"Was ist das für ein Lärm?" Mac drehte den Kopf.
Mehrere Biber folgten seinem Blick. Andere fuhren damit fort, über die reichen Schätze des Finsterwalds zu reden oder Biber-Bard, Macs Rolle, zu verspotten. Doch nach und nach verstummten sie. Mit der heraufziehenden Nacht war es kühl geworden, doch nun erhob sich ein derartiger Sturm, dass es nicht mehr natürlich war.
Mehrere Blicke suchten ratlos den Himmel ab. Wolken zogen vor dem blassen Mond und den Sternen vorbei. Wolken und ...
Macs Augen weiteten sich. "Oh-oh."
Auf der Ebene am Seeufer galoppierte Sepia mit aller Kraft, die ihre Hufe hergaben. Sie hatte die Rolle von Legolas/Tauriel übernommen und war jetzt ein Mitglied des Wattlandreiches, doch die Elche hatte sie hinter sich zurückgelassen, um zur Biberburg vorzudringen. Ihr Blick war auf den Damm gerichtet. Sie wusste, dass ihre Pseudonymkollegen irgendwo hier waren, doch nicht, wer in Seestadt auf sie wartete.
Während ihre Hufe über Holz donnerten, erklang ein gewaltiges Brüllen aus dem Himmel.
Sepia bremste abrupt ab und sah hinauf. Sie hörte den Flügelschlag und das Schnaufen des Drachens.
"So früh?", murmelte sie halblaut. "Ich dachte, wir hätten mehr Zeit."
Wie auf ein geheimes Stichpunkt erglühte ein rascher, roter Punkt am Himmel, entfaltete sich zu einem Flammenstrahl, der auf die Biberburg auf dem See niederging und eine gewaltige Schneise in den Bau brach. Wasser schwappte über den Damm, auf dem Sepia stand. Schwankend hielt sie das Gleichgewicht.
Im Schein der Flammen, die emporschlugen, sah sie den großen Leib des Drachens beleuchtet, und vor dem hellen Feuer kleiner die Schatten von Bibern, die panisch in den aufgepeitschten See flohen. Die roten Lichter spiegelten sich auf den dunklen Wellen und den Wasserflecken im Sumpf, der aus dem gestauten Fluss erwachsen war.
Der Drache wendete. Der Schlag seiner Schwingen erklang wie Donner.
Sepia spürte ein Zittern durch ihren gesamten Leib. Furcht prickelte über ihr Rückgrat und weckte den uralten Fluchtinstinkt der Pferde. Mit geblähten Nüstern sah sie in den Himmel.
Dann katapultierte sie sich mit den Hinterbeinen vorwärts und rannte weiter auf den See.
"Hier entlang!", rief sie den Bibern zu. "Flieht zum Ufer!" Mit einem Satz überquerte sie einen dunklen Kanal zwischen dem Damm und den Ausläufern der Biberburg, und sprengte weiter auf das Feuer zu.
Der Weltenreisende erreichte den Rand des Finsterwalds knapp vor Todo, der mit den kurzen Beinen nicht ganz so gut mithielt. Sie hatten die Gemeinschaft um Marv fast eingeholt, als der Sturm die Tannen niedergepeitscht hatte.
Mit offenem Mund sahen sie zu, wie der Drache über der Biberstadt tanzte. Seine Bewegungen waren nahezu schwerelos, unfassbar für so eine gewaltige Echse. Feuerstrahl um Feuerstrahl schnitt durch die Biberburg. Die Schreie drangen bis zu ihnen herüber.
Todo stützte sich keuchend auf die Knie. "Und dagegen muss sich Mac jetzt durchsetzen? Das schafft er doch nie."
"Wir müssen auf ihn vertrauen ...", murmelte der Weltenreisende. "Solange wir keine Figuren sind, dürfen wir nicht eingreifen."
"Bist du verrückt? Wir müssen ihnen helfen."
"So sind die Regeln."
"Dann sind das dumme Regeln." Todo schüttelte ernst den Kopf.
"Wir könnten alles vernichten, wenn wir uns einmischen. Es würde den Lauf der Geschichte ändern."
Todo schnaubte. "Das ist doch eh nur ein billiger Abklatsch. Was sollen wir da noch groß kaputt machen?"
Der Weltenreisende drehte sich um und musterte den Zwerg ernst unter der Kapuze seines Pullovers hervor. "Wir dürfen nicht eingreifen", wiederholte er.
"Unsere Freunde brauchen unsere Hilfe! Was soll denn schlimmstenfalls passieren?"
"Schlimmstenfalls?" Der Weltenreisende lachte, während hinter ihm neuerliches Feuer die Nacht erhellte. "Lass mich lieber vorne anfangen! Zunächst einmal könnten wir sterben. Verbrennen, zertrampelt werden, ertrinken. Wir könnten einer wichtigen Schlüsselfigur vor die Füße laufen und verhindern, dass der Drache wirklich stirbt. Oder sogar dafür verantwortlich sein, dass die Figur stirbt!"
