capítulo 23
Richie
Der heutige Tag ist etwas kühler als die letzten Tage, doch trotzdem warm genug, damit man seine Zeit draußen totschlagen kann, ohne sich in viele Klamotten hüllen zu müssen. Wie so oft mache ich es mir auf der Veranda bequem. Es ist die schönste Zeit des Tages: Trevors Chillzeit.
Die Kinder sind unterwegs und gut versorgt, somit habe ich Zeit zum Kiffen und Relaxen. Niemand kann mich heute aufhalten, ich schieße mich mit feinstem Gras von den Fern Islands in eine andere Welt. Es ist eine Welt, in der mir niemand etwas von mir möchte und ich mich dem Nichtstun hingeben kann.
Ich sehe auf, als ein Wagen auf unser Grundstück fährt. Eigentlich haben wir keinen Besuch erwartet, doch schon der bloße Anblick des Autos bringt mich zum Lächeln. Ich weiß genau, dass dieses Auto Calums Cousin Richie gehört. Wenn es jemand anderer wäre, wäre ich vermutlich etwas sauer, da sich mein Plan wieder in Luft anstatt in Rauch auflöst, doch dem kleinen Blondschopf verzeihe ich alles.
„Hey, Baby, sieh mal wer da kommt“, spreche ich etwas lauter, sodass Calum mich in der Küche hören kann. Er ist gerade dabei, Kaffee zu machen. Die Maschine mahlt gerade die Kaffeebohnen, wahrscheinlich hat er nur die Hälfte von dem, was ich gesagt habe, verstanden.
„Was?!“, fragt er fast schreiend nach.
„Komm mal raus!“, rufe ich etwas lauter.
Calum tritt zu mir auf die Veranda, ich deute Richtung Zufahrt auf unser Grundstück. Der Wagen parkt neben unserer Familienkutsche. „Oh Yoba.“ Mein marido steigt eilig die Treppe hinunter, um unseren Besucher mit offenen Armen zu empfangen.
Kaum verlässt Richie sein Auto, wird er von Calum stürmisch umarmt und fest umklammert. Vor Freude hebt Calum seinen Cousin hoch, er stellt ihn jedoch schnell wieder ab, um ihn unter die Lupe zu nehmen. Ich beobachte meinen marido dabei, wie er Richie aufgeregt mustert, er streicht ihm die blonden Haare aus dem Gesicht, ehe er ihn wieder fest in den Arm nimmt. Der Anblick erfüllt auch mich mit Freude. Ich kann nicht anders als zu lächeln. Es ist niedlich, wie Calum sich über unseren Besuch freut.
Ich drücke meine Zigarette im Aschenbecher aus, um ebenfalls aufzustehen und Richie zu begrüßen. Wir haben uns schon ein paar Monate nicht mehr gesehen. Auch ich nehme Richie fest in den Arm. Ich streichle liebevoll seinen Kopf und küsse seine Stirn. „Ich freue mich, dass du wieder hier bist, mein Kleiner. Du hast uns gefehlt.“
„Ich bin vor fast drei Wochen entlassen worden“, erzählt er leise.
„Ich dachte nicht, dass wir dich so schnell wiedersehen“, meint Calum. „Also… Ich dachte, dass du dir noch etwas Zeit nimmst. Du hast ja alle Zeit der Welt, um dich zu erholen. Niemand nimmt es dir übel, wenn du dich noch ausruhen möchtest.“
„Ich dachte, dass ich mich bei euch ein wenig ausruhen darf“, erklärt Richie seinen Überraschungsbesuch. „Ich kann nicht in meinem Apartment bleiben. So viele Erinnerungen… …und ich schaffe es noch nicht, zurück an die Arbeit zu gehen. Und ich kann auch nicht ständig bei meinen Eltern sein, sie machen sich ohnehin schon so viele Sorgen. Dad will am liebsten, dass ich jede Stunde des Tages mit ihm im selben Zimmer bin, damit er auf mich aufpassen kann. Das engt mich ein bisschen ein. Ich brauche auch mal Zeit für mich.“ Er seufzt. „Der Alltag ist noch schwer für mich, weil ich noch das Klinikprotokoll in meinem Kopf habe. Ich fühle mich auch ein bisschen hilflos, wenn mir niemand sagt, was ich als nächstes tun soll, aber wenn ich keine Luft zum Atmen bekomme, kann ich ja gleich wieder in die Klinik zurückgehen.“ Ich nicke. Das macht auf jeden Fall Sinn. Schon damals als Richie noch minderjährig war, waren seine überbehütenden Eltern ziemlich besorgt um ihren Sohn, wenn er jedoch ein Wochenende bei Calum bleiben durfte, waren seine Zügel etwas lockerer. „Ich versuche gerade mich an die Freiheit zu gewöhnen. Ich hab mir gedacht, dass mir die Landluft und Spaziergänge im Wald bestimmt gut tun, deswegen bin ich hier. Natürlich aber auch wegen euch, ihr habt mir gefehlt. Und Dad weiß auch, dass ich bei euch in guten Händen bin, also… Einige Fliegen mit einer Klappe, sozusagen.“
Calum und ich tauschen einen kurzen Blick aus. Noch einmal drücke ich Richie fest an mich. Ich verspreche: „Du darfst so lange bleiben, wie du möchtest. Wir sind für dich da und wir freuen uns, dich bei uns zu haben.“
„Aber du hättest mir ruhig sagen können, dass du heute herkommen willst, dann hätte ich dich abgeholt“, meint Calum mit einem Lächeln. „Die Fahrt ist ja ganz schön anstrengend und alleine ziemlich langweilig.“
„Ach naja. Ich bin gestern losgefahren und habe in einer süßen, kleinen Pension übernachtet, die ich im Internet gefunden habe“, antwortet Richie. „Ich dachte, dass mir so ein ‚kleines Abenteuer‘ gefallen könnte. Die Besitzerin hat mir heute Morgen geniale Bananenpfannkuchen gemacht. Ich hätte ihr am liebsten eine Zehn-Sterne-Bewertung hinterlassen.“
„Bananenpfannkuchen“, erklingt Calum überlegend. „Das klingt so gut, jetzt bin ich neidisch.“ Richie kichert. „Aber bevor wir hier rumstehen und von Bananenpfannkuchen träumen, zeige ich dir das Gästezimmer und dann mache ich dir einen Kaffee.“
„Kakao“, bessert Richie ihn aus. „Ich mag Kaffee immer noch nicht.“
Schmunzelnd mustere ich den blonden Mann vor mir. Einerseits hat er sich so stark verändert, anderseits ist er immer noch so weich wie eine geschälte Mandarine. Es ist aber schön zu sehen, dass er wieder lächeln kann. Sein Lächeln und diese großen, naiven Augen haben mir gefehlt.
