Was zuletzt geschah:
Marco versucht, seine Trennung von Erik zu verarbeiten. Nachdem seine verständlicherweise getrübte Laune schon zu Stress auf der Arbeit geführt hat, möchte er sich abends eigentlich nur noch verkriechen und an nichts denken. Doch Dragos unerwartete Fürsorge macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Auf jeden Fall erfüllt Drago Marcos Wunsch nach Ablenkung, wenngleich er auf eher unorthodoxe Methoden zurückgreift.
Kapitel 24
Bitte lass den Abend nicht in einer Katastrophe enden. Bitte lass den Abend nicht in einer Katastrophe enden. Bitte lass den Abend nicht–
Mitten in Marcos Mantra erklang das Summen des Öffnungsmechanismus und die Eingangstür gab unter sanftem Druck seinerseits nach. Mit einem Herzschlag, der dem durchschnittlichen Techno-Beat Konkurrenz machte, stieg er die Treppen hoch.
Eine Woche war vergangen, seit er und Drago … Dinge getan hatten, die sich zu den unpassendsten Momenten in seinem Kopf wiederholten. Eine Woche, seit Dragos Flucht aus seiner Wohnung. Seitdem hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Umso unerwarteter kam Daniels Einladung auf ein Feierabendbier und eine Runde Poker. Wusste Drago überhaupt davon?
„Bin ich froh, dich zu sehen“, begrüßte Daniel ihn im Flur. „Wenn ich noch fünf Minuten länger Betriebsorganisation büffeln muss, werde ich wahnsinnig.“
„Bin immer dabei, andere vom Lernen abzuhalten.“
„In diesem Fall habe ich den perfekten Job für dich.“ Daniel wartete, bis Marco Schuhe und Jacke abgestreift hatte. „Zerr Drago aus seinem Zimmer und an den Pokertisch. Ich kümmere mich derweil um die Snacks.“
„Wird gemacht.“ Dann packte er den Stier eben bei den Hörnern.
Marco fand Dragos Tür fest verschlossen vor. Behutsam klopfte er dagegen.
„Komm rein.“ Drago schien damit beschäftigt, Papiere von seinem Schreibtisch in eine Ablage zu sortieren.
„Ciao. Ich soll dich ins Wohnzimmer schleifen.“
„Ich brauche noch zwei Minuten.“
Anstelle einer Antwort zog Marco die Tür hinter sich zu. Dieses Gespräch funktionierte besser ohne Mithörer. „Hör mal, wegen neulich …“
Für einen Moment sah es aus, als würde Drago ihn ignorieren, doch er legte lediglich den Zettel, den er in der Hand hielt, an die dafür vorgesehene Stelle, dann drehte er sich um. „Ich schulde dir eine Entschuldigung.“
„Tust du?“ Irgendwie hatte Marco angenommen, dass er derjenige sein würde, von dem eine Entschuldigung erwartet wurde. Nicht andersrum.
„Ich habe unseren letzten Abend ausgenutzt, um etwas zu bekommen, das ich schon lange wollte“, erwiderte Drago. „Das war egoistisch und hätte nicht passieren dürfen.“
„Dir ist hoffentlich klar, dass ich sehr einverstanden mit allem war, was zwischen uns gelaufen ist“, sagte Marco. Obwohl es zugegebenermaßen wenig zur Beruhigung seines emotionalen Aufruhrs beigetragen hatte.
„Ja.“
„Trotzdem glaubst du, dich entschuldigen zu müssen?“
Drago brach den Blickkontakt zwischen ihnen, die Hände zu Fäusten geballt. Scham und Wut – Marco konnte nicht sagen, ob auf sich selbst oder ihn gerichtet – strahlten von ihm aus, als wäre er ein Atomkraftwerk, bei dem man die letzten Jahre sämtliche Wartungen hatte schleifen lassen. „War es das, was du an diesem Abend von mir gebraucht hast?“
„Naja …“ War es? Das Ziel, Marco abzulenken, hatte Drago definitiv erreicht. Außerdem fühlte sich sein Ego gestreichelt; was oberflächlich klang, aber erstaunlich tief reichte. Denn es ging weniger darum, dass etwas zwischen ihnen passiert war, sondern wie. Augenscheinlich gefiel es Drago, wenn Marco ein bisschen grob wurde. Wenn er den Ton angab. Dominanz zeigte. Und Marco fehlten die Worte, um auszudrücken, wie gut das tat.
