Es war schon Abend, die Nacht zog langsam über den Himmel, eroberte eine rote Wolkenschicht nach der anderen.
Trotzdem hetzte Nokori sie weiter und erlaubte nicht, dass die Sammler zur Basis zurückkehrten.
„Wir haben zu wenig Beeren“, sagte sie, aber selbst Ashley konnte erkennen, dass es der Kriegerin nicht um die Beeren ging.
Ashley war wie immer mit den Sammlern gegangen. Wenigstens mit Kassia fühlte sie sich ein wenig verbunden, empfand ein wenig Sympathie und etwas weniger Angst ihr gegenüber.
Außerdem gab es für Ashley nichts zu tun. Sie war von Thanatos als Späherin ernannt worden, aber ihr einziger Auftrag hatte damit geendet, dass die Gruppe hatte fliehen müssen. Also blieb sie bei den Sammlern, suchte Beeren, stach sich an dornigen Zweigen und sammelte Steine für die Erweiterung ihrer Basis.
Lucy hatte sich einen wahnwitzigen Plan ausgedacht, der es beinhaltete, einen großen Teil des Sumpfes mit Stein und Erde trocken zu legen. Dieser Platz, im Moment nur eine offene Fläche Sumpf, sollte ein großer Bereich mit Steinboden werden, umzäunt und gesichert gegen die Außenwelt.
Ein Hof für die Dinosaurier, die bisher im Wildland um das Lager herum streunten. Und ein Ort, um den Kampf zu trainieren.
Ashley wollte nicht kämpfen. Deswegen war sie ja gerade bei den Sammlern und nicht bei den Jägern. Und sie zweifelte daran, dass sich Lucys Größenwahn würde umsetzen lassen. Die Sumpffläche war groß. Sie würden viele Steine brauchen; die mussten die Sammler suchen, und in dieser Zeit konnten sie keine Beeren sammeln. Es war doppelte Arbeit für Kassia, Foxy und Ashley.
Und es bedeutete gleichzeitig weniger Essen.
Nokori hatte sich inzwischen dazu herabgelassen, ihnen beim Tragen und seltener auch beim Sammeln zu helfen. Im Grunde, so erklärte Nokori, bestand ihre Aufgabe als Kriegerin darin, über die Sammler zu wachen und sie vor jeder Gefahr zu warnen.
„Und was ist mit der Gefahr, sich in diesem beschissenen Sumpf den Rücken zu brechen?“, hatte Foxy gefragt, als Nokori ihnen diese Ausrede vortrug.
Nokori hatte keine Antwort gegeben, nur einen Blick, so bitterböse, dass niemand sich mehr beschwerte.
„Nokori? Wir müssen wirklich zurück, es wird schon dunkel“, sagte Kassia jetzt und riss Ashley aus deren Gedanken.
„Wir haben unser Soll noch nicht erfüllt“, meinte Nokori steif und ließ die Augen durch den Wald wandern, spähte in die Schatten zwischen den Stämmen. „Wir brauchen noch mehr Beeren, dann gehen wir.“
„Wir haben genug Beeren!“, Kassia wirkte der Verzweiflung nahe. „Vermutlich haben die Jäger mehr Fleisch als sonst, jetzt, wo Henry ihnen hilft.“
„Ich will nicht die Nacht in diesem Dreckssumpf verbringen“, mischte sich auch die magere Foxy ein. Ihre Augen blitzen gefährlich, fast wie bei einem wilden Tier.
Nokori richtete sich auf. Sie war wütend, das konnte man sehen. „Widersprecht mir nicht!“
„Wir würden dir nicht widersprechen, wenn du uns zuhören würdest!“, sagte Kassia heftig.
„Macht weiter!“, brüllte Nokori und hob drohend ihren Speer. Gleichzeitig sah sie sich um. Sie wirkte nervös.
Ashley machte es Nokori nach und sah in den Wald. Es war unheimlich dunkel, bald würde der letzte Rest Sonnenlicht vergangen sein.
Dann bemerkte sie etwas, einen dunkleren Schatten im Boden. Vorsichtig ging sie näher, während die Stimmen hinter ihr weiter stritten.
Mit vorsichtigen Schritten näherte sich Ashley dem dunklen Flecken. Hinter ihr wurde Nokoris Stimme lauter, sie schrie wütend auf Kassia und Foxy ein.
Ashley beugte sich vor und kniete sich hin. Dann streckte sie die Hand aus und fasste ins Nichts, wo der Boden sein müsste. Sie fuhr mit der Hand durch die Luft. Dann griff sie einen Ast, der neben ihr lag, und stocherte damit vor sich in dem Nichts herum.
Es war ein Loch im Boden, eine Grube von vielleicht fünf Schritt Durchmesser, die Tiefe war nicht abzuschätzen. Eine Fallgrube, in der Dunkelheit leicht zu übersehen.
Ashley stand auf und wich zurück. Die Stimmen hinter ihr waren jäh abgebrochen. Jetzt näherten sich schnelle Schritte. Ashley wirbelte herum, doch dann erkannte sie Nokori, dicht gefolgt von Kassia und Foxy.
„Hier bist du!“, rief Nokori erleichtert.
„Wieso hast du nichts gesagt?“, fragte Foxy. „Scheiße, hast du uns einen Schreck eingejagt!“
„Was hast du da gefunden?“, fragte Kassia.
Ashley machte einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf die Fallgrube frei. Die drei anderen verstummten.
„In genau so ein Loch bin ich gefallen!“, sagte Foxy nach einer Weile.
„Wie leicht hätten wir da rein fallen können!“, sagte Kassia und wurde blass.
Nokori sagte nichts und wirkte auch nicht überrascht.
Auch Ashley schwieg, aber aus anderen Gründen.
„Dann gibt es ganz viele von diesen Gruben“, sagte Kassia nach weiterem Zögern. „Der ganze Wald ist mit Fallen gespickt.“
Und nun erwachte das Misstrauen. Kassia sah Nokori an. „Wusstest du davon? Wolltest du uns in eine Falle locken?“
„Nein!“, stritt Nokori ab.
„Aber du wolltest zu diesen Fallen, richtig?“, fragte Foxy.
„Weil Thanatos vielleicht in so einem Loch sitzt!“, platzte es aus Nokori heraus. „Und genauso wenig heraus kann wie du!“
„Deshalb bringst du uns in Gefahr? Wegen Thanatos?“, fragte Kassia giftig. „Lucy hat doch gesagt, wir sollen die Suche abbrechen! Es ist zu gefährlich!“
„Auf einmal bist du auf Lucys Seite?“, fragte Nokori.
„Nein!“, sagte Kassia. „Ich bin nicht auf ihrer Seite! Hört mit diesem Quatsch über Seiten auf, wir sind eine Gruppe!“
„Das sind wir nicht“, sagte Nokori kalt und wandte sich um. „Dann kommt. Gehen wir.“
Kassia war sprachlos, als man sie einfach so stehen ließ. Nur Sekunden später gab sie einen Laut wie ein Schluchzen von sich: „Was ist nur los?“
„Wo sie Recht hat, hat sie Recht“, meinte Foxy. „Wir sind keine Gruppe.“
„Dieser ganze Streit macht mich krank“, gab Kassia zu.
Sie trotteten Nokori hinterher, die mit hoch erhobenem Kopf zurück zum Lager ging.
„Und kein Wort zu Lucy, wenn ihr wirklich nicht auf ihrer Seite seid!“, meinte Nokori nach hinten.
Kassia, Foxy und auch Ashley schwiegen. Ashley fragte sich im Stillen, ob sie sich auch für eine Seite würde entscheiden müssen. Sie wollte es lieber nicht tun.