu Emily. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich verrückt werde.“
„Es ist alles in bester Ordnung, Trevor“, beruhigt Emily mich. „Du bist ganz und gar nicht verrückt. Lass all deine Erlebnisse sacken und öffne deinen Geist. Manche Dinge versteht man mit dem Kopf, andere mit dem Herzen.“
Calum stößt wieder zu uns. Er serviert Emily den versprochenen Tee und stellt einen Teller Schokoladenkekse in die Mitte des Tisches. Er eilt nach drinnen, um kurz darauf mit Gläsern und einem Krug Wasser wiederzukommen. Bei einem letzten Besuch in der Küche, bringt er mir nun meinen Kaffee mit. Mein marido setzt sich neben mich, er greift nach meiner Hand und küsst meine Schläfe. Sieht so aus, als wäre er bereit, sich zu entspannen.
„Nehmt ihn nicht ernst, er hat wieder richtiges Gras“, macht Calum sich über mich lustig. Dabei tätschelt mein marido meine Schulter.
„Jetzt lachst du noch, aber wenn deine Überzeugungen anfangen zu wackeln, dann will ich mal sehen, wie du darauf reagierst.“
„Du hast mich schon genug erschüttert, mein Schatz. Mich haut so schnell nichts mehr um“, antwortet Calum grinsend. „Es ist trotzdem witzig, dass der Leugner des Übernatürlichen sich jetzt so viele Gedanken um eine Kinderzeichnung macht.“
„Du scheinst das alles nicht ernst zu nehmen, Calum“, spricht Emily meinen Liebsten an.
„Doch das tue ich. Ich nehme dich, Lucías Geschichten und auch Richies Erzählungen ernst. Wenn ihr fest an etwas glaubt, sollte man nicht versuchen, euch das auszureden.“ Calum sieht mich vorwurfsvoll an. „Ich schätze, dass Karma Trevor gerade so richtig ins Gesicht reibt dass er falsch gelegen hat. Das ist zu amüsant, um es nicht witzig zu finden.“
„Tz…“
„Nun“, beginnt Emily mit einem Lächeln. „Die kleinen Freunde, von denen Lucía euch erzählt hat, sind die Hüter des Waldes. Sie nennen sich selbst Junimos. Ich füttere sie auch und manchmal plaudern wir ein wenig.“
„Das ist ja cool“, geht Richie sofort aufgeregt darauf ein. „Was sagen sie denn so?“
„Sie erzählen mir von Problemen oder sie verkünden Neuigkeiten. Manchmal plaudern wir auch bloß über das Wetter. Sie haben mir auch von Lucía erzählt, davon, dass sie ihnen kleine Tomaten geschenkt hat und sich mit ihnen unterhält, auch wenn sie längst im Bett sein sollte.“
Calum wird etwas stutzig, er umfasst meine Hand etwas fester.
„Also… Spricht Lucía sozusagen mit Geistern?“, spricht er leise, ehe er zu mir sieht. „Ein bisschen unheimlich ist das ja schon, findest du nicht?“
Ich zucke mit den Schultern. „Richie macht doch im Prinzip dasselbe“, entgegne ich unbeeindruckt. „Eigentlich machen das ziemlich viele, wenn man so darüber nachdenkt.“
„Ja, aber die meisten Geister antworten nicht“, stellt Calum sein Unbehagen klar.
