Was zuletzt geschah:
Marcos und Eriks erster gemeinsamer Urlaub beginnt durchwachsen. Wie erhofft, kann Marco Erik mit der Wahl seines schwimmenden Hotels begeistern – seinen eigenen Magen leider weniger. Dennoch weigert sich Marco, in ein fester auf dem Boden stehendes Hotel umzuziehen und auch sonst sind beide sehr darum bemüht, es dem jeweils anderen möglichst recht zu machen, während sie dem Elefanten im Raum ausweichen.
Kapitel 10
Die italienische Sonne strahlte heiß genug, um sogar Marco dazu zu bewegen, eine neue Schicht Sonnenmilch aufzutragen. Während er die klebrige Masse auf seinen Armen und Schultern verteilte, beobachtete er die Wellen, die Stück für Stück den Strand eroberten. Nicht mehr lange und er holte sich nasse Füße.
Weit draußen auf dem Meer schaukelte Erik auf seiner Luftmatratze; ein blasser Streifen auf knalligem Rot, umgeben von endlosem Blau. Seit ihrer Ankunft in Venedig musste er mehr Zeit im Wasser als an Land verbracht haben, selbst wenn man ihre Nächte auf der Segelyacht nicht mitzählte. Marco erinnerte sich nicht, Erik jemals zuvor so begeistert erlebt zu haben.
Keine Panikattacken, keine Zukunftsängste, keine unerklärlichen Stimmungsschwankungen. Stattdessen lachte Erik und scherzte und sprudelte vor Ideen, welche Ecken der Stadt sie erkunden sollten. Er kostete, was Marco ihm empfahl, und traute sich immer häufiger, kurze Gespräche auf Italienisch zu führen. Marco liebte es, ihn so zu sehen, und scheiterte gleichzeitig daran, dieselbe Leichtigkeit zu finden.
„Hey.“ Erik wrang Wasser aus seinem pitschnassen Haar. Ein paar Tropfen trafen Marcos Oberschenkel.
„Jetzt hast du dich aber angeschlichen.“
„Eigentlich nicht. Du hast nur sehr intensiv an mir vorbeigestarrt.“
„Hatte eben nicht damit gerechnet, dass du in den nächsten Stunden überhaupt zurück aufs Festland findest.“
Lachend plumpste Erik auf sein Badetuch. Er duftete nach Sonnenmilch und Meersalz. „Ich fürchte, die Mittagssonne bekommt meinem blassen Näschen nicht.“
„Och, ich finde, dein Näschen sieht ganz gut aus.“ Marco musterte besagtes Körperteil. „Erik, sind das … Sommersprossen?“
Erik schlug die Hände vors Gesicht, aber die Reaktion kam zu spät. Nun, da Marco darauf achtete, bemerkte er, dass sich die milchkaffeebraunen Pünktchen auf Eriks Haut nicht länger auf dessen Schultern beschränkten, sondern sich über Handrücken, Nase, Wangen und seine Stirn ausbreiteten.
„Guck nicht so“, murmelte Erik zwischen seinen Fingern hervor.
„Wie gucke ich denn?“
„Als könntest du dich nicht entscheiden, ob du mich auslachen oder vernaschen willst.“
Ertappt. „Beides, ehrlich gesagt.“
Erik ließ die Hände sinken, seine Lippen einen Spalt geöffnet. „Hotel?“
„Hotel“, bestätigte Marco. Seiner Seekrankheit geschuldet, hatten sie seit ihrer Ankunft das Doppelbett in ihrer Kabine ausschließlich zum Schlafen genutzt und anfänglich nicht einmal das ungestört. Allmählich verkam die permanente Übelkeit jedoch zum Hintergrundrauschen und machte Platz für ein ganz anderes Bedürfnis.
Hastig verstauten sie ihre Badesachen. Flüchtige Berührungen und brennende Blicke begleiteten sie auf dem Rückweg zur Segelyacht.
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Die Kabinentür flog auf, Erik hindurch und gegen das Bett. „Uff!“
„Scusami.“ Marco schloss die Tür deutlich behutsamer, als er sie geöffnet hatte. „Alles okay?“
Erik antwortete, indem er sich das Shirt über den Kopf zerrte. Im nächsten Schritt schälte er sich aus seinen gletscherblauen Bermudas. „Jetzt steh da nicht rum. Küss mich.“
Das tat Marco. Er schmeckte Salz, einen Rest Meer und Schweiß, und darunter Erik, der ihn mit einem kaum zu seinem sehnigen Körper passen wollenden Grollen näher zog. Schlanke Finger stahlen sich unter Marcos Oberteil, tanzten über seinen Bauch und nestelten ungeduldig am Knopf seiner Hose.
