Das Feuer kam aus Aris Richtung. Bis aufs letzte Stück verkokelt er die Wurzel, die Stier für den Kampf hervorgebracht hatte. Solange brutzelte sie, bis sie zu Asche zerfiel. Wie üblich zog Widder die Augenbrauen zusammen und hob das Kinn keck hoch. Er blieb vor seinem Seelenverwandten stehen. Um zu beweisen, wie ernst er es meinte, streckte er einen Arm aus und bildete mit seinem Körper eine Schutzmauer. Löwe beobachtete das Geschehen mit verschränkten Armen, als könnte er auf dem Kampffeld keinen Schaden erleiden.
Sich vom Schlag erholt, rannte Pisan umgehend auf Cana zu. Ihn nah bei sich zu haben, löste etwas Beruhigendes in ihr aus. Sie fühlte sich nicht ganz ausgeliefert oder hilflos.
»Hey, alles gut?« Sein Atem rasselte.
Sie nickte, um ihn zu besänftigen. Die Position, in der sie sich befand, war nicht bequem. »Und wie ist es mit dir? Dein Gesicht sieht schlimm aus.«
Wie gerne will ich dich jetzt berühren, Fische, aber … ich kann nicht.
»Ich hole dich hier raus. Warte ein kleines bisschen.«
Mit seinen Händen formte er Eisklumpen. Er schlug mit vollster Kraft auf die frostige Fesseln ein. Leichte Splittern lösten sich. Nicht von dem Eis, das sie festhielt sondern von dem, das von Fische kam. Einige trafen sie am Augenwinkel.
»Hast du diese Frau nur deshalb getötet, weil die Kraft des Krebses in ihr schlummerte?«, hörte sie Stier fragen, während er Pixo keine Minute aus den Augen ließ. Seine Körperhaltung versteifte, aber er behielt seine ruhige Stimme aufrecht, als wollte er keinen Kampf riskieren. »Mit Sicherheit wäre es möglich gewesen, ihr das Gedächtnis auszulöschen. Der Schlangenträger muss die Macht dazu haben, aber du kamst ihm zuvor, weil du lediglich ihr Tod sehen wolltest. Ist das nicht so?«
Vir, der neben Pixo stand, heilte mit seinen glühenden Händen die Wunde an Skorpions Schulter. Er verzog das Gesicht während der Prozedur. Im Enddefekt nahm er die Schmerzen für Pixo auf sich.
Der Heilprozess ging schneller vonstatten, als sie es jemals bei einem Erdzeichen sah. Natürlich war Jungfrau gewissenhaft und trainierte deutlich mehr als die beiden anderen seiner Gattung. Obwohl er jünger war als Stier und Steinbock traute sie ihm zu, dass er bessere Techniken beherrschte.
»Du musst das nicht machen, das weißt du«, wandte er sich an Jungfrau, als hätte er Stier nicht gehört. Pixo hielt seine Hände in seine und schüttelte den Kopf. »Es sieht schlimmer aus, als es ist.« Hierbei klang Skorpions Stimme zärtlicher. »Mache dir keine Gedanken um mich. Solange du lebst, kann mir nichts wehtun.«
Die Schulter besaß kein großes Loch mehr. Das Blut gerann, aber vollständig genesen war die Stelle nicht. Weitere Heilung erlaubte er ihm nicht. Stattdessen tätschelte er sanft Virs Wange.
»Es macht mir nichts aus«, murmelte Jungfrau und zog Pixo zur Seite, als Stier Stachel aus Erde auf ihn losschickte. Beide funkelten Taun an, als hätten sie den schlimmsten Feind vor sich.
»Hast du mir nicht zugehört?«, raunte Stier. Allmählich erlosch die Energie. Die Frau war nichts außer eine leere Hülle. Auch Stier wurde sich darüber bewusst. Sein Kiefer mahlte, als er den Menschen auf seinen Armen betrachtete.
Abrupt schob Pixo Jungfrau hinter sich. Dieser ließ ihn gewähren und blieb wachsam.