Richie lässt einen tiefen Seufzer von sich. „Kann es sein, dass diese Junimos Piep-Geräusche von sich geben? Nicht ganz wie Mäuse oder Vögelchen, aber irgendwie ein bisschen ähnlich? Irgendwie aber auch sehr eigen?“ Emily nickt. „Oh, Yoba sei Dank“, erklingt er erleichtert. „Ich dachte schon, dass ich anfange zu spinnen. Könnte sein, dass sie in meinem Zimmer waren.“
„Du warst in letzter Zeit ziemlich traurig“, spricht Emily sanft. Sie streicht über Richies Rücken. „Sie wollten dir helfen.“
Mein Kleiner überlegt, dabei fasst er sich ans Kinn. „Oh.“ Er faltet seine Finger ineinander und sieht Emily an. „Sie haben mir geholfen. Sie haben Wills Gedichte aus meiner Tasche geholt. Ich dachte erst, dass jemand in meiner Tasche gewühlt hat, um mich zu kontrollieren. Als ich aufgewacht bin, lag Wills Buch auf meinem Nachttisch. Wenn ich die Gedichte lese, dann fühlt es sich fast so an, als wäre er bei mir und als würde er mir erzählen, was in seinem Kopf vor sich geht.“ Richie zieht den Teebeutel aus seiner Tasse und drückt ihn mit seinem Löffel aus. „Ich weiß, dass ich bald mit Wills Tod abschließen muss, aber… ich kann das noch nicht. Wir hatten viel zu wenig Zeit miteinander. Ich wünschte, ich hätte jeden einzelnen Tag noch mehr genutzt. Ich wünschte, wir hätten mal blau gemacht, um spontan im Bett zu bleiben oder in den Park zu gehen, um uns Wolken anzusehen, aber anderseits bin ich auch sehr dankbar für jede Sekunde, die ich mit meinem Seelenverwandten verbringen durfte. Er wird immer ein Teil von mir bleiben.“
Ich sehe in Richies Augen. Er wirkt nicht traurig, sondern eher hoffnungsvoll. Vielleicht ist er doch auf einem guten Weg und dieser kleine Rückschritt war nur ein Teil der Trauerbewältigung.
Obwohl ich erst zögere, spreche ich ihm gut zu: „Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Der letzte Sommer war auch für mich scheiße und ich verstehe haargenau, wie es sich anfühlt, jemanden zu vermissen, den man sich nie aus seinem Leben wegdenken könnte.“
Richie sieht mich an. „Ich bin sicher, dass du deine Großeltern wiedersehen wirst, Trevor.“
Ich schmunzle. „Wenn man an das ‚Himmel und Hölle‘-Konzept glaubt, eher nicht, aber lieb, dass du das sagst.“
„Daddy?!“, ertönt es aus dem Haus. „Komm mal! Wir wollen dir etwas zeigen!“
„Oh nein“, meint Calum geschlagen. „Ich wette, dass sie etwas kaputt gemacht haben. Sonst würden sie nach dir rufen…“
Ich grinse. „Hat seine Vorteile, der böse Cop zu sein.“
„Ich kann es nicht erwarten, ein Cop im Ruhestand zu sein, das sag ich euch“, erzählt Calum, als er sich schon auf den Weg zu unseren Mädchen macht.
Richie und Emily lachen, ich weiß jedoch ganz genau, dass er das keinesfalls als Scherz gemeint hat.
…
Für das Lagerfeuer hebe ich ein kleines Loch aus. Um das Loch herum platziere ich einige Steine, die das Holz in Schach halten sollen. Kaum sitze ich auf der Erde, leistet mir Domingo schon Gesellschaft. Der kleine Flohzirkus schnüffelt an mir, außerdem klettert er auf meinen Schoß und schnüffelt an mir. Ich platziere einen Kuss auf seinen wirren Kopf.
„Cálmate, Domingo.“
Meine Worte sind vollkommen verschwendet, denn schon habe ich seine feuchte Schnauze in meinem Gesicht. Ich drehe mich von ihm weg und rümpfe die Nase.
„Ach komm schon, hör auf. Du lernst es nie, was?“
Freudig und glücklich darüber, dass ich ihm Beachtung schenke, leckt Domingo an meiner Wange. Ich hebe das Tier auf Augenhöhe an und sehe in sein aufgeregtes Gesicht. Seine großen Glubschaugen sind auf mich gerichtet. Wild wedelt er mit dem Schwanz, außerdem winselt er vor sich hin.
