Was zuletzt geschah:
Erik geht in Berlin weiter seinen eigenen Weg. Zunehmend bedeutet das, sich neben seiner Zukunft auch mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen – insbesondere mit dem Tod seiner Eltern. Hier findet er in Tyler einen unerwarteten Verbündeten, der ihm einen lange gehegten Wunsch erfüllt.
Kapitel 42
Aus dem Augenwinkel nahm Erik den silbrigen Schimmer wahr, der ihn seit zwei Wochen begleitete. Er wandte sich dem Spiegel zu, um die beiden Stecker in seinem linken Ohrläppchen zu betrachten.
Er fühlte sich gut damit. Fühlte sich gut, weil er den Mut aufgebracht hatte, seiner Angst ins Gesicht zu blicken und sich einen lange gehegten Wunsch zu erfüllen. Er fühlte sich gut, weil er einen Weg gefunden hatte, eine Erinnerung an seine Eltern bei sich zu tragen, die ihn mit Wärme erfüllte. Und er fühlte sich gut, weil er sich mit den Ohrsteckern gefiel.
Ihm gefielen seine langen Haare, seine Kleidung, seine bunt lackierten Nägel und die beiden silbernen Pünktchen in seinem Ohr. Mit jeder Veränderung eroberte er sich diesen Körper, der ihm in der Vergangenheit oft fremd und fern erschienen war, ein Stückchen weiter zurück. Er begann sogar, sich mit seinen Narben zu versöhnen. Sowohl denen, die er sichtbar auf der Haut trug, als auch jenen in seinem Inneren.
Und exakt das wollte er heute feiern.
Der Gedanke, im Duo aufzukreuzen und dort Tyler zu begegnen, machte Erik nervös, gleichzeitig genoss er diesen Nervenkitzel. Er durfte nur keine zu großen Erwartungen an den Verlauf des Abends entwickeln.
Vielleicht gab Tyler ihm eine zweite Chance. Vielleicht nicht. Vielleicht fand Erik in diesem Fall Mut und Gelegenheit, mit einem anderen neue Erfahrungen zu sammeln, und wenn auch das nicht sein sollte, musste er sich eben mit seinen eigenen Händen begnügen. Die wussten zumindest genau, was er mochte.
Er probierte sich durch seinen Kleiderschrank, bis die Reflexion in seinem Spiegel ihn glücklich machte, dann brach er auf in die Nacht.
~~~~~~~~~~
Erik rannte gegen eine Wand aus Gerüchen, Geräuschen, flüchtigen Berührungen und Hitze. Wohin er blickte, wogten Körper zu Basswellen, bildeten eine undurchdringliche Masse. An den Rand gedrängt suchte er nach einer Lücke, die ihm einen Pfad zur Bar und dem Cocktail, auf den er sich bereits den ganzen Tag freute, eröffnete. Nach mehreren erfolglosen Minuten wechselte er die Taktik.
Mit einem gezielten Schritt vorwärts ließ er sich von der Menge verschlucken. Wenn er nicht gegen den Strom schwimmen konnte, dann trieb er eben mit ihm, in der Hoffnung, irgendwann nah genug an sein eigentliches Ziel zu kommen. Über Köpfe hinweg erspähte er sogar kurz das dunkle Holz der Bar, umringt von jungen Männern, die Gläser in den Händen hielten, oder Geld, das sie in absehbarer Zeit gegen Alkohol tauschen wollten.
Keine Chance durchzukommen. Schon verschob sich die Masse um ihn herum, sog ihn tiefer in ihre Mitte. Eine Hand, die seine Hüfte streifte, vielleicht absichtlich, vielleicht der Enge der Tanzfläche geschuldet, ein Lächeln an der Grenze seines Sichtfelds, zu schnell verschwunden, um ihm ein Gesicht zu geben. Heißer Atem an seinem Ohr, fort, bevor er ihn wirklich wahrnahm.
