Mirfak, Sohn des Lupus', war es, der die jungen Wölfe zu Kriegern erzog.
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Er hatte sie alle unterrichtet, auch Erakis Granatstern. Nachdem die Finsternis beinahe in die Andromeda-Ebenen eingedrungen war, nahm Mirfak diese Aufgabe umso ernster. Ihm war bewusst geworden, dass ihnen früher oder später ein Krieg bevorstand. Also trachtete er danach, so viele junge Wölfe wie möglich zu Kriegern heranzuziehen.
Nun war Mirfak zwar ausdauernd und stark und schnell wie kaum ein anderer Wolf, sehr viel ausdauernder und stärker und schneller als wir heutigen Wölfe uns das nur vorstellen können, doch auch seine Kraft kannte Grenzen. Seit dem Kampf am Berghang war er verwundet und hatte sich keine Rast gegönnt.
Eines Tages stand eine neue Prüfung für die angehenden Krieger an. Die schwerste und letzte Probe bestand stets in einer Hatz auf Nunki, den großen Sternenelch. Er war unermüdlich und kaum zu fassen, doch die Wölfe mussten sich als Rudel beweisen und zeigen, wie nah sie seiner Fährte kommen konnten.
Wie Mirfak mit den jungen Kriegern loszog, um die lange Jagd zu beginnen, merkte niemand, wie erschöpft Lupus' Sohn war. Doch als die Jagd voranschritt, wurde es offenkundiger: Mirfak war unaufmerksam. Er rief die Wölfe nicht zur Ordnung, wenn sie Fehler begingen.
Diese Aufgabe übernahmen bald andere Wölfe, in dem Glauben, dass Mirfak sie nur strenger testen wollte. Unter diesen Jägern, die bestens wussten, wie das Rudel funktionieren müsste, tat sich einer hervor: Arae, ein junger Grauwolf aus einem kleinen Rudel. Er hatte ein besonderes Talent und in erster Linie ist es ihm zu verdanken, dass jene letzte Jagd der Krieger glückte.
Mirfak wurde von den jungen Wölfen vergöttert. Von allen Titanen und Titanenkindern mochten sie ihn wohl am liebsten. Darum erklärten sie sich seine auffällige Schwäche durch andere Gründe, denn sie mochten nicht glauben, dass Mirfak einfach müde sein könnte. Zwar hatten sie mitbekommen, dass er seit dem Angriff kaum Ruhe gefunden hatte, dass er sich seitdem, anders als selbst Kornephorus Felsenträger und Sabik Pfeilstern, unermüdlich auf den Krieg vorbereitete, doch sie glaubten, dass er in unbeobachteten Momenten dennoch Pausen gemacht hätte.
Nun wurde die Fährte aufgenommen. Sie waren auf der Spur des Elchs! Nunki lief mit weit ausgreifenden Hufen voraus und die Meute stürmte ihm nach. Dank Arae und einiger anderer gelang es ihnen, Nunki einzukesseln und ihm von allen Seiten zuzusetzen. Schließlich schloss sich ein dichter Ring aus Kriegern um den Elch. Sie schnappten nach seinen Hufen und trachteten danach, ihn zu ermüden.
Doch noch nie war es einer Jagd gelungen, Nunki zur Strecke zu bringen. Immer hatte sich der Elch aus jedem noch so engen Kreis befreien können; durch einen mächtigen Satz, mit gefährlichen Tritten oder unter Einsatz des Schaufelgeweihs. Gemessen wurde der Erfolg der Prüfung daran, wie nah die Wölfe dem Erfolg kamen.
Nun, während des dichten Kampfes, im Gedränge, fanden die wichtigsten Momente der Jagd statt. Jeder Welpe weiß, dass die Jagd nicht zu Ende ist, bis die Beute tot ist. Die Hatz dient nur der Vorbereitung, ebenso wichtig, wenn nicht gar wichtiger, ist das Ende des Kampfes um das Leben. Doch Mirfak gab in dieser kritischen Phase einen falschen Befehl nach dem anderen. Er drängte die Wölfe zum Angriff, wenn Nunki zu sicheren Stand hatte, was ihnen schmerzhafte Tritte eintrug, oder befahl ihnen den Rückzug, wenn Nunkis Flanke freilag. Es dauerte nicht lange, und einige Wölfe missachteten Mirfaks Befehle oder gaben gar eigene. Manche waren im Feuer der Jagd gefangen, andere glaubten es noch Teil der Prüfung. Doch dadurch begingen sie den größten Fehler von allen: Sie missachteten ihren Alpha.