„Na? Was jetzt? Ich hab dir gesagt, dass du mich nicht ablecken sollst. Wann lernst du es denn endlich? Ich hab dich zu deinem Glück schon zu gern, um dich gegen einen schlaueren Hund zu tauschen.“
Domingo beginnt zu strampeln, außerdem bellt er mich an. Das ist wohl das Zeichen, ihn runter zu lassen. Ihn festzuhalten hat wohl seine fünf verrückten Minuten geweckt, denn der Flohzirkus zischt ab wie eine Rakete. Ich sehe ihm zu, wie er über das Grundstück rast, kümmere mich dann aber wieder um die Feuerstelle. Ich setze die Arbeit fort, die der hyperaktive Chihuahua unterbrochen hat, und platziere die letzten Steine.
„Papá! Papá, sieh mal!“, ruft Cassie nach mir. Ich drehe mich Richtung Wald. Calum und die Kinder haben im Wald etwas Holz zusammen gesammelt.
„Das ist ja super, Prinzessin!“, ermutige ich sie.
„Leg deine Äste vorne auf den Weg, damit sie in der Sonne trocknen können“, weist Calum unsere Tochter an.
Stolz geht Cassie an mir vorbei. Sie lässt die Äste fallen und sinkt zu Boden, um sie aufzulegen. Wenig später gesellen sich auch Lucía und Calum zu ihr und tun es ihr gleich. Soweit ich das erkenne, kommen wir mit dem Feuerholz jedoch nicht besonders weit. Ich überlege, ob ich Calum darauf aufmerksam mache, doch er weist die Mädchen bereits an, auf unserem Grundstück nach weiteren Ästen zu suchen.
Ich bekomme erneut Gesellschaft, dieses Mal nicht von Domingo, sondern von Calum. Als er mir einen Kuss geben will, drücke ich ihn sanft von mir. „Ich muss mir erst das Gesicht waschen, der Hund hat mich abgeleckt.“
„Wie du immer noch ‚der Hund‘ sagst.“
„Er ist ein Hund.“
„Aber er hat einen Namen.“
„Was ist los, setzt du dich für die Rechte der Hunde ein?“
„Na das sollte gerade dir am wenigsten ausmachen“, kontert Calum frech.
Ich verenge die Augen. „Ay, wenn du ungezogen bist, lege ich dich wie einen Hund an die Leine“, ziehe ich Calum auf.
„Mir würde da etwas Besseres einfallen. Du könntest mir den Hintern versohlen und mir so ein bisschen Vernunft einbläuen.“
„Klingt doch fast so, als würde da jemand um ein bisschen Zuwendung betteln.“
„Ein bisschen Zuwendung ist schon sehr untertrieben. Ich will dir die Kleider vom Leib reißen“, scherzt Calum über seine eigenen Bedürfnisse. „Vielleicht sollte ich eine Dusche nehmen.“
„Witzig mal nicht derjenige zu sein, der mit seinen blauen Eiern jongliert.“
„Das hast du so eklig umschrieben, dass es ein bisschen geholfen hat“, meint Calum trocken. Er schubst mich etwas. „Achtest du auf die Mädchen, während ich drinnen bin?“
„Sicher. Lass dir Zeit.“
„Danke.“
Calum steht auf. Er macht sich auf den Weg nach drinnen.
„Hey, Baby“, spreche ich ihn an, worauf Calum sich wieder umdreht. Ich ziehe mein Shirt hoch. Durch das Laufen gehen und die täglichen Übungen, die ich in meinen Morgen integriert habe, darf ich schon ein bisschen angeben. „Als Inspiration.“
„Ich seh mir ein Filmchen an, aber danke“, antwortet Calum belustigt.
Calum geht nach drinnen und ich stehe auf, um mein Versprechen gleich in die Tat umzusetzen. Im Gehen klopfe ich mir den Staub von den Klamotten. Domingo entdeckt mich wieder, er dackelt mir fröhlich nach.
„Lucía? Cassie?“, frage ich etwas lauter, um meine Mädchen auf mich aufmerksam zu machen.