Ein Teil von Erik flehte, zu flüchten, weg von der Menschenmasse, weg von den Körpern, die sich gegen seinen drängten. Ein anderer Teil sehnte sich nach ihnen; danach, das Flattern ihres Pulses unter seinen Lippen zu spüren und das Verlangen nach ihm in ihren Augen zu sehen.
Eine Hand um seinen Oberarm drehte ihn um die eigene Achse. Eriks instinktive Reaktion – Abstand zwischen sich und den Fremden bringen, selbst wenn er dafür die Leute hinter ihm niedertrampeln musste – setzte glücklicherweise einen Sekundenbruchteil nach der Erkenntnis ein, wer ihn da gepackt hatte. Dennoch sah man ihm den Schreck wohl an, denn Tyler ließ seinen Arm mit einem entschuldigenden Lächeln los.
Der Song, der über ihren Köpfen wallte, wechselte und mit ihm die Bewegungen der Menschen um sie herum. Lauter und ausgelassener trieben sie Erik und Tyler zusammen, bis nur eine schmale Lücke zwischen ihren Körpern blieb. Tyler legte eine Hand an Eriks Kinn und beugte sich vor. Eriks Lippen öffneten sich unter der Erwartung, endlich wieder geküsst zu werden.
Nur, dass Tyler das nicht tat. Anstatt Eriks Mund zu erobern, drehte er seinen Kopf zur Seite und inspizierte die Piercings. Als er sich aufrichtete, musste er zumindest ahnen, was Erik dachte, denn die Belustigung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
Wo ist nur der Junge geblieben, der mich im Duo gepackt und halb besinnungslos geknutscht hat?, hatte Tyler Erik im Piercingstudio gefragt. Bedeutete das, er wollte von ihm geküsst werden? Oder interpretierte Erik zu viel in einen flapsigen Spruch?
Es gab nur einen Weg, das herauszufinden, doch Erik zögerte. Jedenfalls hätte er gezögert, hätte sich nicht in genau diesem Moment jemand dazu entschieden, gegen seinen Rücken zu rempeln und ihn einen halben Schritt nach vorne zu befördern.
Ihre Körper kollidierten, Erik hörte Tyler nach Luft schnappen und dann lagen ihre Lippen aufeinander, möglicherweise nicht ganz ohne Eriks Zutun. Nach den ersten zwei Herzschlägen zog er sich zurück, gerade weit genug, um noch Tylers Atem zu spüren, und ihm die Gelegenheit zu geben, der Bewegung zu folgen, wenn er mehr wollte.
Tyler wollte. Beide Hände an Eriks Hüften, drängte er sich gegen ihn, versiegelte ihre Lippen erneut miteinander. Wie gewohnt schmeckte er nach kalten Zigarettenrauch, und mal wieder verstand Erik nicht, weshalb ihn das erregte, statt abzustoßen. Vielleicht, weil er es aufregend fand. So wie den harten Kontrast der Piercings zu Tylers nachgiebiger Zunge, das weiche Haar, das seine Fingerspitzen kitzelte und das Publikum um sie herum, das sie vermutlich ignorierte, möglicherweise aber auch nicht.
Die Welt um Erik verengte sich, schmolz zu den Punkten zusammen, an denen sich ihre Körper berührten. Sein Mund, seine Hüften, seine Hände in Tylers Nacken. Ihre gegeneinander reibenden Erektionen. Er löste sich lange genug von Tyler, um atemlos in sein Ohr zu krächzen: „Zu mir?“
Zur Antwort hakte Tyler seine Finger in Eriks Gürtel und schleifte ihn von der Tanzfläche. Wie er es schaffte, sich so geschickt durch die Menge zu bewegen, die keinerlei Anstalten machte, freiwillig das Feld zu räumen, blieb Erik ein Rätsel. Kurz blitzte Protest in ihm auf, dass er noch keine Gelegenheit gehabt hatte, sich seinen Cocktail zu organisieren, dann streiften Tylers Finger wie zufällig über seine Erektion und bliesen jeden anderen Gedanken fort.