„Dann eben Kakao“, gibt Calum grinsend als Antwort.
„Hast du Gepäck dabei?“, frage ich nach, worauf Richie nickt. Ohne zu fragen nehme ich ihm den Schlüssel ab und gehe zu seinem Kofferraum.
„Ich könnte das auch alleine. Ich bin nicht komplett hilflos, Trevor, aber danke.“
„Ich will nur den Helden spielen, damit ich mir nachher selbst auf die Schulter klopfen und mich wichtig fühlen kann“, winke ich seine Beschwerde ab. „Ich brauch das für mein Ego.“
„Von mir aus, dann genieß es“, entgegnet er, als Calum ihn schon ins Haus führt.
Ich öffne Richies Kofferraum. Sofort erblicke ich seinen großen, schwarzen Koffer. Sieht so aus, als hätte er für einige Tage gepackt. Kaum habe ich den Koffer herausgehoben, fällt mir eine bekannte Sporttasche ins Auge. Der Anblick trübt meine Gedanken wieder ein wenig. Richie hat immer noch Williams Sporttasche in seinem Kofferraum, als würden die beiden nach wie vor zusammen zum Tennistraining fahren.
Ich schließe den Kofferraum und schließe dann per Knopfdruck Richies Wagen ab. Ich atme noch einmal tief durch, ehe ich ins Haus gehe. Der Kleine bereitet mir Sorgen. Er schafft es immer noch nicht mit dem Tod seines Verlobten abzuschließen. Gut, es ist erst ein Jahr her, dass William von uns gegangen ist, aber trotzdem bekomme ich ein schlechtes Gefühl, wenn ich sehe, dass Richie Williams Sachen immer noch mit sich herumfährt, als wäre nie etwas passiert.
„Hier hat sich echt viel verändert“, erklingt Richie erstaunt. „Hat hier in der Zwischenzeit jemand gewohnt oder stand das Haus die ganze Zeit leer?“ Der Blondschopf setzt sich auf den Tisch, mein marido steht nur wenige Meter vor ihm. Er scheint etwas zu suchen.
„Ja, ein Mädchen hat hier ein paar Jahre gewohnt, aber sie ist wieder weggezogen“, erklärt Calum.
„Oh, war da immer schon eine Treppe? Ich kann mich daran gar nicht erinnern.“
„Nein, bevor das Mädchen ausgezogen ist, hat sie das Haus noch aufstocken lassen und somit genug Platz für unsere Familie gemacht“, erzählt Calum weiter. „Als ob sie für uns Vorarbeit geleistet hätte. Der Umbau hat allerdings ein großes finanzielles Loch in ihre Kasse gerissen und sie konnte sich das alles nicht mehr leisten, deswegen ist sie wieder weggezogen soweit ich weiß.“
„Das ist ja praktisch. …also für euch. Um das Mädchen tut es mir irgendwie leid. So ein Schuldenberg ist schwer wegzuschaufeln.“
Ich lege Richies Schlüssel auf den Küchentisch, ehe ich mit seinem Gepäck die Treppe hinaufsteige. Im Gästezimmer angekommen, stelle ich den Koffer ab. Wenn ich gewusst hätte, dass Richie heute ankommt, hätte ich das Bett gestern überzogen und ein paar seiner Lieblingssnacks besorgt.
„Oh wow, ist das das Gästezimmer?“, fragt Richie mich, als er zu mir in den Raum tritt.
„Sí. Ich überziehe gleich das Bett für dich. Wenn du etwas gesagt hättest, wäre bereits alles fertig für ein Nickerchen und nach deinem Nickerchen könntest du schon Studentenfuttern knabbern wie ein kleiner Hamster.“
Richie lächelt. „Ach was, ich will ohnehin kein Nickerchen machen. Ich will lieber plaudern. Du hast mir echt gefehlt, Trevor.“
Er verwickelt mich wieder in eine liebevolle Umarmung. Der Kleine lehnt seine Wange an meine Brust. Um nicht vollkommen unbeteiligt an dieser Umarmung zu sein, lege ich meine Arme um ihn. „Du mir auch. Aber lass mich mal los, ich will dein Bett überziehen.“
„Na gut, ausnahmsweise. Du bist übrigens echt braun geworden.“
„Ich liege eben viel auf der faulen Haut“, antworte ich grinsend.
Richie folgt mir auf Schritt und Tritt als ich das Zimmer verlasse und den großen Schrank im Gang öffne. Jetzt, wo er schon mal hier ist, kann er mitentscheiden, womit ich sein Bett überziehe. Der Ordnungsfreak in mir hat mich dazu veranlasst, die Bettwäsche nach Farben zu sortieren, so wie ich Richie kenne, wird er sich für etwas Buntes oder etwas Blaues entscheiden. Vorausgesetzt Blau ist immer noch seine Lieblingsfarbe.
„Welche Farbe wäre dir am liebsten?“, erkundige ich mich.
„Ich darf mir die Bettwäsche aussuchen?“, fragt er schmunzelnd.
„Klar, wieso nicht? Wenn du eine Weile bleibst, solltest du dich auch wohlfühlen.“
„Das tue ich jetzt schon“, antwortet Richie. Er legt seine Arme um meinen Arm und schmiegt sich an mich.
