Stichwort „Konfetti“
Javi blickte nachdenklich aus dem Fenster, während er das Umzugsunternehmen auf der anderen Straßenseite beobachtete.
Trotz Elenas Versicherung, Valentin sei in Ordnung und er müsse sich keine Gedanken darüber machen, tat er genau das. Die Sache mit den Pässen nagte nach wie vor an ihm und er wusste, nicht eher lockerlassen zu können, bevor er diese Angelegenheit geklärt hatte.
Aber er hatte nicht umsonst Ahnung von Computern. Und eine kleine, private Recherche konnte jeder durchführen, der sich etwas auskannte.
Ein Grinsen schlich sich auf seine Züge, während er sein aktuelles Projekt minimierte und stattdessen den Internetbrowser aufrief. Er hatte dank Elena zwei Namen, nach denen er suchen konnte und irgendetwas musste dabei zu finden sein. Immerhin gab es sogar Bilder von ihm, als er in der achten Klasse einen Mathematikwettbewerb gewonnen hatte und das war über zehn Jahre her.
Geschlagene zwei Stunden später gab Javi auf und klappte seinen Laptop zusammen. Sein Blick schweifte erneut aus dem Fenster und er sah, wie das Umzugsunternehmen gerade die letzten Kartons in den vollen Wagen räumten. Mittlerweile war die Abenddämmerung eingetreten und er stand seufzend auf, um das Licht anzumachen und um sich frisches Mineralwasser zu holen.
Seine Suche hatte nichts ergeben. Gar nichts. Weder Valentin Herzog noch Kristian Staab waren irgendwo aufzufinden. Nicht auf sozialen Netzwerken, nicht bei Zeitungsartikeln – noch nicht einmal auf alten Schulfotos, die die Schulen heutzutage hochluden, ohne nachzudenken. Diese Person existierte nicht und wenn er den Reisepass und den Führerschein nicht gesehen hätte, hätte er an der Existenz von ihr gezweifelt.
Es war unmöglich, dass ein Mensch in der heutigen Zeit keinerlei Spuren in der Onlinewelt hinterließ. Zumindest war es unmöglich, so etwas zu bewerkstelligen, ohne hinter sich aufzuräumen oder für ein Aufräumen zu sorgen.
Nachdenklich nahm Javi seinen Wasserkrug, den er sich im Sommer aufgrund der Hitze zugelegt hatte, gefüllt wieder an sich und lief zurück in sein Zimmer. Elena war noch in der Probe – die Premiere ihres Stücks rückte näher – und er war allein zuhause.
In seinem Zimmer stellte Javi den Krug ab, warf einen weiteren Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass das Umzugsunternehmen nicht mehr dort war. Er ließ den Rollladen herunter und zückte sein Smartphone, um es gedankenverloren anzustarren.
Wenn man auf die einfache Art nichts über Valentin bzw. Kristian fand, dann konnte man es mit der komplizierteren Art versuchen. Und zum Glück kannte Javi jemanden, der ihm bei der zweiten Möglichkeit helfen konnte. Das Problem dabei war nur, dass Fragen gestellt werden konnten und Javi wusste nicht, inwieweit er diese beantworten wollte. Trotz allem glaubte er Elenas Einschätzung über Valentin, denn ihre Menschenkenntnis war sehr gut. Besser als seine. Und wenn Valentin auf der falschen Seite des Gesetzes stände, hätte er dazu etwas im Netz gefunden, dessen war er sich sicher.
Da damit Javis Entscheidung gefallen war, entsperrte er den Bildschirm und rief seine Kontakte auf. Ein paar Scrollbewegungen, dann war er bei der Nummer seines älteren Bruders angelangt. Sein älterer Bruder, der aufgrund seiner Arbeit durchaus in Akten schauen konnte. Falls er einwilligte.
Mit einem letzten, tiefen Durchatmen drückte Javi auf das Anrufssymbol.
Nach einer halben Stunde Überredungsarbeit und der Vereinbarung, nur über die Existenz der beiden Namen informiert zu werden, hatte Javi seine Ergebnisse. Oder auch nicht, denn Cisco hatte nichts gefunden. Zumindest nichts in den letzten fünf Jahren, was Javis Bruder irritiert hatte.
Javi grinste. Cisco hasste es, etwas nicht herausfinden zu können. Weshalb er tiefer gegraben hatte, als er ursprünglich wollte. Doch es hatte nichts daran geändert und Cisco hatte Javi gebeten, ihm etwas Zeit zu geben. Denn irgendwo musste einer der beiden Namen vermerkt sein, das hatte Cisco selbst gesagt. Wenn sie nicht einfach so zu finden waren, dann war etwas dafür getan worden. Javi wettete, dass sein Bruder jetzt alle Hebel in Bewegung setzte, um irgendetwas über Valentin herauszufinden.
Und Javi wurde nicht enttäuscht. Am nächsten Nachmittag erhielt er eine Mail seines Bruders, nachdem Cisco ihn angerufen und über die Mail informiert hatte. Sie war über eine kryptische Adresse verschickt worden und im Spam-Ordner gelandet, den Javi nur alle paar Wochen überprüfte.
Javi hatte die E-Mail geöffnet und irritiert auf das Konfetti geblickt, das ähnlich wie bei den angeblichen Zufallsgewinnen über seinen Bildschirm rieselte. Spätestens jetzt hätte er die Mail gelöscht, denn sogar der Text war aufgebaut wie eine Glücksspielmail. Abgesehen von diesen ersten paar Zeilen, die so nichtssagend waren wie jede Werbemail, hatte Cisco nicht viel in die Mail geschrieben. Unten, am Ende der Mail, standen nur das Geburtsdatum und den Geburtsort eines Valentin Herzog. Er war Anfang dreißig und bis vor sieben Jahren existierten Informationen über ihn, seinen Arbeitsplatz und seinen Wohnort. Das war vor Valentins Zeit bei Elena gewesen. Doch die wirklich wichtigen Dinge hatte ihm Cisco über das Handy mitgeteilt, auch wenn es nicht allzu viel gewesen war.
„Sämtliche Spuren danach sind verwischt worden. Etwas, das ich bisher noch nie gesehen habe. Ich habe Izarra gefragt, sie kennt das von Zeugenschutzprogrammen. Oder von Agenten, die eine neue Identität verpasst bekommen, denn diese wird nach dem Einsatz oder dem Programmende wieder aus dem System gelöscht. Auch wenn Aktenordner dazu existieren, diese sind an einem unbekannten Ort untergebracht.“
Javi hatte sich bedankt und Cisco gebeten, Izarra zu grüßen – sie war Ciscos langjährige Freundin und alle in der Familie warteten auf einen Antrag. Auch wenn es weder Cisco noch Izarra eilig mit einer Hochzeit hatten, wie sie ihm einmal im Vertrauen erzählt hatten. Izarra war noch nicht lange mit ihrem Studium fertig und wollte vor einer Hochzeit, nach der auch Kinder erwartet wurden, ein paar Jahre arbeiten.
Javi löschte die E-Mail, nachdem er sich die wenigen Daten notiert hatte, und grübelte weiter. Das war alles sehr seltsam. Spätestens jetzt war seine Neugier geweckt worden, was Valentin anging. Dieser war offenbar nicht kriminell, wie Javi anfangs vermutet hatte, doch das machte die Sache nicht weniger mysteriös. Ganz im Gegenteil.