Sie stießen gegen irgendwelchen Widerstand. Der Ruck schleuderte Marvin beinahe von seinem Fass herunter.
Im Grunde war es Marvs oder eher Herberts Fass. Marvins eigenes Fass war drei Stromschnellen vorher zerbrochen und seitdem klammerte er sich halb ertrunken an das Fass, in dem Marvin steckte.
Ein paar andere Fässer waren auch zerbrochen. Die übrig gebliebenen Bären steckten alle in einem Einzelfass, doch die drei Brüder, cyber_doggo, der Knochenknurpsler und Urdoggo, teilten sich einen. Timofei kauerte auf dem Kopf des Weltenwanderers und Xenon musste sogar neben den Fässern herschwimmen. Sie waren auf dem absoluten Fassminimum und konnten kein Weiteres verlieren. Als Marvin nun blinzelte, stellte er fest, dass sie Land erreicht hatten.
Ein merkwürdiges Land allerdings. Der Boden war so dicht mit Wurzeln bedeckt, dass man keine Erde sehen konnte. Nur ein bisschen Dreck bot einigen kleinen Pflänzchen Nährboden.
Trotzdem - es war Land!
"He, aufwachen!", ächzte Marvin. Er hustete etwas Wasser und einen kleinen Fisch aus, der zappelnd in den großen See floh, den sie erreicht hatten. Dass sie angekommen waren, hatte Marvin bis eben auch noch nicht gemerkt. Erschöpft arbeitete er sich auf das Land. Er konnte nicht einmal prüfen, dass ihm die Bären und Ersatzbären folgten. Sobald seine Pfoten kein Wasser mehr spürten, brach er zusammen.
Nach einer Weile blinzelte er und starrte in das Gesicht eines Bibers.
Einen halben Tag später hatten sich alle ein wenig von der strapaziösen Reise erholt. Marvin nieste ständig, die durchnässten Bären schnauften noch, die anderen Wölfe und der Weltenwanderer lagen ausgestreckt auf den Wurzeln - die sich als die Äste in einer gewaltigen Biberburg entpuppt hatten. Timofei hatte als Einsiedlerkrebs natürlich kein Problem mit Wasser gehabt und Xenon fühlte sich pudelwohl, flitzte um die Biber herum und turnte über den breiten Damm.
"Was führt euch denn nach Seestadt?", fragte ein Biber. "Und wieso reist ihr in Fässern der Elche?"
"Ähm, wir sind sozusagen ... nur ... auf der Durchreise."
"Auf der Durchreise wohin? Hinter Seestadt gibt es nur den Einsamen Berg", rief jemand aus der Meute, die sich neugierig um die Ankömmlinge versammelt hatte. Ein paar Biber nagten kritisch an den Fässern.
Marvin schluckte und sah hilfesuchend zu Marv. Sie waren beide keine großartigen Lügner.
"Es gibt noch einen Ort", sagte jemand.
Alle Blicke richteten sich nach hinten. Marvin blinzelte verwirrt, weil da ein Pferd auf dem Biberdamm stand.
"Mac?", flüsterte er, ziemlich sicher, dass er halluzinierte.
"Der Kahnführer", schnaubte ein Biber. "Was willst du hier, Bard?"
Marvin sah noch einmal zu seinen Austausch-Begleitern zurück. Marv, die drei Brüder, Timo und der Weltenwanderer nickten. (Xenon wuselte irgendwo herum und hatte vermutlich nichts mitbekommen.) Mac hatte sich nun auch in diese Welt geschlichen.
Nun drängelte sich der Hengst zwischen den Bibern hindurch, die sich nicht darüber zu wundern schienen, dass er zigmal so groß war wie sie. "Es gibt noch einen Ort, der hinter Seestadt liegt", wiederholte er. "Den Finsterwald!"
Nervöses Gemurmel erhob sich. Marvin hörte ein paar Sachen, die ihm so gar nicht gefielen. Der Drache dort sei größer?! Dafür müsste er ein ernstes Wort mit Herbert reden, aber der war ja momentan leider Marvbert.
Mac stampfte mit dem Huf auf. "Ihr dürft nicht in diesen Wald!"
Die Bären und Ersatzbären tauschten unsichere Blicke. Marvin atmete auf. Das wäre doch die Lösung aller Probleme! Sie hörten auf Bard/Mac, kehrten um und niemand musste gegen Drachen kämpfen oder gar sterben.
"Und wer bist du, uns dieses Recht zu verweigern?", knurrte eine Stimme in seinem Nacken. Ein Schauer sträubte Marvins Fell. Für einen Moment war ihm, als wäre Herbert zurück. Er drehte sich um, denn das Knurren kam von Marv. Zwischen den Bären, Wölfen und sonstigen Figuren hindurch trat der grünäugige Wolf nach vorne.
"Was machst du da?", formte Marvin lautlos mit den Lippen.
Marv stolzierte unbeirrt vor Mac und legte den Kopf in den Nacken. "Der Finsterwald ist unsere Heimat, Schmuggler."
"Ähh, also ..." Mac war ebenso überrascht wie Marvin und vermutlich auch alle anderen.
Nur Assyl, der wie immer leise über Marvin schwebte, kicherte glücklich. "Was für ein Plottwist! Ich liebe es."
"Klappe", murmelte Marvin.
Mac hatte den Faden wiedergefunden. "Wenn ihr in den Wald geht, wenn ihr den Drachen weckt, werden alle hier sterben!"
Marv wandte sich an die Biber. "Schätze ruhen in jenem Wald. Unermesslicher Reichtum! Wenn wir heimkehren, wenn wir unsere rechtmäßige Heimat zurückfordern, können wir dieser Welt den Glanz zurückbringen, den sie verdient! Wünscht ihr euch das nicht auch?"
Die Biber tauschten Blicke. Viel zu viele von ihnen nickten.
Mac trat verzweifelt auf der Stelle und sah sich mit angelegten Ohren um. Er rief zur Menge und zischte dann zum Grauwolf. "Ihr werdet den Glanz der alten Zeit nicht mehr erleben - (Marv, was machst du denn?) - Der Drache wird euch töten!"
"Mein Name ist Herbert Bienenspeer!", rief Marv zu den Bibern. "Der Herr des Finsterwalds!"
Tosender Jubel ertränkte alles, was Mac noch an Gegenargumenten vorbringen wollte.
Marvin sprang an Marvs Seite. "Was tust du da?", zischte auch er. "Du spielst immer noch Herberts Rolle! Du bist in Gefahr!"
"Sag mir nicht, wer ich bin!", herrschte Marv ihn an. "Ich werde diese Welt retten. Mit dir oder ohne dich, das liegt an dir!"
"An mir? Aber ... häh?"
"Versuch, den Weltenreisenden aufzutreiben. Wenn er Mac hier einschleusen konnte, hat er uns überholt. Ich will Lyssa und Sylas in unserer Truppe - statt den Eisbären."
"Statt den ...? Marv, Hwirg und Zwirg werden ebenfalls sterben, wenn es wie im Buch abläuft! Du kannst doch nicht ..."
"Genau deshalb brauchen wir unsere mächtigsten Kreaichs hier. Hast du mich verstanden?"
"I-ich ... denke ... schon ...", murmelte Marvin eingeschüchtert. Da lag etwas in Marvs Blick, ein finsteres Machtbewusstsein. "Ich werde es machen."
Marv nickte zufrieden und wandte sich ab. Die Biber wimmelten vor, als er zu ihnen trat.
"Wir haben eine Horde Menschen auf unseren Fersen", sagte Marvbert. "Wir müssen also so schnell wie möglich zum Wald. Könnt ihr uns helfen?"
"Klar, wir könnten den Weg über den Staudamm öffnen ..." Den Rest der Antwort bekam Marvin nicht mehr mit. Der Weltenwanderer war neben ihn getreten und Marvin drückte stöhnend den Kopf gegen sein Bein.