„Sehr schön, das wollte ich hören. Also? Welche Farbe?“
„Laut der Farbpsychologie soll rosa beim Einschlafen helfen. Ich bin noch nicht dazu gekommen, mir rosa Bettwäsche zu kaufen, um es auszuprobieren.“ Ich bin etwas verwirrt, aber auch positiv überrascht, dass Richie sich mit solchen Dingen beschäftigt. Ich persönlich finde es etwas albern, auf etwas wie Farbpsychologie zu hören, doch dass Richie versucht seine Probleme durch viele verschiedene Hilfsmittel zu lösen, zeigt, wie viel in seinem blonden Köpfchen steckt. „Nehme ich den Mädchen etwas weg, wenn ich mir rosa aussuche?“
„No, nimm was dir gefällt“, antworte ich sanft. „Von mir aus auch rosa, solange du dann nicht den ganzen Tag verschläfst.“
„Oh, eine ganze Nacht durchzuschlafen würde mir für den Anfang reichen.“ Richie zeigt auf einen Überzug in Rosa, er hat einige Streifen verschiedener Rosatöne eingearbeitet. Damit ich nach der Bettwäsche greifen kann, lässt Richie mich los. Ich ziehe sie aus dem Schrank.
„Das klingt gar nicht gut, Schlaf ist wichtig für die körperliche und geistige Gesundheit.“ Ich schließe den Schrank mit meiner Hüfte.
„Ich weiß, aber alleine zu schlafen ist eine Qual. Meine Therapeutin möchte, dass ich spätestens alle zwei Wochen eine Stunde bei ihr verbringe, damit wir darüber sprechen können. Außerdem soll ich so viel Zeit wie möglich unter Freunden und Familie sein, damit ich nicht einsam bin, das würde meine Abwärtsspirale wieder aktivieren“, erzählt Richie mir auf dem Weg zurück zum Gästezimmer. „Meine Therapeutin hatte auch die Idee, dass ich mir einen Hund oder eine Katze zulegen sollte, damit ich jemanden habe, für den ich aus dem Bett steigen muss, außerdem wäre ich dann nicht mehr alleine und hätte jemanden zum Kuscheln.“ Ich beginne damit, die Matratze zu überziehen, dabei lausche ich Richies Geschichte. „Ich bin aber noch unschlüssig, was ich lieber hätte. Wenn ich einen Hund hätte, müsste ich jeden Tag rausgehen, und frische Luft und Bewegung sind gut für meinen Kopf, aber ich denke, dass eine Katze vielleicht kuscheliger ist. Was meinst du?“
„Tiere machen Arbeit und Dreck und wenn es nach mir ginge, hätten wir keine“, antworte ich ihm ehrlich.
„Hm… Aber ihr habt doch noch die Kaninchen und einen neuen Hund oder nicht? Calum hat mir von ihm erzählt. Habt ihr den wieder weggegeben?“
„No, wir haben ihn noch, obwohl ich ihn nicht haben wollte…“, antworte ich, dabei beginne das Kissen zu überziehen. „…aber Gabe hat ihn mir aufgedrückt. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätte ich ihn gleich wieder zurückgegeben.“ Ich lege das Kissen zur Seite und greife nach der Decke. Richie geht mir zur Hand, indem er den Überzug aufschüttelt.
„Chihuahuas sind doch süß. Magst du ihn nicht?“, fragt Richie nach. Wir überziehen zusammen die Decke.
„Mittlerweile schon, aber er ist ein bisschen zu anhänglich“, antworte ich ihm wieder. „Domingo hat beschlossen, dass er mich am liebsten mag. Weiß Yoba wieso… Ich denke, dass er mich ausgesucht hat, weil ich ihn nicht ständig herumtrage und knuddle, so wie die Mädchen oder Calum es tun.“
„Hm…“
Nach ein paar weiteren Handgriffen und einem kleinen Kampf mit dem Spannbetttuch, sind wir auch schon fertig mit Richies Bett. Der kleine Blondschopf lässt sich sofort auf das Bett sinken und legt sich hin. „Die Matratze fühlt sich super an. Das Zimmer ist auch sehr schön. Mir gefällt dieses Blaugrau an den Wänden sehr gut und die Möbel sind auch sehr hübsch. Ist das echtes Holz?“
„Kann sein, schätze schon. Das Kompliment kannst du an Calum weiterleiten, er kümmert sich um alles. Ich wohne hier nur unbeteiligt.“
Ich setze mich zu Richie auf das Bett und sehe ihn an. Auch seine blauen Augen sehen in mein Gesicht. Er hat sich körperlich kaum verändert, doch im Vergleich zu letztem Jahr hat er große Fortschritte gemacht. Nach Williams Tod konnte man kaum mit ihm sprechen. Er hat weder regelmäßig gegessen und noch viel geschlafen. Auch wenn seine Geschichten lang sind, stört es mich nicht, sie zu hören, im Gegenteil. Ich bin froh, dass Richie endlich wieder mit uns spricht und uns alle an seinen Gedanken teilhaben lässt. Vor einigen Monaten war es noch schwer, auch nur eine Reaktion oder gar ein Wort aus ihm zu bekommen.
„Falls du möchtest und Domingo dir nicht abgeneigt ist, kann er bei dir schlafen“, schlage ich vor.
„Oh, das wäre toll.“
„Er kuschelt sehr gerne, allerdings schnarcht er auch ein wenig“, erzähle ich von meinen Erfahrungen mit dem wandelnden Flohzirkus.
„Er schnarcht? Das klingt total süß.“ Richie lächelt mich an. „Wo schläft er denn normalerweise?“
„Bei uns im Zimmer in seinem Körbchen.“
„Und ihr würdet ihn gar nicht vermissen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Dann muss ich nachts nicht aufpassen, wo ich hintrete, hat also sein Gutes.“
„Ein Versuch ist es wohl wert. Ich hoffe er mag mich.“
„Dich muss man mögen, Richie.“
Wir sehen uns eine Weile an, ohne etwas zu sagen. Richies blaue Augen wirken beim genaueren Hinsehen immer noch traurig. Ich wünschte, ich könnte ihm diesen Schmerz abnehmen. Jemand wie Richie kommt mit einem gebrochenen Herz kaum zurecht und das sollte er auch gar nicht müssen. Er sollte glücklich sein.