~~~~~~~~~~
Die Wohnungstür flog auf, und Erik und Tyler hindurch. Sie schafften es nicht bis ins Schlafzimmer.
Tyler keuchte, als Erik ihn gegen die Rückenlehne der Couch stieß, den Mund gegen seinen Hals gepresst, den salzigen Geschmack von Schweiß auf der Zunge. Fahrig löste Tyler Eriks Gürtel und setzte an, den obersten Knopf seiner Hose zu öffnen, doch Erik stoppte ihn. Seine Unsicherheit hatte die Oberhand gewonnen. „Was, wenn ich etwas tue, das dir nicht gefällt?“
„Easy. Ich sage ‚Stopp‘ und du hörst auf.“ Seinen Körper gegen Eriks geschmiegt, raunte Tyler: „Außerdem mag ich es, wenn du ein bisschen grob wirst.“
Einfach, nannte Tyler es und er hatte ja recht damit. Sagen, was man wollte, sagen, was man nicht wollte, und auf seinen Partner achten, sollte nicht schwierig sein. Bei letzterem sah Erik tatsächlich wenig Probleme, aber die beiden ersten Punkte bereiteten ihm Sorge. Eine falsche Berührung oder ein unbedachtes Wort liefen immer Gefahr, ihn zu triggern und den Abend zu ruinieren. Das mochte länger nicht mehr vorgekommen sein, dennoch saß die Angst ausreichend tief, um Eriks Erregung einen deutlichen Dämpfer zu verpassen.
Diese Veränderung entging Tyler nicht. Er musterte Erik, ein amüsiertes Halblächeln auf den Lippen, sein Blick jedoch messerscharf. „You okay?“
Ah Himmel, dieser Abend lief genauso schief wie der letzte. „Entschuldige, ich bin nervös“
„Du siehst aus, als hätte ich gerade eine Nadel ausgepackt.“ Tyler strich über seine Erektion. „Keine Sorge, so dünn ist er nicht.“
Das rang Erik ein heiseres Lachen ab.
„Und beißen tue ich auch nicht.“ Tylers Lächeln weitete sich, bis seine Eckzähne hervorblitzten. „Außer, du stehst drauf.“
Erik suchte nach einer lockeren Erwiderung, die Erotik in die Atmosphäre zurückbrachte, und scheiterte. Nach einer halben Minute gab er auf. Egal, was ihm jetzt noch einfiel, der Moment war nutzlos verstrichen. Tyler konnte sich sicher kaum halten vor Lust. Wer stand nicht auf betretenes Schweigen, das sich über den Raum legte wie ein Ölteppich übers Meer.
Wenigstens bedeutete das, dass Tyler freiwillig den Rückzug antreten würde, bevor sich Erik seine Niederlage eingestehen und den Abend für gescheitert erklären musste. „Tut mir leid. Du hattest dir die Nacht sicher anders vorgestellt.“
Tyler neigte den Kopf. „Willst du nicht mehr, oder denkst du, dass ich nicht mehr will?“
„Ich will dich. Mein Gehirn streikt nur gerade.“
„Weil du Angst hast, dass du etwas tust, das ich nicht mag.“
„Das. Und … weil ich Angst habe, dass eine ganz harmlose Geste von dir mich …“ Na komm, sprich es aus. Tyler sollte wissen, worauf er sich hier einließ. Oder eben nicht einließ. „Triggert.“
Unerwartet zart legte Tyler eine Hand an Eriks Wange, strich mit dem Daumen vom Wangenknochen bis zu den Lippen. „Was, wenn du den Ton angibst? Mir genau sagst, was ich tun soll. Macht es das einfacher für dich?“
„Ah … vielleicht?“ Denn natürlich konnte sich Erik nicht zu einem simplen ‚Ja‘ durchringen. Absolut nichts war einfach bei ihm. „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“ Wollte Tyler das überhaupt? Oder schlug er es nur ihm zuliebe vor?
