Am Tage war ihnen das Licht der Sterne genommen. Und mit der Blindheit kamen die Zweifel der Wölfe.
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Die Zeit verstrich. Theia und Lunis, die einzigen Götter, die geblieben waren, beschränkten sich auf Beobachtungen. Die Könige und sogar die Wächter traten nur selten in Erscheinung, und oft im Pelz ihrer Nachfahren. Dies wurde bald nicht mehr als Beweis angesehen und viele Wölfe wendeten sich ganz von den Lehren Lupus' und von den Tugenden des Eridanus' ab. Sie glaubten schlichtweg nicht mehr, dass es außerhalb von Mimosa einmal Licht gegeben hatte, sie glaubten nicht an die Geschichten der alten Kriege und vergaßen die alten Lieder.
Doch nicht alle von ihnen ...
Es gab einen Wolf, der besonders eifrig nach Beweisen und Antworten suchte. So eifrig war er, dass er bald ein Rudel um sich versammelte, das ihn unterstützte.
Thireuo war der Name des Suchenden. Während andere Wölfe entweder blind an die Sterne glaubten oder sich abgewandt hatten, suchte er nach Beweisen, um auch andere zu überzeugen. Ihn begleitete sein Beta Tariq und die Wölfin Stella, die das Kind gläubiger Eltern war. Es gab Ylika und ihren Bruder Ylli und die Geschwister Izar und Izarra, Sitarah, den Späher, die Wölfin Nyota mit der schönsten Stimme und den Omega Zvezdan, der Geschichten spann. Wie die Wölfe aufbrachen, um nach den Spuren der Sterne zu suchen, schloss sich ihnen ein Rabe an, Shihab, der, wie es Rabenvögel manchmal tun, auf einen Anteil der Beute hoffte, auch wenn die erwartete Beute diesmal anderer Natur war.
Sie eilten durch das Land fern und nah, auf der Suche nach Spuren, nach Beweisen. Denn in jenen Tagen waren die Wölfe geschrumpft, und sie schrumpften weiter. Nur die neun Linien der Könige waren noch groß, und manchmal öffnete einer von ihnen die Augen, die rot wie Cepheus' Flammen waren, und erkannte den Geist eines der großen Könige oder eines Rudelmitglieds in sich. Thireuo sprach mit vielen von ihnen, doch er fand keine Beweise, die überzeugend gewesen wären.
Schließlich gesellte sich ein Fuchs zu ihnen, Beteigeuze, dessen Pelz von goldenem Braun war. Dies war niemand Geringeres als Sol selbst! Wie er von Thireuos Glauben und Suche gehört hatte, hatte er neue Hoffnung geschöpft. Er war zu Vulpecula gegangen und hatte vom Fuchstitan die List der Täuschung erlernt, um sich unerkannt in Thireuos Rudel zu bewegen und seine Beweggründe zu erforschen.
Doch es kam anders, ehe Sol es voraussehen konnte. Denn Thireuo hörte von einem Gelehrten mit Namen Ptolemäus, dessen Wissen über Sterne unerreicht sei. Nur war dieser ein Mensch - und ehe jemand ihn aufhalten konnte, hatte Thireuo diesen Feind aufgesucht. Im Austausch für Informationen über den Lauf der Gestirne verlangte Ptolemäus das Wissen Thireuos, das dieser, wenn auch widerstrebend, preisgab.
Thireuo ging immer heimlich zu Ptolemäus, ohne jemandem davon zu erzählen, um damit auch sein Rudel zu schützen. Er wusste um die Falschheit seiner Taten, doch war er so verzweifelt, dass er keinen anderen Ausweg sah. Ptolemäus konnte nämlich, wie viele Menschen, weit über die Grenzen der Welt sehen. Zwar waren Auriga und Indus vernichtet, doch ihre List lebte in den Menschen fort, wie auch die Wölfe immer das Erbe der Titanen in sich tragen. Darum konnten die Menschen Dinge erfinden, um die Gesetze Mimosas zu umgehen.