Ich nehme Richies Hand in meine. An seinem Ringfinger steckt immer noch der Verlobungsring, mit dem William ihn letzten Frühling überrascht hat. Vorsichtig streiche ich über seinen Handrücken, als wäre mein Kleiner aus Porzellan.
„Was hältst du von einer Tasse Kakao und einem Stück Kuchen?“, erkundige ich mich mit einem Lächeln. „Ich habe gestern gebacken.“
„Das klingt gut. Calum wollte mir schon eine Tasse machen, aber mein Dad wollte, dass Calum ihn anruft, sobald ich hier bin. Du weißt ja, wie viele Sorgen sich mein Dad um mich macht.“
Ich nicke. Natürlich erinnere ich mich. Wie könnte ich es nicht?
„Na komm. Außer du brauchst ein Nickerchen, dann bleib bitte liegen.“
„Nein, nein. Ich brauche ein bisschen Zucker und ich bin mir sicher, dass ich keinen Kuchen mehr abbekomme, wenn Calum alleine in der Küche ist“, antwortet Richie mir schmunzelnd.
Ich begleite den Kleinen nach unten. Calum telefoniert gerade. Er deutet uns, dass wir auf die Veranda gehen sollen. Auf dem Tisch entdecken wir den Kuchen und auch die Tasse Kakao, die unserem Gast versprochen wurde.
„Ich liebe Pelican Town. Hier ist es so schön. Weißt du noch, als ich damals im Regen vor deiner Tür stand?“
Ich nicke. „Ich muss ehrlich zugeben, dass mir das ein bisschen Angst gemacht hat, du kleiner Stalker.“
„Entschuldige, aber du warst mein einziger Freund.“
„Ich war dein Nachhilfelehrer“, bessere ich ihn aus.
„Für mich warst du immer schon mehr als das“, antwortet Richie mit einem schwer deutbaren Lächeln. Er nimmt einen Schluck von seinem Kakao. Ich serviere ihm ein Stück des Mandelkuchens, ehe ich auch Calum und mir eines auf die Teller lege.
Mein marido bringt wenig später zwei Tassen Kaffee. „Also dein Dad redet echt viel, wenn der Tag lang ist.“
„Was hat er denn gesagt?“, erkundigt Richie sich.
„Dass wir auf dich aufpassen sollen, dass du deine Medikamente nehmen sollst, dass wir dich begleiten sollen, falls du einen Abendspaziergang machen möchtest und und und…“
Richie nickt. „Entschuldige, ich-“
„Nein, schon gut. Onkel Greg hat sich immer schon Sorgen gemacht, das ist nichts Neues. Es ist ja nicht das erste Telefonat mit strengen Anweisungen. Dein Dad will, dass du in Sicherheit bist. Ich möchte auch, dass du in Sicherheit bist, aber du bist bei uns nicht im Gefängnis, du brauchst keine Leibwache, weil in diesem verschlafenen Nest ohnehin nie etwas passiert. Aber ich möchte trotzdem ein Auge auf deine Medikamente haben, wenn du damit auch einverstanden bist. Ich würde mir gerne ansehen, was du alles bekommst.“
Wieder nickt der Blonde. „Mache ich euch wirklich keine Umstände? Ich weiß, Dad verlangt viel… deswegen bin ich ja auch geflüchtet…“
„No.“ Ich streichle Richies Oberarm. „Mach dir keine Gedanken über deinen Aufenthalt. Wie du siehst haben wir genug Platz und wenn du ab und zu die Mädchen beschäftigst, sind wir quitt.“
„Apropos Mädchen… Wo sind die beiden überhaupt? Und euer Hund? Ich will euren Hund sehen…“
„Sie sind mit Jas… oh sieh mal.“ Calum zeigt Richtung Cindersap Forest. Die Mädchen kommen gerade von ihrer Erkundungstour im Wald zurück.
Mein marido steht auf. Er legt seine Hände an seinen Mund, formt sie zu einem Trichter, sodass er lauter rufen kann: „Sieht mal, wer da ist, Mädchen!“ Richie steht ebenfalls auf, er winkt unseren Töchtern.
„Onkel Richie! Jaaaa!“, freut Cassie sich lautstark. Unsere Töchter laufen auf das Haus zu.
„Danke, Jas! Du hast was gut bei uns!“, bedankt Calum sich.
„Schon gut“, ruft sie von der anderen Seite des Grundstücks. „Meldet euch, wenn ihr mich braucht!“
„Mach ich!“
Ich strecke mich zu Calums Hintern und gebe ihm einen Klaps. „Setz dich und hör auf zu schreien. Meine Ohren klingeln schon.“
„Ich hab mich doch nur bedankt“, antwortet Calum schmollend.
„Das hast du sehr gut gemacht. Man hat dich bis nach Zuzu City gehört.“ Er setzt sich tatsächlich wieder und beschäftigt sein lautes Mundwerk mit Kuchen. So ist’s brav.
Richie lässt sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Er isst sein letztes Stückchen Kuchen und rutscht mit seinem Stuhl noch ein wenig von dem Tisch zurück. Er rechnet schon damit, dass er gleich von den Mädchen überfallen wird.
„Onkel Richie!“, höre ich Cassidy schon rufen. Und von einem Babysitter zum nächsten. Die Füße der Mädchen trampeln über die Veranda. Eine Pause kann Richie sich aus dem Kopf schlagen, denn die Mädchen lieben es, mit ihm Zeit zu verbringen. Die Mädchen stürzen sich sofort auf Richie. Sie werden ihn nicht mehr so schnell loslassen, jetzt wo sie ihn so lange nicht gesehen haben.
„Hast du uns etwas mitgebracht?“, fragt Cassie freudig. Sie klammert sich an Richies Arm fest, der Arme kann sich kaum noch bewegen.
Richie lächelt, er streicht mit seiner freien Hand durch ihre Haare. „Aber sicher doch. Ich würde euch doch niemals besuchen, ohne Geschenke für euch dabei zu haben.“
„Spielst du mit uns?“, bittet Lucía ruhig. „Bitte, bitte.“ Sie legt ihre Arme um Richie, wahrscheinlich um ihn mit Liebe zu bestechen.
