Wie ein Seestern lag Cana auf der Wiese.
Ihre Handflächen zeigten nach oben. Ihr Brustkorb hob und senkte sich. Die Haare waren wie ein roter Fächer um sie ausgebreitet. Die Wolken versteckten die Sonne. Es war ein grauer Tag. Es war nicht die beste Gelegenheit, Energie zu tanken.
Sie seufzte.
Zumindest ein Hauch von positive Schwingungen hätten heute nicht geschadet.
»Was machst du da?«
Sie blickte hoch. Stier lehnte an der Hauswand.
»An nichts denken.«
Warum sprach Taun sie an? Dort, wo sie lag, hätte man sie gut übersehen können. Es wäre die perfekte Ausrede für seine Ignoranz. Stattdessen widmete er sich ihr. Die Initiative zum Unterhalten kam von ihm, nicht andersherum. Ungewöhnlich.
In der Tat … sehr ungewöhnlich. Heißt das etwa … heißt das etwa –
Plötzlich schreckte Cana mit einem erstickendem Laut hoch, als ihr etwas Entscheidendes bewusst wurde. Mit aufgerissenen Augen zeigte sie auf Stier. »Heureka! Ich hab's! Du brauchst jemanden zum Reden, habe ich recht? Etwas stimmt doch nicht mit dir. Na gut, komme her. Die Cana ist für dich da.« Sie klatschte neben sich auf der Wiese. Solange Taun sich an den Ameisen, Käfern und andere Krabbeltiere nicht störte – was sie aufgrund seines Erdzeichens nicht glaubte – war genügend Platz für sie beide vorhanden. Zu zweit zu entspannen, klang verlockender.
»Was?« Er weitete die Augen. Es arbeitete in ihm. Die Wangen wirkten rötlicher oder lag es am Licht? Im Nachhinein verdrehte er die Augen. »Heureka? Ernsthaft?«
Grinsend rieb sie sich am Hinterkopf. »Heureka! Ja. Ich habe ein neues Wort kennengelernt.«
»Und das musst du natürlich sofort und falsch in deinem Wortschatz etablieren?«
»Falsch …? Äh. Sei nicht so fies, bloß weil du schlechte Laune hast.« Sie schürzte die Lippen und klatschte kräftiger auf den Boden. Einige Grashalme waren nun platt. »Komm schon her und heule dich bei mir aus. Aber nicht zu viel, sonst muss ich auch weinen.«
Er verengte die Augen zu Schlitzen. Von seinem Platz rührte er sich keinen Stück. Es war, als würde sie im Schlamm liegen, so standhaft, wie er an Ort und Stelle stehenblieb. Später schnaubte er. »Könnt ihr Wasserzeichen Emotionen riechen, oder was?«
»Äh … also, ich denke –«
»Wolltest du das Denken nicht ausschalten? Scheint nicht so gut zu klappen.«
Erneut legte sie sich hin und breitete sich im Gras aus. Ein weiteres Mal seufzte sie bitter. »Stimmt. Gar nicht so einfach, an nichts zu denken, wenn jemand mit einem Schwung an Gefühlen in der Nähe ist.«
»Warum willst du an nichts denken?«
Ein paar kleine Vögel verirrten sich auf seinem Kopf. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht loszuprusten. Vor allem dann nicht, als einer von ihnen in seinen Haaren nach Nahrung pickte.
Zur Abwechslung tat es gut, das Bedürfnis nach lachen zu haben. Es blieb nicht lange dabei. Ihre Mundwinkel sanken herab.
»Wie werde ich sterben, Stier?«
Keine Reaktion. Atmete er noch?
Vorsichtig schielte sie zu ihm herüber. »Seitdem ich weiß, dass ich sterben werde, zermartere ich mir den Kopf, wie und wann es passieren wird. Gibst du mir wenigstens Antworten? Was ist mit meiner Vorgängerin passiert?«
»Wissen wir nicht.« Log er oder erzählte er die Wahrheit? Er wirkte nicht nervös, allerdings biss er das Kiefer eine Zeit lang zusammen. Dicke Adern kamen an seinem Hals hervor. »Meine Theorie war es immer, dass die Geburt des Nachfolger-Krebs drängt, weshalb der Vorgänger sterben muss.«
Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Was?
»Also bin ich … schuld? Hasst du mich deswegen so?«
»Mittlerweile glaube ich das nicht mehr.« Leiser fügte er hinzu: »Dich hasse ich doch nicht.« Er kratzte sich an der Nase, während er ihren Blicken auswich.
Nach einer Weile richtete sie sich auf. Die neuen Informationen machten sie nachdenklicher. In ihrem Kopf herrschte ein Tornado voller Gedanken. Die Gedanken überschlugen sich und raubten ihr den Atem. Sie atmete schneller. Bunte Flecken tanzten vor ihren Augen. Der Rücken versteifte sich.
Sie schüttelte den Kopf.
Konzentration, Cana! Du bist nicht schuld. Also … hoffe ich.
»Warum glaubst du nicht mehr an diese Theorie?«
Er ballte die Hände zu Fäusten. Die Vögel flogen abrupt weg, als die Atmosphäre sich veränderte. Es wurde erdrückender. Die Erde unter ihm bebte.
»Weil es merkwürdig ist, dass dieser scheinheilige Fluch nur dich betrifft. Es muss etwas anderes dahinter stecken.«
Sie wünschte sich, ihre Vorgängerin fragen zu können. War sie schlau genug, das Rätsel zu lösen, ehe sie starb? Oder musste sie genauso ahnungslos sterben wie sie es bald tun würde?
»Ich will leben«, brachte sie lächelnd hervor. Ihr war nach weinen zumute, aber sie schaffte es, die Fassade der Fröhlichkeit aufrechtzuerhalten. »Ich will nicht, dass Fische leidet, weißt du? Ich habe ihn zu lieb dafür.«
Das Erdbeben brach schleunigst ab. Die Vögel kehrten zurück auf seinem Kopf. Dieses Mal kamen weitere hinzu. Sie verteilten sich auf seine Schultern. Es war, als waren alle Blicke gleichzeitig auf sie gerichtet. Die Federviecher machten ihr allmählich Angst. Ein Schnabel könnte eine gefährliche Waffe werden.
Warum mache ich mir über so was Unrealistisches Gedanken? Mich werden bestimmt keine Vögel töten. Höre auf an dieses Thema zu denken. Na los, aufhören!
»Ich erinnere mich. Dieses Kind war dir schon immer wichtiger als alle anderen.«
»Ey!« Cana verschränkte die Arme vor der Brust. Was war das für ein abfälliger Unterton in seiner Stimme? Wenn jemand Fische beleidigte, beleidigte man sie gleich mit. »Rede nicht so über ihn. Was hast du gegen Fische? Er ist so lieb und –«
»Dieses Mal«, unterbrach er sie, während er finster dreinschaute, »lasse ich es nicht zu, dass du stirbst. Koste es, was es wolle. Dieses Mal nicht, Krebs.«