„Kein Interesse?“
„Doch!“ Huh, die Deutlichkeit in Eriks Stimme überraschte ihn. „Wenn ich dir jetzt also sage, dass du mich küssen sollst–mh!“ Hungrig trafen Tylers Lippen auf Eriks, fegten Zweifel fort, gegen die die schönsten Worte nicht angekommen wären. Als Tyler Ansätze machte, seine Finger in Eriks Haar zu vergraben, packte er dessen Handgelenke und zog sie tiefer, bis sie stattdessen in seinem Nacken ruhten. „Nicht an den Haaren ziehen“, nuschelte er gegen Tylers Mund, ohne sie zu lange voneinander zu trennen.
Sicher, dass Tylers Hände bleiben würden, wo er sie wollte, ließ Erik von ihnen ab und seine eigenen unter Tylers Shirt verschwinden. Strich über weiche Haut, hervortretende Rippen und gepiercte Brustwarzen.
Ungeduldig drängte sich Tyler in die Berührung, presste seine Erektion gegen Eriks, machte mit jeder Faser seines Körpers deutlich, was er sich von diesem Abend erhoffte. „Fuck me“, keuchte er in Eriks Ohr. „Hard. Lass mich spüren, wie sehr du mich willst.“ Wie um Eriks nächstem Anfall von Unsicherheit zuvorzukommen, ergänzte er: „Solange ich nicht klar ‚Nein‘ sage, meine ich ‚Ja‘. So please, fuck me.“
Erik schloss die Augen, sein Gehirn völlig überfordert mit der Welle an Erregung, die über ihn rollte, und antwortete auf die einzige Art, die ihm einfiel.
Er verschloss Tylers Mund mit einem Kuss, bevor er noch mehr Worte ausspuckte, die Erik an den Rand eines Höhepunkts brachten, während seine Hände Tylers Taille umfassten. Mit einem Ruck nach oben, hob er ihn auf die Sofalehne.
Sofort wickelte Tyler die Beine um Eriks Hüften, presste sie enger zusammen als Erik vor fünf Sekunden für physikalisch möglich gehalten hätte. Kleidungsstücke fielen, ein Shirt, ein Hemd, ein Gürtel, schwer zu sagen, was wem gehörte und wer es auf den Boden beförderte. Oben ohne, die Hose aufgeknöpft, und den Reißverschluss geöffnet, stoppte Erik seine Versuche, Tylers Jeans von dessen Hüften zu ziehen, ohne ihn versehentlich von der Couchlehne zu schubsen. „Gut festhalten.“ Beide Hände unter Tylers Po, hob er ihn hoch.
Vergnügt lachend klammerte sich Tyler an Erik, die Arme um seinen Nacken, die Beine um seine Hüften geschlungen, die Zunge an seinem Ohr, offenbar fest entschlossen, ihn abzulenken.
„Wenn ich gegen den Türstock renne, ist das deine Schuld“, warnte Erik.
„Dass ich umwerfend bin, weiß ich auch so.“ Spielerisch knabberte Tyler an Eriks piercingfreiem Ohrläppchen. „Hey, außer Haareziehen, gibt es was, von dem du jetzt schon weißt, dass ich es bleiben lassen soll?“
Sein bettförmiges Ziel bereits vor Augen, blieb Erik stehen. Nachdenken und sie beide sicher vorwärts befördern, klappte nicht gleichzeitig. „Ah … Ich mag es nicht, wenn man meinen Kopf festhält, vor allem nicht beim Blasen. Passiven Analsex will ich auch nicht, eigentlich will ich gar nicht in diesem Bereich berührt werden, außer, ich sage dir explizit, dass es in Ordnung ist.“ Kurz überlegte er, seine Unterarme als Tabuzone zu nennen, entschied sich jedoch dagegen. Tyler musste die Narben inzwischen gesehen haben, und schien sich nicht daran zu stören, warum sollte Erik sie jetzt also unnötig zum Thema machen?