Mit Erik hatten sich die harmlosesten Versuche in diese Richtung falsch angefühlt. Solange, bis sich Marco falsch gefühlt hatte. Rational wusste er, dass es Menschen gab, die seine Vorlieben teilten. Dass es sich nicht um irgendeine abartige Perversion handelte, die er für immer in den dunkelsten Ecken seines Inneren verstecken musste. Sogar Erik hatte das mehrfach betont. Doch es war eine Sache, diese Dinge zu hören, und eine andere, sie zu erleben.
Also ja, Drago hatte ihm an diesen Abend etwas geschenkt, von dem er bis zu diesem Moment nicht realisiert hatte, wie sehr er es brauchte. Gleichzeitig lag eine lange Woche hinter ihm, erfüllt von Gewissensbissen, Verlangen und der Angst, unmittelbar nach der Trennung von Erik auch noch jemanden zu verlieren, den er zunehmend als engen Freund betrachtete.
Jemanden, der offensichtlich angespannt auf eine Antwort auf seine Frage wartete.
„Ich bereue nicht, was passiert ist“, sagte Marco langsam, um dann mit Nachdruck nachzusetzen: „Kein bisschen.“ Instinktiv streckte er seine Hand nach Drago aus, der allerdings ebenso instinktiv einen Schritt zurückwich. Also ließ Marco seine Hand wieder sinken. „Ich will nur nicht … Ich will nicht, dass wir unsere Freundschaft verlieren.“ Frustriert strich er sich mit der Hand, die Drago zum Rückzug bewegt hatte, durchs Haar. „Oder ist es dafür schon zu spät?“
Drago dachte lange genug nach, um Marco das Herz in die Hose rutschen zu lassen. Schließlich sagte er: „Keiner von uns kann diesen Abend ungeschehen machen. Aber“, ungewohnte Unsicherheit trat in seine Züge, „falls du es wirklich nicht bereust, dann tue ich es auch nicht.“
„Also … Freunde?“ So sehr Marco einzelne Aspekte ihrer weit mehr als freundschaftlichen Begegnung genossen hatte, befürchtete er, ihnen emotional im Augenblick absolut nicht gewachsen zu sein. Vielleicht fanden sie später die Gelegenheit, in Ruhe auszuloten, ob irgendwann in der Zukunft beidseitiges Interesse an einer Wiederholung bestand. Jetzt gerade brauchte er jedoch einfach einen Freund, kein zusätzliches Drama.
Drago senkte den Kopf in Akzeptanz. „Freunde.“ Gleich darauf lag sein Blick wieder auf Marco, durchdringend und intensiv. „Eine Sache möchte ich noch abklären.“
Marcos eben beruhigter Herzschlag beschleunigte erneut. „Hm?“
„Meine Sexualität ist Privatsache und soll das auch bleiben.“
„Ach so. Das ist doch völlig klar. Sowas würde ich nie weitererzählen.“ Beinahe zu spät begriff Marco, dass Drago nicht nur von seiner devoten Seite sprach. „Warte. Bedeutet das, niemand weiß–“
„Nein.“ Dragos Ansage war deutlich und Marco beließ es dabei. Sein Pokerface aufrecht zu erhalten, fiel ihn an diesem Abend allerdings noch schwerer als sonst.
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Wenn Erik gelegentlich von ‚guten und schlechten Tagen‘ gesprochen hatte, hatte Marco nie wirklich nachvollziehen können, was er damit meinte. Morgens aufzuwachen und sich ohne konkreten Anlass schlechter zu fühlen als am Tag zuvor, war ihm immer seltsam erschienen. Inzwischen sah das anders aus, denn es ging ihm mal wieder grundlos richtig kacke.
„Bitteschön.“ Hugo, der sich wie gewohnt auf leisen Sohlen angeschlichen hatte, stellte Marco eine Tasse vor die Nase, aus der ein willkommener Duft aufstieg.
„Ich habe keinen Espresso bestellt.“
„Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen.“ Hugo ließ sich auf den Stuhl neben Marco fallen. Wie üblich brummte das Tässchen in den frühen Abendstunden, dennoch schien er fest entschlossen, sich Zeit für seinen Schützling zu nehmen. „Die Sache mit Erik? Oder etwas anderes?“
„Bin nur müde“, versicherte Marco. „Ansonsten ist alles gut bei mir.“
Natürlich geisterte ihm die Trennung im Kopf herum. Ein Teil von ihm vermisste seinen Exfreund höllisch, spielte ständig die guten Momente ihrer Beziehung vor seinem inneren Auge ab. Die, in denen sie zusammen gelacht und Nächte durchgequatscht hatten. Die, in denen sich Erik an ihn geschmiegt und ganz nah an sich herangelassen hatte. Die, die ihm das Gefühl gegeben hatten, der beste Mann der Welt zu sein, wenn jemand wie Erik ihn liebte.
