In einem Loch in der Erde, da lebte ein Grauwolf.
Ihr dürft euch jetzt keine gemütliche Hobbithöhle vorstellen, denn es handelte sich um einen Wolfsbau, der auf Menschen einen höchst ungastfreundlichen Eindruck machen muss. Ein Erdloch, so eng, dass man stellenweise robben muss, mit Würmern und Wurzeln und Käfern an den Wänden.
Für einen Wolf sieht das Ganze aber schon anders aus. Für Marvin Grauwolf war es eine ausgesprochen schöne Höhle. Sie besaß mehrere Räume, die einem großen Rudel Platz boten, und viele Gänge dazwischen, wo man eben jenem Rudel bei Bedarf aus dem Weg gehen konnte. (Denn Wölfe können furchtbar introvertiert sein!) Der Boden war weich mit Gras und Fell gepolstert und die Würmer im Grunde auch nur ein proteinreicher Zwischensnack. Die Höhle lag zwischen den Wurzeln einer sehr alten und sympathischen Eiche in einem kleinen Hügel, bei einem Bach mit schlammigem Ufer und in einem dichten Wald voller Getier.
Aus Wolfssicht war das Refugium von Marvin Grauwolf perfekt. Kein Wunder - der Autor hatte es selbstständig geschrieben. Deswegen herrschte hier auch immer perfektes Wetter: Kühl mit einem leichten Windzug. Nachts war der Himmel sternenklar und tagsüber drangen goldene Sonnenfinger durch das raschelnde Blätterdach. In der Dämmerung stieg Nebel aus den weiten Wiesen, wo Rothirsche grasten, und manchmal schneite es zarte Flöckchen.
Marvin zog sich hierhin zurück, wenn er Ruhe brauchte, und erlaubte es nur manchmal seinen Figuren, ihm hier Gesellschaft zu leisten. Er verbrachte viele Stunden alleine hier, ungestört von dem bunten Treiben der Realität.
Umso erstaunter war er an diesem Tag, als er ausgestreckt im Moos vor der Höhle lag, sich die Sonne auf den Pelz schienen ließ und mit einem Mal Schritte hörte.
Marvin setzte sich auf und blinzelte, als ein Mensch auf die Lichtung trat, der einen grauen Anzug trug und eine Augenklappe über dem rechten Auge.
"Nick?" Marvin legte den Kopf schief. "Was machst du hier?"
Nick Calm war ein alter Freund, dem Marvin bereits in der Chaoswelt begegnet war. Das war eine lange Geschichte gewesen. Marvin und Mobu Cajatoshija hatten Nick getroffen und von einem bevorstehenden Angriff der Ordnungsordnung erfahren. Gemeinsam hatten sie mich, also Marv D. Graue, und weitere Pseudonyme entführt, um die Chaoswelt und damit das Chaos-Multiversum zu retten.
Danach war Frieden eingekehrt. Wir hatten die Chaoswelt und unsere Superkräfte zurückgelassen und Nick hat uns nur noch selten besucht. Deswegen war Marvin auch so verdutzt, als der Augenklappenträger sich jetzt zu ihm vor seinen Bau setzte.
"Guten Morgen."
"Guten ... Ist es ein guter Morgen? Was machst du hier?" Etwas am Tonfall des Menschen machte Marvin misstrauisch.
"Ich suche jemanden für ein Abenteuer", sagte Nick und lächelte Marvin freundlich an.
Marvin stand langsam auf. "Bei aller Freundschaft, Nick - beim letzten Abenteuer haben wir Lyssa beinahe verloren!" Behutsam machte der Grauwolf einen Schritt zurück zum Wolfsbau. "Ich glaube kaum, dass irgendeines meiner Pseudonyme sich auf einen zweiten Ausflug dieser Art einlassen wird."
"Wo ist denn euer Abenteuerdurst geblieben?", fragte Nick verwundert, während der Wolf rasch den Rückzug antrat.
"Der ist vielleicht zusammen mit unseren Superkräften auf der Strecke geblieben", murmelte Marvin. "Guten Tag!" Er drehte um und flüchtete unter die Erde.
Nick Calm stand etwas schwerfällig auf und rieb sich grübelnd das Kinn. "Hmm ... Dann ist es beschlossen. Ja, ich denke, ein Abenteuer wird dir guttun." Damit kratzte er ein merkwürdiges Zeichen in den Schlamm vor Marvins Höhle und marschierte summend davon.
In seiner Höhle lief dem Grauwolf plötzlich ein unerklärlicher Schauer über den Rücken. Zum ersten Mal, seitdem die Ordnungsordnung besiegt war, wünschte sich der ehemalige Captain Marv(el) seine Superkräfte zurück.