„Wie kann man euch Prinzessinnen jemals etwas abschlagen?“, fragt er lächelnd, als er aufsteht.
„Willst du dich nicht noch etwas ausruhen? Die Fahrt war sehr lang, auch wenn du in einer Pension übernachtet hast, war der gestrige Tag schon anstrengend“, fragt Calum besorgt. „Es macht den Mädchen nichts aus, wenn sie eine oder zwei Stunden alleine zeichnen, während du ein Nickerchen machst.“
„Nein, schon gut. Es ist alles okay. Der Kuchen hat mir genug Energie geschenkt, um mit den beiden mithalten zu können.“ Er verteilt jeweils einen Kuss auf den Wangen meiner Töchter. „Ich liebe euch so sehr, meine Süßen.“
„Und wir lieben dich auch, Onkel Richie“, antwortet Cassie freudig. Sie lehnt sich an ihn und schließt glücklich ihre Augen.
„Okay. Lucía, Cassie, seid aber bitte nicht zu wild. Ihr wisst doch, dass Onkel Richie lange auf Urlaub war. Er ist so viel Action gar nicht mehr gewohnt“, erklärt Calum vorsichtig.
„Ach was“, winkt Richie erneut ab. „Na dann holen wir mal eure Geschenke.“ Freudig quietschend folgen die Mädchen ihm zu seinem Auto.
Calum wirft mir einen traurigen Blick zu, sobald die Mädchen und Richie außer Hörweite sind. „Er trägt die Ringe immer noch…“, erzählt er leise.
Ich blicke in meine Kaffeetasse und nehme dann einen Schluck meines Kaffees. Für eine Sekunde dachte ich, dass ein Insekt in mein Getränk gefallen ist. „Er trauert. Es hat ihn schwer getroffen, dass William nicht mehr unter uns ist...“
„Aber er sieht gut aus. Er sieht viel besser aus, um genau zu sein“, stellt Calum fest. Ich spüre deutlich, dass mein marido mit seinen Emotionen kämpft. „Er kann auch wieder ein bisschen lächeln und er redet und isst, ich bin so happy…“
Ich rutsche mit meinem Stuhl etwas näher zu meinem Liebsten und nehme ihn in den Arm. Sanft streichle ich über seinen Rücken. William war nicht nur Richies Verlobter, sondern auch ein guter Freund von Calum und mir. Auch wenn ich nicht der Typ dafür bin, hatten wir oft Doppeldates, wir haben viel Zeit zu viert verbracht. Es hat uns alle getroffen, dass er so plötzlich verstorben ist. Jemand wie William hinterlässt eine Lücke, die man nicht mehr schließen kann.
„Ich vermisse Will…“, gibt Calum seufzend von sich. „Er hat Richie so unendlich glücklich gemacht und all seine kleinen Macken nicht nur ertragen, sondern geliebt. Sie waren so ein perfektes Paar… Das ist unfair… Sie waren wie für einander geschaffen.“
„Ich weiß, Baby, ich weiß…“ Ich lasse ein wenig lockerer, streichle dann Calums Wange. „Alles okay?“
Er nickt. „Ja, klar, alles gut. Ich freu mich nur so, dass Richie wieder da ist. Wir haben zwar geschrieben, aber jetzt ist er endlich wieder da und ich kann ihn drücken und ihm sagen, dass ich ihn lieb habe und dafür sorgen, dass er das Lächeln auf seinen Lippen nie wieder verliert.“ Calum nimmt Abstand, er streicht sich durch die Haare, kratzt sich dann etwas am Arm. Er wirkt ein wenig orientierungslos, doch dann nimmt er meine Tasse und steht auf. „Du wolltest noch Kaffee, richtig? Ich mache dir Kaffee.“
„Gracias, Baby“, bedanke ich mich ruhig. Meine Tasse ist noch halbvoll, aber es ist okay.
Seufzend gibt Calum mir meine Tasse zurück. Ich trinke sie schnell aus, auch wenn der Kaffee noch etwas zu warm ist, um ihn so schnell zu trinken. Wenn mein marido das Gefühl hat, dass er jetzt etwas tun muss, um sich von den trüben Gedanken abzulenken, dann will ich ihm nicht im Weg stehen, jedoch begleite ich ihn nach drinnen, da ich einen Krug Wasser mit nach draußen nehmen möchte.
Calum lehnt sich neben die Kaffeemaschine, während er wartet, bis sie einsatzbereit ist. Ich fülle einen Krug mit Wasser, außerdem nehme ich Gläser aus dem Küchenschrank. Mein Liebster bekommt noch einen Kuss auf die Wange. Ich greife nach einem Küchentuch und reiche es ihm, damit er seine aufkommenden Tränen trocknen kann.
„Trevor…“
„Ich weiß. Ich warte auf der Veranda“, antworte ich. Es braucht nicht viele Worte, um zu verstehen, dass Calum ein paar Minuten für sich braucht. Mit nach draußen nehme ich den Krug und die Gläser.
Wir haben schon oft über Williams Ableben geredet, trotzdem dauert es, dass wir alle diesen Verlust verarbeiten können. Der letzte Sommer war für uns alle scheiße. Es sind zu viele gute Menschen von uns gegangen und es gibt absolut nichts, das man dagegen tun kann. Man kann es hinnehmen… das ist alles.
Draußen setze ich mich auf meinen bequemen Stuhl, öffne dann meine Metallbox, die auf dem Tisch steht, um die Zigarette zu rauchen, die ich eigentlich rauchen wollte, bevor Richie angekommen ist. Ich darf gar nicht an den letzten Sommer denken, sonst werde ich nur wieder depressiv und greife wahrscheinlich wieder zur Flasche. Negative Gedanken dürfen mir meinen Fortschritt nicht zerstören. Ich entzünde meine selbstgedrehte Zigarette, inhaliere genüsslich den Rauch, ehe ich ihn durch die Nase wieder ausatme.
Richie und William waren drei Jahre zusammen. Sie hatten so viele Pläne. Letzten Frühling haben die beiden sich verlobt. Sie waren viel zusammen unterwegs, Richie konnte endlich ein wenig von der Welt sehen, was ihm von seinen überbehütenden Eltern oft verwehrt wurde. Mein Kleiner war seinem Happy End so nahe, so verdammt nahe… doch letzten Sommer hatte seine Liebesgeschichte ein plötzliches Ende.
