Einleitung
Die Tennyo (jap. 天女, kana てんにょ; chin. Tennin 天人) ist eine legendäre Präsenz aus Japan, China, Indien und anderen Ländern des umliegenden Kulturraumes. Ihr Name bedeutet so viel wie "Himmlische Frau" bzw. "Himmelsfrau".
Merkmale
Tennyo sind außergewöhnlich schöne Kreaturen, die stark menschlichen Frauen erinnern. Ihr Anmut und ihre Eleganz, wie auch die übernatürlichen attraktiven Gesichter und Figuren, machen sie zu wahren Blickfängen der Fabelwesen. Es gibt nur wenig Möglichkeiten sie von einer Frau zu unterscheiden. In der Regel tragen sie schöne Kleider namens Hagoromo ("Federtuch"), welche es ihnen erlaubt zu fliegen. Diese Roben ähnlichen Kleider sind meist in den Farben Rot, Blau und Grün gehalten. Welche nach der Lehrer Fünf-Elemente-Lehre mit den Elementen Feuer, Wasser und Holz in Verbindung gebracht werden können.
Vorkommen
Die Tennyo sind auf Tendō anzutreffen, dem Himmelreich der Buddhistischen Kosmologie. In der chinesischen Folklore wird auch der Mond als Herkunftsort der Tennyo angegeben.
Lebensweise
Ernährung
Sie speisen dieselben Speisen wie Menschen. Bei den Begleitern der Buddhas und Bodhisattvas ist eine vegetarische Ernährung anzunehmen.
Verhalten
Tennyo sind Diener und Geliebten für den Kaiser des Himmels und Gefährten von Buddhas und Bodhisattvas. Sie singen, tanzen, spielen Musik, rezitieren Gedichte und tun all das was Dienerinen und Geliebte des Erdenkaisers tun, nur dass sie es mit noch mehr Anmut, Raffinesse und Schönheit tun. Zudem sind sie sehr hilfsbereit anderen Himmelsbewohnern gegenüber und unterhalten diese mit ihren Künsten. Gelegentlich steigen die himmlischen Wesen zur Erde hinab, um diese zu besuchen.
Kulturelle Bedeutung
Tennyo sind ein beliebtes Thema der Folklore, insbesondere in Japan. Die Legenden handeln oft von Liebesgeschichten und der Ehe zwischen Tennyo und Menschenmännern. Die berühmtesten Geschichten sind die Hagoromo-Legende, welche in ein Nō-Drama (Nō ist das traditionelle japanische Theater)[1] adaptiert wurde, und das Märchen vom Bambussammler (Taketori Monogatari). Welche auch in der Popkultur stark vertreten sind (Teile der Geschichte aus dem Manga/Anime Naruto entstammen diesem Märchen, ebenso basiert das Pokémon Kaguron auf der Mondprinzessin und das renommierte Studio Gihbli Die Legende der Prinzessin Kaguya widmete der Geschichte einen Animationsfilm. [3,4,5])
Hagoromo-Legende [2]
Vor langer Zeit, im heutigen Shizuoka, wanderte ein Fischer namens Hakuryō entlang der von Pinien bewachsenen Strände an der Halbinsel Miho. Es war ein schöner Frühlingsmorgen und Hakuryō hielt für einen Moment an, um den schönen weißen Sand, die funkelnden Wellen, die flauschigen Wolken und die Fischerboote in der Bucht zu bewundern. Ein angenehmer Duft erfüllte die Luft und es schien ihm, dass ätherische Musik auf den Winden tanzte. Da fiel ihm etwas ins Auge; über einem nahen Kiefernzweig lag ein Gewand aus dem prächtigsten Stoff, den er in seinem Leben gesehen hatte. Es war aus einem weichen, federartigen Material gefertigt und in fantastischen Farben gewebt, also beschloss Hakuryō, es mit nach Hause zu nehmen und als Familienerbstück zu behalten.
