Das Gift der Schlange Serpens würde großes Unglück bringen.
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Mimas gehörte zu jenen, die vom Gift berührt worden waren, und das war sein Untergang. Denn Serpens' Gift ließ sich nicht abwaschen, sein Pech haftete dicht im Fell des Fuchses. Mimas merkte nicht, dass der Hauch der Finsternis ihn begleitete, und keiner seiner Freunde hätte es merken können, auch Erakis Granatstern nicht.
Immerzu streiften der Fuchs und der rote Wolf gemeinsam durch die Andromeda-Weiten. An diesem Tag brachte sie ihr Weg an das Ufer des roten Cepheus-Meeres, dessen Oberfläche ganz aus Flammen bestand.
Es war ein gefährlicher Ort, den selbst die Titanen mieden. Lupus hatte es geduldet - denn das Cepheus-Meer war das Einzige, was die Finsternis zu vernichten vermochte - doch es war allen Bewohnern von Andromeda verboten, es zu betreten.
Mimas und Erakis lagerten auf einem Hügel am Ufer, in sicherer Entfernung. Erakis erhob sich bald, um auf die Jagd zu gehen, während Mimas versprach, das Gras für eine ruhige Nacht herzurichten. In diesen Aufgaben wechselten sich die beiden Freunde stets ab.
War es Schicksal, dass ausgerechnet heute Erakis jagen ging? Steckte ein Wille dahinter oder bloßes Pech? Erfahren werden wir es niemals.
Wie Mimas auf Erakis' Rückkehr wartete, glaubte er, auf den Wellen des Meeres etwas glitzern zu sehen. Ein heller Silberschimmer, vielleicht gar ein Wesen in Not oder eine Waffe gegen die Finsternis. Wenn es im Meer überdauerte, musste es von Bedeutung sein.
Aufgeregt lief Mimas los und stürzte sich in die Fluten.
Erakis vernahm die Rufe seines Freundes und kehrte sofort zurück. Er kam auf dem Hügel an, als Mimas gerade in das Meer hinausschwamm.
Ohne Zögern sprang Erakis Granatstern ihm nach, denn er erkannte sofort, dass das Glitzern nicht mehr als eine Täuschung war. Er tauchte in die Fluten aus Feuer, die alles Licht verschlangen. Wie durch ein Wunder gelang es ihm, Mimas im roten Meer zu finden und den Fuchs an Land zu ziehen. Nur knapp hatte Erakis die Heldentat überlebt und war den Flammen des Cepheus-Meeres entkommen. Doch als er seinen Freund auf den Hügel bettete, musste er feststellen, dass Mimas tot war.
Wie es Brauch war, überließ Erakis den Körper des Fuchses den Raben, auf dass seine Seele befreit werde und zurückkehren möge. Er wartete auf dem Hügel darauf, dass Mimas zu ihm zurückfände.
Doch die Zeit verstrich, und Mimas tauchte nicht auf. Erakis rief Aquila zu sich, der Späher, der über dem Cepheus-Meer kreiste, und bat ihn, nach Mimas zu suchen.
Aquila ahnte Böses, doch er behielt seine Sorgen für sich und flog zunächst zu Lupus, um ihm zu berichten, was vorgefallen war.
"Wie konnte der Fuchs ins Meer springen?", fragte der Erste Wolf voll Trauer. "Aus den Flammen des Cepheus' gibt es keine Wiederkehr. Wir müssen Erakis sagen, dass er vergeblich wartet."
Diese traurige Aufgabe übernahm Lupus selbst. In jener Nacht klang die Klage der Titanen zum Himmel.
An diesem Tag hatte ein Wesen das Licht Andromedas verlassen - für immer.