Ein anderer Teil in ihm war erleichtert, nicht länger die schlechten Tage ertragen zu müssen, in der Hoffnung, zwischendrin eine der selten gewordenen guten Stunden zu erleben. Dieser Teil jubelte über die neugewonnene Freiheit. Das Feierabendbier mit seinen alten Kumpels, die Pokerrunden mit Daniel und Drago, die Ungebundenheit, spontan zu entscheiden, wohin er gehen und wen er treffen wollte. Ein dritter Teil schämte sich für den zweiten, und welcher dieser drei Teile überwog, schien sich jeden Tag auf Neue auszuwürfeln.
Die Tatsache, dass er einen Tag nach ihrer Trennung Sex mit einem anderen Mann gehabt hatte, machte die Situation nicht unkomplizierter. Zumal Marco Drago regelmäßig sah. Sie trafen sich meist in dessen WG, um zusammen mit Daniel Karten zu spielen, zu kochen, oder auch mal einfach nur zum Quatschen. Und wie beim Pokern, ließ sich Drago nur schwer in die Karten schauen. Hatte er den Sex wirklich so schnell als einmalige Sache abgehakt? Lag nur Marco nachts verwirrt und erregt wach?
Wie so oft, wenn er nicht wusste, wohin mit sich selbst, hatten ihn seine Füße ins Tässchen getragen. Sein Rückzugsort, an dem er unverändert Freunde, Halt und Verständnis fand. Niemand hatte ihm Vorwürfe gemacht, nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, Manni und Hugo von der Trennung zu erzählen. Dafür empfand er unendliche Dankbarkeit. Er wusste nicht, wie er die vergangenen Wochen andernfalls hätte überstehen sollen.
Alles in allem ging es ihm inzwischen aber wieder gut.
„Hier versteckst du dich.“ Manni und Philipp bahnten sich den Weg zu Marcos Tisch. Dort angekommen, setzte sich Philipp auf den verbliebenen freien Stuhl. „Warum hockst du hier im Café und nicht nebenan im Treff?“
Weil ich nicht wusste, dass du ausnahmsweise auch mal wieder da bist und alle anderen drüben mindestens fünf Jahre jünger sind als ich. Allerdings wollte Marco das weder vor Manni, dem Leiter des Jugendtreffs, noch Philipp, einem seiner langjährigsten Freunde, breittreten. Dafür klang der Gedanke viel zu vorwurfsvoll. „Schätze, ich wollte meine Ruhe.“
„Mich bist du jedenfalls vorerst los.“ Hugo erhob sich. „Ich fürchte, wenn dieses Café Umsatz machen soll, muss ich mich auch um die anderen Gäste kümmern.“ Zum Abschied legte er Marco eine Hand auf die Schulter. „Komm mal wieder zum Essen vorbei, ja? Nach Ladenschluss, meine ich. Dann haben wir mehr Zeit zum Reden.“
„Mache ich“, versprach Marco.
Manni besetzte den Stuhl, den sein Mann eben freigegeben hatte. „Wie geht’s dir?“
„Gut.“ An Philipp gewandt fragte Marco: „Bei Charlotte auch alles klar?“
„Hm, ja. Schon.“ Es gab einen Unterschied zwischen Phrasen, die man auf Standardfragen erwiderte und dem, was Philipp da gerade von sich gab. Marco sah davon ab, nachzubohren, denn er konnte sich die Antwort bereits denken. Ja, Charlotte ging es gut, aber Philipp mied das Thema, damit Marco nicht auf die Idee kam, sie könnten sich demnächst zu dritt treffen. Dafür nahm sie ihm die Trennung von Erik viel zu übel.
Das Klingeln seines Handys rettete die beiden aus der unangenehmen Situation. Um den anderen Gästen ihren Frieden zu lassen, verzog sich Marco durch den Hinterausgang in den Innenhof, bevor er das Gespräch annahm. „Ciao, Daniel.“
„Hi! Wir hätten einen kleinen Anschlag auf dich geplant.“
„Wir?“
„Jo. Drago und ich … Drago? Du bist schon in der Leitung, oder?“
„Ich bin da.“ Dragos kristallklare Stimme sandte einen Schauer über Marcos Rücken.