Aber gerade als Hakuryō sich auf die Abreise vorbereitete, erschien eine junge Frau voll atemberaubender Schönheit und gänzlich nackt vor ihm. Sie hatte Blumen im Haar und roch genauso schön, wie sie aussah. Die Frau sagte, dass er ihr Hagoromo-Gewand halten würde, und bat ihn, es zurückzugeben. Hakuryō erkannte, dass dieses schöne Mädchen ein Tennyo seien musste. Doch er weigerte sich ihr das Gewand zurückzugeben und sprach, es würde seinem Dorf Glück und Reichtum bringen.
Die Frau wurde traurig und beklagte, dass sie ohne ihr Gewand nicht wieder in den Himmel fliegen könnte. Sie fiel auf die Knie und weinte bitterlich, ihre Tränen fielen wie schöne Perlen in den weißen Sand. Die Blumen in ihrem Haar begannen zu verwelken. Sie blickte zu den Wolken über ihr auf und erblicke eine Gänseschar vorbeifliegen, was sie nur noch trauriger machte, da sie diese an die himmlischen Karyōbinga zu Hause im Himmel erinnerte.
Hakuryō hatte ein Herz und war tief bewegt von der unendlichen Traurigkeit der schönen Frau. Er sagte zu ihr, dass er ihr das Gewand zurückgeben würde, doch verlangte er dafür einen himmlischen Tanz zu sehen. Die Jungfrau stimmte dem Tanz zu, verwieß aber darauf das sie ihr Gewand dafür bräuchte. Hakuryō wehnte eine List und weigerte sich der schönen Frau das Gewand zurückzugeben. Er dachte sie würde umgehend in den Himmel aufsteigen, ohne den Versprochenen Tanz zu präsentieren. Die Tennyo antwortete ihm, dass Täuschung ein Teil seiner Welt sei und keine Tennyo je ihr Wort brechen würde. Hakuryō war voller Scham und gab ihr das Kleid zurück.
Die Tennyo zog ihr Gewand, ihr Hagoromo, anund führte wie versprochen den tanz des Mondpalastes auf. Sofort erschallte himmlische Musik, Flöten, Koto (jap. Wölbbrettzithe) und dem Wind in den Kiefern. Mond schien durch die Bäume und ein süßer Duft erfüllte die Luft. Die Wellen wurden ruhig und friedlich, als lauschten sie dem Spiel. Die Ärmel des Hagoromo tanzten im Wind und es schien, als wären sie von Freude ergriffen. Langsam schwebte die Tennyo tanzend in den Himmel auf. Sie flog über den Strand, immer höher, über die Kiefern, durch die Wolken und über den Gipfel des Fuji bis sie im himmlischen Nebel verschwand.
Taketori Monogatari [6]
Eines Tages stieß ein alter, kinderloser Bambusschneider namens Taketori no Okina (竹取翁 "der alte Mann, der Bambus erntet") bei einem Spaziergang im Bambuswald auf einen mysteriösen, leuchtenden Bambusstiel. Nachdem er diesen aufgeschnitten hatte, fand er darin ein Kind von der Größe seines Daumens. Er freute sich, ein so schönes Mädchen zu finden und nahm es mit nach Hause. Er und seine Frau zogen das Mädchen auf als sei es ihr eigenes Kind auf und nannten sie Kaguya-hime (かぐや姫 genau: Nayotake no Kaguya-hime zu deutsch: Glänzende Prinzessin des geschmeidigen Bambus"). Nach diesem Ereignis fand Taketori no Okina heraus, dass, wann immer er einen Bambusstiel abschnitt, er ein kleines Goldstück dort finden würde. Bald wurde er reich. Kaguya-hime wuchs über die Zeit von einem kleinen Baby zu einer Frau von gewöhnlicher Größe aber außergewöhnlicher Schönheit heran. Zuerst versuchte Taketori no Okina, sie von Außenstehenden fernzuhalten, aber mit der Zeit verbreitete sich die Nachricht von ihrer Schönheit.