William wollte einer jungen Frau helfen, die auf offener Straße überfallen wurde. Der Angreifer hat ihn mit einem Messer attackiert. Will hat es nicht bis ins Krankenhaus geschafft. Er ist bereits auf dem Weg dahin in einem Krankenwagen verblutet. Sie konnten nichts mehr für ihn tun. Richie hatte nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich richtig von seinem Verlobten zu verabschieden.
Niemand rechnet mit solchen Schicksalsschlägen, doch es passiert. Menschen sterben viel zu jung, wegen Fehlern, die nicht passieren dürften. Wäre der Krankenwagen nicht durch die Bauarbeiten behindert worden, wäre er schneller gewesen und sie wären vielleicht noch rechtzeitig zu ihm gekommen…
Doch ein ‚Was wäre, wenn…‘ kann William leider nicht zurückholen. Richie hat es nicht verkraftet seinen Verlobten, seinen Seelenverwandten auf so eine schreckliche Weise zu verlieren. Auf der Beerdigung hatte er einen Nervenzusammenbruch. Wir konnten Richie nicht mehr helfen, also haben wir, seine Familie, dafür gesorgt, dass er einen Platz in einer Klinik bekommt. Er war mehrere Monate dort, doch kaum hat er sie verlassen, ging es wieder steil bergab. Er hat sich von allen Freunden und auch seiner Familie in seinem Apartment abgeschottet. Mein Kleiner wollte sich zum letzten Feast of the Winter Star das Leben nehmen. Wir hatten ihn zum Essen eingeladen und als er sich nicht gemeldet hat, bin ich zu ihm gefahren, um nach ihm zu sehen. Wenn ich ihn nicht gefunden hätte, hätte Richie sich in seinem Apartment aufgehängt.
Wenn ich an die Bilder denke, die ich an diesem Abend gesehen habe, wird mir ganz anders. Ich bekomme Gänsehaut, mein Magen zieht sich zusammen. Richies verweinte, blaue Augen zu sehen…
Mierda…
Ich habe vorsichtig auf Richie eingeredet. Niemals in meinem Leben hatte ich so große Angst wie in diesem Moment. Ich habe Richie in den Arm genommen und von dem Stuhl gehoben. Wir haben miteinander gesprochen und ich habe ihn dazu überredet, mit zu uns nach Hause zu kommen, damit er die Feiertage nicht alleine verbringen muss. Calum und ich haben Richie wieder ein wenig aufgepäppelt, versucht ihn in einen normalen Alltag zu integrieren. Er war einige Tage bei uns, doch Calum und ich konnten es auf lange Sicht nicht verantworten, dass er in seinem seelischen Zustand bei uns bleibt, immerhin haben weder Calum, noch ich die passende Ausbildung dafür, ihm zu helfen. Wir haben Richie überzeugt, dass es gut ist, wenn er wieder in die Klinik zurückgeht. Glücklicherweise hat er zugestimmt und ein weiteres Mal versucht, sich dem Leben und seiner Trauer zu stellen.
…und nun ist er wieder hier. Richie zu sehen wühlt nicht nur Calum auf, auch ich weiß nicht recht, was ich fühlen soll, aber in einer Sache bin ich mir mehr als sicher: Ich mache mir nach wie vor große Sorgen um Richie. Ich werde mir immer Sorgen um meinen Kleinen machen, egal wie erwachsen er mittlerweile ist.
Calum stellt mir meinen Kaffee auf den Tisch. Als ich zu ihm nach oben sehe, merke ich, dass es nicht bei den einzelnen Tränen geblieben ist.
„Komm her, Baby“, biete ich ihm Trost an, doch er schüttelt den Kopf.
„Nein, alles gut…“ Er atmet tief durch. „Ehrlich. Ich bin so happy, dass er hier ist.“
„Okay.“ Ich nehme einen tiefen Zug meiner Zigarette, sehe dann über meine Kräutertöpfe hinunter zu den Mädchen, dafür muss ich mich allerdings ein wenig strecken. Das Grünzeug nimmt mir die Sicht. Meine Töchter sitzen zusammen mit Richie in der Wiese im Schatten. Aufgeregt packen sie ihre Geschenke aus. Richie geht liebevoll mit unseren Mädchen um. Auch das war Teil ihrer Pläne… William und Richie wollten selbst Kinder adoptieren…
Ich lasse mich wieder in meinen Sessel sinken. Ich wüsste nicht, was ich tun sollte, wenn man mir Calum auf so eine grausame Weise wegnehmen würde und ich meine Zukunftspläne aufgeben müsste. Liebesbedürftig greife ich nach seiner Hand. Ich küsse seine Haut mehrere Male, ehe ich mich ein wenig an Calums Arm schmiege.
„Wie eine Katze“, zieht Calum mich wieder ein wenig gefasster auf.
„Anstatt mich zu ärgern solltest du lieber zu mir kommen und mir einen Kuss geben.“ Er kommt meiner Bitte nach, beugt sich dann zu mir, um mir einen Kuss zu geben. An seinen Lippen spüre ich Lippenbalsam.
…ich will mir gar nicht vorstellen, wie es ist, ohne Calum weiter zu leben. Den Schmerz, mit dem Richie jeden Tag klar kommen muss, wünsche ich mir nicht einmal meinen schlimmsten Feinden.