Vulpecula selbst reute der Verlust seiner Schöpfung wohl am meisten, denn er fühlte sich für die Existenz des Cepheus-Meeres verantwortlich. Doch die Warnungen vor dem Meer waren immer deutlich gewesen. Niemand konnte sich erklären, was Mimas in die Fluten getrieben hatte. Dennoch beschloss Vulpecula, das Ufer des Meeres zu sichern und zu verstärken, auf dass niemand mehr in das Meer geraten konnte. Als die anderen sangen, stimmte er mit ein und schwor sich, eine ähnliche Tragödie in Zukunft zu verhindern.
Erakis selbst schwieg. Die Trauer um seinen Freund nahm ihm die Stimme. Er konnte nicht fassen, dass Mimas für immer in den Fluten geblieben war und niemals wiederkehren würde. Statt zu singen, wurzelte die wahnsinnige Vorstellung in ihm, dass er den Fuchs jenseits der Berge wiederfinden könnte.
Erakis zog alleine los. Niemand begleitete ihn. Alle Bewohner Andromedas wollten ihn in seiner Trauer nicht stören und niemand ahnte, dass auch in Erakis' Fell der Fluch Serpens' lauerte. Zudem ging er nicht direkt auf die Berge zu, sondern wählte den Umweg durch den Alkeswald, sodass kein Wesen Verdacht schöpfte.
Erakis erklomm das Gebirge. Dort geschah, was Lupus von Anfang an gefürchtet hatte: Erakis' schwaches Licht genügte der Finsternis, um einen Zugang nach Andromeda zu finden. Sofort stürzten sich die Schatten auf dieses einsame Licht.
Zu spät erkannte Erakis Granatstern seinen Fehler. Da stürmte eine überwältigende Macht aus Dunkelheit auf ihn zu, eine Gewalt, wie sie Sabik, Kornephorus und Mirfak vereint nicht hatten zurückschlagen können.
Verzweiflung überrollte Erakis. Nicht nur war ihm sein Freund genommen worden, nun erkannte er auch, dass er keine Chance hatte, die Dunkelheit zurückzuhalten oder noch jemanden zu warnen. Narrheit hatte ihn ins Gebirge geführt, wo doch jeder Lupus' Warnung kannte. Die gleiche Torheit, die Mimas den Tod gebracht hatte. Vielleicht erriet er gar, dass ein Fluch auf ihnen beiden gelegen hatte, doch sicherlich nicht, wo dessen Ursprung lag.
Trotzdem stemmte Erakis sich gegen die dunkle Flut. Um Trauer und Angst nicht gewinnen zu lassen, dachte er an Mimas, an ihre gemeinsamen Abenteuer. Er rief sich jede glückliche Erinnerung ins Gedächtnis und sang ein Lied von solch bittersüßer Schönheit, dass es die Finsternis tatsächlich eine Weile zurückhalten konnte. Als wäre Erakis' Stimme ein Schutzwall, den auch die Macht der Schatten nicht niederringen könnte.
Doch kein Wesen kann ewig gegen die Dunkelheit bestehen. Nicht, wenn es alleine und so voller Trauer ist. Erakis' Mühen bewirkten jedoch, dass die Finsternis Andromeda nicht sofort fluten konnte, wie sie es sich erhofft hatte. Dann jedoch strömten die Schatten über ihn und rissen ihn mit sich. Hilflos musste Erakis dem Ende entgegensehen, in dem Wissen, dass die Dunkelheit seine Seele ergreifen und nicht mehr loslassen würde. Doch immerhin war es ihm gelungen, das Vordringen ihres ärgsten Feindes zu stoppen.
Trotzdem war sie nun in Andromeda, die Finsternis. Erakis Granatstern wurde besiegt und starb, und die Schatten konnten sich in vielen Winkeln und Ritzen verstecken. Eine Weile konnten sie frei walten, denn niemand bemerkte die drohende Gefahr. So konnte die Finsternis in der Tiefe gären, unbehelligt und ohne Gegner, und ihren düsteren Plan beginnen.
So begann der Untergang von Andromeda ...