„Oh gut, hatte schon Angst, ich hätte das mit der Konferenzschaltung verkackt. Jedenfalls, Marco, wollten wir dich fragen, ob du Bock hast zum Essen vorbeizukommen.“
„Grundsätzlich gern, aber ich bin gerade noch unterwegs. Wird sicher halb sieben, bis ich bei euch bin.“
„Passt für uns!“
Drago räusperte sich.
„Okay, okay“, räumte Daniel ein. „Strenggenommen würdest du weniger ‚zum Essen vorbeikommen‘ und eher ‚zum beim Pizzamachen helfen‘. Das letzte Mal lief eher so semi-gut und wir dachten, vielleicht hilft es, den Lehrer direkt vor Ort zu haben. An deiner Anleitung lags nämlich sicher nicht, die war super.“
„Jetzt schleimst du dich einfach nur ein.“
„Funktioniert’s?“
Selbstverständlich tat es das. „Ich mache mich auf den Weg“, sagte Marco. „Habt ihr alles, oder soll ich noch was mitbringen?“
„Wir brauchen noch ein paar Sachen, aber darum kümmert sich Drago. Oder?“
„Ich muss wissen, was.“
„Wir können auch zusammen einkaufen“, schlug Marco vor. „Ist einfacher, als wenn ich dir jetzt alles telefonisch durchgebe.“
„Einverstanden. Wo bist du gerade?“
„Im Bunten Tässchen. Das ist ein Café in der–“
„Neben dem Laden für Sportbedarf?“, unterbrach Drago, bevor Marco ihm die Straße nennen konnte.
„Sì, genau da. Kennst du das Tässchen?“ Oder möglicherweise sogar den Jugendtreff? Obwohl Drago seine Sexualität verbarg, bedeutete das nicht, dass er nie Anschluss gesucht hatte.
„Vom Vorbeigehen. Mein Gym ist in der Nähe.“ Soviel zu Marcos Theorie. „Ich bin gerade mit dem Training fertiggeworden. Der Weg dauert ungefähr zehn Minuten. Bis gleich.“ Ohne weitere Abschiedsworte legte Drago auf.
„Tja, dann“, sagte Daniel, „warte ich wohl brav zuhause, bis ihr beiden auftaucht. Gib Bescheid, wenn ich noch irgendwas tun kann.“
„Brav warten reicht völlig.“ Marco konnte hören, wie Daniel mit den Augen rollte.
Zurück im Café gesellte er sich zu Manni und Philipp. Den holprigen Anfang ihres Gesprächs fast vergessen, entspann sich rasch eine Unterhaltung, die ihm erneut deutlich machte, wie sehr er diesen Rückzugsort und die Menschen darin brauchte.
„Nein, wirklich!“, erzählte er lachend. „Patschnass, von oben bis unten. Wer hätte gedacht, dass Dosen so explodieren können.“ Eine Bewegung aus dem Augenwinkel ließ ihn aufblicken. Die Eingangstür des Tässchens hatte sich geöffnet und einen neuen Gast ausgespuckt, dessen im Deckenlicht schimmerndes, weißblondes Haar vor nicht allzu langer Zeit wie Seide durch Marcos Finger geronnen war. Urgh, ja. Genau das sollte der erste Gedanke beim Anblick eines platonischen Freundes sein. Frustriert über die Bereitwilligkeit seines Gehirns, das Denken einem anderen Körperteil zu überlassen, erhob sich Marco. „Meine Eskorte ist hier.“
Manni schloss ihn in die Arme. „Hab einen schönen Abend und gib Bescheid, wann du zum Essen vorbeikommst.“
„Mache ich.“ Marco verabschiedete sich von Philipp und lief zu Drago, der mit Sporttasche über der Schulter und vom Duschen noch feuchten Haarspitzen nicht nur völlig deplatziert aussah, sondern sich auch offensichtlich ziemlich unwohl fühlte. Dennoch hatte er ein Lächeln für Marco übrig. „Hallo.“
„Ciao. Danke fürs Abholen.“
„Wie gesagt, das Café liegt auf meinem Weg.“
Draußen schlug ihnen frostiger Wind entgegen, der Schneeflocken herumwirbelte und die Regenbogenfahne vor dem Eingang des Tässchens flattern ließ. Möglicherweise zog sie deshalb Dragos Aufmerksamkeit auf sich, möglicherweise hatte es einen anderen Grund. Nach ein paar Sekunden wandte er sich ab und stapfte neben Marco die Straße entlang, seine Mimik noch schwerer zu lesen als gewöhnlich.