Schließlich kamen fünf Prinzen nach Taketori, der Residenz von Okina, um nach der Hand der schönen Kaguya-hime zu fragen. Die Prinzen überredeten schließlich Taketori no Okina, einer widerwilligen Kaguya-hime zu sagen, dass sie unter ihnen zu wählen hatte. Kaguya-hime erfand unmögliche Aufgaben für die Prinzen und stimmte zu, denjenigen zu heiraten, der es geschafft hatte, die ihm gegebene Aufgabe zu lösen. Als sie so entschieden hatte, überbrachte Taketori die Nachricht an die fünf Prinzen. Der erste von ihnen sollte ihr die steinerne Bettelschale des Buddha Shakyamuni aus Indien bringen, der zweite ein mit Juwelen besetzten Zweig von der mythischen Insel Hōrai, der dritte das legendäre Fell der Feuerratte Chinas, der vierte ein farbiges Juwel aus dem Hals eines Drachens und der letzte Prinz eine aus Schwalben geborene Kaurimuschel.
Als er erkannte, dass es eine unmögliche Aufgabe war, kehrte der erste Prinz mit einer teuren Steinschale zurück und hoffte, dass Kaguya-hime es für echt halten würde, aber nachdem sie bemerkt hatte, dass die Schale nicht mit heiligem Licht leuchtete, wusste Kaguya-hime das es eine Täuschung seien musste. Ebenso versuchten zwei andere Prinzen, sie mit Fälschungen zu täuschen, scheiterten aber ebenso. Der vierte gab nach einem Sturm auf, während der letzte Prinz bei seinem Versuch sein Leben verlor (in anderen Versionen wird er schwer verletzt).
Danach kam der Kaiser von Japan, Mikado, um die seltsam schöne Kaguya-hime zu sehen und bat sie, ihn zu heiraten, nachdem sie sich verliebt hatte. Obwohl er nicht den unmöglichen Prüfungen unterworfen war, die die Prinzen erfüllen sollten, lehnte Kaguya-hime auch seinen Heiratsantrag ab und sagte ihm, dass sie nicht aus seinem Land stamme und daher nicht mit ihm in den Palast gehen könne. Sie blieb in Kontakt mit dem Kaiser, lehnte aber weiterhin seine Bitten und Heiratsanträge ab.
In dem Sommer, als all dies passiert war, fühlten sich Kaguya-himes Augen mit Tränen, wenn sie den Vollmond sah. Obwohl ihre Adoptiveltern sich große Sorgenmachten und sie befragten, konnte sie ihnen nicht sagen, was sie so unsagbar traurig machte. Ihr Verhalten wurde immer unberechenbarer, bis sie enthüllte, dass sie nicht von dieser Welt war und zu ihrem Volk auf dem Mond zurückkehren musste (In einigen Versionen dieser Geschichte heißt es, dass sie zur Erde geschickt wurde, wo sie unweigerlich materielle Anhaftungen bilden würde, als vorübergehende Strafe für ein Verbrechen, während sie in anderen zur Erde zu ihrer eigenen Sicherheit während eines Himmelskrieges geschickt wurde.). Das Gold, das Taketori no Okina gefunden hatte, war in der Tat eine Art Unterhalt des Volkes des Mondes, das herab geschickt wurde, um die Versorgung Kaguya-himes zu bezahlen.
