Was zuletzt geschah:
Drago hat einen Job! In seiner Aufregung, Marco so schnell wie möglich davon zu erzählen, macht er unerwartet Bekanntschaft mit dessen Schwester Giulia und zieht sich überfordert zurück. Nicht der Eindruck, den er bei einem ersten Treffen hinterlassen wollte. Ob ein gemeinsamer Grillausflug besser läuft?
Kapitel 49
Der Duft von Gegrilltem lag in der Luft und Marco wandte den Kopf, um dessen Ursprung auszumachen. Keine große Herausforderung, da der über alle hinausragende, weißblonde Schopf des Verantwortlichen leuchtete wie eine zweite Sonne.
So sehr Drago Kochen verabscheute, Grillen schien für ihn in eine andere Kategorie zu fallen. Nicht nur hatte er sich um die komplette Organisation gekümmert – vom Heraussuchen des Grillplatzes übers Einkaufen bis zum Marinieren – er übernahm auch die verantwortungsvolle Aufgabe, Fleisch, Gemüsespieße und Brot über glühenden Holzscheiten bis zum perfekten Garpunkt zu rösten. So vertieft bemerkte er nicht einmal Marcos Starren.
Giulia entging es hingegen nicht. „Na? Genießt du die Aussicht?“
„Sì. Ich denke, ich gehe mal näher ran.“ Rasch verteilte Marco das restliche Besteck und die eigens für diesen Ausflug angeschafften Plastikteller auf dem zum rustikalen Tisch verwandelten Baumstamm. Sobald alles an seinem vorgesehenen Platz lag, gesellte er sich einige Meter weiter zu Drago und dem Grill. „Kann ich helfen?“
Drago hatte nur einen flüchtigen Blick für ihn übrig. „Ich komme klar. In zehn Minuten können wir essen.“
„Dann leiste ich dir bis dahin Gesellschaft.“ Biancas ausgelassenes Quietschen wehte zu ihnen herüber. „Du hast echt einen tollen Platz für heute ausgesucht.“ Nur über einen Wanderweg zu erreichen und daher weniger überlaufen als andere öffentliche Grillplätze, aber nah genug, damit Giulia die Strecke trotz inzwischen beeindruckenden Schwangerschaftsbauchs schaffte, versteckte sich der Platz in einem Waldstück, umringt von Bäumen und Vogelgezwitscher. In der Mitte, sicher von Steinen ummauert, befanden sich mehrere Feuerstellen, und der umgebende Wald bot genug trockenes Holz, um das aufwändige Heranschleppen von Grillkohle zu ersparen.
Ein Stück abseits, von den diversen Sitzmöglichkeiten aus jedoch gut einsehbar, gab es einen kleinen Abenteuerspielplatz. Aktuell jauchzte Bianca in einer der kleinkindgerechten Schaukeln, wann immer Giovanni dieser einen kräftigen Schubs verpasste.
„Warst du schonmal hier?“
„Zum Joggen“, beantwortete Drago Marcos Frage. „Gegrillt habe ich hier bisher nicht.“ Auch er beobachtete Bianca und ihren Vater. „Ich bin erleichtert, dass es euch gefällt.“
Marco drückte seine Hand. Drago neigte nicht zu Unsicherheit, doch die letzten Tage hatten merklich an seinem Nervenkostüm gezehrt. Ein wenig hatte Marco Mitleid, gleichzeitig fand er es unheimlich süß, wie sehr sich Drago bemühte, einen guten Eindruck bei seiner Familie zu hinterlassen.
Was ihm, soweit Marco das beurteilen konnte, bestens gelang. Wie üblich sprach Drago nicht viel, eine Eigenheit, die Marco und Giulia problemlos ausglichen. Innerhalb der halben Stunde, die sie gebraucht hatten, um den Grillplatz zu erreichen, hatte Giulia Drago detailliert darüber ausgehorcht, was er machte, woher er kam und was er sich für die Zukunft wünschte.
Drago sammelte Pluspunkte, indem er alle ihre Fragen auf seine typische Art beantwortete. Knapp, ehrlich und direkt. Dass dabei rote Flecke über seinen Hals krochen, die nichts mit der Sommersonne zu tun hatten, bemerkte vermutlich nur Marco.
Er legte eine Hand in Dragos Nacken, um ihn für einen Kuss zu sich zu ziehen.
