Du schulterst den Rucksack und machst dich mit strammen Schritt zu den Häusern auf. Selbst, wenn dir die Bewohner dieser Welt nicht wohlgesonnen sind, dieses Risiko musst du wohl eingehen. Wenn Gefahr droht, kannst du immer noch weitersehen – es wäre nicht die erste Klemme, aus der du dich wieder befreien würdest.
Als du über den sanften Hügel läufst, wachsen vor dir spitze Dächer in den Himmel. Es liegt tatsächlich ein Dorf vor dir, eher noch ein größerer Bauernhof. Aus der Ferne zählst du fünf Gebäude aus einem seltsamen, himmelblauen Material, das dich an Stein erinnert, mit watteweichen Wolkendächern. Doch nicht alle der Gebäude scheinen auch Wohnhäuser zu sein. An eines schließt sich eine Weide an, auf der offenbar Schafe herumtollen – sie sind aus der Entfernung nur sehr schwer auszumachen. Ein anderes Gebäude macht auf dich eher den Eindruck einer Scheune. Trotzdem gibt es drei Kaminschlote, aus denen Rauch aufsteigt.
Es gibt keinerlei Deckung, also läufst du geradewegs über den Abhang auf die Hütten zu. Es dauert nicht lange, und du siehst einige Gestalten aus den Häusern laufen, die sich vor den Gebäuden versammeln und deine Ankunft erwarten.
Im Näherkommen siehst du, dass es Menschen sind, in bunter, bäuerlich einfacher Kleidung. Allerdings erinnern sie dich mehr an verträumte Geschichten als an richtige Bauern. Es gibt einen gutmütig aussehenden Familienvater, eine mütterliche, blonde Ehefrau, ein älteres, gebeugtes Pärchen mit tief eingegrabenen Lachfalten und eine unübersichtliche Schar Kinder in den unterschiedlichsten Größen – die Älteste, ein zartes, blondes Wesen, klebt mit beständigem Lächeln am Arm eines dunkelhaarigen Schönlings.
Deine anfänglichen Sympathien für diese Leute schlagen in ein anderes Gefühl um, dass du gar nicht so ohne weiteres beschreiben kannst. Es ist wie … emotionaler Karies.
„Ah, ein Wandersmann!“, begrüßt dich der kräftig gebaute Bauer, kommt auf dich zu und schlägt die gutherzig auf den Rücken. „Willkommen! Du musst müde sein!“
Sie warten nicht ab, bis du etwas erwiderst. Schon wirst du ins Haus geleitet, während allerlei Namen auf dich einprasseln. Der Bauer heißt offenbar Jochen, seine Frau Gudrun, die älteren Leute sind Jochens Eltern, die Blondine die älteste Tochter Gerlinde, deren frisch angetrauter Hannes von einem Hof ganze drei (!) Tagesreisen entfernt stammt und der fünfte Sohn einer reichen Familie von Mondkalbzüchtern ist.
Ein wenig schwindelig findest du dich vor einem Holzteller wieder, in den dampfender Eintopf gefüllt wird. Die ganze Familie plappert unbeirrt auf ihren „Wandersmann“ ein. Du bekommst langsam das Gefühl, dass die ganze Szenerie wie ein fortschrittlicher 4D-Film ist, in dem du zwar alles berühren und anfassen kannst, aber trotzdem nur ein unbeteiligter Zuschauer bist, der auf die Schauspieler keinen Einfluss nehmen kann.
Auch die Bauern kommen dir nicht wie Personen vor, sondern wie billige Schablonen von einfachen, grundehrlichen und glücklichen Menschen, die den Traum vieler Städter leben.
Traum … du hast für einen Moment das Gefühl, einer wichtigen Sache auf der Spur zu sein. Uuuuund das Gefühl ist weg.
Du betrachtest deine Gastgeber. Sie machen auf dich den Eindruck von Märchengestalten: Der Bauer und seine Frau, die brave Tochter, der fünfte Sohn – fehlt eigentlich nur noch …
- … die böse Hexe. Kapitel 674:
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- … der Fisch, der Wünsche erfüllt. Kapitel 680:
[https://belletristica.com/de/chapters/74961/edit]
- … der Königssohn. Kapitel 678: