Gemeinsam mit Fische befand sich Cana im Zimmer von Steinbock.
Während Stier an einem Baum angelehnt war und die Beine kreuzte, saß Steinbock auf der Wiese. Aus seiner Handinnenfläche kam eine Blume mit blauen Blüten herausgewachsen. Ein Schmetterling verirrte sich zu ihm und ertastete das Innenleben mit den Fühlern.
»Das Zimmer von euch Erdzeichen gefällt mir am besten«, begann Cana. Sie hielt die Hände am Rücken verschränkt und beugte sich etwas. Überall roch es nach Erde. Es würde sie nicht wundern, wenn irgendwo ein Reh oder Fuchs auftauchen würde. Sie war sich nicht sicher, aber vermutlich verstanden die Erdzeichen die Tiere. Sie konnten mit ihnen kommunizieren. Möglicherweise war das ein Grund, warum keiner von ihnen etwas zu sich nahm, das von einem Tier stammt.
Stier verengte die Augen zu Schlitzen, während er sie lokalisierte. Derweil bewegte sich Steinbock kein Stück vom Fleck. Ein mildes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, während er dem Schmetterling zuschaute. Eine Seltenheit bei ihm.
Du hast Muskeln im Gesicht, weißt du, Steinbock? Es gibt einen Grund, warum man sie hat. Cheese!
Einer der Dinge, die ihr dauerhaft im Kopf herumschwirrten, wenn sie es mit ihm zu tun hatte, aber sie traute es sich nicht zu, ihm solche Dinge zu sagen. Aber eines war sicher, wenn er sich mal dazu durchrang, besaß er einer der schönsten Lächeln dieser Welt. Neben Fische.
Sehr merkwürdig, dass Ari diesem Zauber nicht verfällt. Es fällt ihm nicht mal auf. Wie geht das?
»Ich glaube, ähm, ich glaube«, bemerkte Fische an, »wir stören, Krebs. Lass uns wieder gehen.«
Der Schmetterling hob ab und Steinblock folgte ihm mit den Augen. Später verschwand das Lächeln. Er strich die Wiese glatt, als würden die Grashalme ihm die Sicht auf etwas nehmen.
»Wo wart ihr gestern?«, fragte er auf einmal. »Ihr wart nachts unterwegs, habe ich mitbekommen.«
Skorpion hielt sein Versprechen. Seitdem sie zuhause waren, sprach niemand sie auf ihr Zusammentreffen mit dem dreizehnten Sternzeichen an. Sie wollte es nicht ganz glauben, aber möglicherweise schätzte sie Skorpion seit Beginn falsch ein.
»Äh«, machte Cana und widmete sich Hilfe suchend Fische.
Ratlos zuckte er mit den Schultern. »Doppelt äh. S-s-sag du was.«
Zu ihrem Glück flogen Wassermann und Zwillinge in den Raum und erlösten sie davon, die Wahrheit sagen zu müssen. Wenig später trat Waage ein. Waage, den sie in der Öffentlichkeit Lims nannten, trug überall und zu welcher Jahreszeit auch immer, eine Kopfbedeckung. Er wollte seine weiße Haarpracht verbergen. Dass seine Augen in Wahrheit silbern waren, aber er grüne Kontaktlinsen trug, wusste niemand außerhalb des Hauses.
»Jungs nicht so wild, okay?«, rief Waage. »Immerhin sind wir hier nicht in unserem Zimmer. Wir sind Gast, hört ihr?« Er formte aus seiner Hand einen Trichter und stemmte die andere in die Seite. Von den Luftzeichen war er der Netteste, so empfand Cana es.
Stier schnaubte. »Was habt ihr hier zu suchen? Kann man nicht in Ruhe zu zweit sein?«
Zwillinge streckte Stier die Zunge heraus. »Nö. Wir langweilen uns.«
»Bitte nicht streiten, ja?«, vermittelte Waage zwischen ihnen. Er hob ab und streckte die Hand als Stoppzeichen aus. »Wassermann, sag ihm bitte was.«
Wassermann, der die Hände in den Hosentaschen ließ, nickte geistesabwesend. Die Kraft, die in der Regel in seiner Stimme war, verflüchtigte sich. Er klang monoton. »Hör auf, Zwillinge. Aus. Na los.«
Beide Luftzeichen grinsten sich an. Waage rollte mit den Augen. Er begriff, dass er geneckt wurde.
Endlich mal jemand anderes und nicht immer ich …
»Andere Frage«, setzte Zwillinge plötzlich an. Er spähte zu Cana herüber. »Wo warst du kleine Maus mit Anhängsel gewesen, he?«
Fisches Gesicht verfinsterte sich. »Ich bin kein Anhängsel.« Hinterher schmollte er, indem er die Lippen schürzte.
»Da-das geht niemandem etwas an, jawohl!«, verteidigte Cana sich. Vielleicht wäre es besser, das Zimmer zu verlassen. Die ursprüngliche Idee, ein paar Worte mit Steinbock zu wechseln, klappte offenbar nicht. Der nächste Plan hieß: Rückzug, ehe sie zum Opfer ihrer Späße wurde.
Plötzlich schwebten ihre Füße über dem Boden. Sie fühlte sich leichter. Auf der linken Seite hielt Wassermann Cana fest und auf der rechten klammerte sich Zwillinge an sie. Ihr verschmitztes Grinsen verrieten, dass sie Cana nicht so schnell in Ruhe lassen würden.
Oh nein! Wenn ich erst einmal oben bin, gibt es kein Entkommen!
»Lasst mich los!«, rief sie zappelnd. Aufgrund der Höhe wurde ihr schwindelig. Alle Sternzeichen wirkten aus der Perspektive kleiner. »Hey! Aquan und Gemay! Warum seid ihr immer so fies zu mir?«
Sie atmete flacher. Statt sie herunterzulassen, schwebten sie mit ihr ein gutes Stück höher. Das Herz raste in der Brust. Eiskristalle erreichten sie knapp und brachen in tausende von Teile. Einen Blick auf Fische riskierend, bemerkte sie, dass er sein Bestes gab, um sie zu erreichen, aber der Abstand zwischen ihnen war zu groß. Weder mit Wasser noch mit Eis hatte er Erfolg.
»Jungs, lasst sie los«, rief Waage. Kaum als sie seine Stimme hörte, erhellte sich ihr Gesicht. Jemand anderes außer Pisan setzte sich für sie ein. »Krebs ist leider nicht schlau genug, um zu begreifen, dass ihr so eure Zuneigung zu ihr zeigen wollt und ihr sie nur ärgert, weil ihr sie mögt! Das macht ihr Angst.«
Wie … bitte?
»Das ist nicht gerade hilfreich, Lims!«, brüllte sie zurück.
»Aber wieso?« Er neigte den Kopf schräg, als sei er wirklich irritiert. »Ich meine, ich will doch nur zwischen euch vermitteln. Zwar hast du sensible Antennen, was andere Personen und ihre Emotionen angeht, aber du bist nicht so geschickt wie Fische darin, um die Informationen, die du bekommst, zu entschlüsseln. Vor allem dann nicht, wenn es um dich geht. Nichts für ungut, Krebs.«
Canas Gesicht verdüsterte sich schlagartig. Sie blieb kurz regungslos in den Fängen der Luftzeichen, so mundtot wie sie von Lims gemacht worden war. »Waage, sei einfach still. Das ist keine große Hilfe, sondern Unterstützung von Mobbing.«
Die Übelkeit wuchs in ihr, als die beiden sie in der Luft wirbelten. Ehe es ihr endgültig schlecht ging, brach das Karussell ab. Aus dem Augenwinkel erkannte sie einen großen Mammutbaum, der die Äste nach ihnen ausstreckte. Alle drei Sternzeichen verfingen sich in den Ästen. Nur der Ast, der Cana festhielt, minimierte sich, bis sie den Boden erreichte.