„Papá, da ist ein ganz großer Ast. Der ist viel zu schwer!“
„Ich helfe euch“, antworte ich. Bei dem ‚großen Ast‘ angekommen, überlege ich es mir jedoch anders. „Prinzessin, das ist kein großer Ast, das ist ein Baumstamm.“
„Aber schwer ist er“, entgegnet Cassie mir.
„Sí, das kann man nicht abstreiten.“
Der umgestürzte Baum liegt wohl schon länger hier. An der Rinde befindet sich ein großer Pilz, der jedoch recht ungefährlich aussieht. Aus einem Loch in dem Stamm wächst eine Wildblume. Eigentlich sieht das sogar ganz nett aus.
Lucía klettert auf den Stamm, sie balanciert daran entlang. „Ich mag das.“
„Wir lassen ihn gerne liegen, damit du spielen kannst, mariposa. Den zu zerteilen ist wahrscheinlich nicht ganz einfach.“ Ich klopfe auf den Stamm, um meine Annahme zu überprüfen. Lucía geht an mir vorbei, sie hält sich kurz an meiner Schulter fest. Ich reiche ihr die Hand, damit sie bis zum Ende des Stammes balancieren kann. „Der Baum ist ziemlich hart, da brauche ich eine Kettensäge.“ Als Lucía bei den Wurzeln ankommt, hebe ich sie auf meinen Arm, ehe ich sie schon wieder auf dem Boden absetze. „Und verwenden könnte man ihn heute auch noch nicht, das Holz ist wahrscheinlich zu nass, da würde es gar nicht so gut brennen.“
„Na gut“, antwortet Cassie schmollend. „Dann müssen wir andere Äste suchen.“
Ich unterstütze meine Mädchen tatkräftig bei der Suche, das heißt für mich, dass ich die Äste trage, die sie finden. Für das Lagerfeuer werden wir wahrscheinlich trotzdem noch ein wenig mehr Holz brauchen. Gut, dass ich die großen Äste, die in den letzten Wochen immer mal wieder auf unserem Grundstück herumgelegen sind, bereits zusammengeschnitten habe. Die kommen mir heute gerade recht.
…
Als es dämmert, habe ich das Feuer bereits entfacht. Durch Sitzkissen und kleine Laternen, in denen sich Kerzen befinden, sorgt Calum für ein angenehmes Ambiente. Als ich mir ansehe, wie hübsch unser Lagerfeuerplatz nun aussieht, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Es ist leider nicht positiv. Im Alltag finde ich immer wieder etwas, das mich beschäftigt, ohne an Alkohol zu denken, doch in Momenten wie diesem wünsche ich mir ein Glas Tequila oder zumindest ein Bier. Dass ich mich im Moment nicht gerade wohlfühle, entgeht auch Calum nicht.
„Sweetie? Ist alles okay?“, fragt er vorsichtig nach. Er streicht über meinen Arm.
Ich sehe zu ihm nach oben. „Naja… Ich hätte gerne ein Glas Tequila.“
„Würdest du es denn schaffen, bei einem Glas zu bleiben?“
Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht? … Keine Ahnung, ich will meine Erfolge nicht kaputt machen. Ich will dich auch nicht enttäuschen. Es ist aufmunternd zu wissen, dass ich es in den letzten Tagen geschafft habe, nicht zu trinken, obwohl Alkohol im Haus ist. Ich hab jetzt so lange nicht getrunken, dass ich nach einem Glas vermutlich vollkommen betrunken wäre. Ich weiß nicht… Ich sollte die Finger davon lassen, oder?“
Calum legt seine Hände an meine Wangen. Ich bekomme sanfte Küsse auf meine Lippen, die ich vorsichtig erwidere. Mein marido lässt von mir ab, nur um mich in eine liebevolle Umarmung zu verwickeln. Er streichelt meinen Kopf und auch meinen Rücken. Es ist eine liebevolle Geste, die leider nicht hilft, mein Verlangen nach Alkohol zu dämpfen.