Als sich der Tag ihrer Rückkehr näherte, schickte der Kaiser viele Wachen um ihr Haus, um sie vor dem Mondvolk zu schützen, aber als eine Botschaft der Himmlischen Wesen vor der Tür der Okinas ankam, wurden die Wachen zur Handlungsunfähigkeit geblendet. Kaguya-hime kündigte an, dass sie, obwohl sie ihre vielen Freunde auf der Erde sehr liebte, mit dem Mondvolk in ihre wahre Heimat zurückkehren müsse. Sie schrieb traurige Entschuldigungen an ihre Eltern und an den Kaiser und gab ihren Eltern dann als Erinnerung ihr eigenes Gewand. Dann nahm sie ein wenig vom Lebenselixier, hängte es an ihren Brief an den Kaiser und gab es einem der Wachoffiziere. Als sie es ihm übergab, wurde ihr Federgewand auf ihre Schultern gelegt, und all ihre Traurigkeit und ihr Mitgefühl für die Menschen auf der Erde waren wie ausradiert. Das himmlische Gefolge brachte Kaguya-hime zurück nach Tsuki no Miyako (月の都; "Hauptstadt des Mondes") und ließ ihre irdischen Pflegeeltern in Tränen ausbrechend zurück.
Ihre Pflegeeltern wurden sehr traurig und kurz nach der Abreise von Kaguya-hime krank und Bettlägrig. Der Offizier kehrte mit den Gegenständen, die Kaguya-hime ihm als letzten Abschied gegeben hatte, zum Kaiser zurück und berichtete, was geschehen war. Der Kaiser las ihren Brief und war von Traurigkeit überwältigt. Er fragte seine Diener: "Welcher Berg ist der dem Himmel am nächsten gelegene Ort?
"Der große Berg derProvinz Suruga", antwortete man dem Kaiser. Der Kaiser befahl daraufhin seinen Männern, den Brief zum Gipfel des Berges zu bringen und ihn zu verbrennen, in der Hoffnung, dass seine Botschaft so die entfernte Prinzessin erreichen könnte. Den Männern wurde auch befohlen, das Elixier der Unsterblichkeit zu verbrennen, da der Kaiser nicht ewig leben wollte, ohne Kaguya-Hime sehen zu können. Die Legende besagt, dass das Wort Unsterblichkeit, 不死 (fushi), zum Namen des Berges Fuji wurde. Es wird auch gesagt, dass die Kanji für den Berg, 富士山 ("Berg überhäuft mit Kriegern"), von der Armee des Kaisers abgeleitet ist, die die Hänge des Berges hinaufstiegen, um seinen Befehl auszuführen. Es wird gesagt, dass der Rauch der Verbrennung bis heute ansteigt. (Der Fuji ist ein Vulkan und hatte in früherer Zeit deutlich stärkeren und vermehrten Rauchausstoß.)
Möglicher Ursprung
Tennyo sind eine weibliche Untergruppe von Tennin, einer von vielen himmlischen Rassen, die auf Tendō beheimatet sind. Sie basieren auf den indischen Apsaras, himmlischen Nymphen aus der hinduistischen und buddhistischen Mythologie. Sie wurden zusammen mit dem Buddhismus aus Indien nach China gebracht, wo sie sich zudem Tennyo entwickelten, den wir heute kennen. Der chinesisch-buddhistische Tennyo wurde später nach Japan gebracht.
Quellen
https://ja.wikipedia.org/wiki/%E5%A4%A9%E5%A5%B3
https://scary.fandom.com/wiki/Tennyo
https://web.archive.org/web/20090712125650/http://mukashibanashi.org/overview.html
Einzelnachweise
[1] Hermann Bohner: Hagoromo In: Nō. Die Einzelnen Nō. Deutsche Gesellschaft für Natur- Und Völkerkunde Ostasiens, Tōkyō 1956. Kommissionsverlag Otto Harrassowitz, Wiesbaden.
[2] https://bohnerbiographie.zenwort.de/bw_daten/Hagoromo_KikuchiKan_%C3%BCbsLiedtke1936-150dpi.pdf
[3] https://naruto.fandom.com/de/wiki/Kaguya_Ootsutsuki
[4] https://www.pokewiki.de/Kaguron#Herkunft_und_Namensbedeutung
[5] https://ghibli.fandom.com/de/wiki/Taketori_Monogatari
[6] https://archive.org/details/primitivemediaev00dickuoft/page/314 (Seite 314 - 379)
Verborgene Pfade