Mit zunehmend schwer werdenden Armen überwand Erik die letzten Schritte zum Bett und beförderte Tyler unzeremoniell auf ebenjenes. Anschließend krabbelte er über ihn. „Das sind die offensichtlichsten Dinge, die mir einfallen. Ah, warte. Da gibt es doch noch was. Ich mag Dirty Talk, vor allem, wenn du mir sagst, was dir gefällt, aber bitte sag nicht sowas wie ‚guter Junge‘ oder ‚brav‘ oder etwas in diese Richtung.“ Das erinnerte ihn zu sehr an seinen Ex.
Grinsend blickte Tyler zu Erik auf. „Du darfst mich auch knebeln.“
Inzwischen hatte Erik Tylers einfühlsame Seite oft genug erlebt, um seine humorvolle Reaktion zu genießen und sich dennoch sicher bei ihm zu fühlen. „Nur, wenn du zu frech wirst.“ Mit der Zunge erkundete er Tylers hervortretendes Schlüsselbein, lauschte dem kleinen Keuchen, das er damit auslöste. Aufmerksam betrachtete er den Mann unter ihm.
Das durchs Fenster scheinende Mondlicht beleuchtete Tylers blonden Wuschelkopf, fiel weich über seinen nackten Oberkörper und spiegelte sich in Piercings und lebhaften Augen. Schatten sammelten sich in der Kuhle seines Bauchnabels, lenkten Eriks Blick auf den darunterliegenden Pfad heller Härchen. „Arme über den Kopf“, wies er ihn an.
Ohne sein Lächeln zu verlieren, überkreuzte Tyler seine Handgelenke, streckte sich lang auf dem Bett aus, und spannte seine – überschaubaren – Muskeln. Seine bei dieser Aktion tief gerutschte Jeans enthüllte knochige Hüften und einen Streifen krausen Schamhaars. Oh, Erik könnte ihn ewig anstarren. Nun ja, möglicherweise nicht ewig, ein wenig mehr als das wollte er dann schon, aber der Anblick hatte ihm eine Idee eingebracht, die sich nicht vertreiben ließ. „Hey, ah … würdest du dich damit wohlfühlen, wenn ich deine Hände fessle?“
Tylers Zähne schimmerten weiß im Mondlicht, als sich sein Lächeln weitete. „Nur zu.“
Erik richtete seine in seiner Hose festgeklemmte Erektion zurecht, überlegte es sich dann anders und zog sich kurzerhand komplett aus. Nun in deutlich komfortablerer Situation, beugte er sich über Tyler, um die Handschellen aus der Nachttischschublade zu holen. Nach kurzem Zögern griff er sich bei dieser Gelegenheit auch gleich Kondome und Gleitmittel.
Erwartungsvoll folgte Tyler seinen Bewegungen, wackelte ein wenig mit den Hüften, hielt seine Arme jedoch brav über seinem Kopf verschränkt. „Du hast ja wirklich Handschellen da.“
„Dachtest du, ich bluffe?“
„Ich dachte, du improvisierst. Hatte dich nicht für jemanden gehalten, der sowas im Haus hat.“
Erik hob eine Braue. „Du musst mich wirklich für sehr langweilig halten.“
„Ich fange an, das zu überdenken.“ Tyler reckte den Kopf in Richtung Schublade. „Was hast du noch versteckt?“
„Hauptsächlich Chaos.“ Blind tastete Erik durch ebenjenes, bis sich seine Finger um das gesuchte Objekt schlossen. Mit Daumen und Zeigefinger hielt er die Nippelklemmen nach oben, die er vor einer gefühlten Ewigkeit für sich und Marco gekauft hatte. „Spannender als die wird es nicht.“
„Machst du sie mir dran?“
„Stehst du auf sowas?“
Tyler zuckte mit den Schultern. „Ich mach mit, wenn du drauf stehst.“
„Dann nicht.“ Erik legte die Klemmen zurück an ihren angestammten Platz. Was bedeutete, dass er sie wahllos in irgendeine Ecke der Schublade warf. „Ich, ah, mag sie lieber an mir selbst als an anderen.“
„Was hält dich ab?“
Schwer presste Erik Tylers Handgelenke in die Matratze und ließ die erste Handschelle zuschnappen. „Die Tatsache, dass du keine Gelegenheit haben wirst, damit zu spielen.“ Der Ring der zweiten Handschelle umschmiegte Tylers anderes Handgelenk. „Okay so? Oder zu fest?“
Tyler beantwortete die Frage mit einem nachsichtigen Lächeln, doch seine Atmung ging schnell, seine Pupillen waren geweitet und seine Erektion presste sich hart gegen Eriks Oberschenkel. Er selbst musste ein sehr ähnliches Bild abgeben.