„Ich bin stolz auf dich und deine Willensstärke. Wenn du meinst, dass du es nicht schaffst, nur ein wenig zu trinken, dann lass es weiterhin bleiben, okay? Ich will nicht, dass es dir schlecht geht. Ich will, dass du so lange wie möglich fit und gesund bleibst. Die Mädchen sollen nicht ohne dich aufwachsen“, erinnert mich Calum daran, wieso ich das alles durchstehe. Ich weiß, dass seine Worte mich aufmuntern und motivieren sollen. Er will mir helfen, mir ein Ziel zu setzen, doch ich komme nicht über den traurigen Unterton hinweg und schon gar nicht über die Tatsache, dass ich schon wieder an Alkohol denke.
„Mhm…“
„Ich liebe dich, Trevor.“
„Ich liebe dich auch.“
Ich werde ein weiteres Mal von meinem Liebsten geküsst, doch dann widmen wir uns wieder unserem Plan. Während Calum die Kinder holt, mache ich es mir gemütlich. Falls ich spielen möchte, liegt auch meine Gitarre bereit. Im Moment bin ich zwar nicht in der Stimmung zu spielen, aber vielleicht kommt das ja noch.
Noch bevor die Mädchen herauskommen, nimmt Richie neben mir Platz. Er trägt einen übergroßen, kuschlig aussehenden Hoodie und auch seine Jogginghose wirkt bequem und warm.
„Wenn du noch nicht ganz fit bist, solltest du im Bett bleiben“, belehre ich ihn, doch Richie winkt ab.
„Das Fieber ist längst vergessen. Ich bin zwar noch ein bisschen müde, aber ein Lagerfeuer kann ich mir nicht entgehen lassen. Vor allem nicht, wenn es Marshmallows gibt.“
„Na gut, sieht so aus, als könnte ich dich nicht abhalten.“
„Nein, kannst du nicht.“
Richie sieht in das Feuer, er lächelt sanft, als er die Flammen beobachtet. Zögerlich hebe ich meine Hand und lege sie an seinen Rücken, um ihn ein bisschen zu streicheln.
„Du sag mal, Richie.“
„Was denn?“
„Ist zwischen uns wieder alles beim Alten?“
Er richtet seinen Blick auf mich. „Kommt darauf an, was du als den alten Zustand bezeichnest.“
„Wir sind doch Freunde, oder? Du bist nicht wütend oder verliebt oder… sonst irgendwas?“, frage ich nach.
Richie zuckt mit den Schultern. „Ich hab die Nacht schon so gut wie vergessen, falls du das meinst. Ich hab mich dummerweise reingesteigert und dachte, dass es irgendwas bedeutet, aber ich weiß jetzt, dass du nie etwas für mich empfinden wirst und ich sollte für dich auch nichts empfinden. Es ist dumm…“
„Gefühle sind nicht dumm.“
„Für dich Gefühle zu haben wäre auf jeden Fall dumm“, antwortet Richie bestimmt. „Weißt du, wer mir irgendwie gefällt?“
Ich grinse. „Wer denn?“
„Der Mann, der sich um Marnies Kühe kümmert“, erzählt er verschwörerisch. „Ich weiß, ich darf mich nicht reinsteigern und ich darf nichts erwarten und ich hänge ja auch noch so sehr an Will. In meinem Kopf ist es sehr kompliziert.“
Grinsend drücke ich Richie einen Kuss auf die Schläfe, ehe ich meinen Arm von seinem Rücken um seine Schulter lege. „Du wirst dich wohl nie ändern. Habt ihr schon einmal geredet oder hat ein Blick gereicht, um dir eine zarte Prinzessinnenröte ins Gesicht zu treiben?“
„Du bist so ein Arsch“, beschwert Richie sich. Er schubst mich etwas, sodass meine Hand von seiner Schulter gleitet. „Natürlich haben wir miteinander gesprochen. Adam ist so süß, höflich und nett.“ Nervös spielt Richie mit den Schnüren an seinem Hoodie. Sein Lächeln spricht Bände, er schwärmt offensichtlich sehr für diesen Adam. „Er hat sogar ein bisschen mit mir geflirtet und er hat mir ein Kompliment zu meinen Haaren gemacht, auch wenn sie nicht gestylt waren.“
„Bist du dir sicher, dass er geflirtet hat? Calum meinte, dass er hetero ist.“
„Er steht nicht auf Calum. Zu groß und zu muskulös. Er mag bunte Haare auch nicht so gerne, er steht eher auf zierliche, natürliche Männer“, erzählt Richie. „So wie mich. Frauen findet er auch ganz okay, aber ich gefalle ihm anscheinend sehr gut.“
„Ach so ist das also“, gebe ich überlegend von mir. „Verschmäht dieser Kerl einfach meinen marido.“
„Denkst du, dass ich mal mit ihm ausgehen sollte?“, erkundigt sich Richie nach meiner Meinung.