»Ziehe nicht so ein lächerliches Gesicht, Taun. Hängst du denn dermaßen an der Menschenfrau, da die geliebte Energie deines Krebses damit umsonst genutzt wurde?«
»Was …?«
»Man müsste schon blind sein, um nicht zu begreifen, was du für Krebs empfindest. Dass sie zu mindestens achtzig Prozent deine Seelenverwandte ist und nur die restlichen zwanzig an Steinbock gehen.«
Häh?
Stiers und Canas Blick kreuzten sich in dem Moment. Sie blinzelte verdutzt. In der Zwischenzeit errötete er an der Nase und Ohren. Sie spürte, wie die Stimmung von Fische kippte. Dieser krallte sich mit einer Hand im Schnee fest, bis Erde in seinen Nägeln rutschte. Der Kehlkopf ging auf und ab.
»Nein«, hauchte Stier. Sofort schaute er nach unten. Vor allem in dem Augenblick, als er Löwes Aufmerksamkeit erregte, konnte er den Kopf nicht heben. »So ist es nicht. E-es ist anders.«
Auf einmal kamen lauter Wurzel aus der Erde heraus. Sie flochten sich zusammen und verformten sich zu einem Nest. Als Taun die Menschenfrau hineinlegte, wirkte es wie ein Sarg. Über ihr ließ er eine Kuppel aus Laub und Gestrüpp entstehen.
»Wie ist es dann?«, erhob Liony das Wort. Er klang nicht so, als wäre er überrascht über die Tatsache.
Zögerlich blickte Taun zu Cana herüber. Allmählich färbten sich ihre Wangen rot. Sie wollte am liebsten weglaufen, wenn sie könnte.
Warum fühle ich mich so, als hätte ich etwas Peinliches gemacht?
»Seelenverwandtschaft heißt nicht geradewegs, dass man romantische Gefühle füreinander hegt«, stellte Stier klar. Keiner erwähnte etwas, also redete er weiter: »Es stimmt allerdings, dass ich starke Gefühle für den Vorgänger-Krebs habe. Was nicht heißen soll, dass …« Er sah Cana an, anschließend weg. Später lieferte er Fische ein Blickduell, nur um wieder wegzuschauen. »Ich betrachte dich nicht als sie, Cana, was wiederum nicht bedeutet, dass du nicht wichtig für mich bist, also … es fühlt sich an, als hätte sie dich hinterlassen, worauf ich unter allen Umständen aufpassen muss … das, also ich … für mich wird jedes Sternzeichen mit einer neuen Seelen geboren. Auch ihr.« Jetzt blickte er in die Augen der Älteren. Gerade bei Liony blieb er kleben. »Auch ihr seid für mich nicht eure Vorgänger, sondern neue Sternzeichen mit einer anderen Charakter-Tendenz.«
»Wie weichgespült das Stier-Sternzeichen doch geworden ist«, zischte Pixo und schüttelte den Kopf.
»Was?«
Der pflanzliche Sarg fror mit einem Schlag ein. Pixo grinste. Der Sarg zerplatzte vor ihm in Einzelteile. Prompt zog Steinbock ihn zu sich, um ihn von den Eissplittern zu schützen. Mehrmals hintereinander zerplatzte das Eis, bis nichts von den menschlichen Resten übrig war.
Stier, der zunächst blass wurde, machte einen Schritt auf Pixo zu. Bevor er eine Attacke begann, wurde er von Capyo zurückgedrängt. Sein Kamerad schüttelte den Kopf. Es war verständlich, dass er eine Eskalation verhindern wollte.
»Damit wäre der Müll nun auch komplett entsorgt«, plapperte Skorpion provokativ. Offenbar legte er es geradezu darauf an, einen Krieg auszulösen.
Cana konnte ihren Augen nicht trauen. Ihr blieb der Kloß im Hals stecken. Genauso starrte Fische mit weit aufgerissenen Augen zu der Stelle, wo bis vor Kurzem die Menschenfrau war. Im Nachhinein sammelte er sich, schüttelte den Kopf und bemühte sich, Cana zu befreien.