Viel lernte Thireuo von Ptolemäus. Im Gegenzug berichtete er ihm ein ums andere Mal von den Legenden der Wölfe. Ptolemäus gab dieses Wissen jedoch weiter, und obwohl es sich mit den Geschichten der Menschen vermengte, ward es nicht mehr geheim.
Bis Sol und die anderen Begleiter des Suchers davon erfuhren, war es bereits zu spät und viele der alten Wahrheiten der Wölfe verraten. Knapp die Hälfte der Legenden war es! Thireuo hatte von der Finsternis erzählt, von vielen der Titanen, vom Eridanus und von Sols Wächtern, von Araes Opfer und Mirfak, von Sabik und Kornephorus, von Sham und Gliese und Kentaur, sogar von Draco und vielen Dienern der Dunkelheit.
Sol, der geplant hatte, sich Thireuo bald zu offenbaren und damit dessen Suche ein Ende zu setzen, war vor Zorn geradezu außer sich. Er verließ, noch immer als Beteigeuze, das Rudel und kehrte in den Himmel zurück. Er rief die Titanen zusammen für einen letzten Akt der Schöpfung und vereint nahmen sie den Menschen die Fähigkeit, mit allen anderen Tieren zu kommunizieren. Nie wieder sollte ein Wort mit den Nachkommen Indus' und Aurigas gesprochen werden, denn die Menschen hatten zu viel Leid über die Welt gebracht. Nur Bootes, der Bärenhüter, durfte seine Fähigkeit behalten, und unter den Menschen gibt es auch heute noch welche, die einen Hauch der alten Gabe zurückerobern können, wenn sie nur reinen Herzens sind.
Die Hunde dagegen wählten ihre Seite in diesem Krieg und gingen zu den Menschen. Sie kehrten sich von den Wölfen ab und erlernten die Sprache der Zweibeiner, jedoch würden auch sie niemals von den Geheimnissen der Wölfe berichten können, denn sie haben sie vergessen.
Thireuo begriff nicht recht, was geschehen war, doch er verstand, dass Sol irgendwie von seinem Tun erfahren hatte und ihm zürnte. Dies war genau der Beweis, den er so verzweifelt gesucht hatte! Doch ach, er kam in trauriger Gestalt einher. Viele Freundschaften wurden gebrochen und die Menschen wurden endgültig die Feinde der Wölfe. Vielleicht hätte dies bereits in Andromeda geschehen sollen, als Indus den Hund Chara zähmte, oder als der Fesselleger seinen Fuß in jenes Reich setzte. Nun reute die Titanen ihre Nachsicht und sie gaben Mimosa als verloren auf. Fortan wollten sie sich um die Sternwiesen bemühen, jenen letzten Flecken Andromedas, der noch sicher war, vom Netz Aurigas umschlossen und von der Dunkelheit bedroht, mit Mimosa in der Mitte, dem jedoch kein Blick mehr galt.
Nur wenige sorgten sich noch um das Geschick des neuen Reichs. Dies waren die neun Könige, allen voran Theia, während Neptun sich abwandte. Sirius, Arktur und Canopus gingen zur Überraschung aller nach Mimosa; ihre Linien wurden die neunte, zehnte und elfte Blutlinie der Wölfe, ebenfalls mit rotem Blick.
Nun, so scheint es, waren alle Geschichten erzählt. Elf Linien der Königswölfe, mit ihren Rudeln, herrschten über Mimosa. Sol hatte seinen Blick enttäuscht abgewandt, doch seine Wächter waren noch da und schwere Strafen drohten jedem, der die Gesetze übertrat. Sol nahm Rache an jedem, der Mimosa weiter entehrte.
Doch ein Lied ist noch zu singen, und es mag das schönste und traurigste von allen sein.