"Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut." Angespannt lief Marvin auf dem Wehrgang der Sternenzinne auf und ab. Draußen tobte die Schlacht. Bären, Elche und Biber waren wie Naturgewalten auf die Armee der Menschen geprallt. Was diese mächtigen Arken an Stärke mitbrachten, machten die Menschen durch den Erfindungsreichtum ihrer Waffen wett. Brennende Geschosse flogen durch die Luft und schlugen Schneisen in den Finsterwald. Der Lärm war beinahe unerträglich.
Ein besonders lautes Krachen ließ Marvin zusammenzucken. Eine Art Explosion ließ den Himmel um einen beweglichen Belagerungsturm herum explodieren. Auf diesem Turm befand sich etwas, das Marvin vertraut vorkam - eine Art Vogelscheuche mit vier beweglichen Gliedern, die zum Klang der Signalhörner verschiedene Formen annahm.
Dort lag das Befehlszentrum der Menschen. Es war ein Turm mit mehreren Stockwerken, breit und auf seinen Rollen erschreckend mobil. Aus allen Schießscharten regnete es Pfeile.
Marvin reckte vorsichtig den Kopf über die Burg und spähte in das Schlachtchaos. Es war nicht sehr schwierig, die buntgemischte Pseudonymgruppe ausfindig zu machen, die auf den Turm zuhielt. Marv stürmte an der Spitze voran, offenbar entschlossen, den eisernen Turm höchstselbst zu Fall zu bringen. Lyssa und Sylas waren ihm dicht auf den Fersen. Der Rest bemühte sich, ihnen einen Weg freizukämpfen.
"Oh nein", murmelte Marvin. "Oh nein, oh nein. Was macht ihr da?"
Er legte die Ohren an und suchte panisch nach irgendwas, das ihm helfen konnte. Alles, was er sah, war das rote Kreaich an seiner Seite.
"Assyl, du musst mich tarnen!"
"Du willst doch nicht wirklich da runter! Das ist gefährlich."
"Wir müssen! Wenn wir nichts unternehmen, werden Marv, Lyssa und Sylas sterben."
Assyl flackerte unschuldig.
Marvin trat von einer Pfote auf die andere. "Komm schon!"
"In Ordnung." Assyl umschloss den Wolf mit seinem Tarnzauber.
"Danke!" Rasch hetzte Marvin los. Der Grauwolf flitzte durch das Tor und in das Gedränge der unterschiedlichen Kämpfer, unsichtbar für die Krieger. Währenddessen rollte der Belagerungsturm langsam weiter, gezogen von mehreren Trollen. Marvs Gruppe hatte ihn erreicht und versuchte, an den langarmigen Felswesen vorbeizukommen. Die Pseudonyme und Marv tanzten um die brüllenden Trolle herum, während von oben Pfeile hagelten. Es sah wirklich nicht gut aus. Und trotz allem bahnte sich der Turm seinen Weg über splitternde Tannen, auf das Tor der Sternenzinne zu.
Bei seinem Versuch, den Turm zu erreichen, kam Marvin an Cyb vorbei. Der Roboterwolf wurde von mehreren Menschen mit Speeren eingekesselt. Marvin hatte es zwar eilig, aber nicht so eilig, also sprang er einem der Menschen in den Rücken, packte den Speer eines anderen und rannte weiter, während cyber_doggo den erschrockenen Menschen entkam, die nicht wussten, was über sie gekommen war.
Marvin kam endlich beim Turm an. Hechelnd hielt er an. Einen richtigen Plan hatte er nicht, er wusste nur, dass er Marv aus der Gefahrenzone bringen musste. Bevor er oder die beiden Kreaichs an seiner Seite starben.
Er versuchte ebenfalls, zwischen den Trollen hindurch zu huschen. Vielleicht würde es helfen, wenn er den Vormarsch des Turmes unterbrach! Da er unsichtbar war, konnte er den Trollen entgehen, anders als Marvin, Urdoggo und die beiden Kreaichs, und am Fuß des Turmes auf die verschlossene Tür starren. Zum Glück gab es nebenan ein Fenster - eher eine breite Schießscharte - das nicht verschlossen war. Marvin sprang auf das Fensterbrett und in einen Raum. Hier lagen Menschen, die Schützen, die wohl eigentlich nach draußen schießen würden, aber bereits von einigen Pfeilen der Elch-Bogenschützen erwischt worden waren.
Von draußen hörte er nur das Brüllen der Trolle. Der Schlachtlärm vermengte sich zu einer sinnlosen Kakofonie. Mühsam kletterte Marvin eine steile Leiter hinauf und überwand auf diese Weise vier weitere Stockwerke mit mehr oder weniger Bogenschützen, die ihn zum Glück alle nicht hörten.
Dann zog er sich völlig erschöpft auf die Plattform oben auf dem Turm. Er sah mehrere Offiziere und einen narbenübersäten Menschen mit einem Haken statt Hand, der ein Horn hielt und Befehle bellte. Also offensichtlich der Anführer.
