"Ist doch ganz einfach", sagte Marv. "Du schleichst da hin, ohne den Drachen zu wecken, und findest das Arkenbuch."
"Das Arkenbuch", wiederholte Marvin trocken, mal wieder entsetzt darüber, wie unkreativ diese Welt war. "Lass mich raten: Ich erkenne es, wenn ich es sehe."
"Wie ich bereits sagte." Marv bleckte gereizt die Zähne. "Du bringst das Buch zurück, das unsere Heimat rettet. Dann gelte ich hier als König und kann allen anderen befehlen, sich gegen den Drachen zu vereinen. Du kannst dich während der Schlacht gerne irgendwo verkriechen, wenn dir das hilft. Hauptsache, du bringst mir das Buch!"
"Du weißt doch jetzt schon, dass das nicht klappt." Marvin legte die Ohren an. "Und dann bricht Krieg aus. Komm schon, es muss anders gehen."
"Du bist nur hier, um diese eine Sache zu tun", knurrte das Hauptprofil gebieterisch.
"Marv, wenn Krieg ausbricht ..."
"Bring. Mir. Das. Buch."
Marvin seufzte. "In Ordnung. Ich suche es. Aber ich warne dich, wenn du darüber verrückt wirst ..."
Marv entließ ihn mit einem genervten Schwanzzucken.
"Viel Glück", murmelte der Weltenwanderer, der schweigend zugehört hatte. Niemand von ihnen wagte, sich gegen Marv zu stellen. Er konnte sie immerhin zurück in Belletristica mit einem Klick löschen! Oder mit ein paar Klicks mehr in einen Clown verwandeln. Außerdem mochten sie den Wolf zu sehr, um ihn ernsthaft zu bekämpfen.
Marvin atmete also tief durch, trottete bis zum Waldrand, von dem sich die Gruppe etwas entfernt hatte, und sah auf das verbrannte Land.
"Assyl? Ich bräuchte noch mal etwas Deckung."
"Kommt sofort", meinte das Kreaich zu Marvins Überraschung ohne Gekicher. Es klang ... besorgt.
Verborgen vor neugierigen Blicken trat Marvin auf das Aschefeld hinaus.
Der Drache war größer als Smaug es im Film gewesen war. Die Hitze aus seinen Nüstern schlug dem Wolf entgegen, während er sich nervös zwischen den Baumskeletten hindurch nach vorne wagte. Immer wieder prüfte er, dass Assyls leicht schimmerndes Tarnfeld ihn umgab. Dann wagte er sich leise näher an den Bücherstapel.
Der war zum Glück nicht ganz so riesig wie die Schatzkammer im Erebor. Eigentlich waren die Bücher nur ein gemütliches, etwas erhöhtes Nest für den Drachen. Es waren trotzdem noch Hunderttausende. Und die sollte er alle durchsuchen? Wie? Wann?
Mutlos trat er schließlich an den Ausläufer des großen Bücherbergs. Der schnaufende Atem des Drachen toste wie ein Sturm über die Lichtung. Marvin stupste das erste Buch an, drehte es auf die Seite und las den Titel.
Es war nicht "Arkenbuch". Würde das Arkenbuch überhaupt den Titel "Arkenbuch" haben? Ratlos starrte er auf die Unmengen an Büchern, Büchlein, Broschüren, Wälzern, Romanen, Taschenbüchern, gebundenen Büchern, alten Büchern, neueren Büchern ...
"Da bist du also", sagte eine dröhnende Stimme.
Marvin erstarrte. Wieso war es auf einmal so dunkel? Als er den Kopf hob, blickte er direkt in die rotglühenden Augen des Drachen, dessen Kopf über ihm hing.
"Zeig dich", verlangte die Feuerechse.
"Weißt du was ...", flüsterte Assyl. "Viel Glück." Damit zischte das Kreaich davon.
"Assyl, warte!", quiekte Marvin, doch es war zu spät. Der dornenbesetzte Schwanz des Drachen legte sich als Ring um ihn, ein Gefängnis, dem er nicht entkommen konnte.
Schnaufend witterte die Riesenechse. "Nun, wer oder was bist du? Der Geruch der Bären, der an dir haftet, ist mir vertraut, aber da ist noch mehr ..."
"Wie? Du hast keine Wölfe hier im Wald?" Unsanft setzte sich Marvin auf die Hinterpfoten. Er schlotterte unter dem Fell. Jedes Wort des Drachen vibrierte durch seine Knochen.
Und die Hitze ... der Gestank nach verbranntem Land ... Als wäre er wieder in seiner eigenen Geschichte, auf der Flucht vor Drachen, würde um sein Rudel bangen.
"Natürlich kenne ich Wölfe." Der Drache lachte dröhnend. "Doch du hast etwas an dir ... Wie ist dein Name?"
"Es ... es ist sehr unhöflich, nach einem Namen zu fragen, ohne sich vorher vorzustellen", brachte Marvin mit bebender Stimme hervor.