Rasch befestigte er die Handschellen am Kopfteil des Betts, wobei er darauf achtete, dass Tyler notfalls den an den Seiten angebrachten Sicherheitshebel betätigen und sich von seinen Fesseln befreien konnte. Noch hastiger als er die Handschellen angelegt hatte, rutschte Erik nach unten, und zog Tyler die Jeans samt Boxershorts aus. Dabei strich er federleicht über dessen Erektion, weniger eine Berührung als ein Versprechen.
„Fuck“, krächzte Tyler. „Ich will dich in mir.“
Glücklicher Zufall. Das wollte Erik ebenfalls. Mit gleitgelbenetzten Fingern fand er Tylers Öffnung, presste sanft dagegen. Leise stöhnend zog Tyler die Beine an die Brust, gewährte Erik noch besseren Zugang zu seinem Körper.
Erik wollte sich Zeit nehmen, zärtlich und vorsichtig sein, so, wie er es sich selbst von seinem Partner wünschen würde, doch Tyler hatte recht deutlich gemacht, dass das nicht seinen Vorlieben entsprach. Machte deutlich, dass es nicht seinen Vorlieben entsprach. Er drängte sich Erik entgegen, wand sich unter ihm, bewegte die Hüften, als wollte er ihn antreiben. Also folgte Erik dieser Vorgabe.
„Oh fuck!“, keuchte Tyler. „Du hast geschickte Hände.“
Und Tyler einen geschickten Mund, der neben atemraubenden Küssen auch die richtigen Worte fand, um einen Laut aus Erik zu locken, so dunkel, so rau, dass er ihn kaum als seinen eigenen erkannte. Lust vibrierte durch seine Stimme, durch seinen Körper, lenkte seine Bewegungen.
Ohne bewusstes Zutun seines Hirns ließ Erik von Tyler ab, um ein Kondom über seine Erektion zu rollen und Gleitmittel darüber zu verteilen. Dann presste er sich erneut gegen ihn, sog die Hitze seiner Haut in sich auf, das Geräusch seiner immer abgehackter werdenden Atmung.
„Kissen.“ Die Handschellen klimperten gegen das Bettgestell, als Tyler instinktiv die Hände bewegte, um auf jene zu deuten. „Please.“
„Ah, sorry. Liegst du unbequem?“
Lachend schüttelte Tyler den Kopf und hob sein Becken, bis sein Hintern die Matratze verließ. Das verstand sogar Erik und er platzierte hastig das Kissen unter ihm. „Gut so?“
„Yeah.“
Erik gefiel, was das Kissen mit Tylers Körperhaltung anstellte. Die Knie angewinkelt, die Beine gespreizt, sah er aus, als existierte er nur, um von Erik genommen zu werden. Seine Fersen drückten gegen Eriks Rücken, zogen ihn näher, forderten ihn auf, endlich den Schritt zu machen, den sie beide herbeisehnten. Eine Aufforderung, die es kaum gebraucht hätte.
Erik dachte vorbereitet zu sein auf das, was ihn erwartete, doch die Hitze, die ihn umhüllte als er tief in Tyler eindrang, spottete all seinen Erinnerungen an das letzte Mal. Mit zusammengekniffenen Augen beugte er sich vor, lehnte die Stirn gegen Tylers Schulter, ließ seinen Atem über Tylers Schlüsselbein fließen.
Tyler erschauerte unter ihm. „Yes! So good!“
Einen Moment fragte sich Erik, ob Tyler einfach auf Dirty Talk stand, oder ihn Erik zuliebe nutzte, um dessen Selbstbewusstsein einen Schubs nach vorne zu verpassen. Gleich darauf entschied er, dass er dringend aufhören musste, alles zu analysieren.
Tylers Haut glühte unter Eriks Fingerspitzen, sein Körper bebte bei jeder Bewegung, und seine Aufforderungen und Ermunterungen wechselten frei zwischen deutsch und englisch, bis sie am Ende in unverständliches Japsen übergingen. Dabei zeigte sein Gesicht jene genussvolle Selbstvergessenheit, die Erik schon beim letzten Mal fasziniert hatte. Das Wissen, derjenige zu sein, der dafür verantwortlich war, brachte ihn an die Schwelle seines Höhepunkts.
Kraftvoll pressten Tylers Fersen in Eriks Rücken. „H-harder. Just a b-bit.“
Erik erfüllte diesen Wunsch, sich vollständig bewusst, das auf keinen Fall lange durchzuhalten. Dieser schweißbenetzte, schlaksige Körper unter ihm, der ihn so willig in sich aufnahm, fühlte sich einfach zu gut an. Glücklicherweise schien auch Tyler kurz vor dem Finale zu stehen, sämtliche Muskeln angespannt, seine Erektion mit Samt bezogener Stahl in Eriks Hand. Wie aufs Stichwort bog er seinen Rücken durch, die Lippen zu einem heiseren Ausruf geöffnet, der kaum das Blutrauschen in Eriks Ohren übertönte.
Erik wollte den Moment hinauszögern, wollte Tylers Lust genießen, bevor er seiner eigenen endgültig nachgab. Sein Hirn schien allerdings jegliches Mitspracherecht verloren zu haben, und so schwappte sein Höhepunkt über ihn hinweg, befreite ihn für einige Momente von all den Gedanken, die sonst durch seinen Kopf wüteten. Vage nahm er wahr, dass er die Fesseln um Tylers Handgelenke löste, und schmolz in die Arme, die sich gleich darauf fest um ihn schlossen, gab sich ganz dem Gefühl von Haut und Atem und Hitze hin.
Federleichte Küsse auf seinem Hals und Schlüsselbein holten ihn zurück an die Oberfläche. Zu gerne hätte er die intime Nähe zwischen ihnen noch länger genossen, doch seine überempfindliche Erektion sendete Bitten, sie in eine etwas reizärmere Umgebung zu bringen.
Vorsichtig zog er sich zurück, reichte Tyler eine Packung Taschentücher und entsorgte das Kondom im nahestehenden Papierkorb. Die Knochen aus Wachs, sank er danach dankbar auf seine Matratze. Im letzten Moment konnte er sich die – durchaus ernstgemeinte, aber deshalb nicht weniger unpassende – Frage ‚Wie war ich?‘ verkneifen.
Im Gegensatz zu Erik machte es sich Tyler nicht bequem, sondern stand auf und schlüpfte aus dem Zimmer, allerdings nicht, ohne sich im Türrahmen umzudrehen und Erik ein Lächeln zuzuwerfen. Jedenfalls glaubte Erik, dass er lächelte. Im Dunklen, mit übermüdeten Augen (er hatte seine Kontaktlinsen vor Aufbruch ins Duo herausgenommen und aus Eitelkeit auf seine Brille verzichtet) ließen sich Gesichtsausdrücke nur schwer ausmachen. Da Tylers Klamotten unberührt über den Boden verstreut lagen, würde er jedoch kaum aus der Wohnung verschwinden.
Tatsächlich hörte Erik wenig später Wasser laufen und es dauerte nicht lange, bis Tyler ins Schlafzimmer zurückkehrte. Dort blickte er sich um, nun eindeutig auf der Suche nach seinen Sachen.
Anstatt zu helfen, hob Erik die Bettdecke, unter die er sich zwischenzeitlich gekuschelt hatte. Eine wortlose Einladung, ihm Gesellschaft zu leisten, der Tyler überraschenderweise nach kurzem Zögern folgte. Still schmiegte er seinen Rücken gegen Eriks Brust.
Tyler roch nach fruchtigem Deo, Haarspray und kaltem Rauch; nach Sex, Abenteuer und Nachtleben. Eine Kombination, die Erik wohl auf ewig mit ihm verbinden würde. So, wie den Ausdruck absoluter Selbstvergessenheit auf seinem Gesicht.
Kein Wunder, dass Marco immer etwas bei ihrem Sex vermisst hatte. Wenn so die Konkurrenz aussah … Egal, wie sehr Erik sein Gegenüber glücklich machen wollte, egal, wie sehr er es liebte, niemals könnte er sich so komplett hingeben. Diese tiefe, unkomplizierte Lust empfinden und offen zeigen.
Möglicherweise hätte er es gekonnt, hätte er nicht seinen Ex kennengelernt. Das würde er nicht mehr herausfinden. Stattdessen musste er sich damit abfinden, seine Partner nie wirklich befriedigen zu können.
Andererseits wirkte Tyler nicht unbefriedigt. Nicht unbedingt, als hätte er den besten Sex seines Lebens genossen und wäre von nun an auf immer für andere verdorben, das sollte sich Erik jedoch ohnehin eher als mittelfristiges Ziel setzen.
Vielleicht genügte im Augenblick die Erkenntnis, dass er es mochte, den aktiven Part zu übernehmen, und dem richtigen Gegenüber damit Freude bereiten zu können, ohne sich verbiegen oder überwinden zu müssen. Und falls Tyler weniger Spaß an dem Abend gehabt hatte, als Erik hoffte, mussten sie ihn ja nicht wiederholen. Es gab keine Zwänge zwischen ihnen, keinen Druck, ihre Beziehung aufrechtzuerhalten.
„Ich kann dich denken hören“, murmelte Tyler schläfrig.
„Entschuldige. Ich, ah, versuche damit aufzuhören.“
Tyler schnaubte. „Du bist süß.“
Erik hauchte einen Kuss auf seinen Scheitel. „Du auch.“
Wieder ein Schnauben, das kurz darauf in ebenmäßigen Atem überging.
~~~~~~~~~~
Für seinen Geschmack viel zu früh, schlug Erik die Augen auf. Seine innere Uhr sagte ihm, dass es unmöglich nach zehn sein konnte, was sein Gehirn zu der Frage veranlasste, weshalb er dann wach war. Die Antwort lieferten Schritte und das Rascheln von Klamotten. Tyler zog sich an.
Blinzelnd versuchte Erik, seinen Blick zu fokussieren. „Frühstück?“ Eigentlich hatte er sagen wollen: ‚Soll ich uns Frühstück organisieren?‘ Das schien seiner Zunge um diese Zeit jedoch zu viel Aufwand zu sein.
Tyler drehte sich zu ihm, ein schiefes Lächeln auf den Lippen. „Du kriegst ja nicht mal die Augen auf.“
„Bin wach …“
„Sure you are.“ Inzwischen vollständig angezogen, tätschelte Tyler Eriks Wange. „Wir sehen uns im Duo.“ Zeitgleich mit der Wohnungstür, fielen auch Eriks Augen zu. Überraschend zufrieden damit, das ganze Bett wieder für sich zu haben, streckte er sich genüsslich darin aus, und verschlief den Vormittag, ohne Sorge, irgendjemand könnte ihn dafür kritisieren.
Vielleicht hatte Giulia recht und Erik würde eines Tages das perfekt zu ihm passende Puzzlestück finden. Im Augenblick genoss er es, ganz allein ein vollständiges Bild abzugeben.