Richie steigt zu uns auf die Veranda, er winkt den Mädchen. „Darf ich dann euren Kühlschrank plündern?“
„Ich kann dir auch etwas kochen“, biete ich an. „Wenn du willst, kann ich dir auch Churros machen, die hast du doch gerne. Wir hätten alles da, ich kann sofort anfangen.“
„Willst du vielleicht noch etwas Kuchen?“, fragt Calum nach. „Kekse haben wir leider keine mehr da…“
„Wir hätten noch Kekse, wenn du den Kindern nicht immer welche hinter meinem Rücken zustecken würdest“, entgegne ich meinem marido grinsend. „…oder sie selbst fressen würdest.“
„Tz… Hinter deinem Rücken, Blödsinn.“ Calum geht auf den kleinen Seitenhieb gegen ihn gar nicht erst ein. Er weiß ganz genau, das er die letzten Kekse gegessen hat, will es aber nicht zugeben. „Sie essen doch gesundes Gemüsezeugs, da sollten sie auch belohnt werden.“
Der Blonde schmunzelt ein wenig. „Macht euch bitte keine Umstände. Ich bin genügsam, mir reicht mein Kakao und ein Butterbrot vollkommen aus. Ich hätte nur Lust auf einen kleinen Snack, das ist alles.“
Calum schüttelt den Kopf. „Butterbrot, so ein Schwachsinn.“ Er zieht Richie an seinem Arm zurück ins Haus. „Du musst abwechslungsreicher essen, um wieder zu Kräften zu kommen“, belehrt Calum seinen Cousin streng, was Richie allerdings nur zum Lachen bringt. „Lach nicht, das ist mein Ernst. Wir finden irgendetwas für dich, das mehr Nährstoffe als ein Butterbrot hat.“
„Aber du isst doch auch meistens Junkfood.“
„Na und? Ich halte mich mit viel Sport fit, ich kann essen, was ich will.“
„Papá! Sieh mal, was Onkel Richie uns geschenkt hat!“, ruft Cassidy freudig. Ich stehe auf, um ohne Verrenkungen nach unten sehen zu können. Sie winkt mir, um meine Aufmerksamkeit zu erhaschen.
„Ich komme in ein paar Minuten zu euch. Ich rauche noch eine Zigarette.“
„Okay, aber mach ganz schnell!“
Nein, das werde ich nicht. Ich werde meine Zigarette genießen…
…aber das muss ich ihr ja nicht auf die Nase binden.
„Ich bin gleich bei euch.“
…
Am Abend bringt Calum die Mädchen ins Bett, während ich das Wohnzimmer für einen Filmabend bereit mache. Ich zünde eine Kerze an und stelle sie auf den Couchtisch. Als ich wieder in die Küche gehe, um Verpflegung zu holen, kommt mir gerade Richie entgegen. Er steigt gerade die Treppen hinunter.
„Wo willst du denn hin?“, frage ich, da er eine Jacke trägt.
„Ich gehe nur ein bisschen spazieren. Das ist doch okay, oder? Ich kann auch wieder zurück auf mein Zimmer, wenn du das willst. Wenn du denkst, dass ich bleiben sollte, geh ich ins Bett.“ Er sieht mich an, will dann offensichtlich schon wieder umdrehen.
Ich greife nach seiner Schulter, um ihm vom Zubettgehen abzuhalten. Verwirrt runzle ich die Stirn. „Du bist kein Gefangener, geh wohin du möchtest. Ich will dich nicht kontrollieren, Richie. Ich dachte nur, dass du schon schläfst, ich war überrascht, dass du noch wach bist, das ist alles.“
Er schüttelt den Kopf. „Das Einschlafen ist das schwierigste“, erklärt er, räuspert sich dann. Richie zuckt mit den Schultern. „Alleine zu sein ist…“ Er schüttelt erneut den Kopf, als würde er versuchen, seine Gedanken zu zerstreuen. „Nein, es ist okay. Ich brauche ein bisschen Luft und dann… dann geht’s wieder. Ein bisschen Bewegung hilft mir dabei, einschlafen zu können.“ Er sieht auf das Smartphone in seinen Händen. Die Hülle weißt alle Farben des Regenbogens auf, ich erkenne gleich, dass es nicht sein Smartphone ist. Es gehört William und Richie trägt es nach wie vor bei sich. Richie ringt sich zu einem Lächeln durch. „Ich bin bald wieder zurück.“
„Pass auf dich auf“, bitte ich ihn. „Und geh nicht zu weit weg, damit du auch sicher wieder zurückfindest. Im Dunkeln kann man sich schnell verlaufen, wenn man den Weg nicht kennt.“ Richie nickt.
Kaum geht er nach draußen, setzt er seine Kapuze auf. Er leuchtet mit Wills Smartphone in die Nacht hinaus, steigt dann die Treppe hinunter.
Ich weiß, dass er es versucht. Wir alle wissen, dass er versucht, Williams Tod zu verarbeiten, trotzdem habe ich das Gefühl, dass Richie allgemein gesehen kaum Fortschritte macht. Vielleicht wird er niemals loslassen…
„Ist Richie bei dir?“, fragt Calum, als auch er die Treppe runter kommt. „Ich wollte sehen, ob er schon schläft und ihm eine gute Nacht wünschen, aber er ist nicht in seinem Zimmer und auch nicht im Badezimmer.“
„Er macht noch einen Spaziergang, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er ist grade raus, du erwischst ihn noch, wenn du nach ihm sehen willst.“
Calum nickt. Er will nach draußen gehen, doch dann bleibt er in der Tür stehen. „Vielleicht sollte ich ihm die Ruhe gönnen.“ Mein marido dreht sich zu mir. „In der Klinik ist der Tagesablauf ja viel strenger, er sollte das jetzt genießen, dass er sich frei bewegen kann, oder? In den letzten Tagen war er bei seinen Eltern, da war er auch relativ eingesperrt oder ständig unter Beobachtung.“
„Der Meinung bin ich auch. Er soll sich ein bisschen die Beine vertreten. Ihm wird schon nichts passieren. Die Kuscheldecken liegen schon auf der Couch, ich wollte grade noch etwas zum Knabbern zusammensuchen.“
„Danke, Sweetie.“ Ich werde mit einem Kuss auf die Wange belohnt.
Ich fülle Snackschüsseln mit Nüssen, geschnittenen Früchten und ein paar Chips. Es dauert nicht lange, schon kann ich die Snacks servieren. Triumphierend hält Calum eine gedrehte Zigarette in mein Gesicht, sobald ich im Wohnzimmer ankomme.
„Hab ich für dich gemacht“, erzählt er freudig. „Damit du vor dem Film noch entspannen kannst.“
„Meine liebsten Drogen auf einem Quadratmeter versammelt. Gras und Calum“, stelle ich grinsend fest, als ich die Schüsseln abstelle.
