Mit plötzlicher Klarheit und leider viel zu spät erinnerte sich Marv daran, dass er sich in einer ziemlich gefährlichen Position befand, eingekeilt zwischen zwei Fronten und in der Rolle einer Figur, von der er wusste, dass sie diese Schlacht nicht überleben würde.
Lyssa und Sylas flogen vor ihn, als die Erdwürmer in den Boden eintauchten und den Weg für den neuen Hinterhalt freimachten. Beide Kreaichs, das blaue und das goldene, funkelten kampfbereit.
"Was habe ich getan?", flüsterte Marv entsetzt. "Marvin hatte recht! Ich hätte auf ihn hören sollen!"
Nun war es freilich zu spät, um noch heimlich mit Herbert Bienenspeer die Plätze zu tauschen. Vom Belagerungsturm aus sah Marv auf die klaffenden Höhlen in der Bergwand. Ein Gefühl überkam ihn wie vor der Winterinvasion, wenn er auf dem Wall bei Wolvesgate Wache hielt und den ersten Winterdämonen entgegensah. Wenn der kühle Hauch des Winters einen Schauer über's Land sandte und die schiere Überzahl der Dämonen alle Kreativen erzittern ließ.
"In dieser letzten, langen Nacht der Fantasie ...", murmelte der Wolf halblaut. Irgendwie musste er auch das hier durchstehen.
Nur konnte er hier nicht auf die Unterstützung der Belletristicans hoffen, und auch nicht auf magische Portale wie in der Marvel-Welt.
Mit wildem Geschrei stürmte das fünfte Heer aus dem Erdreich. Marv legte die Ohren an, bereit, sich seiner letzten Schlacht zu stellen - und stockte.
Der erste, der aus der Dunkelheit stürmte, war ein gewaltiger Höhlenbär. Er lief auf allen Vieren, trug aber Stiefel an den Hinterpfoten, einen Kettenpanzer und darüber Fellbesatz, eine bestickte Weste und mehrere Gurte, an denen Schwert, Axt und Kriegshammer befestigt waren, während er in der Hand einen mächtigen, verzierten Speer schwang. Am Arm der anderen Pranke hatte er einen Schild, der aus einem großen Bienennest geformt zu sein schien.
Ihm auf den Fuß folgten zwölf weitere Bären in widerstandsfähiger, hübsch gearbeiteter Rüstung. Aus einem anderen Erdloch rannten ein schattendunkler Wolf und neben ihm ein dunkelhäutiger Mensch mit Augenklappe.
"Nick! Marvin Schlauwolf!" Marv stellte erleichtert die Ohren auf.
Hinter diesen beiden folgten die restlichen der in Belletristica zurückgebliebenen Pseudonyme. Sie mischten sich nicht in den Kampf ein, sondern machten nur den Bären Platz. Offenbar hatten sie Herbert hergeführt - und nicht nur ihn. Ungläubig erblickte Marv einen weiteren Menschen, der sich im Laufen in einen großen Bären verwandelte, um den Angriff zu unterstützen, zwei Elche und einen Biber. Und zuletzt flogen riesige Adler aus den Tunneln.
Das fünfte Heer war nicht besonders groß. Zahlenmäßig war es deutlich unterlegen und dürfte kaum einen Unterschied machen. Doch der taktische Vorteil der riesigen Adler war definitiv nicht zu unterschätzen, und Herbert Bienenspeers Kampfgebrüll säte Angst in die Herzen aller Feinde.
Die Menschen, die sich eben noch kurz vor dem Sieg gewähnt hatten, wichen zurück, als Herbert an der Spitze eines Bärenpfeils zwischen den Elchen, Bären und Bibern hindurch an die Front eilte und sich mit wirbelnden Pranken ins Getümmel warf.
Auf dem kleinen Turm atmete Marv erleichtert auf. Er konnte bis hierher sehen, dass die Schlacht gewonnen war.
Marvin erwachte mit einem ziemlichen Brummschädel auf einer leeren, nächtlichen Ebene, zwischen zerbrochenem Belagerungsgerät. Als er auf die Pfoten kam, schwirrte Assyl zu ihm.