„Du gehst ja ganz schön ran“, brummte Marco in ihren Kuss. Eriks Hände hielten inne.
„Findest du das doof?“
„Wie kommst du denn darauf?“
Erik zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass du gerne den Ton angibst.“
„Ist das dein Ernst? Du weißt das, weil ich es dir erzählt habe! Was ich getan habe, nachdem du bei dem Thema ewig nicht locker lassen wolltest! Dreh mir jetzt bitte keinen Strick aus meiner Offenheit!“ Dieses Geständnis hatte Marco auch so mehr als genug Überwindung gekostet.
„Ich drehe überhaupt keinen Strick!“, protestierte Erik.
„Worüber sprechen wir dann hier? Können wir uns bitte einfach wieder küssen?“
„Okay! Ist ja gut!“ Hart prallten Eriks Lippen auf Marcos, während seine Finger an den verbliebenen Klamotten zerrten. Erst landete Marcos Oberteil auf dem Boden, dann Hose und Boxershorts und im Anschluss Marco rücklings auf dem Bett, Erik über ihm.
Marco widerstand der Versuchung, seine Hände in Eriks Haar zu krallen und dessen Kopf in südlichere Gefilde zu dirigieren. Erik reagierte sensibel auf jede Art Druck, egal ob körperlich oder emotional, und Marco fürchtete, die wacklige Stimmung endgültig zu ruinieren, wenn er zu fordernd agierte.
Glücklicherweise überschnitten sich ihre Pläne. Ohne große Umschweife rutschte Erik tiefer, hauchte auf dem Weg vereinzelte Küsse auf Marcos Brust und Bauch und umfasste seine Erektion, die Lippen Millimeter von der empfindlichen Spitze entfernt. Der Kontrast zwischen kühlen Fingern und warmem Atem stellte die Härchen auf Marcos Unterarmen auf.
„Sekunde …“ Marco griff nach dem vorsorglich neben dem Bett gelagerten Kulturbeutel. Er durchwühlte den Inhalt, fand eine Packung Taschentücher, Kaugummis gegen Reisekrankheit und eine Nagelfeile, aber nicht, wonach er eigentlich suchte. „Cazzo!“
Erik kniete auf der dünnen Matratze, eine Hand an Marcos inzwischen schmerzhaft harter Erektion, die andere locker auf dessen Oberschenkel abgestützt. „Was suchst du?“
„Was wohl? Gummis. Ich bin sicher, dass ich sie eingepackt habe!“
„Ah. Hast du. Ich habe sie wieder rausgenommen.“
„Was? Wieso?“
Ein Lächeln huschte über Eriks Lippen. Langsam und ein wenig verschmitzt. „Weil mir sehr bewusst ist, dass ich mein Versprechen, in Zukunft darauf zu verzichten, bisher nicht eingehalten habe. Ich dachte, der Urlaub ist eine gute Gelegenheit, das zu ändern.“
Marco schloss seinen offenstehenden Mund. Zwei Sekunden später öffnete er ihn wieder. „Du musst nicht …“
„Aber ich will.“ Eriks Lächeln verdeckte seine Nervosität nur bedingt, doch er schien entschlossen, seinen Plan durchzuziehen. Resolut drückte er Marcos Schultern nach unten, atmete hörbar durch und–
„Heilige ...!“ Marco wusste, dass Erik beim Blasen mit einem geschickten Mund und einer gehörigen Portion Enthusiasmus gesegnet war, aber diese Vorzüge nach eineinhalb Jahren erstmals ohne Kondom zu erleben, drohte, sein Gehirn in Wackelpudding zu verwandeln. „Erik! Wenn du so weitermachst, dann …!“
Erik stoppte, behielt Marcos Erektion jedoch zwischen seinen Lippen. „Hm?“ Die Vibration seines Brummens sandte winzige Feuerwerkskörper durch Marcos Nerven.