„Nur, wenn du dich damit wohlfühlst“, antworte ich. „Wenn du denkst, dass es zu früh ist und wenn du ein schlechtes Gewissen hast, dann tu es nicht. Vielleicht solltest du Adam sagen, dass du ihn gern hast, aber dass du letzten Sommer einen wichtigen Menschen verloren hast. Wenn er dafür Verständnis hat und Mitgefühl zeigt, dann wäre er auf jeden Fall interessant. Wenn nicht, dann sieh dich lieber wo anders um, verstehst du?“
Richie nickt. „Danke, Trevor.“
Mein Kleiner umarmt mich fest, ich erwidere diese Umarmung nur zu gerne. Ich will, dass Richie glücklich ist und wenn ich nicht derjenige sein kann, der ihn glücklich macht, dann muss es ein anderer Mann machen. Allerdings werde ich diesen Adam auch selbst ein wenig unter die Lupe nehmen. Richie soll jemanden haben, der ihn gut behandelt.
Calum bringt die Mädchen nach draußen. Während Cassie sich sehr auf das Lagerfeuer freut, ist Lucía sehr zurückhaltend und eingeschüchtert. Es ist nachvollziehbar, immerhin hat sie ihre Eltern bei einem Brand verloren und wurde dabei auch noch verletzt. Meine Tochter flüchtet schnell in meine Arme. Ich sorge dafür, dass sie es auf meinem Schoß bequem hat und lege meine Arme um ihren Bauch.
„Sag mir bitte, wenn das Feuer dir zu große Angst macht, okay?“, bitte ich sie leise, dabei schaukle ich sie ein wenig. Lucía bekommt zarte Küsse auf die Schläfe und ihre Wange.
„Okay. Passt du auf? Feuer tut weh…“
„Wollen wir beide uns lieber auf die Veranda setzen?“
Anstatt mir zu antworten, zuckt Lucía bei einem Knacken des Feuers zusammen. Sie vergräbt ihr Gesicht an meiner Schulter.
Cassie kichert freudig, als sie ein paar Marshmallows an einem Spieß in das Feuer hält. „Feuer kann auch nett sein, Lucía. Die Marshmallows werden ganz heiß und super lecker, wenn die dann kühl sind kann man sie essen.“
„Ich glaube es wäre besser, wenn wir doch auf die Veranda gehen“, entschuldige ich mich bei dem Rest der Familie, da Lucía sich fest an mich klammert.
„Kommst du klar?“, fragt Calum vorsichtig nach.
