Andromeda war schön, aber die Weiten waren noch leer.
https://www.deviantart.com/ifritnox/art/946955315 (Bild von Ifrit van Nox)
Gemeinsam zogen die Titanen durch ihr neues Reich und suchten nach Möglichkeiten, dieses unendliche Land zu füllen.
Der wichtigste Teil von Andromeda war der mächtige Strom inmitten der weiten Wiesen. In diesen setzte Lupus eine Vielzahl an Fischen, darunter Karpfen und Forellen, ein Schwertfisch, gar ein Wal fand seinen Platz in jenem Land. Krebse bevölkerten bald das Ufer. Das Wasser selbst schien vor Freude zu lachen.
Im Himmel ließen die Titanen bunte Paradiesvögel fliegen, Tukane, Tauben und Pfaue, damit der Gesang der vielen Vögel die Finsternis fernhalten sollte. Ihre Schwingen erzeugten den Wind, der Gräser und Bäume beugte.
In die Wildnis setzten sie große und kleine Tiere. Von den Großen so mächtige Kämpfer wie die Giraffe oder den starken Baum, und an kleinen Tieren den Skorpion und die Schlange, und große wie kleine Wasserschlangen. Und noch mehr Wesen schufen die Titanen, nach ihrem Vorbild: Wölfe, Bären, Füchse und Luchse, Pferde und Hasen, und Vögel aller Jahreszeiten und Himmelsrichtungen.
Andromeda ward zu einem sicheren Hafen in der von Finsternis verschlungenen Welt. Und so kam es, dass auch Wesen von Außerhalb hereinreisten, die das Licht gewahrten und an diesem Ort um Schutz baten, ganz so, wie es mit dem Einhorn Lukina womöglich gewesen war.
Zu diesen Wesen, die um Schutz baten, zählten drei Hirschwesen: Der Steinbock, der Widder und der Stier. Sie alle sprachen bei Lupus vor und er gewährte ihnen Aufenthalt in diesem Land. Ähnlich wie er konnten auch diese drei Wesen schöpfen, doch war ihr Licht sehr viel geringer als das Lupus'. Sie konnten wenig Neues erfinden, schufen meist ihresgleichen oder gesellten sich zu den Tätigkeiten der Titanen und machten deren Wesen nach.
Dann kam ein viertes Hirschwesen, der Hirsch Nunki. Seine Macht war weitaus größer und er schuf unzählige schnelle, flinke Kreaturen. Dank ihm gab es für alle Wesen reichlich Beute in den Wäldern und auf den Wiesen.
Nun muss ich dazu sagen, dass der Tod damals noch etwas anderes war. Ein totes Tier wurde lediglich aus seiner Hülle befreit und kehrte nahezu sofort im Körper eines Jungtiers zurück. So war die Jagd mehr ein Spiel als der tödliche, heilige Ernst, der sie heute ist.
Eines Tages gelangten auch zwei Menschen in dieses Land, die Brüder Indus und Bootes. Beide waren Jäger. Lupus und die Titanen empfingen die Menschen wie jedes andere Wesen, denn sie kannten die Gefahr dieser Kreaturen noch nicht und konnten nicht ahnen, welches Übel ihre Gastfreundschaft noch nach sich ziehen würde.
Ein erster Schatten legte sich jedoch bereits über die Welt, als Bootes und Indus jeder ein eigenes Wesen erschufen. Sie ahmten die Lieder der Wölfe nach, doch statt mächtiger Krieger entsprangen den Zeilen nur zwei Hunde: Asterion und Chara.
Lupus war über die Existenz dieser Wesen höchst erzürnt. Er sah darin, wie alle Wölfe, eine Beleidigung.
Indus, als er merkte, was er angerichtet hatte, verstieß seinen Hund Chara und schwor, von nun an nur unter Anleitung eines Titanen zu schöpfen, um zu lernen und das wahre Wesen von Schöpfung zu begreifen, und dadurch seine Fähigkeiten zu verbessern, dass so etwas nie wieder geschehe.
Bootes indes weigerte sich, Asterion aufzugeben und machte seinen Jagdhund gar noch größer und schöner. So wurde er vor das Gericht von Corvus gestellt, das im Alkeswald lag. Viele Tiere kamen, um der Anklage beizuwohnen. Corvus war der Richter, und auf der Anklagebank saß Lupus höchstselbst, während Ursa Minor entschieden hatte, die Verteidigung zu übernehmen, und Lynx saß Corvus zur Rechten, um ihn zu beraten.