„Ich weiß, was ihr tut“, sagte Marco nach einigen Metern. „Du und Daniel.“
Drago schwieg, aber sein Blick galt Marco.
„Ihr lenkt mich ab. Von der Sache mit Erik. Oder warum sonst bin ich seit der Trennung mindestens jeden dritten Abend bei euch?“
„Weil wir gerne Zeit mit dir verbringen.“ Drago lief einige Schritte weiter, die Arme vor der Brust verschränkt. Dann fragte er: „Sollen wir aufhören?“
Also doch! „Es ist echt nicht nötig, dass ihr euch um mich kümmert. Es geht mir gut. Was nicht heißt, dass es mir keinen Spaß macht, bei euch vorbeizuschauen. Ich schätze, solange ihr mir versprecht, dass das keine Mitleidstour ist, obwohl ich euch in Wahrheit voll auf die Nerven gehe, ist alles prima.“
„Dann betrachte ich dieses Thema als beendet.“
Tja, dagegen konnte Marco schwer protestieren. Er fischte in seiner Hosentasche nach seinem Handy, um abzuschätzen, wie viel Zeit ihnen zum Einkaufen blieb, griff jedoch ins Leere. „Cazzo. Hab mein Handy im Tässchen vergessen. Bin gleich zurück.“
Glücklicherweise fand er das vermisste Gerät exakt dort, wo er es vermutet hatte. Auf dem Tisch, bewacht von Philipps aufmerksamen Augen. „Grazie.“
„Ich hatte gehofft, du bemerkst es gleich. Und, äh, wundere dich nicht über den verpassten Anruf. Mir ist zu spät eingefallen, dass es wenig Sinn macht, dich auf deinem Handy anzurufen, um dir zu sagen, dass du dein Handy vergessen hast.“
„Trotzdem danke“, erwiderte Marco schmunzelnd. „So, ich pack’s gleich wieder. Drago soll nicht unnötig lange in der Kälte warten, wenn er mich schon extra abholt.“
„Wenigstens wissen wir jetzt, dass du einen Typ hast.“
„Was?“
„Ach komm.“ Nun rollte Philipp mit den Augen. Irgendwas musste Marco heute an sich haben. „Du hast dich eben von Erik getrennt. Du weißt schon. Der große, blasse, verschlossene Junge. Und wen schleppst du als nächsten an? Einen noch größeren, noch blasseren, mutmaßlich noch verschlosseneren Jungen.“
„Zwischen uns läuft nichts“, stellte Marco klar. Keine komplette Lüge, denn aktuell lief ja wirklich nichts zwischen ihnen. So oder so würde er den Teufel tun, und Dragos Bitte, ihn nicht zu outen, gleich bei der erstbesten Gelegenheit ignorieren. Außerdem missfiel ihm Philipps Andeutung, Erik mal eben so ersetzt zu haben. „Egal, was du gerade denkst, es ist falsch.“
„Wenn du das sagst. Ich mische mich da nicht ein.“
Ist das so? Deshalb eine Diskussion vom Zaun zu brechen, schien es Marco allerdings nicht wert, daher entschied er sich für strategischen Rückzug. Er nickte Philipp zu, winkte Hugo, der seine übliche Position hinter der Theke bezogen hatte, und verließ – für heute hoffentlich zum letzten Mal – das Tässchen. Bevor er zu Drago eilte, warf er einen raschen Blick auf sein Handy.
Neben dem verpassten Anruf von Philipp wartete eine ungelesene SMS auf ihn. Von Erik. Marco starrte auf den unerwarteten Namen. War etwas passiert? Brauchte Erik Hilfe? Fahrig öffnete er die Nachricht und las:
„Hey :) Ich bin über Weihnachten in Stuttgart und würde an Heiligabend gerne im Tässchen vorbeischauen. Manni, Hugo und der Rest fehlen mir. (Den ganzen Tag bei meiner Tante rumsitzen ertrage ich außerdem nicht.) Du hast nichts dagegen, oder?“
Erik in Stuttgart. Erik im Tässchen. An Heiligabend. So wie Marco. Absolut kein Problem. Oder?
Oh Gott, was sollte er nur tun?