„Sicher.“
Ich hebe meine Tochter hoch und entferne mich von dem Feuer. Auf der Veranda setze ich meine Tochter in meinen Stuhl, außerdem schalte ich die Lichterketten an, sodass wir auch ein wenig festliche Stimmung haben. Mit einem Lächeln setze ich mich zu Lucía. „Magst du reden?“
„Ich mag Feuer nicht“, antwortet sie, wobei sie sich an den Arm fasst. „Das Feuer hat mir wehgetan. Ich war ganz lange krank. Mamá und papá sind auch wegen Feuer weg.“ Ich greife nach ihrer Hand und halte sie fest. „Ich hab Angst.“
„Ich weiß, princesa, ich weiß. Wenn du Angst hast, dann müssen wir beide nicht beim Feuer sein.“
„Und wenn Feuer ihnen wehtut?“, fragt Lucía leise nach. Sie zeigt auf das Lagerfeuer, das ich Idiot selbst angezündet habe.
„Ich habe dafür gesorgt, dass das Feuer klein bleibt. Du kennst ja das kleine Feuer aus dem Feuerzeug.“ Lucía nickt. „Wenn da kein Gas mehr drinnen ist, dann kann man kein Feuer mehr machen. Das kleine Feuer da drüben bei Daddy, Richie und Cassie wird nur größer, wenn man viel Holz nachlegt. Wenn man kein Holz nachlegt, dann brennt es nicht mehr.“
„Es brennt aber jetzt.“
„Das stimmt, princesa, aber es wird nicht größer. Es wird immer kleiner und wenn kein Holz mehr da ist, dann ist auch das Feuer nicht mehr da. Wenn man nicht zu nah an das Feuer rangeht, dann passiert auch nichts.“ Wieder nickt meine Tochter. „Hast du das alles verstanden?“ Ein erneutes Nicken.
Cassie kommt zu uns auf die Veranda. Sie reicht ihrer Schwester einen Spieß, auf dem sich geröstete Marshmallows befinden. „Daddy sagt, dass du Feuer nicht magst und deswegen bringe ich dir Marshmallows. Die sind aber noch ganz heiß, also musst du aufpassen.“
Der süße Duft des karamellisierten Zuckers zieht sofort in meine Nase. Sogar für mich ist dieser Geruch verlockend. Zögernd nimmt Lucía den Spieß an. Ich greife nach ihrer Hand und puste auf die gegrillte Süßigkeit. Vorsichtig führe ich einen meiner Finger an die Marshmallows. Sie sind eindeutig zu heiß, um sie zu essen.
„Du solltest noch ein wenig warten, princesa.“
„Ich gehe zurück zu Daddy“, meldet Cassie sich bei mir ab, ehe sie schon losläuft.
Lucía hebt ihren Kopf, sie schnuppert ein wenig an den Marshmallows. „Riecht gut.“
„Mhm.“ Ein wenig warten wir noch, schon hat Lucía die Möglichkeit ihre Süßigkeiten zu probieren. An dem Schmatzen und dem zufriedenen Gesichtsausdruck merke ich, dass es ihr schmeckt.
„Das ist gut“, verkündet sie lächelnd.
Nicht nur meine Tochter, sondern auch ich bin zufrieden.
„Wenn du magst können wir auch zum Feuer gehen und selbst Marshmallows rösten. Wenn du dich nicht traust, ist es auch okay und wir bleiben hier.“
Lucía sieht zum Feuer, dann aber wieder zu mir. Die Angst ist eindeutig größer, als die Lust auf Süßigkeiten, doch ich habe Verständnis dafür, immerhin hätte sie in dem verdammten Wohnungsbrand umkommen können. Meine Tochter klettert wieder auf meinen Schoß, um etwas Liebe und Trost zu bekommen.
„Es ist okay, dass du Angst hast. Ich habe auch manchmal Angst. Aber vergiss nicht, dass ich immer da bin, um dich zu beschützen“, tröste ich meine Tochter so einfühlsam wie möglich. „Te quiero, mi mariposa.“
„Te quiero, papá.“
Ich atme tief durch, als ich mit Lucía kuschle. Meine Tochter schmiegt sich an mich und ich drücke ihr einen Kuss auf den Kopf. Das Lagerfeuer war keine besonders gute Idee. Ich fühle mich mies, weil ich nicht früher daran gedacht habe, dass Lucía sich unwohl fühlen könnte…