"Geht es dir gut?"
"Ja, aber ... was ist mit Marv?" Blinzelnd sah sich der Grauwolf um.
"Tja, Marv ..." Assyl sprach nicht weiter.
Eisige Furcht erfasste Marvins Herz. Er eilte über das Schlachtfeld. Der Kampflärm war verklungen, doch aus der Sternenzinne hallten noch Rufe. Ein schwacher Lichtschimmer leitete ihn aus der Nacht heraus. Als der gelbäugige Wolf die Eingangspforte erreichte und den leeren Hof dahinter sah, trat ihm plötzlich eine dunkle Gestalt aus dem Torhäuschen entgegen.
Marvin hob den Kopf. "Nick?"
Der Mensch lächelte breit. "Da bist du ja endlich." Er setzte sich in Bewegung, in die Burg hinein. Marvin lief rasch an seine Seite.
"Was ist passiert? Geht es allen gut? Wo ist Marv? Was ist mit Lyssa und Sylas? Und was ist mit den Bibern? Und den anderen Pseudonymen? Und den Bären? Und ...?"
Nick sparte sich eine Antwort, während er über einen von Bärenstatuen und goldgerahmten Bildern gesäumten Flur schritt. An dessen Ende stieß er eine Doppeltür auf. Der Lärm wurde schlagartig lauter, begleitet vom intensiven Duft nach Essen und dem strahlenden Schein von Kronleuchtern, Kerzen und Kaminen.
Marvin starrte ungläubig in die riesige Halle. Es war ein Thronsaal mit zwei Galerien im ersten und zweiten Stock und einem angeschlossenen Speise- und einem Tanzsaal. Alles, die drei großen Hallen und die Galerien, war brechend voll mit Bibern, Elch-Zentauren und gerüsteten Bären. Im Speisesaal ächzten Tische unter einem Bankett, das soeben aufgetragen wurde. Von den höheren Balkonen wehten blaue Banner. Das Stimmengewirr war überwältigend.
Als die Meute zu den Tischen strömte, erhaschte Marvin einen Blick auf den gewaltigen Bärenthron. Auf diesem saß Herbert, der ihn sofort bemerkte. Sein lauter Bass übertönte die Musik einiger Biber und die Stimmen.
"Marvin! Nick! Kommt her!"
Die Menge teilte sich vor ihnen. Wolf und Mensch traten bis vor die Stufen zum Thronpodest und hielten an.
"Näher! Nur nicht so scheu, meine Freunde." Herbert lachte wohlwollend. "Euch verdanken wir es doch, dass wir heute feiern und der Toten gedenken können! Na los, nehmt Platz!"
Marvin bemerkte zwei Sitze bei Herbert. Ein Stuhl in Menschengröße und ein Hundekörbchen. Er nahm sofort Platz.
"Marvin ..."
"Was ist denn, Nick?"
"Der Stuhl war für mich."
"Oh. Na gut." Der Grauwolf trollte sich ins Körbchen. Als er sich gesetzt hatte, bemerkte er eine kleine Gruppe nah beim Thron, die sich eine Essenschlacht mit Brotchips lieferten: Die Bären und seine Pseudonyme. Er sah genauer hin und erblickte erleichtert sowohl die beiden Eisbären als auch Marv, Lyssa und Sylas. Die Bären und ihr Ersatz scherzten einträchtig. Offenbar hatte Nick ihnen genauestens erklärt, warum sie entführt worden waren, und sie hatten den Pseudonymen vergeben.
Marvin zählte durch und stellte fest, dass niemand fehlte. Sogar Nivram war unter der Meute. Der gelbäugige Wolf warf Assyl einen scharfen Blick zu, aber das Krea-Ich kicherte nur.