"Die wichtige Schlüsselfigur?", fragte Todo. "Also Mac?"
Der Weltenreisende schwieg.
Mit einem Sprung setzte Mac über eine Lücke in der schwimmenden Stadt, ein Riss in der Biberburg mit geschwärzten Rändern und voller aufgewühltem Wasser. Hitze spülte durch seine Mähne. Im Rauch versuchte er, den Weg zum Ufer zu erkennen, als mit einem Mal eine Stute aus den dichten Schwaden kam.
"Sepia?"
"Mac?! Was machst du hier?"
Er warf einen unsicheren Blick zum Drachen, der gerade über ihnen wendete. "Ich bin Bard."
"Du?"
"Wieso klingst du denn so ungläubig?"
"Weil der Weltenreisende wissen müsste, dass ich ihn umbringe, wenn man meinen kleinen Bruder in solche Gefahr bringt." Sepia trat an seine Seite und sah mit ihm in den Himmel.
Der Drache kam wieder herunter und spie Feuer, allerdings am Rand des Dorfes. Schreie klangen herüber. Es konnten sich sicherlich nicht alle Biber in den See retten.
"Was ist dein Plan?", fragte Sepia.
"Ich habe keinen", gestand Mac. "Ich dachte, ich finde vielleicht einen Bogen oder ... irgendwas."
"Einen Bogen? Wie willst du einen Bogen bedienen?"
"Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass der Drache so bald kommt."
"Ich bringe ihn wirklich um", murmelte Sepia und sah sich um. "Okay, Mac, wir müssen den Drachen wütend machen. Und dann werden wir ihn besiegen."
Mac sah sie verwirrt an. "Wie?"
Sepia lächelte. "Indem wir seine Schwäche ausnutzen." Sie lief los. "Mach ihn wütend, Mac! Und bring ihn dann zum Damm!"
"Mach ihn wütend", äffte Macchiato seine Schwester nach. "Nichts leichter als das!" Schnaubend trottete auf einen etwas erhöhten, noch intakten Teil der Biberburg und stieg auf die Hinterbeine.
"Hey! Drache!", wieherte er in den Himmel. "Du hast doofe Ohren und riechst nach Pipi!"
Erstaunlicherweise hörte Feit ihn. Er wendete und landete im Wasser vor dem Hengst. Dunkle Fluten spülten um seine geschuppten Beine, die wie mächtige Baumstämme aufragten. "Wie bitte?"
"Du hast ... doofe Ohren und ... und ... riechst nach Pipi", wiederholte Mac tapfer. Er trat auf der Stelle, unter dem glühenden Blick des Drachens.
"Ich ... habe nicht mal Ohren." Der Drache witterte. "Jedenfalls keine sichtbaren Ohrmuscheln. Ich bin ein Reptil! Wer bist du, Pferd?"
"Wie, wer bin ich? Ich bin, ähh, Bard. Der Kahnführer ..."
"Nein, nein. Du bist nicht von hier." Der glühende Blick der roten Augen richtete sich auf Mac. "Genau wie dieser Wolf ... Dann werde ich es eben herausfinden!"
Der Drache öffnete das Maul. Mac stolperte zurück, doch Feit spie kein Feuer. Stattdessen holte er Luft. Sehr tief und sehr lang. Mac fühlte sich plötzlich schwach und zittrig auf den Hufen. Schwindel ließ ihn taumeln, als ihm etwas entzogen wurde. Es mochte seine Seele sein, seine Lebendigkeit.
"Mac! Vorsichtig!", erklang Sepias Stimme. "Jeeetzt!"
Er drehte den Kopf. Seine Schwester hatte einige Biber auf dem Damm hinter ihnen versammelt. Jetzt stießen sie zu und zogen mehrere dicke Stämme aus dem Wall. Sofort brach dieser, Wasser sprudelte vor, ließ die Biberburg unter Mac beben und riss den Drachen von den Beinen.
Mac schüttelte den Kopf. Der Schwindel verging sofort, als der Drache von ihm abließ.
Feitaerk stürzte in die Fluten.
"Jaaa!", jubelte Mac. Verfrüht. Denn der Drachenkopf stieß wieder über die Wellen. Hasserfüllt öffnete er das Maul, diesmal erglühten Flammen, die seinen Hals heraufwanderten.
Macs Blick fiel auf einen langen Stock, der neben ihm aus der Biberburg ragte, und er trat zu. Der Ast flog wie ein Speer direkt ins Maul des Drachen, der die Augen aufriss, deren Glühen mit einem Mal flackerte, hustete und dann von der Strömung des einbrechenden Damms unter den See gerissen wurde. Er tauchte noch einmal auf, als er den Wasserfall hinter dem Damm hinunterstürzte und donnernd auf den Felsen ein knappes Dutzend Meter tiefer aufschlug.
Feit war tot.
"Das ... war irgendwie antiklimaktisch", murmelte Mac. "Und jetzt?"