Strophe 4: Das Reich Mimosa
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Andromeda war gefallen und Mimosa würde stets nur ein schwaches Echo sein.
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Sol und Lunis wandten sich nun der neuen Schöpfung zu, über die sie verfügen mussten. Die Titanen hatten ihnen die Macht verliehen, Neues zu erschaffen, wenn auch in deutlich geringerem Maße als die Großen es geschafft hatten. Doch Mimosa war klein im Vergleich zu Andromeda. Sol und Lunis, und ihre Gefährten Sirius, Canopus und Arktur, waren die Götter dieser neuen Welt.
Während die drei Kämpfer, der silberne Sirius, der nebelweiße Canopus und der goldene Arktur, Mimosa beschützten, gebar die sternenfarbene Lunis dem goldenen Sol neun Welpen. Sobald die neun ihre Augen zu öffnen begannen, brachte sie sie zu den Titanen und berichtete ihnen von dem schweren Erbe, in das sie geboren waren, und sie hieß sie, das Cepheus-Meer ansehen, das der Ursprung von allem Leid gewesen war. Vom Blick in jene Flammen wurden die Augen der neun jungen Wölfe rot.
Die Kinder von Lunis und Sol waren die ersten Könige.
Der erste von ihnen war Merkur. Sein Fell war helles, reines Silber, wie das Licht der Sterne. Er war ein liebevoller, aber auch strenger älterer Bruder, und würde sich später kein Rudel nehmen; ebenso wie die beiden Schwestern, welche als zweites und drittes geboren waren. Neith, die ältere, hatte einen Pelz von weicher, goldener Farbe, wie Bernstein oder Honigwaben. Die zweite Schwester, Theia, hatte ein weißes Fell mit blauer Zeichnung. Sie wurde von großer Liebe zum Reich Mimosa erfasst und beschloss, es nach all ihren Kräften zu hüten und zu beschützen; diese Aufgabe nimmt sie so sehr ein, dass sie fast nie im Reich selbst wandelt.
Der vierte Bruder hatte ein Fell, so rot wie Blut. Sein Name war Mars und er war ein großer Krieger, der keinen Kampf scheute. Er fand zwei andere Kämpfer und bildete mit ihnen ein kleines Rudel.
Der fünfte Bruder war auch der Größte unter ihnen: Jupiter, ein grauer Wolf, hatte ein gewaltiges Rudel aus Wölfen und Wölfinnen aller Art, die ihm treu ergeben waren. Denn er war gütig, freundlich und weise, mutig und treu. Es hieß, selbst die Titanen seien von ihm beeindruckt.
Der sechste Bruder, der Zweitgrößte, war Saturn mit Fell so schwarz wie die Finsternis. Auch er hatte ein großes Rudel, doch er bevorzugte Jäger, die das Rudel versorgen konnten.
Der siebte Bruder war weiß wie Schnee; sein Name war Uranus. Er hatte das drittgrößte Rudel, denn er war ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Wolf, der viele aufnahm.
Der achte Bruder, Neptun, hatte ein tiefblaues, nebelweißes Fell. Er wählte den Weg hinauf zu den Sternwiesen, wo er den Kampf der Titanen bald unterstützte. Sein Rudel besaß viele Späher und noch mehr Krieger, doch er kehrte nur selten nach Mimosa zurück.
Der letzte Bruder war schließlich der Kleinste von ihnen. Er war nicht wirklich Lunis' Kind, doch sie fand ihn verwaist nach dem Krieg und nahm ihn auf, ohne jemandem davon zu sagen. Selbst Sol wusste nichts von seiner Herkunft und Lunis erzog Pluto wie ihre eigenen Welpen. Er hatte rotweißes Fell und war stets der Kleinste und Langsamste, aber er war humorvoll und fand so ein treues, kleines Rudel.
Die neun Könige gingen auf die Erde, welche gerade erst erwuchs, und halfen bei der Arbeit ihrer Eltern, so gut sie konnten. Doch immer blieb ihr Blick rot von den Flammen des Cepheus-Meeres und während andere Wesen schrumpften, behielten die Neun ihre Größe bei; wenngleich sie schon nicht mehr so gewaltig waren wie Lupus oder Sol.
Besonders Theia tat sich hier hervor, wie bereits erwähnt, indem sie unermüdlich neue Wesen schuf, die dieses Land belebten. Lunis und Sol waren sehr stolz auf ihre jüngere Tochter.
Theia war sehr kreativ und friedliebend. Sie sang viel. Manche sahen in ihr ein Abbild Virgos mit ihrer freundlichen, sanften Natur und der Fähigkeit, Herzen zu heilen, andere sahen in ihr das Erbe Denebs und Pictors. Jedenfalls liebte sie die Schöpfung Mimosa mit allem Herzen und gab sich ihr vollkommen hin.
Anders war Neith, die ebenso kämpferisch war wie ihr Bruder Mars. Die goldene Wölfin und der rote Wolf maßen sich oft im spielerischen Kampf. Mars besaß die größere Kraft, aber Neith war schneller. Dafür war sie auch streitsüchtig, weshalb Mars zwei treue Betawölfe fand, Phobos und Deimos, während Neith alleine blieb.
Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun waren in jenen ersten Tagen unzertrennlich. Sie streiften weit durch das Land und bekämpften Gefahren, wo sie sie sahen. Längst hatten sie und ihre großen Rudel nicht die Macht, die einer der Titanen besessen hatte, doch sie konnten Feinde der Wölfe jagen oder Beutetiere, wenn diese zu zahlreich wurden, und sie halfen nach Waldbränden, Erdrutschen, Überflutungen und harten Wintern mit aller Kraft.
Pluto hatte keine solche unermüdliche Kraft. Er dichtete einige kleine Lieder und brachte manch ein Wesen zum Lachen. Stets würde er im Schatten seiner Geschwister zurückbleiben. Sol war darüber nicht sehr erfreut und erhoffte sich mehr von ihm, doch Lunis wusste, dass das Blut in Plutos Adern sehr viel schwächer war und liebte ihn ebenso wie ihre acht leiblichen Kinder. Sie ermahnte Sol, ihn nicht zu sehr zu fordern.
Als Neptun schließlich verkündete, dass er lieber zu den Titanen gehen als in Mimosa bleiben wollte, betrübte dies seine Eltern. Während Lunis dies nicht zeigte und ihren Sohn bestärkte, wurde Sol zornig und versuchte, Neptun dies zu verbieten.
Neptun war jedoch entschlossen, und ebenso dachten die vielen Wölfe seines Rudels. Sol musste ihn ziehen lassen und gab schließlich sein Einverständnis; Neptun wäre auch ohne dieses gegangen, doch so konnten sich Vater und Sohn in Freundschaft trennen.
Dieser Verlust traf Lunis und Sol schwer. Natürlich freuten sie sich, dass ihre Kinder eigene Wege fanden, doch sie wollten ihren Sohn nur ungerne in die Gefahren der Sternwiesen entlassen, die einst die Andromeda-Weiten gewesen waren. Und es war wohl auch verletzend, dass jemand den Kampf vorziehen würde vor jenem kleinen Paradies, das sie in Mimosa schufen.
Was sie nicht ahnten, war, dass Neptuns Fortgang nur der erste Verlust von vielen wäre. Noch manch ein Schrecken würde Mimosa bedrohen, ehe wahrhaft Frieden herrschen könnte. Immerhin Sol ahnte, dass auch Mimosa nicht immer sicher sein würde, und er begann, nach Wächtern zu suchen, die das neue Reich im Blick behalten könnten, auf dass keine Gefahr ihnen verborgen bliebe.