Ergeben schloss er die Augen. „Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
„Mhm.“ Allerdings brachte Erik die Sache weit langsamer zu Ende, als er sie begonnen hatte. Genaugenommen ließ er sich alle Zeit der Welt, bis sich Marco bebend unter ihm wand, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Er wollte in den blonden Haarschopf vor ihm greifen, ihn runterdrücken, ganz ausfüllen, wollte, dass Erik ihn schmeckte, wollte …
„Wie ungeduldig du bist.“
Eine schreckliche Sekunde fürchtete Marco, seinem Verlangen nachgegeben und seine Fantasien in die Tat umgesetzt zu haben. Doch seine Hände krallten sich brav ins Bettlaken, nicht in Eriks Strähnen.
„Hast du die Nase voll davon, dass ich dich so trieze?“, nuschelte Erik. Nicht einmal beim Sprechen nahm er seine Lippen von Marcos Erektion. „Kann ich gut verstehen.“ Seine schlanken Finger – keine Spur mehr von Nagellack – legten sich um sein eigenes Glied. „Ich mag auch nicht länger warten.“
Und er ließ sie nicht warten.
Ihr kombiniertes Stöhnen im Ohr, schmolz Marco unter der Hitze, die ihn umschloss. Am Rande nahm er die Tröpfchen wahr, die seine Oberschenkel besprenkelten, aber da überrollte ihn schon sein eigener Höhepunkt, lange zurückgehalten und dafür umso intensiver. „Porco dio, Erik!“ Nach Luft schnappend vergaß Marco, was er eigentlich hatte sagen wollen und schwieg.
„Hmm?“ Sichtlich zufrieden leckte sich Erik über die Lippen. Ein Anblick, der neues Leben in Marcos matte Männlichkeit brachte.
„Du bist unmöglich.“ Marco zog Erik zu sich, schreckte allerdings zurück, als dieser Anstalten machte, ihn zu küssen. „Äh, versteh das jetzt nicht falsch, aber … das ist nicht so meins.“
Erik hob eine Braue, griff über Marco hinweg zu der Ablage, auf der neben dem Kulturbeutel eine Flasche Wasser stand, und trank einen Schluck. „Oder muss ich extra Zähneputzen?“
„Nah. Und das bedeutet auch nicht, dass ich mich davor ekle, es dir mit dem Mund zu machen. Ich steh nur nicht drauf, mich selbst zu schmecken.“
„Ist in Ordnung. Du darfst genauso deine Vorlieben und Grenzen haben wie ich.“ Nun holte sich Erik seinen Kuss, der nach Wasser und ihm selbst schmeckte „Was mich darauf bringt …“ den Blick auf Marco gerichtet, stützte er sich auf dem Ellenbogen ab. „Ich meine mich daran zu erinnern, dass wir damals nicht nur über das Weglassen der Kondome gesprochen haben.“
„Äh, sì.“
„Du weißt, dass ich neulich den vorletzten Termin mit meiner Therapeutin hatte?“
„Sì.“
„Sie hat mir – uns – grünes Licht gegeben, eine, ah, härtere Spielart auszuprobieren. Wir sollen langsam starten und ich soll gut darauf achten, wie es mir dabei geht, aber grundsätzlich spricht nichts dagegen.“
„Oh. Okay.“
„Das ist nicht der Freudenschrei, den ich erwartet hatte.“
„Scusa.“ Marco setzte sich auf, in der Hoffnung, durch die Bewegung einen klareren Kopf zu bekommen und das flaue Gefühl, das sich von seinem Magen aus ausbreitete, loszuwerden. Ein erneuter Anflug von Seekrankheit, oder schlichte Nervosität? „Woran hattest du für den Anfang gedacht?“
„Ist irgendwie kontraproduktiv, wenn ich auswähle, oder nicht?“
„Ich will sichergehen, dass ich keine Grenzen überschreite. Schon gar nicht beim ersten Mal.“ Wollte Erik überhaupt ‚härtere Spielarten‘? Oder ertrug er sie Marco zuliebe? Hatte sich Marco am Ende gar anmerken lassen, wie oft er beim Sex in gewisse Fantasien flüchtete?