Drago runzelte die Stirn, gab schließlich jedoch nach. „Du lenkst mich ab“, murrte er gegen Marcos Mund. „Geh zu den anderen. Ich rufe euch, wenn das Essen fertig ist.“
Brav kam Marco der Aufforderung nach, doch das Prickeln, wo ihre Lippen sich berührt hatten, blieb ihm erhalten. Dragos Bereitwilligkeit, ihn zu küssen, selbst in der Öffentlichkeit, sofern sie es beide als sicher einschätzten, überraschte ihn noch Wochen nach ihrer Aussprache und dem vorsichtigen Start ihrer Beziehung. Doch eigentlich sollte es das nicht, denn wie oft hatte Drago wiederholt, dass er keine halben Sachen machte? Nein, er sagte es nicht nur, er bewies es Tag für Tag, und Marco merkte, wie gut ihm diese Verlässlichkeit tat.
Drago sagte, was er dachte und meinte, was er sagte. Kein Rätselraten, kein zwischen den Zeilen lesen, keine permanente Sorge, sich einen Fehltritt geleistet zu haben, der ab da unbemerkt schwelte. Wenn sich Drago an etwas störte, sprach er das deutlich aus. Marco tat dasselbe. Beides kam vor, allerdings selten und ohne, dass danach böse Gefühle zurückblieben.
Die weiterhin ausstehende Entscheidung über Dragos Aufenthaltserlaubnis trübte die Stimmung ein wenig, hier hatte ihnen aber zumindest das Gespräch beim Anwalt die schlimmsten Ängste genommen.
Da Drago seinen Abschluss an einer deutschen Uni machte, standen seine Chancen gut, bleiben zu dürfen. Mit dem Stellenangebot sogar ausgezeichnet, sofern er nicht an einen miesgelaunten Sachbearbeiter geriet. Und selbst dann wäre nicht alles verloren, denn dank Eriks Unterstützung stand ihnen nun zur Not ein kompetenter Rechtsbeistand zur Seite – der Ratenzahlung akzeptierte.
Dennoch spürte Marco Dragos innere Zerrissenheit. Er wollte bleiben, wollte sich eine Karriere aufbauen und die Freiheit genießen, nicht ständig einen Teil von sich zu verstecken. Das alles änderte nichts daran, dass er seine Familie vermisste. Im Augenblick mochte Drago dafür kämpfen in Deutschland zu leben, doch innerlich stellte sich Marco darauf ein, ihn eines Tages loslassen zu müssen.
Marcos Handy, das in seiner Hosentasche vibrierte, bot eine willkommene Ablenkung von diesen trüben Gedanken. Nur kurz, also kein Anruf, sondern eine SMS. Von Erik.
Hey :) Ich komme im November nach Stuttgart, um mich von Giulia, Bianca und Giovanni zu verabschieden. Vielleicht sehen wir uns ja? Oder ist das komisch?
Unentschlossen schwebten Marcos Finger über den Tasten. War es komisch?
„Wir können essen.“
Marco sah zu Drago, der wiederum auffordernd zurückblickte, die Grillzange in der Hand. Warum nicht gleich die Frage an der richtigen Adresse platzieren, anstatt sich ewig den Kopf darüber zu zerbrechen. „Erik hat eben geschrieben, dass er im November nach Stuttgart kommt“, erzählte er, während er Drago einen Stapel Teller reichte. „Würde es dich stören, wenn ich ihn mal auf einen Kaffee treffe?“ So. Nun durfte Drago ebenso direkt antworten, wie Marco gefragt hatte.
„Haben sich deine Gefühle für ihn geändert?“
„Natürlich nicht!“
„Warum sollte es mich dann stören?“ Drago stapelte Grillgut auf den von Marco bereitgestellten Tellern. „Bei genauerem Überlegen ist es sogar völlig egal, wie du für ihn empfindest. Falls sich deine Gefühle geändert hätten, welchen Unterschied würde es machen, dir zu verbieten, ihn zu sehen?“
„Meine Gefühle haben sich nicht geändert.“
„Ich glaube dir“, entgegnete Drago ruhig. „Ich habe lediglich versucht zu erklären, weshalb ich es unsinnig finde, dir vorzuschreiben, mit wem du dich treffen darfst.“
„Gefühle sind aber nicht immer logisch. Selbst wenn du es logisch betrachtet Unsinn findest, kann es dich ja trotzdem stören. Also … ist es okay, wenn ich ihn treffe?“
Drago warf Marco einen langen Blick zu, beide Brauen nach oben gezogen, als fragte er sich, weshalb er sich permanent wiederholen musste. „Ja.“ Sein Ausdruck wandelte sich, verlor seine Sicherheit. „Darf ich mitkommen? Nur für ein paar Minuten. Ich würde mich gerne persönlich bei Erik für seine Hilfe mit dem Anwalt bedanken. Danach lasse ich euch allein.“
„Von mir aus gern.“ Erik und Drago miteinander bekanntzumachen, löste möglicherweise Marcos Problem, nie zu wissen ob und wie er den einen dem anderen gegenüber erwähnen sollte. Sofern es gut ausging. „Äh, ich frage aber nochmal Erik direkt, ja?“ Und anders als bei Drago, tat Marco gut daran, genau auf die Zwischentöne in dessen Antwort zu achten. Denn selbstverständlich würde Erik zustimmen, schon allein, weil er wollte, dass es ihn nicht verletzte. Ob das dann auch stimmte, stand auf einem ganz anderen Blatt.
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Marco hätte Drago stundenlang beobachten können. Die Präzision, mit der er sein Essen in mundgerechte Happen schnitt. Das amüsierte Lächeln, das er Bianca schenkte, als eine Löffelladung ihren Mund verfehlte und stattdessen auf seinem Schoß landete. Die Ernsthaftigkeit, mit der er Giulias Fragen beantwortete und die Momente, in denen er so tief in ein Gespräch mit Giovanni versank, dass keiner der beiden bemerkte, was um sie herum passierte. All das brannte Marco in sein Gedächtnis ein.
Je mehr man die Zeit genoss, umso rasanter verging sie, und so neigte sich der Tag überraschend früh dem Ende entgegen. Nach dem Essen verstaute Marco die mitgebrachten Plastikteller in ihrer Kühltasche, um sie zuhause abzuwaschen und für den nächsten Grillausflug aufzubewahren. Dabei ging ihm Giulia zur Hand, hauptsächlich, indem sie die letzten Reste des Nachtischs aus der Schüssel löffelte.
„Da haben sich zwei gefunden.“ Sie nickte zu Giovanni und Drago, die sich die schwere Aufgabe teilten, Bianca auf der Schaukel anzustupsen, ohne dabei ihre Diskussion zu unterbrechen. Irgendwas über den Bau der historischen Kirche in Giovannis Heimatdorf. Marco schaltete ziemlich schnell ab, wann immer sein Schwager darüber referierte, doch Drago, der sich sowohl für Architektur als auch Geschichte interessierte, entpuppte sich als dankbarer Zuhörer.
„Schön, dass sich die beiden so gut verstehen“, sagte Marco und meinte es. „Drago war ziemlich nervös wegen heute, weil euer erstes Aufeinandertreffen so komisch lief. Dass du da warst, hat ihn damals ziemlich überrumpelt.“
Giulia lachte. „Ist mir aufgefallen. Ich habe dir aber schonmal gesagt, dass ich deiner Menschenkenntnis vertraue. Da ist es egal, dass er das letzte Mal gewirkt hat, als würde er am liebsten die Flucht ergreifen. Außerdem gefällt mir, wie er dich ansieht.“
„Ach ja? Wie sieht er mich denn an?“
Giulias Grinsen weitete sich. „So, wie du ihn.“
Überrascht blickte Marco von ihr zu Drago, der sich aktuell allerdings vollends darauf konzentrierte, Bianca beim Schaukeln anzuschieben und Giovannis Erläuterungen zu lauschen. Andererseits brauchte Marco gar keinen Beweis für Giulias Behauptung.
Gestern Abend war er völlig ausgelaugt von einem langen Arbeitstag neben Drago eingeschlafen, und heute früh zum Geräusch seiner blubbernden Cafétiere aufgewacht. Noch während er versucht hatte, mithilfe des Kaffees in die Gänge zu kommen, hatte Drago die Wohnung auf Hochglanz gebracht, Frühstück organisiert, alles Wesentliche fürs Grillen vorbereitet und generell sein Bestes gegeben, Marco jede Arbeit abzunehmen, die er ihm abnehmen konnte. Anschließend wären sie beinahe zu spät zu ihrem Treffen mit Giulias Familie gekommen, weil sie es nicht schafften, die Finger voneinander zu lassen.
Marco musste aufhören, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was passierte, wenn Drago nach Serbien zurückging, und stattdessen anfangen zu genießen, was er hatte. Einen Mann, einen Partner, der ihm jeden Tag, jede Stunde, mit jeder Geste und jeder Berührung zeigte, was er für ihn empfand. Einen Partner, der Marco so liebte, wie Marco ihn.
Nein, er durfte sich nicht ständig den Kopf zerbrechen. Außer über Eriks anstehenden Besuch. Der machte ihn völlig zurecht nervös.
Kommentar:
Hat ja super funktioniert mit dem 14-tägigen Rhythmus :D Sorry! Zu meiner Verteidigung: Ich war erst im Urlaub und dann krank. Jetzt bin ich aber wieder fit und kann endlich das vorletzte(!) Kapitel hochladen. Als nächstes kommt das große Finale. Dann noch ein kleiner Epilog + ein Sneak Peek ins neue Projekt.