So trug Lupus, als Sprecher für alle Wesen der Andromeda-Ebenen, die Anklage vor; dass Menschen nur Kreaturen schufen, die ihnen nutzten, und dass diese Schöpfungen nicht als sie selbst leben konnten. Die Wölfe, die Bootes und Indus ersungen hatten, durften keine Wölfe sein, sondern mussten den Jägern auf der Jagd dienen können.
Bootes entschuldigte sich bei Lupus und bat um Vergebung für sein Unwissen, er schwor Besserung.
"Wie könnte ich dir vergeben", rief Lupus aus, "wenn du deine Kreatur noch immer an deiner Seite hältst?" Schlimmer noch, sie hatten Wort davon erhalten, dass Bootes sich auch um Chara kümmern würde, die kleinere Hündin.
Doch Bootes überraschte sie, denn er sprach: "Asterion trägt keine Schuld an meiner Entscheidung; wie also sollte ich ihn bestrafen für etwas, das ich tat? Würde ich ihn verstoßen wie mein Bruder es mit Chara tat, so würde Asterion Hunger leiden und sterben. Denn er ist zwar ein Jäger, aber er kann nur an der Seite eines Menschen jagen. Dadurch, dass ich ihn so fehlerhaft schuf, trage ich auch die Verantwortung für ihn."
Lupus schwieg darauf und Corvus beriet sich lange mit Ursa Minor und Lynx. Schließlich traten sie vor die gespannte Versammlung und verkündeten, dass Bootes recht habe.
"Unsere Strafe trifft nicht nur die Menschen, sondern auch ihre Hunde; schlimmer gar als ihre Besitzer. Bootes hat unseren Zorn riskiert, um diesen armen Wesen zu helfen. Dafür können wir keinen Groll hegen."
So wurde jede Strafe von Bootes genommen, solange er sich um die beiden Hunde kümmern würde. Und mehr noch: Ursa Minor ging vor und bot dem Menschen eine ihrer Krallen dar, und diese wurde für Bootes zu einem Schild, mit dem er die Schwachen beschützen solle.
"Du hast ein gutes Herz", sagte Ursa Minor sanft. "Heute hast du uns alle, selbst Lynx, etwas gelehrt. Halte an deiner Weisheit fest, junger Mensch."
So wurde Bootes eine große Ehre zuteil und anstelle einer Strafe eine schwierige Aufgabe: Die schwachen Wesen des Landes nach seinen Kräften vor Unheil zu schützen. Gemeinsam mit seinen beiden Hunden zog er über die Weiten und wachte darüber, dass kein Unrecht geschehe. Wie es so ist mit Menschen, griff er oft in die heilige Jagd ein und rettete ein fliehendes Tier vor dem Recht des Jägers. Doch verziehen ihm die Bewohner der Sternenweite dies.
Er wurde ein guter Freund von Ursa Minor und ein treuer Diener von Corvus' Gesetzen, deren Einhaltung er gewährleistete. Bald wurde ihm sogar als einzigem Verbündeten gestattet, die Lichtung Trishanku zu betreten, die ansonsten den Titanen vorbehalten war. Ursa Major misstraute ihm weiterhin, trotz seiner Taten, doch sie akzeptierte das Urteil der anderen widerwillig. Er wich selten von der Seite der Bärinnen und wurde deshalb bald Bärenhüter genannt.
Über all diesen Wirren jedoch wurde Indus vergessen. Niemand fragte sich, ob dessen Reaktion, zunächst so bejubelt, wirklich gut gewesen war. Er hatte Chara doch im Stich gelassen ... Vielleicht hätte es für diese Tat eine Strafe gebraucht und vielleicht wäre dann Manches ans Licht gekommen und anders gelaufen. Doch falls sich jemand etwas in der Art dachte, so sprach es keiner aus und auf den Ebenen kehrte nun Friede und Wohlstand ein, und lange Zeit war Andromeda ein weites, sicheres Land, wo allerlei Abenteuer bestanden wurden.
Manche davon sind es wert, hier berichtet zu werden ...