Gerade drehte er sich grinsend um. "Dieser Wolf versucht noch immer, durchzubrechen. Der Plan funktioniert schon fast zu gut. Wenn der Grauwolf erst weg ist, und diese ganzen anderen Wesen, die sich eingeschlichen haben, können wir die Kreativität eindämmen und einen neuen Drachen herlocken. Und dann gibt es keine lästigen Arken mehr, die uns bekämpfen."
Schwankend erhob sich Marvin auf die Pfoten. Das war also der gefürchtete Anführer der Menschen. Er musste nur ihn ausschalten, um den Kampf zum Erliegen zu bringen.
Marvin war schon lange kein Krieger mehr. Eigentlich hatte er das Morden hinter sich gelassen. Aber hier ging es um Marv!
Wieder sah der Mensch nach unten. "Seht ihn euch an! Ein Grauwolf, der glaubt, es mit Trollen aufnehmen zu können. Ich denke, es ist Zeit, dass die Falle zuschnappt! Schickt die Trolle fort." Gleichzeitig stieß er ins Horn. "Gebt das Signal zu Phase 3!"
Marvin sprang vor. Doch im gleichen Moment wirbelte einer der Untergebenen herum. Dessen Schwert erwischte Marvin an der Schläfe - und schickte den Grauwolf über die Brüstung des Turms und auf direktestem Wege ins Reich der Träume.
Der grünäugige Grauwolf weiter unten blickte sich auf dieses bisher lauteste Hornsignal hin um. Zu seinem Erstaunen sah er, dass die Armee der Menschen sich zurückzog.
"Sie haben Angst!", rief er triumphierend. "Los, vorwärts!"
Diesmal schafften sie es durch den Ring aus Trollen hindurch und zur Tür des Turmes. Urdoggo brach diese mit einem beherzten Sprung auf. Marv, Lyssa und Sylas strömten ins Innere.
Auf der ersten Ebene lebte nichts mehr. Mit ein wenig Hilfe vom Urdoggo, der von unten drückte, kletterte Marv die Leiter herauf, während Lyssa und Sylas einfach durch den Boden schwebten und abwechselnd auf jeder Ebene erstrahlten, worauf alle Menschen geblendet zu Boden stürzten.
"Sei vorsichtig!", rief Urdoggo dem Wolf und den beiden Kreaichs nach, die sich bis nach oben vorarbeiteten. Dann trat er in die Tür, um den Eingang zu bewachen.
Oben zog sich Marv noch etwas ungeschickter als zuvor Marvin auf die obere Plattform. Die ganze Flauscherei auf Belle hatte ihn unsportlich werden lassen. Lyssa und Sylas schwebten einträchtig über seinen Schultern.
Verwundert sahen die drei sich um, denn hier oben war niemand mehr. Nur die große Vogelscheuche stand da. Ihre beweglichen, mit Häuten behängten Glieder klapperten leise im Wind.
Der Schlachtlärm verklang, als die Bären, Elche und Biber sich auf die Fersen der fliehenden Menschenarmee setzten und ihnen zum See folgten.
"Wo ist der Mistkerl hin?", fragte Marv leise. Er wusste selbst nicht, wieso er plötzlich flüsterte.
"Vielleicht geflohen, zusammen mit allen anderen." Lyssa glänzte suchend in viel zu winzige Winkel.
"Das wundert mich sowieso", warf Sylas ein. "Wieso ist er geflohen? Die Menschen sind immer noch deutlich in der Überzahl."
Sie tauschten ratlose Blicke, als mit einem Mal der Boden erbebte. Ein lautes Rumpeln erklang und der ganze Turm erzitterte. Marv presste sich flach an die Holzbretter der Plattform.
"Was, bei der Finsternis zwischen den Sternen, war das?!", rief er.
Ihre Blicke glitten zum Berghang, der nah an den Wald heranreichte. Die Erde dort bewegte sich wie ein aufgewühltes Meer.
"Erdgräber ...", murmelte Sylas. "Och nee."
Riesige, mahlende Kieferwerkzeuge brachen durch das Erdreich, groß wie Autobahntunnel. Die gewaltigen Würmer bäumten sich mit schrillem Brüllen auf und fielen auf den Wald, wo sie mehrere der großen, uralten Tannen umwälzten, ehe sie sich neue Löcher fraßen und unter das Schlachtfeld abtauchten, senkrecht in die Tiefe.
Aus den großen Löchern, die die drei Würmer hinterlassen hatten, strömten die Mitglieder der fünften Armee. Sie befanden sich im Rücken der vereinten Kräfte von Bären, Bibern und Elchen, welche die Menschen bis an den See gelockt hatten. Es war eine Falle. Nun griffen sie von beiden Seiten an.
Marv, Lyssa und Sylas auf ihrem Turm kauerten ganz allein und weit von ihren Verbündeten entfernt in der vordersten Linie der neuen Front.
"Jetzt weiß ich, was Marvin die ganze Zeit meinte!", piepste Marv.