»Wie primitiv«, seufzte Zwillinge und hob ein Stück von der Erde ab. Er schwebte und streckte sich. Zur Abrundung gähnte er herzhaft. »Sich so von Emotionen leiten zu lassen, also echt, Pixo, du Dummerchen.«
Wassermann schielte an Cana und Fische vorbei. Seine Haare flogen nach oben, als käme ein leichter Luftstrom von unten. Auch der Saum seiner Jacke bewegte sich im Wind.
Skorpion verengte die Augen zu Schlitzen. Er erwähnte nichts.
»Jeder weiß doch, wo das Ursprungsproblem liegt«, behauptete Zwillinge und tänzelte im Wind hin und her. Manchmal gewann Cana den Eindruck, er benahm sich absichtlich albern und dümmlich, um von anderen unterschätzt zu werden.
»Und das wäre wo?«, hakte Waage lächelnd nach. »Es wäre schön, wenn du dein Wissen mit uns teilen würdest, Gemay.« Das Lächeln wurde breiter. »Helft mir bitte, damit sich die Gemüter beruhigen, ja? Es wäre doch gelacht, wenn wir die Auseinandersetzung nicht friedlich lösen könnten, oder?«
Ein starker Windstoß raubte Cana den Atem und sie atmete verzweifelt nach Sauerstoff. Dieser Stoß wirbelte ihre und Fisches Haare durcheinander. Er musste sich an sie klammern, um nicht wegzufliegen.
In rasender Geschwindigkeit befanden sich Zwillinge und Wassermann in ihrer Nähe und schlugen mit der Faust zu. Die Gestalt des Schlangenträgers fackelte auf und verschwand erneut ins Unsichtbare. Die beiden Luftzeichen, die eine Attacke starteten, lösten sich ebenfalls für ein paar Sekunden in Luft auf, um nicht gegeneinander zu prallen.
»Jungs, wir sind auch noch hier!«, rief Cana außer Atem. Der Wirbelsturm brach umgehend ab.
Zwillinge hob die Augenbrauen. »Ach ja, stimmt ja.«
»Was heißt hier ach ja?«
»Jedenfalls«, setzte Gemay an und ignorierte Canas Protest, »bist du der Übeltäter, niemand anderes.« Zwillinge zeigte ins Leere. Dort, wo der Schlangenträger für eine Weile zu sehen war, war gar nichts. »Gut zu wissen, dass du andere Elemente verwenden kannst. Das Sammeln von Informationen ist das A und O, klare Sache.«
Er ist die ganze Zeit in meiner Nähe und ich bemerke das nicht? Wie … denn das?
»So scharfsinnig wie immer«, lobte Wassermann grinsend und applaudierte. »Ich kriege nicht genug von deinem badass Anblick.«
»Als ob du nicht ebenfalls so gedacht hast, Aquan-Schnucki. Du kannst es nur besser verstecken als ich.«
»Genug gequatscht, machen wir ihn endlich fertig, Gemay.«
»Nein, bitte nicht!«, schrie Cana, dass ihre Stimme dünn wurde. »Er ist nicht böse, ich glaube das nicht.«
»Kleines«, begann Wassermann liebevoll, »du nimmst ihn trotz all dieser Umstände in Schutz, während du dem Tod so nahe bist? Lasse das nur uns machen.«
Der Schlangenträger erschien ein weiteres Mal, ohne ein Wort zu äußern. Er legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den Mond. Als sei er nicht im Geringsten von den beiden Luftzeichen beeindruckt.
»Wenn dir die Familie immer so wichtig erscheint, dann sterbe doch einfach für uns, Cana«, rief Pixo plötzlich. Ein Eishagel prasselte direkt auf sie ein. Dieser wurde von Steinblocks Erdmauer abgeschirmt. Nichts kam bei ihr an.
Canas Herz hämmerte unaufhörlich. Ihre Augen waren aufgerissen. Keine Schmerzen. Gerade so rechtzeitig.
Das war knapp … oh Mann.
Pixo knirschte mit den Zähnen. »Aha, machst du nun auch ernst, Capyo?«
Die Erde begann zu beben. »Du bekommst Cana nicht. Das ist mein letztes Wort.« Ein Stück vom Boden löste sich und wurde zum Wasserzeichen geschleudert.
Musste sie sich um sie sorgen? In der Regel waren Erdzeichen im Vorteil, wenn sie es mit Wasserzeichen zu tun hatten. Außerdem befanden sie sich in einem Wald. Dieser kommunizierte mit den Erdzeichen.
Was jetzt?
Sie schaffte es nicht, sich von den Eindrücken zu erholen.
Es wurde heißer in ihre Nähe. Schütze stand neben ihr. Wie ein Flächenbrand breitete sich seine Kraft aus. Wollte man sie nun umbringen oder retten? »Ich habe mir genug angehört. Es wird Zeit, dass ein paar Köpfe rollen!« Er ballte die Fäuste. Sein Feuer verstärkte sich. Sie und Fische husteten. Der Rauch brannten in ihren Augen.
Es fehlte noch etwas und nahm Zeit in Anspruch, bis er ihre Gliedmaßen vom Eis erlöste. Sobald das Eis schmolz und wässrig wurde, härtete es in Sekundenschnelle. Reichte seine Kraft nicht aus?
Ari schoss Feuerbälle auf Riam, sodass er ausweichen musste. Waage ging dazwischen und stieß das gegnerische Feuer mit Wind weg.
Jungfrau zerschnitt mit einer scharfen Bewegung Capyos Attacke in zwei Teile, sodass er durch die Mitte laufen konnte und eine unerwartete Attacke auf Capyo loshetzte.
»Passe auf, Steinbock!«, warnte Cana kreischend.
Ob es ihrer Stimme zu verdanken war oder ob die Bäume mit ihm redeten, er rollte sich rechtzeitig zur Seite ab, um dem eisigen Atem von seinem Gegner zu entkommen. Der frostige Atem traf stattdessen ein Gebüsch, das sofort gefror.
»Oh nein. Es eskaliert jetzt«, wisperte Cana. Zittrig wandte sie sich an Fische. Mit dem Knie schob sie ihn von sich. »Bitte gehe und rette du dich wenigstens. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas zustößt.«
»Nicht ohne dich.«
»Du knackst das Eis nicht. Es ist stärker als unsere Kraft.«
»Ich bleibe!«
Er hämmerte darauflos. Das Eis um seine Hände herum verschwand, als seine Kräfte schwächelten, wodurch er mit der bloßen Hand zuschlug. Er rüttelte an dem Ring und bemühte sich, ihn aus der Erde zu ziehen. Nichts ließ er unversucht, obwohl seine Haut bereits blutete.
Der Schlangenträger schlug die beiden Luftzeichen mit einer Druckwelle von sich, sodass sie beide gegen Bäume knallten. Er griff nie als Erstes an. Sein Blick ruhte auf dem Mond, als wartete er auf etwas Bestimmtes.
»Warum tust du nichts dagegen?«, richtete sie das Wort an ihn. Ihre Stimme bebte. »Die Sternzeichen werden sich töten, wenn keiner etwas unternimmt. Bitte. Es muss eine andere Lösung geben. So verbrauchen sie erst recht unnötig Energie.«
Er reagierte nicht. Stattdessen senkte er den Blick und ließ ihn umherschweifen. Alle Sternzeichen bekämpften sich und sie konnte sich nicht rühren, um etwas dagegen zu unternehmen.
Verflucht!
»Bitte«, flüsterte sie. »Das muss aufhören.«
Schütze, der dem Erdzeichen zur Hilfe kommen wollte und Waage, der ihm dicht an den Fersen war, wurden beide von einer Eiskuppel in Gefangenschaft genommen. Pixo grinste, als Riam mit seinen Feuerkräften nicht durch die dicke Eisschicht kam. Seine Feuertritte oder Flammen richteten nichts Großes aus.
Löwe bewegte sich seitdem kein Stück von seinem ursprünglichen Platz. Kam ihm der Kampf gelegen? Wollte er nichts dagegen unternehmen? Warum wirkte er nicht überrascht?
Skorpion erwähnte vorhin etwas mit Erinnerungen … was für Erinnerungen meinte er? Ich verstehe es nicht. Was passiert hier bloß?
»Wir brauchen Schütze«, hörte sie Pisan sagen, »dann hätten wir es einfacher.«
Was mache ich nur?