Der Drache zog die Lippen von den riesigen Zähnen zurück. "Du hast recht, kleines Wölfchen. Wie nachlässig von mir."
Mit einem Ächzen, unter dem der Wald erbebte, stand der grüne Drache auf. "Ich bin das Vergessen. Ich bin der Tod! Das Ende der Kreativität. Ich bin das, was dich und all deine Freunde erwartet. Mein Name ist ... Feitaerk." Er räusperte sich. "Du kannst Feit sagen."
"Feitaerk? Also 'Krea-Tief' rückwärts? Ehrlich? Wie unkreativ."
"Das ist meine Macht. Ich bin Unkreativität."
Marvin stieß ein schrilles, nervöses Kichern aus. Er zuckte zusammen. "Ich klinge ja wie Assyl!"
"Also, wer bist du?", fragte der Drache mit tödlichem Blick. Er war absolut nicht amüsiert.
"Ich ... bin Marvin. Einfach Marvin."
"Nun, Einfach Marvin. Was haben sich deine Freunde ausgedacht? Sie schicken dich her, um das Arkenbuch zu finden? Du bist der Entbehrliche für die aussichtslose Aufgabe?"
"Sie vertrauen mir, dass ich es schaffe", sagte Marvin und sah nervös zum Waldrand.
"Du?" Der Drache lachte. Es war laut wie ein Sommersturm.
Am Waldrand trat der Weltenwanderer von einem Fuß auf den anderen. Alle beobachteten den großen Drachen. Alle bis auf Marv. Marv hatte dem Drachen den Rücken zugekehrt und starrte zu den fernen Armeen.
"Wir müssen ihm helfen", entschied der Weltenwanderer.
Xenon nickte. "Ich will unbedingt auch mal gegen einen Drachen kämpfen!"
"Ihr bleibt hier!", knurrte Marv.
"Aber ..." Der Weltenwanderer und alle anderen sahen ihn an.
"Er schafft das. Er kennt seine Aufgabe."
"Das ist ein Drache! Und wir reden hier von Marvin!" Dass die beiden letzten Bären verwirrt zuhörten, ignorierte der Weltenwanderer. "Wir müssen ihn retten, bevor er gebraten wird!"
"Ich sagte, ihr bleibt!", brüllte Marv. Alle sahen ihn entsetzt an. Etwas leiser und mit schiefem Wolfslächeln fügte er hinzu: "Er schafft das."
Auf der Lichtung hatte sich Marvin zusammengekauert, bis das laute Gelächter des Drachens endlich abebbte. Feitaerk betrachtete den Wolf mit schiefgelegtem Kopf.
"Nicht gerade Heldenmaterial, mein Freund. Wie hast du es überhaupt hierher geschafft?"
"Och, mit ein bisschen Hilfe." Marvin überlegte fieberhaft, wie er den Drachen hinhalten konnte, bis ihm eine Idee käme. Er wünschte sich Lyssa herbei. Lyssa hatte immer Ideen, und oft genug war sogar was Brauchbares dabei.
Aber Lyssa war an Marv gebunden. Und Marv würde ihm sicherlich nicht helfen.
"Hilfe?", wiederholte der Drache lauernd. "Von wem?"
"Oh, von einem guten, einäugigen Freund", plapperte Marvin in Panik. "Und von einem Spiegelbild unter den Bergen. Von einem Wermenschen!"
"Einäugiger Freund? Spiegelbild? Sind das Rätsel?"
Marvin nickte eifrig. "Und einige große Weinbecher haben uns auch geholfen!"
"Große Weinbecher?" Der Drache riss die Augen auf. "Fässer! Die Fässer aus dem Wattlandreich! Die verdammten Biber haben euch geholfen."
"Was? Neeeiiin." Marvin lachte nervös. "Das verstehst du ganz falsch ... Wo willst du hin?!"
Der Drache war aufgestanden. Er spannte die Flügel auf.
"Dir vergebe ich, Einfach Marvin. Du hattest keine Chance, dich gegen den Narren Herbert Bienenspeer zu wehren. Aber die Biber hätten es besser wissen müssen. Lass mich dir zeigen, was jene erwartet, die sich gegen mich erheben!"
"Nein! Warte! WARTE!" Entsetzt sah Marvin zu, wie Feit abhob. Sein Flügelschlag bog die Tannen, als er sich in den Himmel erhob und auf den fernen See zuhielt.
"Bleib hier!" Mit angelegten Ohren wollte Marvin ihm folgen, als etwas seinen Blick einfing.
Es war ein Buch, dessen Umschlag in klarem Silber schimmerte, als hätten die Sterne sich in Buchgestalt auf der Erde eingefunden. Wie magisch wurde der Blick des Grauwolfs von diesem herrlichen Licht angezogen. Während der Drache sich wie ein rasender Tornado entfernte, erkannte Marvin, dass er es gefunden hatte.
Das Arkenbuch.