»Spaßverderber«, jammerte Zwillinge. »Musst du dich immer als ihr Vater aufspielen? Langweilig!«
Beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass Steinbock ihr half, zurück zum Boden zu finden. Abrupt kam Fische auf sie zu, um sich nach ihr Wohlbefinden zu erkundigen.
»Vater?«, murmelte Cana. Errötet blickte sie zu Steinbock.
»Nein, keineswegs. Vergiss das, was er gesagt hat.«
Sie richtete sich auf. Der Gedanke gefiel ihr, je länger sie darüber nachdachte. »Aber warum sagt das Gemay dann? Ehrlich gesagt, du wärst die bessere Alternative als Liony. Er ist zu streng. Mir gefällt die Idee, ehrlich. Ab heute bist du mein Vater, Steinbock. Abgemacht?«
Capyo wurde blass. Die Augen wurden größer.
»Selbst schuld, wenn du ihr hilfst«, zischte Stier in Steinbocks Richtung, während er die Arme vor der Brust verschränkte.
Warum musst du immer so einen Kommentar ablassen? Dann ist es mir lieber, du ignorierst mich, Taun!
Cana näherte sich ihm. Sie musterte ihn von allen Seiten. Was hatte sie falsch gemacht, dass er sie auf dem Kieker hatte? Das konnte sie nicht mehr ärgern nennen so wie es die Luftzeichen taten. Es war anders.
»Was?« Taun rückte etwas von ihr ab. Ein Muskeln bewegte sich unterhalb seines rechten Auges. »Was willst –«
»Ich hab's!« Cana zeigte mit dem Finger auf ihn. »Du bist immer so wütend, weil du dazu gehören willst, nicht wahr? Du bist eifersüchtig, na klar! Dann erkläre ich dich hiermit zu meinem großen Bruder, zufrieden?« Sie schenkte ihm ein breites Grinsen. Jetzt dürfte sie das Problem gelöst haben.
Zunächst wirkte Taun wie versteinert. Irgendwann biss er die Zähne zusammen. Er stieß Cana von sich. »Höre auf mit deiner ständigen Familiengetue! Wir sind keine. Nicht jeder will von dir als Familienmitglied betrachtet werden, kapiert?« Zerknirscht ging er aus dem Zimmer heraus, ohne zu erklären, wie er das meinte.
»Häh? Stier, hallo? Bleibe doch!«
»Mit deiner Vorgängerin hat er sich aber besser verstanden«, meinte Aquan und runzelte die Stirn. »Komischer Kerl.«
Der Baum, der beide Luftzeichen im Griff hielt, wurde kleiner und kleiner, bis sie den Boden unter ihren Füßen hatten. Obwohl der Baum sich langsam auflöste, machten beide Luftzeichen keine Anstalten sich von dem Gestrüpp zu befreien. Wie Gehängte blieben sie in ihrer Position.
»Meine Vorgängerin?«, wiederholte Cana und neigte den Kopf. »Wie meinst du denn das?«
»Ich denke, es wäre –«
»Der vorherige Krebs, meine ich«, erwiderte Wassermann, ohne Steinbock aussprechen zu lassen. »Weißt du es nicht? Hat dir Steinbock nie was darüber erzählt? Es ist nämlich so: Wir wissen nicht, warum, aber das Sternzeichen Krebs wird nie älter als sechzehn Jahre alt. So ist es doch, oder, Steinbock? Und du bist immer derjenige, der sich um das Baby kümmert, bis Krebs alleine zurechtkommt.«
Mit geweiteten Augen wandte sie sich Capyo zu, der ihrem Blick auswich. Fische klammerte sich an ihr und zitterte.
Heißt das, ich werde bald sterben?