Arae jedoch hielt sich getreulich an die Befehle. Statt sich offen gegen Mirfak zu stellen, versuchte er, mit dem Titanensohn zu reden und gab ihm so manchen hilfreichen Tipp. Doch es half alles nichts, denn gegen Ende des Kampfes, als Mirfak seine Authorität bröckeln spürte, griff er selbst ein und stellte sich Nunki. Ein Zweikampf entbrannte zwischen beiden.
Oh, wie der Jubel der Wölfe gen Himmel scholl! Sie glaubten fest, dass Mirfak siegen würde. Doch Nunki erwischte Lupus' Sohn mit einer Schaufel des Geweihs und schleuderte ihn weit von sich, quer über die Wiesen. Während die Wölfe in entsetztes Schweigen verfielen, als ihr Held stürzte, trottete Nunki unangefochten davon.
Nun erhoben sich zornige Stimmen. Viele der Wölfe, die sich während der Prüfung hervorgetan hatten, machten sich über Mirfak lustig, der bewusstlos im Gras lag. Andere zweifelten gar an seinen Lehren.
Ein Wolf sprach laut dagegen: Arae bleckte die Zähne und knurrte jeden an, der es wagte, etwas gegen Mirfak zu sagen. Mit gesträubtem Fell stellte er sich an die Seite des bewusstlosen Titanensohnes.
"Wie könnt ihr es nur wagen, so über ihn zu reden? Mirfak ist unser Alpha. Ihr habt eurem Alpha Treue geschworen!"
Doch Treue ist ein schwacher Begriff, wenn der, dem sie gelten soll, reglos im Gras liegt. Während viele Wölfe sich trollten, gab es einige, die sich selbst als Alpha der Wölfe Andromedas sehen wollten und vortraten, um Mirfak endgültig zu besiegen - wie es in jedem anderen Rudel Sitte ist, wenn der Alpha Schwäche zeigt. Mit aller Kraft schlug Arae sie zurück. Es waren nicht viele Angreifer, denn im tiefsten Herzen mochten sie alle Mirfak, doch es waren weitaus mehr als Arae. Am Ende humpelte er, blutüberströmt.
"Tritt doch beiseite", rieten die Herausforderer ihm. "Mach es dir leichter."
Doch Arae weigerte sich. "Er ist mein Alpha, ich lasse ihn nicht im Stich!"
Über diesen Worten kam Mirfak zu sich. Er sah den verletzten Arae und erkannte die Situation sofort. Wenngleich er nur noch schwerer verletzt und noch immer nicht ausgeruht war, erhob er sich auf die Pfoten.
"Tritt beiseite, Wolf", sagte er zu Arae. "Wenn sie mich stürzen wollen, so ist es mein Schicksal."
"Dann ist es mein Schicksal, zwischen ihnen und dir zu stehen!", knurrte Arae. So blieb Mirfak nichts anderes übrig, als an Araes Seite gegen die Herausforderer zu kämpfen - und gemeinsam konnten sie siegen.
Während die anderen Wölfe flohen, ging Mirfak langsamen Schrittes zur Mitte des Tales, dorthin, wo die Lichtung Trishanku lag, das geheime Reich der Titanen.
Arae folgte ihm in einigem Abstand, und als er sah, dass Mirfak trotz seiner Verletzungen die Lichtung erreichen würde, wollte er abdrehen und sich um seine eigenen Wunden kümmern.
Doch Mirfak hielt an. "Wohin gehst du, Arae?"
Er wusste nicht, was er antworten sollte.
"Soweit ich weiß, muss ein Betawolf an der Seite seines Alphas bleiben, bis das Band der Treue zwischen ihnen zerbricht."
Nun war Arae erst recht sprachlos. Mirfak hatte niemals einen Betawolf gewählt, doch jeder hätte damit gerechnet, dass er Sabik Pfeilstern oder einen anderen Helden erwählen würde. Jedenfalls keinen gewöhnlichen Wolf ohne einen Tropfen Titanenblut! Ja, liebe Welpen - in damaligen Zeiten waren die großen Sternwölfe gewöhnlich im Vergleich zu den Titanen, und Erdwölfe existierten noch nicht, mit denen sie sich vergleichen könnten. So hätte Arae mit allem gerechnet, doch nicht mit dieser Ehre. Und mehr noch: Mirfak gewährte ihm als seinem Betawolf Eintritt in die Lichtung der Titanen. Er war nach Lukida und Bootes der dritte Außenstehende, der über die Schwelle gehen durfte.
Nachdem sie die Geschichte von Mirfak gehört hatten, stimmten die Titanen der Entscheidung zu. Und so wurde Arae der Treue zu Mirfaks Betawolf. Er hatte bewiesen, dass er dieser Position mehr als würdig war.