"Dank deiner Hilfe, Marvin, und deinem Eingreifen, Nick, ist die Welt der Arken wieder geheilt", sprach Herbert. "Natürlich sind mit dem Arkenbuch auch viele alte Konflikte zurückgekehrt, doch diesen können wir uns als uns selbst stellen. Als Herrscher und Könige, als Arken, nicht als bloße Tiere. Und dafür sind wir euch zu unendlichem Dank verpflichtet. Ich kenne keinen Schatz, der aufwiegen kann, was ihr für uns getan habt."
"Ich nehme keinen Lohn an", sagte Nick sofort. "Es ist meine Pflicht, die verschiedenen Welten zu stärken. Als ich sah, dass Arkenerde im Chaos versank und die Kreativität verschwand, musste ich einfach eingreifen. Und es wäre beinahe zu spät gewesen!"
Herbert nickte nachdenklich. "Ich bin froh, dass ich wenigstens einen Teil meiner Identität behalten konnte. Mein wahrer Name ist, wie ich erfuhr, Varkathos Bienenspeer. Doch ich denke, ich werde Herbert bleiben. Damit die Erinnerung an dieses Abenteuer nicht eines Tages verblasst." Sein Blick richtete sich auf Marvin.
"Ich ... habe das Arkenbuch als meinen Anteil genommen", murmelte der Wolf nervös. "Mir reicht es als Lohn, wenn ich einen Weg nach Hause bekomme."
"Die Heimkehr sei dir natürlich gewährt." Herbert sah Nick an.
"Ich kümmere mich darum", versprach der Einäugige.
"Aber ich hoffe, du wirst uns ab und zu besuchen."
Nun lächelte Marvin aufrichtig. "Auf jeden Fall! Ich will das Arkenland kennenlernen, jetzt, da es vom Fluch des Drachen befreit ist!"
"Du bist in der Sternenzinne jederzeit willkommen."
"Ich hoffe, ihr werdet auch meinen Bau noch einmal besuchen", merkte Marvin an. "Ich vermute, dass er nun ebenfalls ein wenig anders aussehen wird."
Herbert nickte mit einem warmen Lächeln. "Ich wünschte, ich könnte dir einen Lohn bieten, der an den Wert deiner Heimat herankommt. Doch ich fürchte, kein Geschenk kann übertreffen, wohin du zurückkehren wirst. Denn du hast uns durch das Arkenbuch ebenjenes Geschenk gemacht."
"Du musst mir nichts geben. Wirklich nicht." Marvin sah grinsend zu seinen Pseudonymen herüber.
Es wurde ein schönes Fest. Allerdings hatte der Kampf auch ein paar Opfer gefordert, die am nächsten Tag beerdigt wurden. Ihnen zu Ehren wurden viele Feste gefeiert. Die Elche, die Biber und die Bären verband nun wieder eine lange Geschichte, die aus den Seiten des Arkenbuchs aufgetaucht war. Nicht alle Absätze davon waren schön. Tatsächlich gab es mehr Feindschaft als Freundschaft, doch nach der Schlacht wurde zunächst ein Waffenstillstand beschlossen.
Niemand würde vergessen, dass Herbert eingegriffen hatte, als die dunkelste Stunde schlug, und alles sah danach aus, dass das Bündnis der drei unterschiedlichen Arken fortbestehen würde. Vorerst würden sie genug damit zu tun haben, ihre Burgen und Paläste zurückzuerobern und den Glanz der alten Zeit wiederzubeleben.
Nach ein paar Tagen, die sie auf der Sternenzinne ausruhten, machten sich die Belletristicans und Nick Calm schließlich aufbruchsbereit. Herbert und die Bären traten ihnen am großen Tor der Sternenzinne gegenüber.
"Ich bin sehr froh, dass ich euch getroffen habe", sagte Marvin ehrlich. "Wir hatten ein schönes Abenteuer."
"Du bist ein mutiger Wolf, Marvin Grauwolf", sagte Herbert und drückte den Wolf an sich. "Es war eine Ehre, mit dir zu reisen."
Nachdem die Abschiede abgeschlossen waren, trotteten sie in die Wildnis hinaus.
"Meintest du das ernst?", fragte Nick den Grauwolf.