„Du könntest mich fesseln“, schlug Erik vor. „Das wäre vielleicht ein ganz guter Einstieg, was denkst du? Eigentlich sogar ziemlich vanilla.“
„‚Vanilla‘?“, wiederholte Marco unfreiwillig belustigt. „Welches Vögelchen hat dir denn dieses Wort gezwitschert?“
Eriks Ohrspitzen färbten sich rot. „Du weißt, dass ich gerne recherchiere, wenn ich mit einem neuen Thema konfrontiert werde.“
„Und wohin haben dich deine Recherchen so geführt?“
„In ein paar, ah, interessante Ecken.“ Erik rollte mit den Augen. „Lach nicht so! Ich mag es eben nicht, komplett ahnungslos auf irgendwas zuzusteuern.“
„Abgesehen von einem gemeinsamen Urlaub?“ Immerhin hatte Erik Marco hier vollständig freie Hand gelassen, ohne ein einziges Mal nachzufragen oder Forderungen zu stellen.
„Da war ich nicht komplett ahnungslos“, widersprach Erik. „Ich weiß, was ‚verreisen‘ bedeutet, ich kenne Italien und, das Wichtigste, ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Der letzte Punkt gilt übrigens auch für das andere Thema.“
Gerührt schluckte Marco gegen einen Kloß in seinem Hals an. Gleichzeitig erweckte das Gesprächsthema eine andere Körperstelle zu neuem Leben – eine Kombination aus Emotionen, die er so bisher noch nicht erlebt hatte.
„Also?“, fragte Erik, als er keine verbale Antwort erhielt. „Klingt fesseln gut für dich?“
„Sì.“ Marco sah sich in ihrer Kabine um. „Allerdings werden wir damit warten müssen, bis wir wieder zuhause sind. Außer, du hast zufällig Handschellen ins Gepäck geschmuggelt?“
„Selbstverständlich habe ich das. Dazu Gummimasken, Buttplugs, Nippelklemmen, eine Reitgerte und–“ Erik brach in Gelächter aus. „Himmel, du guckst mich an, als würdest du mir das voll zutrauen.“
„Nun ja, Mr. Recherche, du hast erfolgreich Kondome aus dem Gepäck rausgeschmuggelt, warum sollte ich nicht glauben, dass du zum Gegenteil fähig bist?“ Auch Marco lachte. Lachen half, über die Nervosität hinwegzukommen, und die Befürchtung, Erik unwissentlich zu Dingen zu überreden, die dieser im Grunde überhaupt nicht wollte. „Also keine Handschellen?“
„Tut mir leid. Keine Handschellen.“
„Dann könnte ich mir höchstens irgendeines der Seile hier ausleihen und dich, äh …“
„Vertäuen?“, schlug Erik vor. „Ich fürchte, so wenig wie mein zartes Näschen die italienische Mittagssonne aushält, so wenig ertragen meine zarten Handgelenke raue Schiffsseile.“
„Auch gut.“ Marco hauchte einen Kuss auf Eriks Nasenspitze und wuschelte durch sein salzverkrustetes Haar. „Dann eben nach dem Urlaub.“ In den letzten Wochen, die uns bleiben.
Dieser Gedanke hielt sich in Marco hartnäckiger als die Seekrankheit. Es war der erste, wenn er morgens aufwachte und der letzte, mit dem er schlafen ging. Jeden einzelnen Tag zehrte er an Marco und das Schlimmste war, dass Marco insgeheim Erik die Schuld daran gab. Eriks Ehrgeiz hatte sie in diese Situation gebracht; dieser verbissene Wunsch, seinem Traum vom Medizinstudium hinterherzuhetzen, egal, wohin er ihn führte. Egal, wie weit weg von Marco er ihn brachte. Womit er Marco zwang, selbst eine Entscheidung zu treffen: War er bereit, ihrer Beziehung zuliebe seine Heimat aufzugeben und Erik nach Berlin zu folgen?
Kommentar
Frohe Weihnachten, ihr Lieben! Es ist unfassbar, wie viele von euch meine Geschichten jetzt schon über die Jahre hinweg begleiten. Daher an dieser Stelle einen von Herzen kommenden Dank an alle alten und neuen Leser, und für die vielen tollen Kommentare, die ihr mir schreibt. Ich weiß, ich hinke beim Beantworten gerade fürchterlich hinterher, aber ich lese jeden einzelnen (mehrfach) und werde nie aufhören, mich darüber zu freuen! Habt ein paar erholsame Tage, wir lesen uns im neuen Jahr ;)