Mein marido lacht, er schubst mich ein wenig, sobald ich freie Hände habe. „Hör auf.“ Er reicht mir den Joint.
„Ich hab noch gar nicht richtig angefangen“, gehe ich flirtend darauf ein.
„Du bist so furchtbar.“
„…sagtest du furchtbar oder fruchtbar?“, frage ich frech nach. „Manchmal komme ich mit deiner Muttersprache sehr durcheinander, nimm Rücksicht auf mich.“
„Trevor, bitte“, lacht Calum. „Idiota.“ Er dreht sich von mir weg und nimmt sein Glas Saft zur Hand. Er muss sein Glas allerdings gleich wieder abstellen, da er wieder anfängt zu lachen. „Du bist so ein Idiot. Ich kann nicht trinken, wenn du so doof bist.“
Kopfschüttelnd sehe ich Calum an. „So witzig war das nun auch wieder nicht.“
„Ja, trotzdem, lass mich lachen. Was soll ich machen? Heulen, weil ich mir einen lustigeren Ehemann wünsche?“, fragt er belustigt.
„Das verletzt mich ganz tief hier drinnen“, antworte ich gespielt betroffen, wobei ich mir an die Brust greife.
„In deinem schwarzen Loch?“
„No, direkt daneben, wo sich die letzten Reste meines Herzens befinden. Aber du böses Stück hast mein corazón herausgerissen, jetzt bin ich traurig.“
„Ja klar“, zieht Calum mich auf. Er nimmt sein Glas wieder zur Hand. Mit seiner freien Hand deutet er auf eine der Snackschüsseln. „Füll dein Loch mit Nüssen.“
„Das klingt irgendwie versaut, findest du nicht?“
Calum schmunzelt. „Ich zeige dir etwas Versautes, wenn du brav bist.“
„Das würde mir gefallen.“
Ich lege die von Calum gedrehte Zigarette zwischen meine Lippen. Mein Liebster folgt mir nach draußen. Zufrieden zünde ich die Zigarette an, wobei ich mich an das Geländer lehne. Ich inhaliere den Rauch, blicke dabei in die Dunkelheit unseres Grundstückes. Auf dem Nachbargrundstück geht draußen gerade das Licht an. Ich sehe, wie es vereinzelt durch die Bäume strahlt. Sieht so aus, als würde da noch jemand eine Rauchpause einlegen.
Calum stellt sich neben mich. Kuschelbedürftig zieht er mich zu sich. Er legt seine Arme von hinten um meinen Bauch, mein Hals wird mit ein paar sanften Küssen bedeckt. Unpraktisch, wenn ich bedenke, dass ich gerade eine Zigarette rauche und ihm somit gleich der Rauch in die Augen ziehen wird. „Ich bin froh, dass du damit halbwegs gut klarkommst.“
„Hm?“
„Naja, wir machen uns einen gemütlichen Abend und du trinkst Wasser anstatt Tequila. Das muss nerven.“
„Solange ich mein Loch mit Nüssen stopfen kann, ist alles okay“, antworte ich schmunzelnd.
„Du bist ein Idiot. Aber du bist mein Lieblingsidiot.“
„Gracias. Ein wundervolles Kompliment.“
„Gern geschehen. Te amo.“ Calum küsst wieder meinen Hals. Ich ziehe an meiner Zigarette und genieße die Wärme, die mein marido ausstrahlt. „Willst du das nicht erwidern?“
„Wozu?“, frage ich grinsend. Ich will ihn ein bisschen ärgern. „Ich hab dich ja schon geheiratet und du schläfst auch so mit mir, ich muss mir da keine Mühe mehr machen. Solange ich deinen Arsch habe, ist mir alles andere egal.“
„Fuck you…“
„También te amo, mi corazón.“
„Na bitte, geht doch. Wieso kannst du nicht gleich liebevoll mit mir umgehen, du Arsch?“, fragt Calum hörbar grinsend. Er findet an diesem Wortgefecht Freude, mir geht es ähnlich.
„Wenn du willst kann ich mit deinem Arsch liebevoll umgehen.“
„Du musst nicht allzu liebevoll sein, du darfst dich gerne austoben, aber zuerst will ich den Film sehen.“
Ich lege meine Zigarette in den Aschenbecher, um meinen Mann anständig küssen zu können. Er beugt sich zu mir nach unten. Nicht minder intensiv erwidert Calum meinen fordernden Zungenkuss. Er drückt mich sanft Richtung Hauswand. Es dauert nur zwei Schritte, schon spüre ich sie in meinem Rücken. Calum löst den Kuss, wir sehen uns in die Augen. Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht, lächelt dabei ein wenig.
„Wir sollten es gleich hier auf der Veranda tun“, bittet Calum erregt.
„Wenn es nicht lautlos geht, dann sollten wir das abhaken. Cassies Fenster ist geöffnet.“
„Mist“, entgegnet Calum. Er versenkt seine Hand in meiner hinteren Hosentasche. „Dabei bin ich so scharf auf dich.“
„Mir geht es nicht anders…“
Mein marido legt seine Hand in meinen Nacken. Er führt mich etwas grob zu sich und verwickelt mich in einen weiteren Kuss. Sex auf der Veranda wäre tatsächlich eine wundervolle Idee. Bevor wir die Mädchen hatten, waren wir so herrlich spontan…
Die Spontanität fehlt mir. Für uns beide gab es selten einen unpassenden Zeitpunkt. Wenn man Kinder hat ist jedoch beinahe jeder Zeitpunkt unpassend.
Ich löse den Kuss wieder, da ich mich etwas beengt zwischen Calum und der Wand fühle. Ich sehe an dem starken Arm meines Liebsten vorbei und erblicke ein Licht auf unserem Grundstück.
„Wir sollten Richie fragen, ob er sich mit uns den Film ansehen möchte“, schlage ich vor.
„Das ist eine nette Idee, Trevor.“
„Hoffentlich hilft es ihm dabei, einzuschlafen. Er hat vorhin ziemlich müde ausgesehen…“