"Was?", fragte Marvin zurück.
"Dass dir das Abenteuer gefallen hat."
"Nun ... wenn ich ehrlich bin ... ja. Ja, es hat mir gefallen. Sehr sogar."
"Das ist gut. Denn es war vermutlich noch nicht das Letzte ..."
Marvin war darüber nicht einmal besonders entsetzt oder böse. Oder überrascht. Vermutlich plante Nick die nächste 'Party' bereits. Und Marvin hatte absolut nichts dagegen.
Mit einem hintergründigen Lächeln setzte sich Nick an die Spitze der Gruppe.
Die Wölfe, Pferde, Menschen, ein Otter und ein Einsiedlerkrebs folgten ihm in einer langen Reihe. Als sie einen Hügel überschritten, verwandelte die Sonne ihre Konturen in Schattenschnitte, die einträchtig einer neuen Welt entgegenzogen.
Der Wind, der über das Land der Arken strich, klang fast wie eine Melodie. Der wehmütige Ruf eines Abenteuers voller Gefahren und Wunder vielleicht, vermengt mit dem Duft nach Freundschaft und mutigen Taten, oder nur der Klang der einsetzenden Credits ...
Wo Schatten lauern, tief und kalt,
kehren wir heim zum Finsterwald.
Mag Feuer glüh'n und Tod uns droh'n,
ein Schatz aus Urzeit unser Lohn.
Wo einst der Schmiede Lied erklang,
der Hammer auf dem Amboss sang.
Wo Sternenlicht in Gold gebannt,
zieht es uns heim ins Bärenland.
Des Drachen Zorn das Land versengt,
die Melodie uns Trost noch schenkt.
Zu lang verlor'n, und zu weit fort
ist Thron und Heimat, Bärenhort.
Verloren, doch vergessen nicht.
Ein leis' Gerücht von Hoffnung spricht.
Drum, Arkenkind, steh' mir zur Seit',
erscheint der Weg auch viel zu weit.
Trag' in dir Mut, sei stetig treu,
und diese Welt glänzt wieder neu.
Wenn nur des Drachen Glut erstickt,
wird auch das Arkenlicht geweckt.
Scheitern wir, werden wir fallen,
so nicht allein, sondern zusammen.
Mag Feuer glüh'n und Tod uns droh'n,
sei uns're Freundschaft unser Lohn.
Wo Schatten lauern, tief und kalt,
kehren wir heim zum Finsterwald.
So bittersüß, und so weit hin,
ist uns're Heimat, Sternenzinn.
CREDITS
Bilbo Beutlin:
Marvin Grauwolf
Gandalf der Graue:
Nick Calm
Thorin Eichenschild:
Höhlenbär Herbert Bienenspeer / Marv D. Graue
Kili:
Eisbär Zwirg / Lyssa Ira Furor
Fili:
Eisbär Hwirg / Sylas Rai Ofurr
Balin:
Braunbär Zjerg / Weltenwanderer
Dwalin:
Braunbär Zjerl / Urdoggo
Oin:
Lippenbär Gwerg / Mobu Cajatoshia & Hyphurion
Gloin:
Lippenbär Gwerf / Todo Nitoz
Ori:
Kragenbär Zwarb / Timofei Naveek
Nori:
Schwarzbär Zwarc / Asta Traichon (Fuchsmaske)
Dori:
Malaienbär Zwarg / Weltenreisender
Bombur:
Panda Dwerk / Knochenknurpsler
Bofur:
Brillenbär Zmerk / Xenon Aridae
Bifur:
Kurznasenbär Zwerk / cyber_doggo
Bard:
Macchiato
Legolas / Tauriel:
Sepia
mit
Nivram als
Gollum
und
Assyl als
der Ring
Ende
Die Straße gleitet fort und fort ...
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Dir hat die Geschichte gefallen?
Wenn du möchtest, kannst du mir für deine absoluten Lieblingswerke ein paar Brotchips über Ko-fi spendieren: https://ko-fi.com/grauwolfautor
Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!